rogathe,
Dir ist ein großartiger Text gelungen, dessen Facetten und Tiefen ich mir nach und nach erschlossen habe – nachdem ich zu dem Schluss gelangt war, dass der plausible Plot zwar gekonnt umgesetzt wird, aber die Geschichte dennoch banal wirkt; der dramatische Höhepunkt zwar möglicherweise einen moralischen Konflikt thematisiert, aber er ist kein Konflikt der Protagonisten – sie scheinen sich einig zu sein –, sie lösen ihn nur aus. Wie kommt es, hatte ich mich also gefragt, dass mich der Text nicht los lässt?
Worum geht es in der Geschichte eigentlich?
Das Ehepaar plant eine Feier und eine Überraschung:
„Fertig!“ Caroline klebt die letzte Briefmarke auf das Kuvert und blickt erleichtert auf. Verschmitzt lächelt sie ihrem Ehemann zu. „Na, die werden staunen!“ „Ganz bestimmt!“
Eine anscheinend glückliche Ehe:
Constantin beugt sich über sie und haucht ihr ...
Sie gehen strukturiert, systematisch, sorgfältig, fast pedantisch vor:
Er sortiert die fünfzig Einladungen zu ihrer goldenen Hochzeit in alphabetischer Reihenfolge und vergleicht sie zum letzten Mal mit der Gästeliste ...
Am Checkpoint stellen sie fest: es funktioniert! Die Reaktionen entsprechen ihren Erwartungen:
„Habt ihr etwa im Lotto gewonnen?“ „Vornehm, vornehm!“ ...
Der Meilenstein zeigt, dass der Plan aufgeht:
Überaus zufrieden konstatieren die Jubilare in der darauffolgenden Woche, dass niemand abgesagt hat
Jetzt kann die Umsetzung des Plans im Detail erfolgen:
Kurz darauf treffen sie beim Catering Service die Auswahl der Köstlichkeiten (…) Als Mitglieder des Hubertus-Jagdvereins vereinbaren sie (…) mit Den befreundeten Pyrotechniker beauftragen sie ...
Jetzt kann es losgehen:
„Es prickelt!“ Constantin, der Astrophysiker und Caroline, die Archäologin schmusen innig verliebt am späten Abend ...
Und dann dieser Satz, auf den ich noch zurückkommen werde:
„Wir hatten viel Glück“, sinniert sie leise ...
Aha! Der Aufmarsch der Protagonisten:
Sie, Akademikerin, als Archäologin sucht sie den Grund("Woher kommen wir?") erd- und todesnah:
„Klar, um ein Haar wärst du für immer bei deinen Skeletten und Mumien im Schacht geblieben“, nickt er und bekommt wieder eine Gänsehaut, wie damals, als er vom Unfall seiner Frau bei Grabungsarbeiten ...
Er, Akademiker, als Astrophysiker sucht er das Ziel ("Wohin gehen wir?") himmels- und unendlichweit:
… du sagtest immerhin, wir würden uns später dort treffen, gemeinsam in ein schwarzes Loch stürzen ...
Dann fällt das Schlüsselwort:
„Aber auch jede Menge Spaß"
Spaß – jetzt wird klar, das „viele Glück“, das vorhin erwähnt wurde, hat viel mit Kopf, mit „Sich-nicht-in-die-Quere-kommen“ – mit „Spaß-an-der-Freud’“ zu tun. Mit Selbstverwirklichung und Erfolg. Und Egoismus? Ein Glück, dass alle Pläne funktioniert haben ...!?
Ja! Jetzt sehe ich sie vor mir:
„Sogar deine Runzeln schmunzeln“, säuselt sie ihm ins Ohr. „Ich liebe jede einzelne von ihnen.“
[ 4]„Das will ich hoffen, sie haben mir ziemlich viel Mühe gemacht“, grinst er ...
... mild, sanft, wortverspielt
Der Satz
Die Zeit bis zum Fest verbringen sie mit entrümpeln, ordnen und putzen. Zuletzt schmücken sie mit Tannengirlanden das Treppengeländer und den ...
trommelt wie im Zirkus, währenddessen der Akrobat zum „Salto Mortale“ hochklettert:
Constantin und Caroline sind bereit.
Die Spannung steigt: Die Clowns marschieren ein, die Kapelle spielt – alles ist gerichtet, in der Manege:
Alsbald duften bunte Wiesensträuße und Orchideengebinde, Rosengestecke und Margaritenkränze, von den Gästen überreicht, im Haus und die Blasmusik tönt in das fröhliche Schwatzen und ...
Alles läuft wie am Schnürchen – kein Wunder, hier waren Profis am Werk:
Nachdem alle launigen Reden gehalten sind, bitten die Jubilare die Gesellschaft hinaus ...
Dann der Abschlussbericht:
Gut ging es – schön war es – Danke
… ich musste plötzlich an Kevin Spacey in dem Film „Das Glücksprinzip“ denken, und an seine Antwort auf die Frage, ob er denn glücklich sei: „Es ist ein machbares Leben“
Jetzt begriff ich endlich: Deine Geschichte steckt gar nicht im Text! Er dient als Reiseführer, setzt Zeichen, winkt den Leser in die richtige Richtung, beschildert Vorfahrten, Kreuzungen, schaltet die Ampel von „Grün“ auf „Gelb“ und … hätte er jetzt mit dem moralisierenden Fingerzeig auch noch plump auf „Rot“ geschaltet ... – aber da patzt eine Autorin wie Du natürlich nicht!
Die
eigentliche Geschichte zeigt einen Lebensentwurf, der mit den Leitsätzen skizziert werden kann:
„Sei fleißig und brav!“, „Lerne und passe dich an!“, „Studiere was du willst – nach dem Abi!“, „Lebe deinen Traum!“, „Mach was aus dir!“, „Mach was aus deinem Leben!“
Glück, als gemachtes Leben … Und auch noch Spaß dazu – was will man mehr.
Jetzt überrascht es nicht mehr, wenn auch das Ende „gemacht“ werden soll, im Gegenteil:
Dann nimmt er seine Frau an die Hand. Stufe um Stufe steigen sie, gelegentlich innehaltend, in die erste Etage hinauf und schließen die Tür ihres Schlafzimmers hinter sich.
[ 4]„Willst du wirklich?“, fragt er ernst, während er nach seinem Revolver greift.
[ 4]
[ 4]„Ich will es“, antwortet sie mit fester Stimme.
… und weil ich den Text so gelesen habe, bin ich mit dem Schluss unglücklich.
Constantins Frage wird zwar gesetzt, aber dramaturgisch nicht verwertet. Klingt, als würde er sich der Entschlossenheit seiner Frau versichern wollen – eine mögliche, aber aus der Figur nicht zwingend folgende Haltung; das Gegenteil ist wahrscheinlicher: er der (beruflich) sein Leben lang mit dem Unbegrenzten zu tun hatte, wird das erste Mal mit dem Endgültigen konfrontiert – und er ist emotional kaum gerüstet. Caroline, die immer schon mit Skeletten und Mumien zu tun hatte, wird vom Gedanken an den Tod nicht erschüttert – das Ende hat für sie nichts Erschreckendes.
Wenn also Constantin fragt, dann vermute ich, dass
er sich nicht mehr ganz sicher ist – zumindest nicht stark genug, um damit wortlos-innerlich fertig zu werden.
Ein Schluss wie:
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„Willst du wirklich?“, fragt er ernst, während er nach seinem Revolver greift.
[ 4]
[ 4]„Hab keine Angst …“, flüstert sie und drückt seine Hand fester.
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... hätte mich glücklich gemacht.
Der letzte Satz ist nicht „short-story-like“ – könnte verlustfrei und gewinnbringend gestrichen werden.
Ich danke Dir für das Leseerlebnis.
Wenn meine Lesart die erzählerische Intention nicht trifft, dann – Pardon.