Christa Paulsen - Der letzte Fall 38. Rolle rückwärts - Dünnbier weiß es besser

ahorn

Mitglied
Zurück zum Klappentext
zurück zu Verdrehte Köpfe


Rolle rückwärts
Dünnbier weiß es besser


Christa strich endgültig Lutz sowie Theo aus dem Kreis der Verdächtigen. Die Zwei verband etliches, aber nicht der Tod an Wanja.
Lutz hatte sie ein weiteres Mal beschwindelt, davon ging sie aus. Er war nicht sofort zurück zu Günter geeilt. Zugesehen hatte er, wie Theo mit Genuss sein Glied in Kalina versengte, sie zum Höhepunkt trieb. Gleichfalls hatte sie bei dem nächtlichen Beischlaf mit dem Zuhälter ihn, Lutz gezwungen, sein Einverständnis erpresst. Somit war Lutz ein Opfer, bei Weitem kein Täter.
Tim war nicht minder ein Lügner. Inwieweit er die Frauen in der Nacht gesehen hatte, konnte sie nicht verifizieren, aber dass er seinen Lümmel in Wanja gesteckt hatte, strich sie. Es war sicherlich sein Wunsch, ein Traum gewesen.
Günter schwindelte, ohne rot zu werden und Werner? Konnte sie seine Geschichte von Liebespaar glauben?
Einzig die Spuren der Damenschuhe bewiesen, dass zur nächtlichen Stunde eine Frau um sein Haus geschlichen war. In der Nacht musste es geschehen sein, ansonsten wären jene Abdrücke im leichten Heideboden bereits zerfallen.
Diese Lügen sowie die zwei mysteriösen Kleidungsstücke, dieses Etuikleid, dieses Mieder, brachten sie zur Verzweiflung.

Christa trat in die Pedale, als Dünnbier sie mit einem breiten Lächeln aufhielt.
»Mein Instinkt hat mich nicht getäuscht, Frau Kriminaldirektorin Paulsen.«
»Was meinen sie?«
»Sie war ein Kerl.«
»Wer? Bitte! Wie?«
»Wanja Ivanowa Petrova.«
»Wie kommen sie auf derartigen Blödsinn.«
Dieser Dünnbier ging ihr auf den Senkel. Sie konnte einen Mann von einer Frau unterscheiden. Inwieweit Günter damit Probleme hatte, lag an ihm, aber dass ein Polizist, welchem mit Sicherheit bereits Fakten vorlagen, sich erdreiste, ihr derlei Lügen an den Kopf zu werfen, trieben ihr die Galle hoch.
»Sie oder sagen wir besser er, war im Kiez bekannt.«
Christa zog ihre Augenbrauen zusammen. »Sie war eine Prostituierte?«
»Dieses weniger, eher auf der anderen Seite.«
Sie wurde hellhörig. Seine Aussagen interessierte sie, sodass ihr Wutlevel sank.
»Sie war ein Zuhälter?«
»Deswegen der Kies, abkassiert hatte er. Sein richtiger Name ist Wanja Dimitrow Wladimirow.«
»Das ist schwachsinnig!«
Dünnbier grinste. »Ich nenne es genial. Niemand kannte Wladimirow im Milieu, war eine graue Imminens. Ich bin bereits lange hinter ihm her. Er hat, soweit ich herausbekommen habe, das Geschäft vom Vater geerbt. Hinten herum die Fäden zu ziehen und vorne herum seine Pferdchen als ihresgleichen abzukassieren, ist brillant. Keine Mitwisser störten ihn. Man munkelt, dass er sich zurückziehen wollte. Der nächste Schritt war perfekt inszeniert. Schwanz ab, einen neuen Namen annehmen, sich vielleicht einen unbescholtenen Mann suchen und das Leben genießen.«
Christa tippte sich an ihre Schläfe. »Bitte!«
»War halt schwul!«
»Wer hat ihnen dies alles erzählt?«
»Die Frau Oberstaatsanwältin.«
Dünnbier erhob seinen rechten Zeigefinger. »Ach ja! Bevor ich es vergesse. Besten Dank für Ihre Gastfreundschaft. Wir brechen unsere Zelte ab. Wir müssen einen Serienmörder fassen.« Er senkte seine Arme. »Obwohl ich davon ausgehe, dass es keinen weiteren Mord gibt. Wladimirow hat dieser bestimmt inszeniert, um ...« Er winkte ab. »Egal.«
»Hauptkommissar Kettler, Frank Kettler?«
»Der ist zurück nach Hannover.«
Auch er hatte sie verlassen. Ohne sich bei ihr zu melden, sie in Stich gelassen. All ihre Wünsche, Träume auf ein besseres Leben zerplatzten.

Mehr aus Verzweiflung griff sie in ihre Handtasche, zog die erste Wildkamera heraus, dann die Zweite. In beiden fehlte die Speicherkarte.
Mit ihrer Annahme, dass der Tod von Wanja mit dem Rotlichtmilieu zu tun hatte, lag sie richtig. Dieses hatte ihr Dünnbier bestätigt. Einzig die Protagonisten schienen anders verteilt.
Günter hatte die Kameras von den Bäumen genommen, aber dass er verantwortlich für ihren Tod war, konnte sie nicht glauben. Dennoch kam ihr der Gedanke, dass Werners Karnickelstall mehr mit ihrem Ableben zu schaffen, als sie vermutet hatte. Was, wenn der Ort ihres Todes, ihr Hinscheiden von den Kameras aufgezeichnet war? Der Dreck an ihren Absätzen sowie der Humus auf dem ehemaligen Gärtnereigelände kam ihr wieder in den Sinn.
Es war mehr ihre Verzweiflung, die sie trieb. Trieb in der Hoffnung, endlich Lutz Toyota aufzufinden, um in diesen, gleicher Art Erde vorzufinden.

Sie fand Werners Hof verlassen vor. Einzig Theos BMW stand wie zuvor auf dem Gehöft. Christa sah sich um, studierte jede Ecke auf der Suche nach Indizien. Nichts fand sie, nichts, was sie bereits inspiziert hatte. Bevor sie sich auf ihr Fahrrad schwang, teilte Christas Smartphone ihr mit, dass sie eine Nachricht erhalten hatte. Wilfried schickte ihr eine E-Mail.
Die Nachricht war knapp, aber aussagekräftig. Ralf Jantzen war ein Wilfried bekannter Hamburger Investor. Wie der Zufall es wollte, war Jantzens Ehefrau mit Wilfrieds Gattin bekannt. Eine Recherche bei seiner Gattin ergab, dass dieser Jantzen die Wochenenden mit seiner Sekretärin Antje Bluhm in Lübeck verbrachte. Seine knappe Beschreibung der Bluhm, ließ sie vermuten, dass er diese zumindest einmal gesehen hatte. 1,60 m bis 1,70 m groß, schwarzes kurzes Haar und schmächtig, schrieb er. Christa strich über ihre Brust, über ihr Becken. Was Wilfried, als schmächtig bezeichnete, war ihr bekannt: Typ Bügelbrett. Er bevorzugte Frauen, die als solches zu erkennen waren.
Sie dachte an Lutz sowie Sabines Aussage. Lutz bezeichnete ihn als wortkargen Kumpel von Theo und Sabine? Der Kleine mit den kurzen schwarzen Haaren. Sodann schwangen ihre Gedanken erneut nach Hamburg.
Zumindest war der Jantzen raus. Nach Wilfried Recherche war dieser bis nach Mitternacht bei einer Vorstandssitzung gewesen und gegenüber seiner Gewohnheit hatte er die Nacht mit seiner Ehefrau verbracht.
Der Nachsatz, inwiefern Wilfried Holde sich darüber erboste, weshalb verheiratete Männer Geliebte hatten, ließ Christa ein Schmunzeln über ihre Lippen huschen.
Christas Annahme, Wanja trüge einen Verlobungsring, war falsch. Ob sie sexuellen Kontakt zu Jantzen hatte, schloss Christa nicht aus. Aber, dass er sich neben seiner Sekretärin eine zweite Geliebte leistete, war für sie zwar möglich, dennoch unwahrscheinlich.

Erneut das Smartphone vor ihrer Nase, suchte sie das Foto, das sie Lutz gezeigt hatte. Seine Reaktion war nicht das Entsetzen darüber sie tot zu sehen, eher Verwunderung, Schuld und Trauer. Sie strich über das Bild über Wanjas überkreuzte Arme bis zu ihrem linken Ringfinger.
In Gedanken stieg sie vom Rad, schob dieses bis zu Werner Mülleimer und öffnete jenen. Eine dunkelbraune Langhaarperücke thronte auf dem Hausmüll.


Gruß aus Hamburg

Christa stopfte das Beweisstück in ihre Handtasche, schwang sich auf ihr Rad und brauste davon. Der Kopf brummte ihr. Die ganze Zeit hatte man sie an der Nase herumgeführt. Wie einen Bullen am Nasenring durch Dorf getrieben. Wer alles an der Verschwörung beteiligt war, war ihr wurst. Nur, dass sie dieses Spiel mit ihr getrieben hatten, ließ ihr die Galle überlaufen. Nicht allein sie waren es, dieser Dünnbier, sogar ihr Frank waren mit vom Spiel. Dünnbiers Worte kreisten ihr im Gehirn, unter anderem: Wanja Ivanowa Petrova, Wanja Dimitrow Wladimirow.

Außer Atem erreichte sie ihr Revier. Einer von diesen Milchbärten, jener von diesen Möchtegernpolizisten aus Brunos Saal, stand, als warte er bereits Stunden, vor der Tür. Einen Wäschekorb hielt er auf seinen Händen. Christa warf ihr Rad gegen die Hausmauer und eilte auf ihn zu.
„Frau Kriminaldirektorin Paulsen, Herr Polizeihauptkommissar Dünnbier hat mich beauftragt, Ihnen die Unterlagen bezüglich des Falls Wanja Ivanowa Petrova auszuhändigen“, stotterte er sich ab, als ginge sie ihm zugleich an die Kehle. Mit ausgestreckten Armen hielt dieser ihr den Korb entgegen. „Bitte quittieren.“
Sie quittierte die Annahme und übernahm den Korb, woraufhin der Jüngling eilends verschwand. Den Korb unter den Arm geklemmt, fischte Christa nach ihrem Schlüssel. Zumindest hätte er warten können, bis sie die Tür geöffnete hätte, dachte sie sich, nachdem sie das Schloss aufgesperrt und das Türblatt über die Bodenkante gestoßen hatte.
Schnaufend, mit hochrotem Kopf, marschierte sie zu ihrem Schreibtisch, stellte den Korb ab und warf ihre Handtasche auf den Schreibtischstuhl. Sie hatte kein Verlangen den Inhalt zu studieren, denn ihr Plan ging in eine andere Richtung. Das Dorf im Saal zusammentrommeln und wie Eric Ode ihre Erkenntnis der Schandtaten jedem einzeln, an den Kopf zu werfen.

Schandtaten? Sie atmete tief durch. Dabei war alles nur Liebe. Die innige Liebe zweier Menschen. Die Liebe zu einer Frau, die Liebe zu einem Vater. Die Scham diesem zu beichten, wen er verehrte. Kalina war keine Nymphomanin.
Eine normale Frau war sie. Eine Frau, die es nicht aushielt, verleugnet zu werden. Klar, dass sie sich nach einem anderen umsah. Weshalb sie Theo auserkoren hatte, war Christa schleierhaft.
Der Streit im Hotel war weder ein Streit der Farbe eines Kinderzimmers noch eine Auseinandersetzung, weil sie einen anderen hatte. Lutz hatte herausbekommen, dass sie, um Aufmerksamkeit zu erregen, die Kaninchenentführerin war. Sie liebte Tiere. Sie war die Hardcoretierschützerin.

Eins stand für Christa fest. Lutz verließ, nachdem er mit Theo gesprochen hatte, die Kaschemme. Da traf er sie. Wanja. Inwieweit er sie oder sie ihn angemacht hatte, war unwichtig. Er kannte sie nicht, woher auch. Möglicherweise hatte er ihr hinterherspioniert. Dieses hatte Tim beobachtet. Sie waren Freunde. Tim ging davon aus, dass Lutz mit ihr Verkehr hatte. Er nahm die Schuld auf sich, um Lutz die Flucht zu ermöglichen. Er war ein Dösbaddel.
Vielleicht hatte Lutz sogar das Gespräch von Max mit Günter verfolgt, vielleicht dabei erfahren, dass Günter mit ihr die Wildkameras montiert hatte.
Er macht sich auf den Weg nach Hause, um reinen Tisch zu machen. Ihr seine Liebe zu erklären, seinem Vater an den Kopf zu werfen, wer sie war. Der Akt, den er vernahm, brachte ihn zur Verzweiflung. Der Alkohol beim Darten sowie Helene Fischer brachten ihn auf die Idee und die Perücke Christa auf ihre Spur.
Max verstaute für Auftritte in der Kaschemme mehrere Kostüme, darunter gleichsam Perücken. Zum Hengst, zum Vollidioten wollte sich Lutz machen. Es lag im Rahmen des Möglichen, dass Lutz Max das Etuikleid geschenkt hatte. Es war wahrlich kein Hingucker. Max sammelte all möglichen Tinnef für seine Performances. Da spielte das Geschlecht des vorherigen Besitzers eine untergeordnete Rolle, schrill sowie ausgefallen genügte ihm.
Lutz schnappte sich die Sachen aus Günters Wohnwagen mit der Intension zum Stall seines Vaters zu fahren. Zu seiner Verwunderung sah er, wie Tim Benno in seinen Toyota bugsierte und abfuhr. Zu Fuß zu den Kaninchen, um dann unentdeckt zurück, die Zeit zu knapp, der Weg zu weit. Außerdem, davon ging Christa aus, befand sich mindestens eine Farbsprühdose in seinem Wagen. Denn Lutz berichte ihr, dass er, bevor er Günter aufsuchte, bei den Kaninchen war. Dann war es nicht unwahrscheinlich, dass er seinem Vater bei den Kühen zur Hand ging.
Einen fahrbaren Untersatz auf dem Campingplatz zu finden, war kein unmögliches Unterfangen. Vielleicht nahm er Günters Fahrrad, das dieser hinter seinen Bürowagen verwahrte, aber nie damit fuhr.
Lutz verfolgte Tim bis zu Bennos Revier. Mit einem Fahrrad war man kaum langsamer als ein Kraftwagen. Tim lud sein Bonanzarad aus und begleitete Benno nach Hause, welcher bestimmt kaum allein sein Haus traf. Der Schlüssel steckte, sodass Lutz den Wagen enterte und zum Stall fuhr. Angekommen zog er sich um und machte sich ans Werk.

Er wurde gestört, sinnierte Christa. Ein Scheinwerferlicht reichte, um ihn aufzuschrecken. Die Pein, dass jemand unter Umständen sein Vater ihn in einem Kleid betrachte, erfasste ihn. Deshalb prangte die unvollendete Nachricht auf der Stallwand. Ich liebe Tiere war eine Nachricht, die der Logik seines Plans entsprach.
Er sprang in seinen Wagen, brauste ab. In jenem Moment, nicht auf dem Campingplatz, erblickte er die Limousine von Jantzen. Sitzend in dieser oder stehend an dieser, sah er Wanja und kombinierte später, dass sein Erzfeind die Frau erschlagen hatte. Bei seiner Flucht vergaß er, das Tor zu schließen. Er fuhr zum Campingplatz, da er davon ausging, dass Tim verwundert des Verschwindens des Toyotas unter jedem Gullydeckel jenen suchte. Lutz ahnte nicht, inwieweit er in eine Falle fuhr. Auf dem Platz angekommen, sieht er, wie Max und Ben die Kaschemme verließen. Er hatte sicherlich kein Verlangen, diesen beiden in die Arme zu laufen. Seinen Toyota außerhalb ihrer Sichtweite abgestellt, pirschte er nach Hause und schlich sich von hinten, einsteigend durchs Fenster, in sein Zimmer. Dabei verlor er die Perücke.
Erst nachdem Christa ihn auf das Kleid angesprochen hatte, erkannte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Anstatt das Kleid, die Schuhe zu entsorgen, hatte er diese Sachen in seinem Zimmer behalten. Deshalb erfand er die Geschichte. Kalina hatte ihn in dieser Nacht nicht mehr aufgesucht.

Tim! Tim war nicht von dieser Welt. Ob er das Verschwinden von Lutz Karre sofort oder es später, nachdem er zu Hause gewesen war, realisierte, spielte eine untergeordnete Rolle. In seiner Naivität ging er davon aus, dass Benno gleich eines Geistes sich an ihm vorbeigeschlichen hatte, um den Abend mit seinen Freunden auszuklinken. Jener zugedröhnt den Rückweg zur Kaschemme eingeschlagen hatte. Dabei hatte Tim den Auftrag bekommen, Benno nach Hause zu bringen. Tim fuhr erneut mit seinem Rad zum Campingplatz. Dieser war bereits verwaist und der Toyota nicht vor Ort. Denn Max verbrachte Ben.
Christa kratzte sich am Genick. Tina hatte sich von Tim getrennt. Wenn dieser gehört hatte, dass Max noch eine Verabredung wahrnehmen wollte und ihm bewusst war, davon ging Christa aus, inwiefern Max und Tina verbandelt waren, dann war sein nächster Schritt einleuchtend. Er enterte Bens SUV. Entgegen seinem Vermuten entdeckte er nicht Max in inniger Zweisamkeit mit Tina, sondern Theo sowie Kalina, welche zusammen mit Tina in einem Elefantenturnschuh, wie Tim diesen nannte, das Anwesen verließen. Weshalb und wohin sie fuhren, war Christa egal, ging ihr nichts an, dafür lag für sie auf der Hand, warum die drei in Kalinas Auto saßen. Theos Kupplungsproblem war der Grund. Irgendwann in der Nacht sind Kalina und Theo zurück auf Werners Hof, seinen BMW holen. Werner verließ in jenem Moment sein Haus. Um nicht vom Hausherren entdeckt zu werden, verkrochen sie sich an die Hausecke und vergaßen in ihrer Zügellosigkeit in Windeseile ihr Ansinnen nicht aufzufallen. Theo stieg danach in seinem BMW und Kalina bestieg ihren Wagen. Ihr Ziel für Christa klar vor Augen. Das Hotel, indem sie nächtigten.
Durfte Tim ihr seine Entdeckung erzählen? Nein! Denn er ahnte nicht, dass Lutz wusste, was Theo und Kalina trieben.
Günters Rolle in diesem Spiel kränkte sie. War er wirklich der Ansicht, sie würde ihm den Hals abreißen. Er kannte Wanja, dies stand für sie fest, aber nicht aus Bulgarien oder als Gast, eher als Dienstleisterin seiner Gäste.


Dann ist erst mal Schluss

In Günters Herz schlugen zwei Seelen, die des Mildtätigen und die des Kaufmanns. Die Erste liebte Christa an ihm. Er drückte seine Augen zu, wenn Prostituierte auf seinem Campingplatz ihrem Gewerbe nachgingen, soweit sie dieses nicht allzu offensichtlich trieben. Allemal besser als in einem Kraftfahrzeug ohne sanitäre Anlagen, obgleich er im Prinzip wie Christa dieses Gewerbe verabscheute.
Sie rechnete es ihm hoch an, aber dass er von den Damen Provision kassierte, tolerierte sie nicht. Klar, dass er ihr es nicht erzählt hatte, welch Gewerbe Wanja nachgegangen war.
Christa kratzte sich am Genick. Günter hatte sie gesehen, als er Kurts Pritsche bestiegen hatte. Was ein regulärer Camper trieb, ging ihm und erst recht ihr nichts an. Für Günter war es eine Kleinigkeit, ein Zelt aufzustellen und Wanjas Habe, welche sie entweder bei ihm oder im Sanitärbereich zurückgelassen hatte, im Selbigen zu verwahren.
Die Geschichte mit seinem bulgarischen Lover sollte sie ablenken und die Wunde an seinem Leib war mit Sicherheit nicht von ihr, sondern vom Baum, aus dem er die Wildkamera geborgen hatte.

„Günter, Günter“, seufzte Christa, fasste in den Wäschekorb und fischt Wanja Handtasche heraus.
Sie öffnete die Tasche und zerrte das Geldbündel heraus.
Dann sehe ich sie vor einem Jahr aufgetakelt mit so einem Bonzen in Hamburg, klangen Lutz Worte in ihr nach. Diese Aussage war von ihm nicht erfunden, sondern entsprachen der Wahrheit. Er hatte Wanja auf dem Foto wiedererkannt.
Lutz‘ Äußerungen hatten Jantzen in ein Licht gesetzt, welches ihm nicht zustand. Er handelte, quälte Tiere, dies mit Sicherheit. Aber war er deswegen ein schlechter Mensch. Geschäftsmann wie Günter war er. Kaufmann mit Herz.
Christa drehte das Geldbündel. Für Schnuckelheider war es ein Vermögen, aber für Jantzen eher ein Trinkgeld. Er war nicht ihr Freier, sondern ihr Erlöser. Sie aus ihrem Elend befreien. Ihr, die Freiheit schenken, war sein Ansinnen.

Glasklar, als wäre sie dabei gewesen, sah sie alle Bilder. Nachdem Wanja ihrem Geschäft nachgegangen war, zog sie sich um und verwahrte ihre Sachen bei Günter. Ihr Zuhälter brachte sie auf den Parkplatz.
Bei der Übergabe des Geldes kam es zu einem Handgemenge. Wanja stürzte und kam zu Tode. Wogegen stieß sie? Gegen die Kante einer geöffneten Wagentür. Jantzen fing sie auf. Der Zuhälter verlässt den Ort. Jantzen steckt das Geld in Wanja Handtasche und legt sie …
„Stopp“, murmelte Christa.
Jantzen besaß eine Limousine, keinen Kombi.
Christa spulte zurück. Er kam zu einem Streit, aber nicht mit Wanja. Der Zuhälter und Jantzen stritten. Vielleicht verlangte jener mehr für sie. War gierig geworden.
Jantzen und Wanjas Zuhälter zogen sich auf Werners Grundstück zurück. Wanja folgte ihnen, deswegen die Erdspuren an ihren Absätzen. Sie erschreckt, läuft weg. Floh. Mit ihren Schuhen kein einfaches Unterfangen.
Weshalb floh sie? Eine Frau, welche in ihrem Leben mehr als einmal in die tiefen Abgründe des Schreckens geblickt hatte. Totschlag. Mord! Jantzen hatte ihn erschlagen.
Seiner Tat bewusst erblickt er Wanja, die von ihm wegläuft; er hinterher. An Jantzens Limousine strauchelt sie, stürzt und schlägt mit dem Genick gegen eine Wagentür. Ihm gelingt es, sie aufzufangen, dabei ist sie bereits Tod. Ihr Körper wippte nach, sodass ihr Hinterkopf gegen einen Stein schlug.

Demnach existierten zwei Leichen, ferner ein weiterer Wagen. Es entsprach zwar nicht Christa Erfahrung, aber weshalb sollte ein Zuhälter keinen Kombi fahren.
Jantzen hatte zweifellos keine Skrupel, Wanjas Luden irgendwo herauszuwerfen und seinen Leichnam den Wildschweinen zu überlassen. Mit Wanja sah dies anders aus. Offenbar hatte sie ihm erzählt, dass sie auf Günters Campingplatz anschaffen ging.
Christa schürzte ihre Lippen. Warum legte er sie auf die Straße? Keine zweite Leiche! Der Zuhälter war nicht Tod. Jantzen bemerkt auf der Fahrt, dass jener am Leben war.
In Panik warf er Wanja in den Straßengraben, ließ den Ort hinter sich und entschwand zu Fuß. Der Zuhälter kam endgültig zu sich, leckt seine Wunden und überlegte in welch einer Lage er steckt.
Wanja war Tod und die Verbindung zu ihm stand fest. Er war nicht ihr Mörder, würde gleichwohl als dergleichen gelten. Wieder bei klarem Verstand nimmt er sich vor, Wanja zu bergen, um sie zu verscharren. Dies würde zumindest Christa machen, wenn sie sich vorstellte in seiner Lage zu sein.
Dummerweise stellte er fest, dass Wanja bereits aufgefunden war. Christas Kreidestrich verriet ihm dieses. Zu seinem Unglück fand er nicht Wanjas Handtasche, denn diese hatte sie in Obhut genommen. Keine Papiere verrieten ihre Herkunft.

In Gedanken versunken, kramte Christa in Wanjas Tasche und zerrte ein Schlüsselbund hervor. Wofür die Schlüssel waren, war ihr egal. Der Anblick als solcher zeigte Christa ihr Unvermögen. Sie hatte als Frau gedacht, nicht wie ein Mann. Günters erschließende Hosentaschen kreisten ihr durchs Gehirn.
Männer trugen keine Handtaschen. Weshalb sollte Jantzen auf die Idee gekommen sein, das Geld in Wanjas Tasche zu stecken. Männer verwahrten alles in ihre Hosentaschen.
Er hatte keinerlei. Nicht einmal eine Hose trug er. Denn es war nicht Jantzen.
Christa kratzte sich am Genick. Der hatte ein wasserdichtes Alibi. Seine Frau wusste von seinem Verhältnis. Weshalb sollte sie lügen, weswegen sollte er es ihr einreden. Wenn er der Täter war, dann hätte seine Sekretärin ihm gleichfalls ein Alibi schenken können.
Eifersucht! Hatte Christa mit ihrem Experiment nicht bewiesen, dass eine Frau Wanja aus dem Kombi geworfen hatte. Es war kein geplanter Mord, dies nicht. Was unternahm eine Prostituierte, wenn sie aus den Fängen ihres Luden befreit wurde?
»Sie verschwindet«, flüsterte Christa.

Blieb für Christa noch eins zu klären. Weshalb erzählte ihr Dünnbier diese abstruse Geschichte.
Wanja Ivanowa Petrova - Wanja Dimitrow Wladimirow.
Hatte er es wahrhaftig von Mechthild erfahren. Weswegen war Frank abgereist? Frank saß in ihrem Revier. Wie ist er hineingekommen. Günter!
„Männer“, zischte Christa.
Sie flechte ihre Zähne. Buhlten wie zwei Hähne. Frank hatte gewonnen und als Preis hatte er nicht allein sie bekommen, sondern sollte den Sachverhalt in Günters Interesse verdrehen.
Ob sie sauer auf Frank war, wollte, konnte sie nicht sagen, aber, dass er seine Pension aufs Spiel setzte, um wieder mit ihr vereint zu sein, imponierte sie.
Dünnbier! Obgleich seine Version dilettantisch war, steckte gewiss ein Stück Wahrheit in dieser. Die Inbrunst, mit der er jene erzählt hatte, bewiesen dies ihr.

Sie hatte kein Team, keine Technik, dafür Erfahrung und Verstand. Dieser war zwar in Dünnbier Welt mickrig, dennoch reichte ihr dieser Verstand, zu schlussfolgern, dass Wladimirow ihre Kollegen an der Nase herumführte. Wie blöde wäre er anderenfalls.
Wie Dünnbier bekräftigte, war die Idee, sich nicht allein eine neue Identität zu erschaffen, sondern gleichsam das Geschlecht zu wechseln, brillant. Sodann einen Fehler zu begehen, welchen sogar Gesine in ihrer Naivität roch, mehr als dilettantisch.
Der Pate, der Ganove der Ganoven seinen Vornamen und seine Nationalität aufrechterhält, wobei er in der Lage war zu jedem zu werden. Christa kannte das LKA zu gut, um zu wissen, dass dieser Fauxpas bei Dünnbiers Recherchen nach einem Maulwurf stank. Einen Allerweltsnamen wie Meike Müller oder Marlies Meier hätte Wladimirow gewählt, oder …
Der Schlag des Türflügels gegen die Bodenwelle riss Christa aus ihren Spekulationen. Sie wandte sich um und starrte auf den Lauf einer Pistole.
„Antje Bluhm“, murmelte Christa.

E N D E Teil 3
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten