Der Preis des Friedens - Teil 2

Der Preis des Friedens (Kinder des Velt) - Teil 2 - Fortsetzung von "Der Preis des Friedens (Kinder des Velt) - Teil 1"

Sie benötigten ziemlich lange, um Ssuyial zu erreichen, den Ort, an dem der Palast der Imperatra stand. Aber eines Morgens, als Tovarjal und Ssutiss den Wagen verließen, erblickten sie in einiger Entfernung die Mauern einer gewaltigen Stadt, die ihnen im Dunkel des vergangenen Abends entgangen waren. An diesem Morgen gab es keine Hausarbeit für sie. Stattdessen erhielten sie von Gajetu Anweisungen, wie sie sich auf dem restlichen Weg zu verhalten hatten. Sie machte ihnen auch klar, dass es für sie das Wichtigste war, ihr Ziel noch an diesem Tag zu erreichen. Für Tovarjal, aber auch für Ssutiss, war das Wichtigste an ihren Befehlen allerdings etwas völlig anderes. Ihnen war nämlich erlaubt worden, miteinander zu sprechen, während sie auf die fernen Mauern zustrebten. Gajetu hatte ihnen mit einfachen Worten erklärt, dass das Redeverbot nur deswegen ausgesetzt worden war, damit der Jüngere dem Sarvarer erklären konnte, was er zu sehen bekam. Gleichzeitig sollte er auch dafür sorgen, dass Tovarjal sich so benahm, wie es sich für einen Viri gehörte. Dann mussten die beiden für diesen letzten Abschnitt der Reise der Gruppe vorangehen. An allen vorherigen Tagen hätte das nicht funktioniert, aber hier in der Nähe der Stadt stellte es offensichtlich kein Problem für die Primaduca dar. Aber auch wenn dies den Eindruck erweckte, die Kriegerinnen wären Tovarjals und Ssutiss Eskorte, war sich der Sarvarer bewusst, dass es sich bei den Frauen, die hinter ihnen her ritten, immer noch um ihre Bewacherinnen handelte.

Einige Stunden später erreichten sie dann ein großes Tor in der Stadtmauer. Tovarjal stellte bei dieser Gelegenheit fest, dass ihm die an diesem Vormittag zurückgelegte Strecke überhaupt nicht lang vorgekommen war. Er fand dies vor allem deswegen erstaunlich, weil er das früher anders gesehen hätte. Aber in den letzten Wochen hatte er gelernt – hatte er lernen müssen – vom Vormittag bis zum Abend ohne Pause unterwegs zu sein und das zu Fuß. Er hatte sich zuvor niemals für einen Schwächling gehalten, musste aber erkennen, dass er zumindest zu Beginn der Reise Probleme gehabt hatte mit Ssutiss mitzuhalten. Wegen seiner schlanken Gliedmaßen und seines zarten Körperbaus hatte er den jungen Mann für nicht sonderlich stark gehalten und zumindest in der Hinsicht recht gehabt, dass er nicht so schwere Lasten tragen konnte wie er selbst. Allerdings war er sehr viel ausdauernder als der ehemalige Princepo, weil er von klein auf daran gewöhnt war, den ganzen Tag unterwegs zu sein und Arbeiten zu erledigen. Dies war etwas, dass Tovarjal erst mühsam hatte lernen müssen. Vor allem einen ganzen Tag lang zu laufen, war ihm ziemlich schwergefallen, denn früher war er immer geritten.

Die Stadt, die Tovarjal hinter der Mauer zu sehen bekam, schien um einiges größer zu sein als jede sarvarische Stadt. Außerdem machte sie auf ihn den Eindruck, als bestände sie aus zwei Teilen. Direkt hinter der Mauer breitete sich die Unterstadt aus, die sich vom Stadtrand bis zum Fuß des Hügels erstreckte. Die Erhebung dominierte das Zentrum der Stadt und die Gebäude, die dort standen, bildeten seiner Meinung nach die Oberstadt.

Ssutiss hatte Tovarjal durch das Tor hindurchgeführt und sie waren auf eine nicht besonders prachtvolle Straße gelangt, die gerade breit genug war, um zwei Karren einander passieren zu lassen. Allerdings nur, wenn diese es geschafft hätten, sich durch die Menschenmassen zu kämpfen. Tovarjal versuchte dem Verlauf der Straße mit den Augen zu folgen, aber sie wand sich in Kurven in die Stadt hinein und deshalb konnte er nicht sehr weit sehen.

„Dies ist eines der geringeren Tore. Das prachtvolle Haupttor ist einzig den Vassu vorbehalten. Von dort gelangt man auf die Hauptstraße, die direkt zum Palast führt.“ Auch wenn Ssutiss mit seinem Begleiter reden durfte, sprach er trotzdem so leise, dass er nur zu verstehen war, wenn man sich direkt neben ihm befand. Was er von sich gab, erstaunte Tovarjal allerdings immer wieder. Im Imperium waren Männer offensichtlich überhaupt nichts wert und wurden von vielen Dingen und Orten ausgeschlossen.

Während sie dem Straßenverlauf folgten, kamen sie immer wieder an engeren Gassen vorbei, in die Tovarjal interessiert hineinblickte. Schnell begriff er, dass sie sich in einem ärmeren Teil der Stadt befanden, denn die Männer – allerdings auch die Frauen – die auf den Straßen unterwegs waren, hatten sich in schmutzige und zum Teil auch zerrissene Kleidungsstücke gehüllt. Die einfachen Röcke der Virei gingen ihnen höchstens bis zur Wade und die Tuniken waren zum Teil sogar so kurz, dass sie nicht einmal bis zum Rockbund reichten. Im Gegensatz dazu reichte Tovarjals Tunika, ebenso wie die von Ssutiss, bis zur Mitte des Oberschenkels und der Saum ihrer voluminösen Röcke schleifte über den Boden. Die Virei, die sie zu Gesicht bekamen, waren mit einfachen, aber auch mit körperlich schweren Arbeiten beschäftigt, die Vassu hingegen führten die Aufsicht oder beschäftigten sich mit körperlich nicht so belastenden Dingen. Aber auch die Frauen gehörten zweifelsohne zu den Ärmsten, was Tovarjal daran erkannte, dass die Beine ihrer Hosen genauso kurz waren wie die Röcke der Virei. Einmal konnte er sogar kurz einen Blick auf eine in Lumpen gehüllte Frau werfen, die eigenhändig ein Bündel Holz schleppte.

Auch Ssutiss hatte sie gesehen. „Sie wird weder einen Cuviri noch einen Ssumili oder einen anderen männlichen Verwandten haben und auch kein Geld, sich männliche Hilfe zu kaufen“, hörte er die leise Stimme des anderen neben seiner Schulter. Ohne die Lektionen der vergangenen Wochen hätte er mit diesem Satz absolut nichts anfangen können, denn er hätte nicht gewusst, dass ein Cuviri ein Ehemann oder ein Ssumili ein Sohn war. Er hatte lernen müssen, dass die Vassu einige Begriffe benutzten, die es in der Sprache der Sarvar nicht mehr gab oder nie gegeben hatte. Zum Glück betraf das aber nur einen kleinen Teil der Worte, ansonsten hätte Tovarjal erhebliche Probleme damit gehabt, sich in seiner neuen Umgebung einzuleben. Zwar fand er immer noch, dass die anderen ihre Worte eigenartig betonten oder falsch aussprachen, aber Ssutiss machte ihm mit einem Lächeln klar, er wäre hier derjenige, der seltsam sprach.

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu, auf der auch Kinder zu sehen waren. Die kleineren liefen völlig nackt herum und erst als er näher kam, konnte er erkennen, dass alle Kinder, die seiner Ansicht nach spielten, Mädchen waren und alle diejenigen – so klein sie auch waren – die irgendwelchen Arbeiten nachgingen, Jungen. Die älteren Kinder trugen zumindest Lumpen und daher konnte er auch aus einiger Entfernung bereits feststellen, dass diejenigen, die Röcke trugen, die schmutzigeren oder anstrengenderen Arbeiten ausführten. Und bis auf die jüngsten hatten alle Virei ihre langen Haare in einem Zopf zusammengefasst. Hier wurde man ganz offensichtlich als Sklave geboren und es gab selbst für die kleineren Kinder keine Schonung. Dies war eine traurige Art und Weise, seine Kindheit zu verbringen.

Die Straße führte sie langsam aber sicher in die Nähe der Oberstadt. Tovarjal vermutete den Palast zwischen den prachtvollen Gebäuden auf dem Hügel, aber bisher hatte er ihn noch nicht zu Gesicht bekommen. Sie waren bereits geraume Zeit unterwegs, ohne die Grenze zwischen Unter- und Oberstadt erreicht zu haben. Und während sie sich durch die Straßen bewegten, fiel Tovarjal auf, wie viele Frauen und Männer sie anstarrten.

„Sie können an unseren Gürteln erkennen, dass wir zur Familie der Imperatra gehören und fragen sich, was wir hier machen. Die Servirei verlassen den Palast nämlich nur selten. Außerdem würden sie bestimmt gerne wissen, wer der Viri ohne Zopf ist. Bis zum heutigen Abend wird die Stadt voller Gerüchte sein.“ Ssutiss lachte leise und dies kam so unerwartet, dass Tovarjal sich zu ihm hindrehte. Er sah nur für einen kurzen Moment nicht nach vorn, trotzdem verpasste er dadurch seine erste Gelegenheit, einen Blick auf den Palast zu werfen.

Als er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete, verstand er plötzlich, dass er sich geirrt hatte. Der Palast befand sich nicht etwa zwischen den Gebäuden der Oberstadt, die Oberstadt war der Palast. Nie zuvor hatte er ein derart großes, imposantes und prachtvolles Gebäude zu Gesicht bekommen, wie er es mit dem Palast der Imperatra nun vor sich sah. Sein Erstaunen hätte beinahe dazu geführt, dass er stehenblieb, aber Ssutiss bewahrte ihn davor, von Gajetu und ihren Kriegerinnen niedergeritten zu werden. Die Primaduca hätte ihn wahrscheinlich gerne noch einmal bestraft. Aber der jüngere Mann nahm ihn erneut bei der Hand und zog ihn weiter.

„Der prachtvolle Haupteingang befindet sich auf der anderen Seite des Palastes“, begann der rothaarige junge Mann, „aber er ist …“

„… nur Vassu vorbehalten“, beendete Tovarjal den Satz. Inzwischen hatte er begriffen, wie es im Imperium ablief. Aus den Augenwinkeln heraus bekam er mit, wie Ssutiss nickte.

„Virei müssen die Nebeneingänge benutzen. Der nächste von diesen liegt dort hinter den Zypressen versteckt.“ Er zog ihn weiter eine Straße hinauf, die an der niedrigen Palastmauer entlangführte, bis sie durch einen Torbogen auf das Palastgelände abbog. Sobald sie hindurch geschritten waren, trennten sich die Kriegerinnen von ihnen und machten sich auf den Weg zu ihren eigenen Quartieren, wie Ssutiss ihm zuflüsterte. Nun begleitete sie nur noch die Primaduca, die in der Zwischenzeit ebenfalls abgestiegen war. Sie hatte ihr Reittier einem der Virei anvertraut, die offenbar genau für diese Gelegenheit – aber sehr wahrscheinlich auch für andere – am Rand des Weges bereitstanden.

Der Nebeneingang hinter den Zypressen machte eher den Eindruck eines einfachen Scheunentors. Ssutiss mühte sich bereits damit ab, einen der schweren Torflügel zu öffnen und Tovarjal beeilte sich, ihm zur Hand zu gehen. Zu zweit hielten sie das Tor offen, bis Gajetu den Palast betreten hatte, um ihr auf dem Fuß zu folgen.

„Die Imperatra und die Hereda warten auf euch beide. Ich wäre überhaupt nicht erfreut, solltet ihr sie warten lassen.“ Gajetus Stimme und ihr Gesichtsausdruck ließen ohne Probleme erkennen, dass sie nichts mehr freuen würde, als wenn die beiden Männer ihr einen Anlass gäben, sie zu bestrafen. Während der Zeit, in der sie mit ihr unterwegs gewesen waren, hatten sie dies sehr schnell gelernt. Ssutiss ergriff erneut Tovarjals Hand und zog ihn eilig weiter. Mit kurzen schnellen Schritten eilten sie den Gang entlang. Der Jüngere wusste offenbar genau, wo es lang ging.

Innerhalb kürzester Zeit gelangten sie an eine Stelle, an der der unscheinbare Korridor, durch den sie vom Tor hierhergelangt waren, in einen prunkvoll ausgestatteten Gang, fast schon eine schmale Halle, einmündete. Ssutiss wandte sich ohne zu zögern nach links. Fünfzig Meter weiter konnte Tovarjal eine hohe zweiflügelige Tür erkennen, die kunstvoll verziert worden war. Dahinter vermutete er sofort den Thronsaal und fragte sich in dem Moment, ob es auch einen einfachen Eingang für die Virei gab. Dieser Gedanke löste bei ihm ein Kichern aus, das er gerade noch unterdrücken konnte.

Die Tür wurde von vier Kriegerinnen bewacht und Ssutiss und mit ihm auch der Sarvarer blieben ungefähr zehn Meter von ihnen entfernt stehen. Tovarjal hatte sich angewöhnt, genau darauf zu achten, was der jüngere Mann tat.

„Ohne ausdrückliche Erlaubnis dürfen wir nicht näher an diese Tür herantreten. An dieser Stelle müssen wir warten, bis man uns entweder erlaubt, den Thronsaal zu betreten oder uns befiehlt, wieder zu gehen.“ Ssutiss senkte den Blick und Tovarjal machte es ihm nach, eingedenk der Erfahrungen, die er bisher gemacht hatte. Ssutiss genau im Auge zu behalten, hatte ihn öfter vor Strafe bewahrt. Zu seinem Leidwesen allerdings nicht immer.

Die Primaduca eilte an ihnen vorbei und zwei der vier Kriegerinnen zogen die Türflügel genau in dem Moment auf, als sie die Tür erreichte, sodass sie hindurch schreiten konnte, ohne ihren Schritt zu verlangsamen. Sie verschwand in dem dahinterliegenden Raum und die beiden Männer konnten sie durch die offenstehende Tür zwar sprechen hören, aber ihre Worte nicht verstehen.

Bereits nach kurzer Zeit erschien sie wieder auf dem Gang. „Eintreten!“, befahl sie ihnen in harschem Tonfall.

Die beiden Männer beeilten sich, dem Befehl nachzukommen. Sie legten die letzten Meter bis zur Tür mit den kurzen, schnellen Schritten zurück, mit denen sie vermieden, auf den Saum ihrer langen Röcke zu treten. In dieser Situation wäre ein Sturz ziemlich schmerzhaft gewesen und das in mehr als einer Hinsicht.

Sie fanden sich in einem riesigen Saal wieder, dessen Prunk in passender Weise zu dem Eindruck passte, den Tovarjal bereits vom Palast gewonnen hatte. Ssutiss blieb stehen, als er den Rand eines dicken dunkelblauen Teppichs erreicht hatte und brachte seinen Begleiter ebenfalls zum Stehen. Gajetu war ihnen dichtauf gefolgt und stand nun rechts von Tovarjal.

„Ihr dürft den Blick heben.“

Als der Sarvarer der Anweisung nachkam, stellte er fest, dass diese Worte von einer älteren Frau gesprochen worden waren, die auf einem kunstvoll verzierten, aber wuchtigen Thron saß. Sie hatte kurzes graues Haar, das sie etwas länger trug als er es von den Kriegerinnen gewohnt war, die ihn und Ssutiss auf der Reise begleitet hatten. Die nach allen Richtungen wie Borsten abstehenden Haare konnten aber auf keinen Fall länger als zwei Fingerbreit sein. Mandelförmige dunkelblaue Augen beherrschten ihr schmales Gesicht, das erstaunlich wenige Falten aufwies. Trotzdem vermutete der ehemalige Princepo, sie müsse ungefähr so alt sein wie sein Vater. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass er sich in der Gegenwart der Imperatra befand.

Neben dem Thron stand eine weitere Frau, schlank und hochgewachsen, in deren Gesicht er ohne Probleme Ssutiss wiedererkannte, auch wenn ihr rotes Haar und ihre grauen, mandelförmigen Augen eine Spur dunkler waren als seine. Aber niemand würde übersehen können, dass sie und Ssutiss Geschwister waren. Dies musste also dann die Hereda, die Erbin, sein. Während ihre Mutter eine lange, weite und kostbar bestickte Hose und eine ebenfalls kostbar verzierte Weste über einem dunkelblauen Hemd trug, war die Tochter wie eine Bella, eine der Kriegerinnen der Vassu, gekleidet und ihr Haar war genauso kurz geschoren. Ihre ganze Haltung, aber auch der Ausdruck kaum gezügelten Zorns auf ihrem Gesicht ließen sie um einiges weniger attraktiv erscheinen als ihren Bruder. Tovarjal schätzte sie müsste einige Jahre älter ein als er selbst war. Er musste aber nicht raten, um zu wissen, wer das Ziel ihres Zorns war. Er fand nicht, dies wäre eine gute Voraussetzung für die Fortsetzung seiner Existenz.

Neben ihm erklang Gajetus Stimme, die sich an die beiden Frauen vor ihr wandte. „Ich bringe euch Tovarjal, der gemäß den Bedingungen des Friedensvertrages, den du, Imperatra, mit Kisarvar geschlossen hast, mit der Hereda vermählt wurde. Deinen Befehlen folgend, Herrin, hat Ssutiss die Stelle seiner Schwester bei der Zeremonie eingenommen.“

Der Blick der Frau auf dem Thron ging über die beiden Männer hinweg zur Primaduca. „Ich danke dir für deine Mühen, Gajetu. Nach dieser Reise wirst du dich ausruhen wollen. Du darfst dich entfernen, ich benötige dich zurzeit nicht.“ Gajetu hatte sofort verstanden, dass sie aus der Gegenwart ihrer Herrscherin entlassen worden war. Sie verbeugte sich kurz, drehte sich dann auf der Stelle um und verließ zügig den Saal. Die Tür wurde hinter ihr wieder geschlossen.

Erst nachdem Gajetu den Saal verlassen hatte, richtete die Imperatra ihren Blick wieder auf die beiden Männer. Sie musterte Tovarjal einen langen Augenblick, wandte sich dann aber doch erstmal an Ssutiss. „Ich freue mich, dich wieder im Palast zu wissen, Ssumili. Ich gehe davon aus, dass du die dir übertragenen Arbeiten zu meiner Zufriedenheit ausgeführt hast, so wie es deine Art ist.“

Ssutiss verbeugte sich tief vor seiner Mutter. „Custa, mein Leben hat nur den Zweck deine Befehle auszuführen.“ Langsam richtete er sich wieder auf. Die Imperatra wirkte zufrieden.

Ihr Blick kehrte zu Tovarjal zurück. „Dies ist also dein Cuviri, Aississu“, bemerkte sie zu ihrer Tochter. „Er sieht jung und kräftig aus und meiner Meinung nach ist er auch nicht hässlich zu nennen, allerdings würde er mir besser gefallen, wenn seine Haare nicht zu kurz für einen Zopf wären.“ Tovarjal konnte ein amüsiertes Schnauben gerade noch unterdrücken, weil er selbst sich immer wieder darüber wunderte, wie lang seine Haare während der Reise geworden waren.

„Wie war nochmal dein Name, Junge? Tovarjal?“, fragte ihn die Imperatra.

„Das ist richtig“, antwortete er ihr und wurde sofort von Ssutiss angestoßen.

„Du musst die Imperatra mit Domina ansprechen“, raunte er ihm zu.

„Verzeih mir, Domina“, versuchte er seinen Fehler zu berichtigen. „Mein Name ist Tovarjal, Domina.“

„Vielleicht hast du deine Aufgabe doch nicht so gut erledigt, Ssutiss“, ließ sich die Hereda mit eisiger Stimme vernehmen. Ihr Bruder wurde bleich und Tovarjal wäre beinahe damit herausgeplatzt, es wäre doch seine Schuld gewesen, aber ihm fiel rechtzeitig ein, dass er damit die ganze Angelegenheit für den Jüngeren noch schlimmer machen könnte. Deswegen hielt er lieber seinen Mund.

„Wahrscheinlich waren das einfach zu viele Informationen für diesen sarvarischen Jungen und er konnte sie sich nicht alle merken. Denke bitte daran, dass er nicht den Vorteil hat, als Viri geboren zu sein. Wahrscheinlich ist ihm überhaupt nicht klar geworden, dass es einen Unterschied zwischen einer Custa, die die Aufsicht über ihn hat, und allen anderen Vassu gibt, die er Domina zu nennen hat. Lass deinen Unmut nicht an deinem Bruder aus, der eine Aufgabe übernommen hat, die nicht für einen Viri gedacht war.“ Aus ihren Worten sprach die Liebe einer Vassu für ihren Ssumili.

Aississu nickte. „Du hast recht, Mutter. Ich sollte Ssutiss nicht für etwas verantwortlich machen, das er unmöglich fehlerfrei bewältigen konnte.“

Als sie Tovarjal nun zum ersten Mal direkt ansah, konnte er Zorn und Verachtung in ihren dunkelgrauen Augen erkennen. „Tovarjal? Das ist kein Name für einen Serviri.“ Sie grinste, was sie nicht freundlicher aussehen ließ.

Sie streifte ihren jüngeren Bruder mit einem Blick. „Ich möchte die Angelegenheit jetzt schnell hinter mich bringen. Ssutiss, bring mir die Dinge, die dort hinten auf dem Tisch liegen. Du darfst mir zur Hand gehen, Bruder.“

Sie drehte sich wieder zu Tovarjal um und fuhr ohne Pause fort. „Hiermit binde und heirate ich dich.“ Der Sarvarer hatte diese Worte schon einmal in dem Zelt am Ufer des Hijiley-Sees gehört.

Aississu streckte eine Hand in Richtung ihres Bruders aus und dieser legte etwas hinein, von dem Tovarjal nicht mehr erkennen konnte, als dass es grün war. Bevor er Zeit hatte, weiter darüber nachzudenken, ergriff sie seine Handgelenke und fesselte diese mit zwei miteinander verbundenen grünen Armbändern. Sofort fiel ihm Ssutiss Erklärung über die Vinculae wieder ein.

Die Hereda streckte erneut ihre Hand aus und ihr Bruder gab ihr einen weiteren Gegenstand. Als sie ihn an ihrem Gürtel befestigte, erkannte er, dass es sich um einen kleinen grünen Schlüssel handelte.

„Ich verspreche, dich vor allem ungerechtfertigtem Harm und Schmerz zu schützen.“ Im Gegensatz zum ersten Teil der Zeremonie machte sie keinen Hehl daraus, dass ihr die Aussage des zweiten Satzes nicht zusagte.

Sie streckte ein drittes Mal ihre Hand aus und ließ sich einen weiteren grünen Gegenstand reichen, den sie ebenfalls an ihrem Gürtel befestigte. Diesmal handelte es sich um ein kleines Messer.

Sie war aber noch nicht fertig mit Tovarjal. „Ich benenne dich Ssutovar.“ Die ganze Zeit über hatte sie ihn nicht direkt angesehen, aber das änderte sich bei ihren nächsten Worten. „Ich hoffe doch, du kannst dir das merken. Wenn nicht, dann bin ich dir nur zu gerne dabei behilflich.“ Dem ehemaligen Princepo wurde eiskalt bei der Drohung, die in ihren Worten mitschwang.

Während der gerade umbenannte Sarvarer auf seine gefesselten Handgelenke starrte, ergriff die Imperatra erneut das Wort. „Ssutiss, ich habe beschlossen, dass du auch weiterhin die Verantwortung dafür tragen wirst, diesem Viri beizubringen, wie man sich anständig benimmt. Damit du diese Aufgabe ohne Probleme bewältigen kannst, unterstelle ich dich Aississus Aufsicht. Ich gehe auch davon aus, dass du damit noch geraume Zeit, vielleicht sogar Jahre, beschäftigt sein wirst, deshalb verzichte ich darauf, dich zu verheiraten.“ Ssutovar sah aus den Augenwinkeln, wie Ssutiss schluckte.

„Ssutiss, nimm Aississus Cuviri und begib dich mit ihm zum Domuvirei. Dort warten genügend Arbeiten auf euch.“ Mit einer Handbewegung entließ die Herrscherin die beiden Virei.

Wortlos griff Ssutiss erneut nach der Hand des vormaligen Sarvarers und zog ihn zu einer unauffälligen schmalen Tür rechts von ihnen. ‚Es gibt also doch einen separaten Eingang für die Virei‘, ging es Ssutovar durch den Kopf. ‚Aber vielleicht sollte ich das eher den Eingang für die Diener nennen.‘ Er hatte verstanden, dass selbst die Söhne der Imperatra in diesem Palast nichts anderes waren, aber der Gemahl der Erbin auch nicht.

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Ssutiss führte ihn durch mehrere, enge und schlichte Gänge, bis vor eine schmucklose Tür. Der junge Mann machte schon Anstalten diese zu öffnen, überlegte es sich dann aber offenbar anders und klopfte stattdessen an. Dann wartete er geduldig darauf, dass ihnen geöffnet wurde und Ssutovar wartete natürlich mit ihm. Die Begegnung mit der Imperatra und vor allem mit der Hereda hatte ihn nicht gerade aufgemuntert und ihm fehlte gerade ein bisschen die Kraft, sich mit Neuem auseinanderzusetzen. Und der auf ihn gerichtete Zorn, den er in Aississus Augen entdeckt hatte, war derart intensiv gewesen, dass er ihn ängstigte. Die Imperatra selbst hatte sich ihm gegenüber zwar nicht feindselig benommen, aber er schien ihr gleichgültig zu sein. Allerdings hatte die Art und Weise, wie sie so ganz nebenbei die Hoffnungen ihres Sohnes auf eine Verheiratung zunichtemachte, auf jeden Fall ausgereicht, den ehemaligen Princepo jeglicher Illusionen zu berauben. Wenn er denn zu diesem Zeitpunkt noch welche besessen hätte. Sein Willkommen im Palast hätte er sich gerne herzlicher vorgestellt, aber ihm war bereits im Vorhinein klargewesen, dass dies reines Wunschdenken war.

Die Tür wurde bereits nach wenigen Momenten langsam von innen geöffnet und ihnen stand ein älterer Mann gegenüber. Er trug die gleiche Art langen Rock aus ungebleichtem Stoff, die gleiche Art lange Tunika und den gleichen Gürtel wie Ssutovar und sein Begleiter. Aber er hatte noch viel mehr mit Ssutiss gemeinsam. Er besaß das gleiche rote Haar, das er zum gleichen Zopf geflochten hatte und auch den gleichen Gesichtsschnitt. Seine Augen waren ebenfalls hellgrau, allerdings nicht mandelförmig. Er war aber größer als der junge Mann und konnte Ssutovar ohne Probleme direkt in die Augen sehen. Als er erkannte, wer vor der Tür stand, erschien sofort ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht.

„Tiss!“, rief er erfreut aus.“ Du bist endlich wieder da. Wir haben dich im letzten halben Jahr sehr vermisst.“ Dann stutzte er. „Aber wieso hast du geklopft?“

Auch auf Ssutiss Gesicht hatte sich ein Lächeln breitgemacht. „Ich hielt es für höflicher, weil ich nicht alleine bin.“

Der Blick des Älteren, der sich zuerst ganz auf Ssutiss konzentriert hatte, glitt jetzt zu Ssutovar hinüber und musterte dessen Rock, den Gürtel mit der weißen Schnalle in Form eines Wolfskopfes und schließlich die Vinculae. Dann sah er wieder zu Ssutiss hinüber. „Ist das Aississus Cuviri?“

„Warum lässt du uns nicht erst einmal eintreten, Vater, bevor du uns mit Fragen überschüttest. Die anderen wüssten bestimmt auch gerne was los ist.“

Der Ältere wirkte für einen kurzen Moment schuldbewusst, dann trat er zur Seite und die beiden jüngeren Männer konnten endlich den Raum betreten. Dieser war ungefähr sechs Meter lang und genauso breit, und sein Boden war mit dicken Teppichen bedeckt, auf denen wiederum Kissen lagen. An mehreren Stellen standen niedrige kleine Tische, auf denen sich Reste verschiedener Mahlzeiten sowie dickbäuchige Krüge und Becher aus Ton befanden. Rechts und links gingen weitere Türen ab, aber geradeaus konnte Ssutovar auf eine Reihe halbgeöffneter Falttüren blicken, hinter denen er einen breiten Balkon erkennen konnte. Eine ganze Reihe jüngerer und zwei deutlich ältere Männer sowie zwei Jungen saßen auf den Kissen und blickten ihnen ziemlich entspannt entgegen.

„Willkommen im Domuvirei der Imperatra“, wandte sich der Mann, der ihnen geöffnet hatte, an Ssutovar. „Ich bin Ssupeam, der dritte Imserviri und dies“, er zeigte auf die anderen, „sind weitere von Nydaussus Imservirei, Ssumilei und auch einige ihrer Ssugenei.“

Die anderen, die genauso gekleidet waren wie Ssutovar selbst – auch wenn sie nicht alle einen weißen Wolfskopf als Gürtelschnalle zeigten – lächelten ihn an. Er merkte sofort, dass ihr Lächeln echt war und dies fühlte sich richtig gut an.

„Dies ist Ssutovar“, stellte Ssutiss ihn den anderen vor, „Aississus Cuviri.“

Ssupeam übernahm wieder das Reden. „Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass du dir die Namen von uns allen sofort merken kannst. Dafür wirst du später noch genügend Zeit haben. Aber ich möchte dir die anderen beiden Imservirei vorstellen.“ Ssupeam zeigte auf die beiden älteren Männer, die sich in der Zwischenzeit erhoben hatten. „Dies sind Ssunuapo und Ssusyda.“

„Danke“, antwortete Ssutovar ihm, „wenn du mir jetzt auch noch verrätst, was Imserviri bedeutet, verstehe ich vielleicht auch etwas von dem, was du mir erzählst.“

Ssupeam sah ihn einen Augenblick lang verwirrt an, aber dann schmunzelte er. „Es tut mir leid, aber ich habe bis gerade eben nicht wirklich geglaubt Nydaussu werde ihre Erbin mit einem Sarvarer verheiraten.“ Er machte eine kurze Pause. „Ein Imserviri ist der Gemahl der Imperatra.“

Ssutovar sah sich die zwei genauer an. Die beiden waren mit großer Wahrscheinlichkeit nicht jünger als sein eigener Vater, eher im Gegenteil, wobei Ssunuapo eindeutig der ältere von ihnen war. Sein Gesicht war mit Falten übersät und er war völlig ergraut, aber sein Haar war immer noch voll und nicht kürzer als das der jüngeren. Genau wie alle anderen Virei, denen er bisher begegnet war, trug er es zum Zopf geflochten. Aber obwohl er zur Begrüßung lächelte, entging Ssutovar nicht, dass seine bernsteinfarbenen Augen ihren traurigen Ausdruck nicht ablegten. Ssusyda wirkte einige Jahre jünger als Ssunuapo. Er war auch um einiges kleiner als der hochgewachsene Viri und in seinem dunkelbraunen offengetragenen Haar zeigten sich erst einige graue Strähnen. Seine Augen waren von einem ungewöhnlich dunklen Braun und in ihnen blitzte der Schalk auf.

Als er seinen Blick über die anderen Männer wandern ließ, bemerkte er zwei – die ältesten der jüngeren Virei – die große Ähnlichkeit mit Ssunuapo besaßen und wahrscheinlich handelte es sich bei ihnen um seine Söhne. Ssupeams rotes Haar konnte er dagegen nur bei Ssutiss entdecken, deshalb vermutete Ssutovar, dass die anderen Ssusydas Söhne waren. Außer den beiden Jungen, die genug Ähnlichkeit mit Ssunuapo hatten, um seine Enkel, seine Ssugenei, sein zu können.

Tovarjal – er ermahnte sich sofort selbst, nicht mehr als Princepo von sich zu denken – zählte vierzehn Personen in diesem Raum. Sie waren alle männlich, aber dies verwunderte ihn nicht, schließlich befand er sich im Domuvirei, im Männerquartier. Die Anwesenden waren nicht nur alle Ssutiss Verwandte, sondern auch seine neue Familie. Vor dem Krieg hatte er vier Brüder gehabt, mit denen er sich fast immer gut verstanden hatte. Aus diesem Grund ging er davon aus, mit seinen neuen Brüdern auch keine Probleme zu bekommen.

In diesem Moment war er allerdings um die richtigen Worte verlegen. „Ich danke euch für euer freundliches Willkommen. Die Begrüßung im Thronsaal lief eher frostig ab.“ Dies war nicht, was er eigentlich hatte sagen wollen.

„Frostig?“, hakte Ssupeam nach. „Aber ich sehe doch, dass Aississu die Zeremonie ordnungsgemäß zu Ende geführt hat. Also hat sie dich als ihren Cuviri angenommen.“

„Die Imperatra hat ihn nicht unfreundlich aufgenommen, aber die Angelegenheit schien nicht wirklich wichtig für sie zu sein. Aber Aississu …“, Ssutiss leise gesprochene Worte verloren sich in einem Murmeln, aber dann riss er sich zusammen und sprach lauter weiter. „Der Zorn in ihren Augen und die Art, wie sie mit Ssutovar umging, hat mir Angst gemacht, Brüder. Nicht um mich, sondern um ihn.“

Ssupeam sah seinen Sohn einen Augenblick lang sehr nachdenklich an, dann wanderte sein Blick zu dem ehemaligen Princepo.

„Kommt her ihr beiden und setzt euch zu uns, damit wir in Ruhe weiterreden können.“

Bevor Ssutiss der Bitte nachkam, wandte er sich aber erstmal den restlichen Männern zu. „Wieso befindet ihr euch eigentlich alle um diese Zeit im Domuvirei?“ Er ließ sich auf einem Kissen nieder und forderte Ssutovar mit einer Handbewegung auf, sich neben ihn zu setzen.

Auch die drei Imservirei gesellten sich wieder zu den Jüngeren. Während er es sich bequem machte, löste Ssupeam seinen Zopf. „Nydaussu hat uns erlaubt, den Nachmittag hier zu verbringen. Sie hat es zwar nicht gesagt, aber ich glaube, sie wollte uns Gelegenheit geben, Ssutovar zu begrüßen.“ Er lächelte. „Und dich natürlich auch, Tiss.“

Ssusyda lehnte sich etwas vor und schlang die Unterarme um seine angezogenen Knie. „Als ich das erste Mal von den Bedingungen des Friedensvertrages erfuhr, habe ich mich sehr gewundert.“

Ssunuapo schnaubte. „Ich konnte es nicht glauben, als plötzlich von Frieden die Rede war. Die Vassu haben nie zuvor mit einem Feind Frieden geschlossen. Jede Bella würde dir das sagen.“

„Sie haben aber zuvor ihre Gegner am Ende immer besiegt. Dagegen war die Niederlage, die Gajetu erlitten hat, so gravierend wie sonst keine zuvor. Wochenlang musste man darauf achten, nicht in ihre Nähe zu kommen. Sie hat ihren Gegner verflucht, weil sie genau wusste, dass die Vassu sich keine weitere Niederlage in dieser Größenordnung hätten erlauben können. Deshalb hat die Imperatra den Sarvar den Frieden angeboten.“ Ssupeam machte eine Pause. „Zumindest ist das meine Meinung.“ Er wandte sich an den Sarvarer. „Kannst du uns mehr darüber erzählen, wieso Frieden geschlossen wurde?“

Ssutovar hatte im ersten Moment nicht mitbekommen, dass er angesprochen worden war, denn die Worte über Gajetus Niederlage hatten ihn aufgeschreckt. Aber als er gewahr wurde, wie still es im Raum geworden war und dann merkte, dass ihn alle ansahen, drangen Ssupeams Worte zu ihm durch.

Er schüttelte den Kopf. „Als ich endlich nach Dysarvar zurückkehrte, war der Frieden bereits beschlossen und die Bedingungen ausgehandelt. Der Rego hat mir nicht viel mitgeteilt, nur, was ich unbedingt wissen musste, weil es mich persönlich betraf. Aber mein Vater schätzte sich glücklich, dass den Sarvar dieser Frieden angeboten worden war. Ich habe nicht gewusst, wie sehr unser Sieg in dieser Schlacht die Vassu erschüttert hat. Aber ich kann gut nachvollziehen, dass Gajetu nicht erfreut über ihre Niederlage war.“

„Nicht nur die Primaduca war erschüttert, Aississu schäumte vor Wut, nachdem Gajetu ihr Bericht erstattet hatte. Danach hat sie angefangen ihre Mutter bei den Bedingungen des Vertrags zu beraten. Ich bin mir sicher, der Vorschlag mit der Vermählung und die Bedingungen, dass du nach unseren Gesetzen geheiratet wirst und in Ssuyial leben musst, stammen von ihr. Es scheint fast so, als hätte sie etwas gegen dich persönlich.“

Ssutovar schnürte es die Kehle zu. Er wusste zwar nicht, aus welchem Grund Aississu so wütend war, aber die Erinnerung an Gajetus Niederlage hatte ihn auf eine Idee gebracht, wieso die Primaduca ihn so hasste.

„Vielleicht kenne ich den Grund“, flüsterte er. Die anderen Männer blickten ihn nur fragend an. „Ich war Gajetus Gegner in dieser Schlacht. Ich habe sie und ihre Streitkräfte einfach hinweggefegt. Dies war ein Sieg, den ich nicht vergessen werde und für sie muss es demütigend gewesen sein. Es gab da allerdings noch eine andere Sache, an die ich danach nicht mehr gedacht habe, einfach, weil dies etwas war, das in Kriegszeiten passieren kann. Vor der Schlacht trafen wir auf einen kleinen Trupp Kriegerinnen, die zu wenige waren, um uns etwas entgegenzusetzen. Ich hielt sie für eine Eskorte, denn es befanden sich auch Zivilisten bei ihnen. Ich muss zugeben, dass wir noch nicht einmal gestoppt haben, während wir sie töteten.“

Ssupeam starrte ihn mit weit aufgerissen Augen an. „Du warst der sarvarische Kommandant, der Gajetu besiegt hat? Weiß sie das?“

Ssutovar zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir nicht sagen. Allerdings war das in Kisarvar kein Geheimnis.“

Ssupeam nickte, als hätte er gerade etwas verstanden. Und er wirkte dabei nicht erfreut. „Dann geht es hier um Tashau.“ Er hob den Kopf und sah Ssutovar mit einem traurigen Ausdruck an. „Wir werden dir, so gut es uns möglich ist, helfen, Ssutovar, aber wenn Aississu weiß, dass du für Tashaus Tod verantwortlich bist, dann fürchte ich, steht dir tatsächlich eine schwere Zeit bevor. Dieser Viri war vor dem Krieg als ihr Promisi ausgesucht worden und sie hat ihn sehr gemocht. Nachdem sie von seinem Tod erfahren hatte, trauerte sie ernsthaft und lange um ihn, auf jeden Fall länger, als andere Vassu für schicklich hielten. Nun bin ich mir ganz sicher, dass die Bedingungen des Vertrages, die sich mit dir beschäftigen, von ihr stammen.“ Er stockte, denn die nächsten Worte fielen ihm offenbar schwer. „Bruder, ich fürchte, sie ist auf Rache aus.“

Ssutovar wurde es erneut kalt. Die anderen sahen ihn alle voller Mitgefühl an, aber ihm war schon klar, dass sie ihm in seiner Situation nicht viel helfen konnten, wenn es ihnen überhaupt möglich war. Sie waren zwar Mitglieder der Familie der Imperatra, aber nur Virei, Männer, mit nicht mehr Rechten als der Ärmste auf den Straßen dieser Stadt. Sie waren Diener und Sklaven der Vassu, der Frauen, die die Geschicke des Landes und das ihrer Väter, Ehemänner und Söhne lenkten. Und auch er war nun ein Serviri, seiner Custa, seiner Hüterin, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und gerade hatte er erfahren, dass sie einen triftigen Grund hatte, ihn zu hassen. Ihn schauderte und er fragte sich, wie hoch seine Lebenserwartung wohl noch war. Und dann kam ihm der erschreckende Gedanke, dass Aississu ihn vielleicht überhaupt nicht töten wollte, weil dies ein viel zu leichter Ausweg für ihn wäre. Plötzlich schossen ihm die Tränen in die Augen.

Die Männer der Sarvar weinten nicht und daran hatte er sich sein Leben lang immer gehalten. Aber seitdem er geheiratet worden war, konnte er seine Tränen einfach nicht mehr zurückhalten. Erst jetzt verstand er allerdings, aus welchem Grund. Erst jetzt begriff er, dass es seine hilflose Lage war, die ihn in Tränen ausbrechen ließ. Und die Ausweglosigkeit seiner Situation.

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Seit der Geburt seiner Tochter vor siebenundzwanzig Jahren war Ssupeam der Parservirei und nahm damit eine Position ein, die er sich als junger Mann ganz bestimmt nicht erträumt hatte. Zwar war sein Leben dadurch nicht besser geworden, aber es war auf jeden Fall anders verlaufen, als er sich das als Junge hatte vorstellen können. Und seit er der Erste in diesem Domuvirei war, hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, die Eingangstür persönlich zu öffnen, sobald jemand Eintritt verlangte.

Als es daher am frühen Abend klopfte, war er sofort zur Stelle. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, fand er sich, nicht unerwartet, Auge in Auge mit seiner Tochter wieder. Sobald ihm bewusst wurde, in welch schlechter Stimmung sie sich befand – und dies festzustellen war nicht schwierig für ihn, da er sie sehr gut kannte – verbeugte er sich respektvoll vor ihr und begrüßte sie mit „Domina“, und machte ihr gleichzeitig den Weg frei.

Seit Ssutiss am Nachmittag mit Aississus Cuviri hier aufgetaucht war, hatte er gewusst, dass sie kommen würde. Er war sich ebenfalls im Klaren darüber gewesen, in welchem Gemütszustand sie sich befinden würde. Allerdings hatte er darauf gehofft, ihnen bliebe mehr Zeit, aber auf die Entscheidungen einer Vassu hatte ein Viri keinen Einfluss.

„Ich will meinen Cuviri“, forderte sie und in ihrer Stimme schwang eine Menge Zorn mit.

„Sofort, Domina“, antwortete er ihr. „Ich hole ihn.“

Er bewegte sich mit kurzen schnellen Schritten –nach achtundzwanzig Jahren musste er nicht mehr bewusst darüber nachdenken – auf eine der geschlossenen Türen zu, betrat den dahinterliegenden Raum und schloss die Tür sofort wieder hinter sich. Falls die Hereda ihm folgen wollte, konnte er das dadurch natürlich nicht verhindern, denn schließlich war sie eine Vassu. Aber auch wenn kein Gesetz die Virei schützte, gab es Konventionen in Vassucit und eine davon besagte, Vassu hätten sich nicht in die Angelegenheiten des Domuvirei einzumischen. Bisher hatte Aississu sich auch immer darangehalten und deswegen hegte er durchaus die Hoffnung, sie werde jetzt nicht hinter ihm her stürmen.

Hastig bewegte er sich an die Seite des jungen Mannes, der auf einem der Lager schlief und rüttelte ihn an der Schulter. Der schwarzhaarige Viri schlug sofort die Augen auf und blickte ihn an.

„Du musst sofort aufstehen. Aississu ist deinetwegen gekommen.“

Einen Augenblick lang glaubte er Angst in Ssutovars Augen zu erkennen, aber dann senkte der andere seine Augenlider wieder und bemühte sich aufzustehen. Ssupeam half ihm dabei, denn seine Handgelenke waren immer noch mit den Vinculae gefesselt.

„Dann sollte ich sie wohl nicht warten lassen.“ Seiner Stimme war die Anspannung fast nicht anzumerken.

„Ich muss dich warnen! Sie hat fürchterliche Laune. Ich fürchte um dich.“

Ssutovar lächelte ihn an. „Sie wird mich heute Nacht nicht töten, denn dann würde ich nicht lange genug leiden.“

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Ssutovar begab sich zur Tür, öffnete sie und ging voran, in den Hauptraum des Männerquartiers. Er war Ssupeam dankbar dafür, die Gelegenheit bekommen zu haben, zumindest einige Stunden zu schlafen und zuvor etwas zu essen. Aber genau wie der ältere Mann glaubte auch er nicht, eine angenehme Nacht vor sich zu haben. Der Ältere folgte direkt hinter ihm.

Die Hereda stand in der Mitte des Raumes und sah mehr als nur wütend aus. Ssutovar verbeugte sich vor ihr, aber blieb stumm. Er wusste nicht, ob er sich korrekt verhielt, aber Aississu erweckte in ihm nicht das Bedürfnis, sie anzusprechen. Sie sah ihn auch nicht an, denn ihr Blick ging zu seinem Begleiter hinüber und dann schlug sie zu, mit einer kurzen ansatzlosen Bewegung. Ihre flache Hand traf Ssupeam am Mund und der Schlag war so heftig, dass seine Lippe aufplatzte. Blut tropfte herab.

„Du hast mich warten lassen.“ Sie klang nicht wütend, sondern eher verächtlich, als sie dem rothaarigen Mann ins Gesicht sah. ‚Sie hat ihren eigenen Vater geschlagen‘, schoss es Ssutovar durch den Kopf. ‚Sie behandelt ihn wie einen Sklaven. Ich bin an einem Ort gelandet, an dem Töchter ihre Väter wie Sklaven behandeln.‘ Ihn schauderte erneut.

Und dann wandte sich seine Gemahlin ihm zu und da wurde ihm schlagartig bewusst, dass an diesem Ort nicht nur Töchter ihre Väter wie Sklaven behandelten, sondern auch Ehefrauen ihre Ehemänner.

„Ich verabscheue dich“, schleuderte sie ihm entgegen. „Ich käme niemals auf die Idee, dich in mein Bett zu holen.“ Sie griff nach seinen Handgelenken und öffnete die Handfesseln. Dabei lachte sie gehässig, was sich in seinen Ohren nicht gut anhörte. „Aber ich kenne eine Vassu, die sich darüber freuen wird, wenn ich dich ihr überlasse.“ Sie wirkte äußerst zufrieden mit sich und ihrer Entscheidung.

Ssutovar glaubte hingegen nicht, dass er über ihre Entscheidung ebenfalls erfreut wäre.

„Ich werde dich Gajetu überlassen“, fuhr sie mit höhnischem Gesichtsausdruck fort. „Du wirst ihr gehorchen! Hast du das verstanden?“

Er hörte jemanden mit tonloser Stimme antworten. „Ja, Custa“ konnte er vernehmen, aber es dauerte einen Moment, bevor er begriff, dass er das selbst gewesen war, denn im Inneren war er erstarrt. Er hatte Gajetus Vorlieben bereits kennengelernt, als sie ihn nach Ssuyial brachte. Auf dieser Reise hatte sie ihn noch nicht in ihr Bett holen dürfen, aber sie durfte ihn bestrafen und hatte dies auch mit großer Freude und Genugtuung getan. Manchmal auch dann, wenn er nichts falsch gemacht hatte. Auch Ssutiss hatte unter ihr leiden müssen, aber er selbst war eindeutig ihr Hauptziel gewesen. Und nun würde Aississu ihr freie Hand lassen.

Die Hereda wandte sich um und verließ den Raum. Sie sah sich nicht um, ob ihr Cuviri ihr folgte. Aber Ssutovar hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Auf seiner Reise nach Ssuyial hatte er sich fest vorgenommen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Er hatte den Vassu nicht die Genugtuung eines Zusammenbruchs gewähren wollen. Aber in diesem Moment erkannte er, dass er bereits versagt hatte. Er folgte seiner Ehefrau mit schleppenden Schritten und hängenden Schultern. Er war zwar erst heute im Palast eingetroffen, aber er glaubte jetzt schon nicht mehr daran, er könne seinen Vorsatz noch einhalten.

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Kurz vor Sonnenaufgang schleppte Ssutovar sich zum Domuvirei zurück. Mehrmals verlief er sich in den zahllosen Gängen, weil er sich im Palast noch nicht auskannte, aber einige Virei, die in der Nacht arbeiten mussten – und an seinem Gürtel erkannt hatten, wohin er gehörte – halfen ihm dabei, seinen Weg zu finden. So schaffte er es dann endlich bis vor die schmucklose Tür, zu der Ssutiss ihn am gestrigen Nachmittag geführt hatte. Allerdings kam es ihm so vor, als ob das bereits vor langer Zeit gewesen wäre.

Er klopfte an, weil er sich nicht mehr erinnern konnte, ob man ihm gesagt hatte, er dürfe den Domuvirei einfach betreten. Deswegen wartete er nun davor. Trotz der frühen Stunde dauerte es nur einen Moment und die Tür wurde von einem der beiden älteren Söhne geöffnet. Dieser riss sofort die Augen auf, sagte aber nichts, sondern nahm ihn nur schnell bei der Hand und zog ihn in den Raum hinein, während er mit der anderen die Tür hinter ihnen beiden schloss.

‚Seiner Reaktion nach muss ich ja schrecklich aussehen‘, dachte der Sarvarer. Aus unerfindlichen Gründen erheiterte ihn dieser Gedanke, aber statt eines Lachens brachte er nur ein kraftloses Schnauben zustande. Er hörte wie die Tür hinter ihm zufiel und stellte dann auf einmal fest, dass er auf dem Boden lag und der andere sich besorgt über ihn beugte.

„Ich bin Ssugemmu, Bruder“, stellte er sich ihm vor. „Bleib ruhig liegen, während ich die anderen hole.“ Das über ihm schwebende Gesicht verschwand.

Aber unmittelbar danach erschien schon ein anderes Gesicht. Dieses besaß zarte Züge und mandelförmige graue Augen, in denen jetzt Tränen standen, und alles wurde von rotem Haar umrahmt. Er spürte auch, wie jemand ganz behutsam seine Hand ergriff. Ein weiteres Gesicht erschien über ihm und auch das wurde von roten Haaren umrahmt. Eine Hand wischte behutsam die Tränen auf seinem Gesicht weg.

„Diese Frau ist ein Schwein!“ flüsterte er. Seine Kehle fühlte sich rau an.

Noch mehr Hände beschäftigten sich mit ihm. Sie zogen ihm Gürtel, Rock und Tunika aus und dann spürte er, wie sie ihn wuschen.

„Er muss etwas essen und trinken. Und er muss schlafen.“ Er erkannte Ssupeams Stimme, die die anderen drängte.

Von Zorn erfüllt wiederholte er diesmal etwas lauter: „Diese Frau ist ein Schwein!“

Auf einmal erinnerte er sich wieder an alles. Ihm wurde übel und er musste sich übergeben. Die anderen unterstützten und hielten ihn.

„Diese Frau ist ein Schwein!“ Dieses Mal schrie er die Worte heraus.

„Schhh …“, versuchte Ssutiss ihn zu beruhigen. Jemand drückte erneut seine Hand.

Ihm fiel ein, mit welchen Worten sie ihn zum Domuvirei zurückgeschickt hatte. Bis heute Abend, hatte sie gesagt und ihn angelächelt. Zumindest vermutete er, dass es ein Lächeln hatte sein sollen. Er musste sich direkt noch einmal übergeben, obwohl sein Magen schon leer war.

„Sie wollte, dass ich …“, fing er an, „… ich konnte nicht …“, ihm wurde erneut übel. „Sie hat mich an die Decke gehängt.“

Er wollte alles vergessen, aber selbst wenn das möglich gewesen wäre, würde ihm das nichts nützen. Heute Abend musste er wieder zu ihr.

„Die Wunden sind nur oberflächlich“, hörte er eine Stimme sagen, die er nicht kannte. ‚Aber sie schmerzen‘, dachte er.

„Das glaube ich dir aufs Wort.“ Erst als er Ssupeams Antwort hörte, wurde ihm bewusst, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte.

Die anderen halfen ihm dabei, sich hinzusetzen und jemand drückte ihm etwas zu essen in die Hand.

„Du musst etwas zu dir nehmen“, drängte ihn Ssutiss mit leiser Stimme.

„Er hat recht“, bestätigte Ssupeam. „Du musst etwas essen und trinken und ein paar Stunden schlafen. Ich würde dich gerne länger schlafen lassen, aber Aississu hat genaue Anweisungen hinterlassen, welche Arbeiten du heute erledigen musst und wir dürfen dir nichts davon abnehmen. Aber wir können alles für dich vorbereiten und du kannst dich in dieser Zeit ausruhen.“

Ssutovar merkte, wie ihm erneut Tränen über das Gesicht liefen, aber diesmal weinte er aus Dankbarkeit. Diese Männer kannten ihn überhaupt nicht und halfen ihm trotzdem.

„Diese Frau ist ein Schwein.“ Diesmal klang es mehr wie eine Verwünschung. „Sie ist unrein.“ Er schüttelte sich voller Ekel und Abscheu.

„Ich habe von anderen Virei im Palast bereits einige Geschichten über Gajetu gehört.“ Ssunuapo blickte ihn an. „Du musst nicht weitersprechen, jeder hier weiß von ihren Vorlieben.“ Er reichte ihm einen Becher. „Trink das. Es wird den schlechten Geschmack aus deinem Mund vertreiben.“ Der ältere Mann seufzte. „Gegen deine Erinnerungen kann ich dir leider nichts geben.“

Ssutovar schluckte das bittere Gebräu hinunter. Es half tatsächlich dabei, Gajetus Geschmack von seiner Zunge zu spülen.

„Ich muss heute Abend wieder zu ihr.“ Seine Stimme klang so leise, dass er nicht wusste, ob die anderen ihn überhaupt gehört hatten.

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Drei Wochen, in denen Ssutovar tagsüber die unangenehmsten, schmutzigsten und anstrengendsten Arbeiten erledigen musste, die Aississu hatte finden können und in denen er nachts gezwungen war, Gajetu zu Willen zu sein, reichten aus, ihn in einen Schatten seiner selbst zu verwandeln. Ohne die Hilfe der anderen Servirei wäre er schon längst zusammengebrochen, trotzdem war er sich sicher, nicht mehr lange durchhalten zu können. Die Tage alleine wären schon anstrengend genug, aber er war sich sicher, sie überstehen zu können. Die Nächte mit der Primaduca jedoch waren einfach nur widerwärtig. Die Frau schien sich nie zu waschen. Sie stank und er hätte sie niemals freiwillig angefasst. Es reichte schon, dass er an sie dachte und ihm wurde übel. Aber er hatte feststellen müssen, dass auch er nur ein gewisses Maß an Schmerzen ertragen konnte und deshalb fügte er sich der Primaduca immer wieder, auch wenn er ihre Wünsche abscheulich fand und er sich jedes Mal aufs Neue danach beschmutzt fühlte. Aber sie wusste genau, wie sie anderen Menschen Schmerzen zufügen konnte und er hatte ihr nichts entgegenzusetzen.

Jeden Morgen schleppte er sich in der Stunde vor Sonnenaufgang in den Domuvirei zurück, wo die anderen Männer ihn bereits erwarteten. Dann sorgten sie dafür, dass er aß und trank und ermöglichten es ihm, wenigstens ein paar Stunden zu schlafen, bevor er mit seiner Tagesarbeit beginnen musste. Abends schleppte er sich wieder in den Domuvirei zurück, um erneut ein paar Stunden zu schlafen, trotzdem war das bei Weitem nicht genug. Er hatte nie genug Zeit, um ausreichend Schlaf zu bekommen. Statt sich erholen zu können, musste er sich auf den Weg zu Gajetu machen. Er hatte einfach keine andere Wahl. Er hatte ebenfalls feststellen müssen, dass die Nächte, in denen sich auch Aississu bei der Primaduca aufhielt, die schlimmsten von allen waren.

Nach drei Wochen wusste er, dass er sich geirrt hatte. Er musste vor sich selbst zugeben, dass seine Vermutung, Aississu wolle ihn länger am Leben erhalten, falsch gewesen war. Stattdessen ging er nun davon aus, sie hasse ihn derart stark, dass sie ihn tot sehen wollte. Inzwischen erschreckte ihn dieser Gedanke aber nicht mehr, er hoffte im Gegenteil darauf, bald erlöst zu werden. Ihm war klar, nicht mehr lange durchhalten zu können. Wenn er nicht befürchtete, die Hereda könnte ihre Wut an Ssutiss auslassen, hätte er seinem Leben schon längst ein Ende gesetzt.

Und dann änderte sich alles, von einem Tag auf den anderen. Aississu und Gajetu verließen auf Befehl der Imperatra mit einer großen Gruppe Bellae den Palast und die Hereda übergab vor ihrer Abreise ihn und Ssutiss der Aufsicht ihrer Mutter. Dann verschwand sie aus seinem Leben, als hätte es sie nie gegeben. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie weg sein würde, aber er fühlte sich, als hätte er drei Wochen mit einer Schlinge um den Hals auf der Falltür gestanden und dann hätte man ihn auf einmal weggeschickt, weil er selbst für diese Aufgabe nicht zu gebrauchen sei. Er hatte geglaubt, sich erleichtert fühlen zu müssen, aber stattdessen fühlte er überhaupt nichts. Fast kam es ihm so vor, als wäre er tatsächlich gestorben.

Erst nach und nach schaffte er es, ins normale Leben zurückzukehren. Seine Nächte konnte er nun gemeinsam mit den anderen Servirei im Domuvirei verbringen. Jetzt erst bekam er die Gelegenheit, diese Männer wirklich kennenzulernen. Erst jetzt fiel ihm auch auf, dass alle, bis auf die jüngsten – darunter Ssutiss – die grünen Armbänder trugen, die sie als Cuvirei auswiesen, was bedeutete, dass sie unter der Aufsicht ihrer Ehefrauen standen. Jetzt musste er aber ebenfalls feststellen, dass sie tatsächlich keinerlei Rechte besaßen. Trotzdem waren sie aber nicht völlig schutzlos. Genau wie die meisten sarvarischen Männer ihre Frauen, Mütter und Töchter behüteten, weil man ihnen dies als Kinder beigebracht hatte, behandelten auch viele Vassu die Virei nicht vorsätzlich schlecht. Sie betrachteten sie zwar nicht als ihnen gleichgestellt und noch nicht einmal als gleichwertig, aber sie wollten sie auch nicht vernichten. Daher behandelten sie sie mit einer Mischung aus Güte und Strenge, weil sie eben der Meinung waren, es gäbe keine andere Möglichkeit. Es gab unter ihnen aber auch Ausnahmen. Für einige der Frauen waren Männer tatsächlich nicht mehr als Tiere. Ssutovar konnte aber sich selbst gegenüber nicht leugnen, dass es auch in Kisarvar Männer gab, die ihre Frauen schlecht behandelten.

Keiner der anderen Servirei wunderte sich darüber, dass er mehr als drei Wochen benötigte, um sich auch nur halbwegs von dem zu erholen, was Aississu und Gajetu ihm angetan hatten. Natürlich hatte sich nichts an seiner allgemeinen Situation geändert, denn er war immer noch der Cuviri der Hereda und gehörte immer noch zu den Servirei. Sein Heim war jetzt der Domuvirei der Imperatra und sein Name war jetzt Ssutovar. Princepo Tovarjal von den Sarvar gab es hier nicht. Er war in dem Wissen aufgewachsen, nur Männer könnten selbst über ihr Leben bestimmen und Frauen seien zu schwach dafür und hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie ein solches Leben aus Sicht der Frauen aussah. Jetzt könnte er die nie gestellte Frage beantworten, denn er lebte nun unter Menschen, die ihrerseits in dem Wissen aufgewachsen waren, nur Frauen könnten ihr Leben selbst bestimmen und Männer seien nichts wert. Er würde alles dafür geben, diesem Leben entfliehen zu können. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die anderen Servirei ihm inzwischen ans Herz gewachsen waren. Und auch nicht, dass er sich längst an den Rock, die langen Haare und sogar die Schminke gewöhnt hatte.

Aber selbstverständlich beschwerte er sich nicht darüber, dass es ihm nach und nach wieder besser ging. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dies könnte ihn in Schwierigkeiten bringen. Er hatte allerdings eine Sache dabei nicht bedacht. Mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit war nämlich auch seine Wut wiedererwacht. Und er musste zu seiner Überraschung feststellen, dass es ihm schwer fiel, seinen Zorn erneut unter Kontrolle zu bekommen. Dies hatte er schon früher als unangenehm empfunden, aber jetzt wurde es tatsächlich noch schlimmer für ihn. Einige Male hatte er einen Gefühlsausbruch nur ganz knapp unterdrücken können. Ihm fiel aber auch auf, dass sein Zorn im Gegensatz zu früher nicht etwa in Situationen aufflammte, in denen er sich schlecht behandelt fühlte. Nun war immer einer der anderen Servirei der Grund dafür und in den meisten Fällen handelte es sich dabei um Ssutiss. Der junge Mann war ihm inzwischen genau so nahe wie Utoan es einst gewesen war. Manchmal schmerzte es ihn, wie stark der Jüngere ihn an seinen kleinen Bruder erinnerte, der noch nicht einmal Gelegenheit gehabt hatte, zum Mann zu werden, bevor er im Krieg umkam. Ssutiss war zwar etwas älter als Utoan, aber in mancher Hinsicht erschien er um einiges jünger. Da er noch nicht verheiratet worden war, hatte auch er noch nie bei einer Frau gelegen. Aus diesem Grund erweckte Ssutiss in ihm wohl das Bedürfnis, ihn zu beschützen. Damit brachte er ihn aber gleichzeitig auch in arge Bedrängnis.

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Zu den Aufgaben der Servirei gehörte unter anderem auch, die Imperatra zu bedienen, wenn sie Gäste hatte. In den meisten Fällen gestaltete sich diese Arbeit für die Virei reichlich langweilig und sie konnten sie ohne irgendwelche Vorkommnisse hinter sich bringen. Aber nicht immer lief das ohne Probleme ab und dies wurde Ssutovar eines Tages zum Verhängnis. Er war mit Ssutiss und einigen weiteren Virei in einen Nebenraum des Thronsaals beordert worden, um dort die Herrscherin zu bedienen. Der Anlass dafür war ein Treffen mit einigen Stadtoberen, um über Angelegenheiten der Hauptstadt zu sprechen. Aber offenbar fanden sogar die eingeladenen Vassu dies derart langweilig, dass sie sich lieber ausgiebig mit ihren Weinbechern beschäftigten. Und je mehr Wein sie zu sich nahmen – und sie ließen ihre Becher in immer kürzeren Abständen wieder auffüllen – desto interessanter wurden offensichtlich die Virei für sie. Ssutiss und der Gemahl seiner Schwester waren die einzigen Servirei unter denjenigen, die hier bedienten, aber sie wurden nicht anders behandelt als die übrigen. Es dauerte nicht lange, bis dem ehemaligen Princepo auffiel, dass es dem jungen rothaarigen Mann absolut nicht gefiel, von den betrunkenen Vassu angefasst zu werden und das auch noch vor den Augen seiner Mutter. Diese schien sich allerdings am Verhalten ihrer Gäste nicht zu stören.

Ssutiss wagte es nicht, sich gegen die Hände der meist älteren Frauen zu wehren, aber nicht nur Tovarjal konnte ohne Probleme erkennen, wie unwohl er sich fühlte. Immer wieder warf er der Imperatra verzweifelte Blicke zu, aber diese war ganz offensichtlich nicht im Geringsten daran interessiert, wie es ihm ging. Sie kümmerte sich um ihn genau so wenig wie um die anderen Virei, die sich alle anfassen lassen mussten, aber keiner von denen war ihr Sohn. Ssutovar konnte nicht behaupten, ihm sage die Situation zu, aber nach Gajetus Zuwendungen kamen ihm die Betrunkenen geradezu zärtlich vor. Er hatte auch keine Mühe ihren Händen auszuweichen, genauso wenig wie die anderen Virei. Allein Ssutiss stand auf verlorenem Posten. Er war zu jung und ihm fehlte es eindeutig an der Erfahrung, um mit dieser Situation richtig umgehen zu können.

Es störte Ssutovar wenig, wie sich die Vassu ihm gegenüber benahmen, aber die Art wie der Jüngere behandelt wurde, machte ihn immer wütender. Irgendwann war ein Punkt erreicht, an dem er nicht mehr in der Lage war, seinen Zorn zu unterdrücken und Ssutiss wurde zum unfreiwilligen Auslöser für seinen Gefühlsausbruch. Dieser Zorn richtete sich allerdings nicht gegen die betrunkenen Vassu, sondern gegen die Imperatra, denn er konnte absolut nicht verstehen, wieso eine Mutter ihren Sohn nicht beschützte.

Später konnte der vormalige Sarvarer sich nicht mehr daran erinnern, was er Nydaussu alles an den Kopf geworfen hatte und Ssutiss weigerte sich, mit ihm über den Vorfall zu sprechen. Ihm blieb nur die Stille im Gedächtnis, die sich über den Raum legte, nachdem er mit seiner lautstarken Tirade zum Ende gekommen war.

Natürlich konnte die Imperatra, die in Abwesenheit ihrer Tochter die Aufsicht über ihn hatte, seinen Ausbruch nicht ungestraft lassen. Sobald er ihr kalkweißes Gesicht sah, wurde ihm bewusst, dass er in großen Schwierigkeiten steckte. Und ehe er sich versah, fand er sich in Ketten gelegt in einer winzigen dunklen Zelle wieder.

Er hatte keine Ahnung, wie viele Stunden er dort drin verbringen musste, ohne Wasser oder Nahrung. Niemand kam, um nach ihm zu sehen. Wegen der Ketten und weil der Raum, in den man ihn eingesperrt hatte, winzig war, konnte er darin nur kauern. Er war nicht in der Lage aufzustehen oder seine Gliedmaßen zu strecken und als man ihn dann endlich holen kam, konnte er sich zuerst weder aufrichten noch ohne Probleme fortbewegen.

Er hatte natürlich mit einer Strafe gerechnet, aber dabei an Prügel gedacht, schließlich hatte Gajetu ihn auf der Reise nach Ssuyial öfter auf diese Art gezüchtigt. Allerdings hatte er nicht gewusst, was er tatsächlich getan und wie sehr er die Imperatra verärgert hatte. Er hatte auch nicht bedacht, wie sehr sich die Imperatra durch sein Verhalten beschämt fühlen musste. Und er hatte nicht nachvollziehen können, wie sehr sie glaubte, in den Augen der bei dem Vorfall anwesenden Vassu an Gesicht verloren zu haben. Erst im Nachhinein konnte er verstehen, wieso seine Strafe derart drastisch ausfiel.

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Schließlich fällte die Imperatra im zum Gerichtssaal umfunktionierten Thronraum das Urteil über ihn. Natürlich war es für sie nicht notwendig, ihn zu befragen, um herauszufinden, welche Strafe gerecht wäre, denn er war ja nur ein Viri. Außerdem war sie ja bei dem Vorfall selbst anwesend oder besser gesagt, bei ihr handelte es sich um das Opfer seiner Attacke. Das hinderte sie aber nicht daran, auch seine Richterin zu sein. Direkt nach der Urteilsverkündung wurden ihm zwar die Ketten abgenommen, aber nur, damit er sich vor den Augen aller ausziehen konnte. Dass ihm alle anwesenden Vassu dabei zusahen, wie er seine Kleidung ablegte, war ihm unangenehmer, als in Ketten gelegt worden zu sein.

Man ließ sich offensichtlich Zeit damit, ihm andere Kleidung zu bringen, aber nach einer für ihn unerträglichen Wartezeit konnte er sich dann doch wieder etwas anziehen. Der Rock ging ihm aber gerade mal bis übers Knie und die Tunika reichte noch nicht einmal bis zum Rockbund. Beide Kleidungsstücke waren alt, schmutzig und zerrissen, als ob sie vor ihm bereits unzählige Verurteilte getragen hatten. Für diese Kleidung benötigte er auch keinen Gürtel. Das einzige, was man ihm nicht wegnahm, waren die Vinculae. Diese Fesseln schmückten auch weiterhin seine Handgelenke, aber sie blieben dort nicht lange allein. Ein weiteres Paar Armbänder, dieses allerdings aus profanem Eisen, leistete ihnen bald Gesellschaft und kettete seine Handgelenke zusammen. Seine Fußgelenke erhielten ebenfalls ihren eigenen Schmuck und die Kette, mit der sie verbunden waren, erlaubte ihm nur kurze Schritte. Derart ausgestattet führte man ihn ab und er fand sich erneut in einer winzigen dunklen Zelle wieder.

Aber das war es nicht, was ihn an seiner Behandlung durch die Vassu tatsächlich störte. Er hatte begriffen, dass er zu Arbeitsdienst verurteilt worden war und dazu an einem anderen Ort gebracht werden sollte und das akzeptiert. An seiner Situation konnte er sowieso nichts ändern und deshalb ärgerte er sich auch nicht darüber. Zu seiner eigenen Verwunderung fand er aber etwas anderes viel schlimmer. Seit seinem Zornesausbruch im Thronsaal hatte er niemanden mehr aus dem Domuvirei zu Gesicht bekommen, geschweige denn gesprochen. Obwohl er es vorher nicht für möglich gehalten hatte, stellte er nun fest, dass er die anderen Männer schmerzlich vermisste. Er begann darüber nachzugrübeln, ob man sie überhaupt informiert hatte. Ob sie überhaupt erfahren hatten, was mit ihm geschehen war. Ssutiss war zwar anwesend gewesen, als er die Beherrschung verlor, aber danach musste es für die anderen so gewesen sein, als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Er war sich nicht sicher, ob ihnen jemand gesagt hatte, zu welcher Strafe er verurteilt worden war.

Er kauerte in seiner Zelle und zerbrach sich den Kopf über diese Fragen. Gleichzeitig versuchte er nachzuhalten, wie lange er bereits eingesperrt war. Ab und zu wurde die Klappe in der kleinen Tür geöffnet und eine Bella reichte Wasser herein. Und einmal in der ganzen Zeit gab es auch eine Mahlzeit für ihn. Natürlich reichte das nicht aus, um das Hungergefühl zu vertreiben, das sich in ihm ausbreitete. Er war sich aber sicher, man werde ihn nicht in dieser Zelle verhungern lassen, denn ein Toter konnte schließlich keinen Arbeitsdienst leisten. Deshalb gab er sich der Hoffnung hin, eine weitere Mahlzeit zu erhalten, sobald sich die Klappe das nächste Mal öffnete. Selbst in einer Situation wie dieser, in der er zurzeit steckte, durfte er sich zumindest einen Traum erlauben.

Er konnte nicht wissen, dass er sich in dieser Hinsicht im Irrtum befand. Die Klappe würde sich nicht ein weiteres Mal für ihn öffnen. Stattdessen wurde die Tür geöffnet und eine Bella gab ihm zu verstehen, er habe die Zelle unverzüglich zu verlassen. Er war sich sicher, sie habe kein Problem damit, ihn einfach herauszuzerren, deshalb kroch er aus eigener Kraft – wenn auch unter großer Mühe – ins Freie. Erneut hatte er nach dem Aufenthalt in einem derart winzigen Raum Probleme damit, aufrecht zu stehen. Sein ganzer Körper schmerzte, aber dies interessierte die Bella natürlich nicht im Geringsten. Sie griff ganz einfach nach seinen Handfesseln und zog ihn hinter sich her, als sie sich in Bewegung setzte. Auf diese Weise führte sie ihn durch etliche schmutzige, nur durch Fackeln erhellte Gänge, vorbei an weiteren kleinen Türen, bis zu vier übereinander, hinter denen sich seiner Meinung nach weitere dieser winzigen Zellen befanden. Wahrscheinlich war dies ein Verlies für Virei. Warum sollten die Vassu auch mehr Platz für die Männer verschwenden.

Schließlich erreichten sie einen öffentlicheren Bereich. Der Korridor, durch den er jetzt geführt wurde, war immer noch schlicht, aber sauber. Durch einige Fenster, die sich hoch oben in einer der Wände befanden, fiel Tageslicht. Am Ende des Korridors gelangten sie an ein Tor und traten schließlich ins Freie hinaus. Auf einem kleinen ungepflasterten Hof warteten bereits weitere Verurteilte auf sie, alle mit Hand- und Fußfesseln versehen und alle in der gleichen abgerissenen und kurzen Kleidung. Jeder von ihnen hatte seine Haare zu einem Zopf geflochten, wenn dieser auch in einigen Fällen nicht besonders ordentlich aussah. Ihm fiel sofort auf, dass keiner dieser Zöpfe kürzer war als sein eigener, denn seine Haare waren gerade lang genug, um überhaupt zusammengefasst zu werden. Die Gefangenen hatte man mit einer schweren Kette miteinander verbunden und nun wurden auch seine Handfesseln daran befestigt. Offensichtlich war er der Letzte, der dieser Gruppe hinzugefügt wurde und bildete das Ende der Kolonne. Er musterte die anderen und stellte fest, dass sie sich ziemlich stark voneinander unterschieden. Einige der Virei waren jung, andere alt. Es gab große und kleine, dicke und dünne, kräftige und abgemagerte. Den wichtigsten Unterschied konnte er aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennen. Erst später und auch erst, als es ihm nicht mehr half, entdeckte er, dass die Gefangenen auch noch in Opfer und Tyrannen unterteilt werden mussten. Aber in diesem Moment hatte er noch keine Ahnung davon, an welchen Ort es ihn verschlagen würde und was ihn dort erwartete.

Schnell wurde klar, dass man tatsächlich nur noch auf seine Ankunft gewartet hatte, denn sobald er angekettet worden war, setzte sich die ganze Gruppe sofort in Bewegung. Durch ein Tor auf der anderen Seite des Hofs verließen sie den Palast und gelangten auf eine schmale Nebenstraße. Diese wiederum mündete in eine etwas breitere Straße in einem der ärmeren Stadtviertel. Ssutovar stellte anhand des Sonnenstandes fest, dass der Tag gerade erst angebrochen war. Es war kalt hier draußen und er fror erbärmlich.

Je länger sie unterwegs waren, desto mehr Menschen drängelten sich auf den Straßen. Die meisten Erwachsenen ignorierten die Gefangenen, aber die Kinder – Mädchen, aber auch Jungen - waren längst nicht so zurückhaltend. Sie machten sich einen Spaß daraus, die Männer, die mit der Kette verbunden waren und deshalb keine Möglichkeit hatten, auszuweichen, mit Schmutz, Unrat, verrottetem Obst und Gemüse und in einigen Fällen sogar mit Steinen zu bewerfen. Niemand hinderte sie daran. Als Letzter in der Kolonne wurde Ssutovar nicht nur von der Seite her getroffen, sondern auch von hinten. In kürzester Zeit war er mit den meist übelriechenden Resten der Wurfobjekte übersät und blutete am Rücken, wo ihn ein Stein getroffen hatte. Die Erwachsenen, die sich die Zeit nahmen, auf die Kolonne zu reagieren, warfen zwar nicht mit Dingen, aber sie griffen zu ziemlich unflätigen und drastischen Beleidigungen. In den meisten Fällen bezogen sich diese auf die Länge oder besser gesagt auf die Kürze der Röcke. Ssutovar musste feststellen, dass ihn das auch nicht kalt ließ.

Schließlich erreichten sie eines der kleineren Tore in der Stadtmauer und ließen die Menschenmassen endlich hinter sich. Ohne Pause setzten sie ihren Weg auf einer staubigen Landstraße fort und entfernten sich immer weiter von der Stadt.

Sie marschierten nicht durch die gleiche Steppenlandschaft, die Ssutovar vor etlichen Monaten auf dem Weg nach Ssuyial durchquert hatte. Stattdessen führte die Straße zwischen niedrigen Hügeln hindurch und in der Ferne konnte er eine Kette von immer höher werdenden Bergen erkennen, die schließlich in ein Gebirge übergingen. Wahrscheinlich befand sich dort das Ziel der Gefangenenkolonne.

Je länger sie der Straße folgten und je näher sie dem Gebirge kamen, umso mehr war er davon überzeugt, ihr Ziel läge tatsächlich dort. Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie schließlich einen mit einer hohen Mauer und Wachtürmen befestigten Ort. Nachdem sie das Tor durchschritten hatten, begriff Ssutovar, dass man ihn zu einem Steinbruch oder einer Mine gebracht hatte. Offenbar hatte man sie schon eine Zeitlang beobachtet, denn sie wurden erwartet. Die Gefangenen wurden von der Kette getrennt, von ihren Fesseln befreit und dann in eine Höhle getrieben, die hinter ihnen mit einem stabilen Gitter verschlossen wurde. Diese stellte wohl das Quartier für die Gefangenen dar und die Gruppe, mit der er angekommen war, diente nur als neueste Verstärkung für die Arbeiter, die hier schon länger ihre Strafe ableisteten. Und diese Gefangenen warteten ebenfalls schon auf die Neuen.

Hier im Gebirge lernte Ssutovar einen Ort in Vassucit kennen, an dem die Virei sich nicht als Brüder verstanden. Hier im Arbeiterquartier dieser Mine lernte er einen Bereich kennen, an dem Bestien in Menschengestalt auf ihre Beute warteten. Eine Beute, die aus den Neuankömmlingen bestand, zu denen auch Ssutovar gehörte. Sobald er der Männer ansichtig wurde, die erwartungsvoll in der Mitte der Höhle standen, wurde ihm schlagartig bewusst, dass an diesem Ort nicht die Arbeit das Schlimmste war, was ihn erwartete und auch nicht die Vassu, die hier die Aufsicht führten. Die größte Gefahr, die ihm hier drohte und die er auf keinen Fall unterschätzen durfte, ging von diesen Männern aus, von seinen Mitgefangenen, die sich schon auf ihre neuen Opfer freuten.

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Der vormalige Sarvarer hob einen weiteren der Gesteinsbrocken hoch, die von anderen Gefangenen aus der Felswand herausgeschlagen worden waren. Gemeinsam mit ihm sammelten weitere Verurteilte diese Brocken in Körben, die dann, sobald sie voll waren, zu einer Sammelstelle transportiert werden mussten. Allerdings war ihm klar, dass sein Korb noch lange nicht voll genug war und er ihn mit noch mehr Gestein füllen musste, bevor er mit ihm losziehen durfte, obwohl er ebenfalls wusste, dass er jetzt schon schwer genug war, um ihm Rückenschmerzen zu bescheren. Sollte er aber mit einer zu geringen Last an der Sammelstelle ankommen, riskierte er von den Wachen geprügelt zu werden. Wenn dies auch ziemlich schmerzhaft war, fürchtete er diese Strafe nicht tatsächlich. Aber sollten die Wachen der Meinung sein, er könne nach der ihm verabreichten Prügel nicht mehr weiterarbeiten, würden sie ihn umgehend in die Schlafhöhle zurückschicken. Und dort warteten immer einige der menschlichen Bestien auf diejenigen Gefangenen, die nicht vorsichtig genug gewesen waren. In den ersten Wochen seines Aufenthaltes hier hatte auch Ssutovar diesen Fehler begangen. Jetzt riskierte er lieber Rückenschmerzen und blieb bei der Knochenarbeit. Er hatte seine Lektion gelernt.

Trotzdem konnte er den anderen nicht völlig aus dem Weg gehen, denn am Abend wurden alle Gefangenen wieder in die Höhle zurückgetrieben. Dann gab es die einzige Mahlzeit des Tages, und wer essen wollte – und wer wollte das nicht - musste sich zuvor mit den Bestien arrangieren. Jeder war gezwungen, ihren Preis zu zahlen und auch er selbst kam nicht darum herum. Anfänglich hatte er es zwar versucht, denn er hatte sich ihnen nicht beugen wollen. Er hatte das bisschen an Würde, was ihm noch geblieben war, nicht auch noch verlieren wollen. Dennoch war ihm am Ende nichts anderes übriggeblieben, als nachzugeben, weil er nämlich feststellen musste, dass es die Wachen nicht im Geringsten interessierte, ob einige Gefangene verhungerten. Und er wollte nicht zu den Toten gehören. Er wollte leben. Und das ging leider nur, wenn er sich unterordnete, so schwer ihm das auch fiel. Allerdings half es ihm tatsächlich, dass er in den letzten Monaten bereits gelernt hatte, was es hieß, sich unterzuordnen, wenn es auch einen gravierenden Unterschied zwischen dem Palast und diesem Ort hier gab. Hier standen alle Gefangenen, er selbst eingeschlossen, für sich allein. Hier gab es keine Solidarität zwischen den Virei und keine Unterstützung für Schwächere. Am Ende war ihm tatsächlich nichts anderes übriggeblieben, als sich der Gewalt zu beugen. Die einzige Alternative dazu wäre der Hungertod gewesen. Jeden Tag dachte er allerdings erneut über seine Entscheidung nach, kam aber jedes Mal wieder zu der Erkenntnis, dass er nicht hatte anders handeln können. Er wollte die Mine unter allen Umständen lebend verlassen.

Schließlich nahte das Ende der heutigen Arbeitszeit. Er brachte seinen letzten Korb mit Gesteinsbrocken halbvoll zur Sammelstelle und reihte sich danach in die Schlange vor dem Eingang zur Höhle ein. Bei seiner Ankunft hier im Steinbruch hatten die Bellae ihm seine Fesseln abgenommen und darüber war er natürlich sehr erleichtert gewesen. Es dauerte aber nicht lange, bis ihm aufging, dass er trotzdem noch Fesseln trug, wenn diese auch nicht zu sehen waren. Aber das Wissen, dass Widerstand ihn das Leben kosten würde, machte ihn zu einem wehrlosen Opfer. Weil er noch nicht bereit war, zu sterben, war er auch nicht in der Lage, sich zu wehren. Ihm blieb nur, jeden Abend, während er vor der Höhle darauf wartete hineinzukommen, zu versuchen, sich für das zu wappnen, was ihn dort erwartete. Bisher war er allerdings jedes Mal dabei gescheitert. Dazu kam noch, dass er ziemlich schnell verstanden hatte, ihn würde in erster Linie nicht die ihm persönlich entgegengebrachte Gewalt und Erniedrigung zerstören, sondern seine Unfähigkeit, den Schwächeren zu helfen. Und dann war da noch eine unerwartete Versuchung, die an ihm zehrte, denn man hatte ihm überraschenderweise angeboten auf die andere Seite wechseln zu können. Bislang hatten es ihm seine moralischen Grundsätze noch ermöglicht, auf der Seite der Opfer zu bleiben, aber er wusste nicht, wie lange er sich diesem Druck noch widersetzen konnte.

Sofort, nachdem er den Eingang zur Höhle durchschritten hatte, wurde ihm schon bewusst, dass das Essen für diesen Tag bereits gebracht worden war. Ein verführerischer Duft hatte bereits den Weg in seine Nase gefunden und brachte ihm schnell zu Bewusstsein, wie hungrig er war. Wenn er hier überleben wollte, musste er auch essen. Aber wenn er essen wollte, musste er zuerst ein Hindernis in Form der Gefangenen überwinden, die sich zu Herren über die anderen aufgeschwungen hatten. Bevor er sich der Nahrung nähern konnte, musste er diesen Ungeheuern ihren Preis zahlen. In seinem speziellen Fall bedeutete das, sich mit einer bestimmten Person auseinanderzusetzen. Das Wissen, dass er nicht darum herumkam, nach dem Arbeitsdienst im Steinbruch hier in der Höhle eine andere Art von Dienst abzuleisten, belastete ihn. Aber wenn er, was von ihm gefordert wurde, nicht zur vollsten Zufriedenheit seines persönlichen Peinigers ausführte, würde er hungrig schlafen gehen. Wenn er überhaupt zum Schlafen kommen würde, denn in dieser Hinsicht konnte er sich auch nicht sicher sein. Aber sich besagter Person zu verweigern, war keine Option, denn diese konnte ihren Willen auch ohne seine Einwilligung durchsetzen, nur gäbe es in dem Fall kein Essen für ihn.

Er hatte nie zuvor einen Grund gehabt, darüber nachzudenken, wie sich die Regeln für ein Zusammenleben in einer solchen reinen Männergruppe, wie dieser hier verändern könnten. Er wäre noch nicht einmal auf die Idee gekommen, dass sich unter diesen Umständen die Regeln verändern würden. Allerdings hatte er es auch nie zuvor mit Männern zu tun gehabt, die wegen der Schwere ihrer Verbrechen dieses Arbeitslager wahrscheinlich nie mehr verlassen würden. Deshalb hatte er nicht wissen können, dass sich in so einer Umgebung Regeln entwickeln würden, die sich von jenen im normalen Alltag grundlegend unterschieden. Die Männer hatten ihre Schreckensherrschaft in der Höhle auch deshalb errichten können, weil sich die Wachen nicht im Geringsten dafür interessierten, was sich zwischen den Gefangenen abspielte, zumindest solange die Arbeit im Steinbruch nicht darunter litt. Auf diese Weise war es den Tyrannen gelungen, den völligen Mangel an Frauen auszugleichen und dies stellte sich als die Hauptmotivation für ihre Taten heraus. Sie verachteten aber auch nicht die Möglichkeit, Macht über andere auszuüben.

An diesem Abend war Ssutovar einer der Letzten, der die Höhle betrat und wie an anderen Tagen auch, hoffte er, Cytys habe sich in der Zwischenzeit ein anderes Opfer gesucht, denn er war nicht für seine Geduld bekannt. Aber auch dieses Mal musste er zu seinem Leidwesen feststellen, dass der riesige, überaus hässliche und äußerst brutale Viri – der den Informationen nach, die Ssutovar aufgeschnappt hatte, wegen mehrerer auf abscheuliche Art ausgeführter Morde verurteilt worden war – auf sein ausgewähltes Opfer gewartet hatte.

„Tov!“, hörte er ihn von der Rückseite der Höhle rufen und er klang ehrlich erfreut. „Wie schön, dass du es auch geschafft hast.“ Der Spruch hätte sich tatsächlich originell anhören können, wenn er ihn nicht jeden Abend in unveränderter Form benutzt hätte.

Tov war der Name, unter dem er bei seinen Mitgefangenen bekannt war und auch die Wachen hatten ihn zu seinem Glück übernommen. Ihm war es nicht ratsam erschienen, sich als Ssutovar vorzustellen und damit allen mitzuteilen, er wäre ein Teil der imperialen Familie. Er war sich sicher, ihm wäre es dann noch schlechter ergangen als jetzt. Wahrscheinlich hätte er die erste Nacht nicht überlebt.

„Komm zu mir, Tov!“, hörte er Cytys wieder rufen, obwohl der andere sehen konnte, dass er sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Er wusste, er konnte seinem Peiniger nicht entgehen. Fast das einzig Positive, was er über den Riesen sagen konnte, war, dass er seine Privatsphäre liebte. Ansonsten konnte er Gajetu ohne Probleme das Wasser reichen. In jeglicher Hinsicht.

Cytys hatte sich bereits in seine Lieblingsnische zurückgezogen und Tov beeilte sich, zu ihm zu gelangen. Der Mann hatte bereits warten müssen und dies hatte seine Laune nicht gerade verbessert.

„Du hast dir Zeit gelassen“, warf er ihm auch schon vor, kaum dass Tov ihn erreicht hatte.

Es würde nichts bringen, ihm zu widersprechen, zumal es auch der Wahrheit entsprach. Es würde Tov allerdings nicht guttun, dem anderen dies mitzuteilen. „Ja, Dominus“, antwortete er ihm deshalb nur und ließ sich vor ihm auf die Knie nieder. Sein Peiniger liebte es auf diese Weise angeredet zu werden.

Cytys schob den Rock hoch und Tov starrte direkt auf seinen Schwanz. Wie alles an dem Mann war auch dieser Teil von ihm riesig und die Vorfreude auf seinen ausgewählten Bettpartner – auf seinen Mann Tov, wie Cytys ihn gerne nannte – hatte ihn bereits erregt und sein Glied hatte tatsächlich schon begonnen sich aufzurichten. Nun erwartete Cytys, von Tov befriedigt zu werden und dies nicht nur einmal. Zu Beginn ihres abendlichen Zusammenseins liebte er es, Tovs Lippen und Zunge an seinem Glied zu spüren. Aber wenn alles zu Cytys Zufriedenheit erledigt wurde, dann würde nicht nur sein Samen Tovs Mund füllen, sondern er würde auch etwas zu essen bekommen, bevor der Riese sich weiter mit ihm beschäftigte. Auf viel Schlaf konnte er in einer solchen Nacht allerdings nicht hoffen. Cytys war unermüdlich und unersättlich und hatte den ganzen nächsten Tag Zeit, seinen Schlaf nachzuholen, da er die Höhle nie verließ. Diese Möglichkeit stand Tov nicht offen. Aber sein Peiniger war nicht so dumm wie er aussah und hatte durchaus verstanden, dass Tov ein um die andere Nacht Schlaf benötigte.

Auch an diesem Abend hatte Tov Erfolg dabei, seinen Dominus zufriedenzustellen und als Belohnung erhielt er eine ausreichende Menge an Essen. Zwischen den einzelnen Liebesdiensten, die Cytys ihm abverlangte, wurde er immer wieder mit kleineren und größeren Happen gefüttert und durfte selbstverständlich auch trinken, aber dann wurde er erneut gefordert. Der Riese verfügte über ein schier unerschöpfliches Standvermögen und hatte nicht nur eine Vorliebe für Tovs Mund, sondern auch für seinen Hintern entwickelt. Aus diesem Grund hatte der ehemalige Sarvarer in diesen Nächten immer das Gefühl entweder vom Schwanz des Riesen erstickt oder von ihm zerrissen zu werden, aber er hatte in dieser Hinsicht keine Wahl. Zwischendurch wurde er immer wieder gefüttert, allerdings schmeckte das gesamte Essen nach Cytys. Trotzdem verzichtete er nicht darauf, denn er benötigte die Kraft, die es ihm gab. Irgendwann hatte der Riese dann tatsächlich genug. Er legte sich hin, umarmte Tov und schlief auf der Stelle ein. Sein Opfer durfte dann auch endlich schlafen.

Am nächsten Morgen säuberte Tov sich erst einmal gründlich, bevor er wieder zu der Schufterei im Steinbruch zurückkehren musste. Eine der Privilegien, die er als Cytys Mann genoss, war die Möglichkeit, sich morgens zu waschen. Hätte er die Wahl gehabt, wäre er lieber schmutzig geblieben, aber er hatte keinen Einfluss auf Cytys Zuneigung. Der Riese verlangte, dass Tov gewaschen, geschminkt und mit einem ordentlichen Zopf die Höhle verließ, damit jeder direkt erkennen konnte, dass er Cytys gehörte.

Schließlich war es wieder einmal an der Zeit die Höhle zu verlassen und Tov reihte sich zwischen den anderen Gefangenen ein, um von den Bellae zum Steinbruch gebracht zu werden. Aber kaum war er ins Freie getreten, wurde er von einer Wache aus der Reihe gezogen.

„Tov?“ Er nickte. „Komm mit!“

Er trottete hinter der Vassu her, bis sie sich außerhalb der Sicht der anderen Gefangenen befanden.

„Deine Zeit hier ist um“, eröffnete sie ihm übergangslos und fuhr dann fort: „Heute geht es für dich zurück in die Stadt. Dort angekommen, wirst du wieder deiner Custa übergeben.“

Wahrscheinlich starrte er sie gerade verständnislos an, weil ihre Worte in diesem Moment überhaupt keinen Sinn für ihn ergaben.

Sie betrachtete ihn mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck. Er war wohl nicht der erste Gefangene, dem sie diese Nachricht überbringen musste und der sie daraufhin wie ein Idiot ansah. „Du hast deine Strafe verbüßt.“

Niemand hatte Tov mitgeteilt wie lange er hierbleiben musste. Er hatte auch nur ziemlich grob die Zeit nachhalten können, die er hier verbrachte, deshalb war er nicht darauf vorbereitet gewesen, heute hier herauszukommen. Als ihm aber dann endlich aufging, was sie gesagt hatte, konnte er sich nur knapp damit zurückhalten, einen Freudensprung zu machen. Nur weil die Bella den Eindruck erweckte, als würde sie so etwas auf keinen Fall dulden, gelang es ihm, ruhig stehenzubleiben.

Trotzdem hätte er sie beinahe umarmt, um ihr dafür zu danken, dass sie ihm die Möglichkeit gab, wieder nach Hause zu kommen.

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Allerdings ging er davon aus, sich bei seiner Ankunft im Palast nicht tatsächlich so zu fühlen, als ob er nach Hause gekommen sei, denn dies war für ihn immer noch Dysarvar. Der riesige Komplex in Ssuyial war kein Ersatz für ein Zusammenleben mit seinem Vater und seinem Bruder, wenn ihm auch bewusst war, dass er nicht völlig falsch lag, wenn er von diesem Ort hier als Zuhause sprach. Er durfte ihn eben nur einzig auf das Domuvirei und die Männer, die dort lebten, anwenden. Schließlich war ihm schon lange bevor er im Steinbruch gelandet war, aufgegangen, dass die anderen Virei ihm ans Herz gewachsen waren.

Aber zu seiner großen Verwunderung fühlte es sich in dem Moment, als er Ssuyial wiedersah, für ihn tatsächlich so an, als wäre er nach Hause gekommen. Nach allem, was ihm in diesem Palast zugestoßen war, hatte er das nicht für möglich gehalten, zumal er zu dem Zeitpunkt ja auch noch nicht wusste, ob Aississu oder Gajetu schon wieder zurückgekehrt waren. Als er dann feststellte, dass sich die beiden nicht hier befanden, freute er sich tatsächlich darüber, die Gelegenheit zu erhalten, in sein Leben im Palast zurückzukehren, ohne dass ihm jemand dabei Probleme bescherte. Aus diesem Grund fand er sich schnell in der Situation wieder, die ihm so unerträglich und unzumutbar vorgekommen war, bevor man ihn gezwungen hatte, den Palast für einige Zeit zu verlassen.

Erst geraume Zeit später fiel ihm auf, dass seit der Zeremonie am See bereits ein ganzes Jahr vergangen war. Ihm war nicht aufgefallen, dass er bereits so lange im Domuvirei und als Viri lebte. Er hatte tatsächlich sein erstes Jahr als Viri hinter sich gebracht. Ihm wurde auch bewusst, dass es hier Menschen gab, denen er etwas bedeutete, genau wie es auch umgekehrt der Fall war. Trotzdem würde er sofort wieder nach Kisarvar zurückkehren, wenn er den Sarvar damit nicht schadete und er hoffte immer noch, diese Gelegenheit würde sich irgendwann einmal ergeben. Auch in Zukunft würde er diesen Traum nicht aufgeben.

Doch fürs erste war er zufrieden damit, wieder in Ssuyial sein zu dürfen. Von nun an würde er darauf achten, niemals wieder einer Vassu auf eine Art in die Quere zu kommen, wie ihm das bei der Imperatra passiert war. Ansonsten blieb ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten, was die Zukunft für ihn bereithielt.

Ende
 
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flammarion

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Korrekturvorschläge:Teil 2

Sie benötigten ziemlich lange(Komma) um Ssuyial zu erreichen, den Ort, an dem der Palast der Imperatra stand. Aber eines Morgens(Komma) als Tovarjal und Ssutiss den Wagen verließen, erblickten sie in einiger Entfernung die Mauern einer gewaltigen Stadt, die ihnen im Dunkel des vergangenen Abends entgangen waren. An diesem Morgen gab es keine Hausarbeit für sie. Stattdessen erhielten sie von Gajetu Anweisungen(Komma) wie sie sich auf dem restlichen Weg zu verhalten hatten. Sie machte ihnen auch klar, dass es für sie das Wichtigste war(Komma) ihr Ziel noch an diesem Tag zu erreichen. Für Tovarjal, aber auch für Ssutiss(Komma) war das Wichtigste an ihren Befehlen allerdings etwas völlig anderes. Ihnen war nämlich erlaubt worden miteinander zu sprechen, während sie auf die fernen Mauern zustrebten. Gajetu hatte ihnen mit einfachen Worten erklärt, dass das Redeverbot nur deswegen ausgesetzt worden war, damit der Jüngere dem Sarvarer erklären konnte(Komma) was er zu sehen bekam. Gleichzeitig sollte er auch dafür sorgen, dass Tovarjal sich so benahm(Komma) wie es sich für einen Viri gehörte. Dann mussten die beiden für diesen letzten Abschnitt der Reise der Gruppe vorangehen. An allen vorherigen Tagen hätte das nicht funktioniert, aber hier in der Nähe der Stadt stellte es offensichtlich kein Problem für die Primaduca dar. Aber auch wenn dies den Eindruck erweckte(Komma) die Kriegerinnen wären Tovarjals und Ssutiss Eskorte, war sich der Sarvarer bewusst, dass es sich bei den Frauen, die hinter ihnen her ritten, immer noch um ihre Bewacherinnen handelte.

Einige Stunden später erreichten sie dann ein großes Tor in der Stadtmauer. Tovarjal stellte bei dieser Gelegenheit fest, dass ihm die an diesem Vormittag zurückgelegte Strecke überhaupt nicht lang vorgekommen war. Er fand dies vor allem deswegen erstaunlich, weil er das früher anders gesehen hätte. Aber in den letzten Wochen hatte er gelernt – hatte er lernen müssen – vom Vormittag bis zum Abend ohne Pause unterwegs zu sein und das zu Fuß. Er hatte sich zuvor niemals für einen Schwächling gehalten, musste aber erkennen, dass er zumindest zu Beginn der Reise Probleme gehabt hatte(Komma) mit Ssutiss mitzuhalten. Wegen seiner schlanken Gliedmaßen und seines zarten Körperbaus hatte er den jungen Mann für nicht sonderlich stark gehalten und zumindest in der Hinsicht recht gehabt, dass er nicht so schwere Lasten tragen konnte wie er selbst. Allerdings war er sehr viel ausdauernder als der ehemalige Princepo, weil er von klein auf daran gewöhnt war (Komma) den ganzen Tag unterwegs zu sein und Arbeiten zu erledigen. Dies war etwas, dass Tovarjal erst mühsam hatte lernen müssen. Vor allem einen ganzen Tag lang zu laufen war ihm ziemlich schwergefallen, denn früher war er immer geritten.

Die Stadt, die Tovarjal hinter der Mauer zu sehen bekam(Komma) schien um einiges größer zu sein als jede sarvarische Stadt. Außerdem machte sie auf ihn den Eindruck(Komma) als bestände sie aus zwei Teilen. Direkt hinter der Mauer breitete sich die Unterstadt aus, die sich vom Stadtrand bis zum Fuß des Hügels erstreckte. Die Erhebung dominierte das Zentrum der Stadt und die Gebäude, die dort standen, bildeten seiner Meinung nach die Oberstadt.

Ssutiss hatte Tovarjal durch das Tor hindurchgeführt und sie waren auf eine nicht besonders prachtvolle Straße gelangt, die gerade breit genug war, um zwei Karren einander passieren zu lassen. Allerdings nur(Komma) wenn diese es geschafft hätten(Komma) sich durch die Menschenmassen zu kämpfen. Tovarjal versuchte dem Verlauf der Straße mit den Augen zu folgen, aber sie wand sich in Kurven in die Stadt hinein und deshalb konnte er nicht sehr weit sehen.

„Dies ist eines der geringeren Tore. Das prachtvolle Haupttor ist einzig den Vassu vorbehalten. Von dort gelangt man auf die Hauptstraße, die direkt zum Palast führt.“ Auch wenn Ssutiss mit seinem Begleiter reden durfte, sprach er trotzdem so leise, dass er nur zu verstehen war, wenn man sich direkt neben ihm befand. Was er von sich gab(Komma) erstaunte Tovarjal allerdings immer wieder. Im Imperium waren Männer offensichtlich überhaupt nichts wert und wurden von vielen Dingen und Orten ausgeschlossen.

Während sie dem Straßenverlauf folgten(Komma) kamen sie immer wieder an engeren Gassen vorbei, in die Tovarjal interessiert hineinblickte. Schnell begriff er, dass sie sich in einem ärmeren Teil der Stadt befanden, denn die Männer – allerdings auch die Frauen – die auf den Straßen unterwegs waren, hatten sich in schmutzige und zum Teil auch zerrissene Kleidungsstücke gehüllt. Die einfachen Röcke der Virei gingen ihnen höchstens bis zur Wade und die Tuniken waren zum Teil sogar so kurz, dass sie nicht einmal bis zum Rockbund reichten. Im Gegensatz dazu reichte Tovarjals Tunika, ebenso wie die von Ssutiss, bis zur Mitte des Oberschenkels und der Saum ihrer voluminösen Röcke schleifte über den Boden. Die Virei, die sie zu Gesicht bekamen waren mit einfachen, aber auch mit körperlich schweren Arbeiten beschäftigt, die Vassu hingegen führten die Aufsicht oder beschäftigten sich mit körperlich nicht so belastenden Dingen. Aber auch die Frauen gehörten zweifelsohne zu den Ärmsten, was Tovarjal daran erkannte, dass die Beine ihrer Hosen genauso kurz waren wie die Röcke der Virei. Einmal konnte er sogar kurz einen Blick auf eine in Lumpen gehüllte Frau werfen, die eigenhändig ein Bündel Holz schleppte.

Auch Ssutiss hatte sie gesehen. „Sie wird weder einen Cuviri noch einen Ssumili oder einen anderen männlichen Verwandten haben und auch kein Geld, sich männliche Hilfe zu kaufen“, hörte er die leise Stimme des anderen neben seiner Schulter. Ohne die Lektionen der vergangenen Wochen hätte er mit diesem Satz absolut nichts anfangen können, denn er hätte nicht gewusst, dass ein Cuviri ein Ehemann oder ein Ssumili ein Sohn war. Er hatte lernen müssen, dass die Vassu einige Begriffe benutzten, die es in der Sprache der Sarvar nicht mehr gab oder nie gegeben hatte. Zum Glück betraf das aber nur einen kleinen Teil der Worte, ansonsten hätte Tovarjal erhebliche Probleme damit gehabt(Komma) sich in seiner neuen Umgebung einzuleben. Zwar fand er immer noch, dass die anderen ihre Worte eigenartig betonten oder falsch aussprachen, aber Ssutiss machte ihm mit einem Lächeln klar, er wäre hier derjenige, der seltsam sprach.

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu, auf der auch Kinder zu sehen waren. Die kleineren liefen völlig nackt herum und erst als er näher kam(Komma) konnte er erkennen, dass alle Kinder, die seiner Ansicht nach spielten, Mädchen waren und alle diejenigen – so klein sie auch waren – die irgendwelchen Arbeiten nachgingen(Komma) Jungen. Die älteren Kinder trugen zumindest Lumpen und daher konnte er auch aus einiger Entfernung bereits feststellen, dass diejenigen, die Röcke trugen, die schmutzigeren oder anstrengenderen Arbeiten ausführten. Und bis auf die jüngsten hatten alle Virei ihre langen Haare in einem Zopf zusammengefasst. Hier wurde man ganz offensichtlich als Sklave geboren und es gab selbst für die kleineren Kinder keine Schonung. Dies war eine traurige Art und Weise(Komma) seine Kindheit zu verbringen.

Die Straße führte sie langsam aber sicher in die Nähe der Oberstadt. Tovarjal vermutete den Palast zwischen den prachtvollen Gebäuden auf dem Hügel, aber bisher hatte er ihn noch nicht zu Gesicht bekommen. Und sie waren bereits geraume Zeit unterwegs, ohne die Grenze zwischen Unter- und Oberstadt erreicht zu haben. Und während sie sich durch die Straßen bewegten(Komma) fiel Tovarjal auf, wie viele Frauen und Männer sie anstarrten.

„Sie können an unseren Gürteln erkennen, dass wir zur Familie der Imperatra gehören und fragen sich, was wir hier machen. Die Servirei verlassen den Palast nämlich nur selten. Außerdem würden sie bestimmt gerne wissen, wer der Viri ohne Zopf ist. Bis zum heutigen Abend wird die Stadt voller Gerüchte sein.“ Ssutiss lachte leise und dies kam so unerwartet, dass Tovarjal sich zu ihm hindrehte. Er sah nur für einen kurzen Moment nicht nach vorn(e ), trotzdem verpasste er dadurch seine erste Gelegenheit(Komma) einen Blick auf den Palast zu werfen.

Als er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete, verstand er plötzlich, dass er sich geirrt hatte. Der Palast befand sich nicht etwa zwischen den Gebäuden der Oberstadt, die Oberstadt war der Palast. Nie zuvor hatte er ein derart großes, imposantes und prachtvolles Gebäude zu Gesicht bekommen(Komma) wie er es mit dem Palast der Imperatra nun vor sich sah. Sein Erstaunen hätte beinahe dazu geführt, dass er stehenblieb, aber Ssutiss bewahrte ihn davor(Komma) von Gajetu und ihren Kriegerinnen niedergeritten zu werden. Die Primaduca hätte ihn wahrscheinlich gerne noch einmal bestraft. Aber der jüngere Mann nahm ihn erneut bei der Hand und zog ihn weiter.

„Der prachtvolle Haupteingang befindet sich auf der anderen Seite des Palastes“, begann der rothaarige junge Mann, „aber er ist …“

„… nur Vassu vorbehalten“, beendete Tovarjal den Satz. Inzwischen hatte er begriffen, wie es im Imperium ablief. Aus den Augenwinkeln heraus bekam er mit(Komma) wie Ssutiss nickte.

„Virei müssen die Nebeneingänge benutzen. Der nächste von diesen liegt dort hinter den Zypressen versteckt.“ Er zog ihn weiter eine Straße hinauf, die an der niedrigen Palastmauer entlangführte, bis sie durch einen Torbogen auf das Palastgelände abbog. Sobald sie hindurch geschritten waren, trennten sich die Kriegerinnen von ihnen und machten sich auf den Weg zu ihren eigenen Quartieren, wie Ssutiss ihm zuflüsterte. Nun begleitete sie nur noch die Primaduca, die in der Zwischenzeit ebenfalls abgestiegen war. Sie hatte ihr Reittier einem der Virei anvertraut, die offenbar genau für diese Gelegenheit – aber sehr wahrscheinlich auch für andere – am Rand des Weges bereitstanden.

Der Nebeneingang hinter den Zypressen machte eher den Eindruck eines einfachen Scheunentors. Ssutiss mühte sich bereits damit ab(Komma) einen der schweren Torflügel zu öffnen und Tovarjal beeilte sich ihm zur Hand zu gehen. Zu zweit hielten sie das Tor offen, bis Gajetu den Palast betreten hatte, um ihr auf dem Fuß zu folgen.

„Die Imperatra und die Hereda warten auf euch beide. Ich wäre überhaupt nicht erfreut, solltet ihr sie warten lassen.“ Gajetus Stimme und ihr Gesichtsausdruck ließen ohne Probleme erkennen, dass sie nichts mehr freuen würde, als wenn die beiden Männer ihr einen Anlass gäben(Komma) sie zu bestrafen. Während der Zeit, in der sie mit ihr unterwegs gewesen waren(Komma) hatten sie dies sehr schnell gelernt. Ssutiss ergriff erneut Tovarjals Hand und zog ihn eilig weiter. Mit kurzen schnellen Schritten eilten sie den Gang entlang. Der Jüngere wusste offenbar genau(Komma) wo es lang ging.

Innerhalb kürzester Zeit gelangten sie an eine Stelle, an der der unscheinbare Korridor, durch den sie vom Tor hierhergelangt waren, in einen prunkvoll ausgestatteten Gang, fast schon eine schmale Halle, einmündete. Ssutiss wandte sich ohne zu zögern nach links. Fünfzig Meter weiter konnte Tovarjal eine hohe zweiflügelige Tür erkennen, die kunstvoll verziert worden war. Dahinter vermutete er sofort den Thronsaal und fragte sich in dem Moment, ob es auch einen einfachen Eingang für die Virei gab. Dieser Gedanke löste bei ihm ein Kichern aus, das er gerade noch unterdrücken konnte.

Die Tür wurde von vier Kriegerinnen bewacht und Ssutiss und mit ihm auch der Sarvarer blieben ungefähr zehn Meter von ihnen entfernt stehen. Tovarjal hatte sich angewöhnt(Komma) genau darauf zu achten, was der jüngere Mann tat.

„Ohne ausdrückliche Erlaubnis dürfen wir nicht näher an diese Tür herantreten. An dieser Stelle müssen wir warten, bis man uns entweder erlaubt, den Thronsaal zu betreten oder uns befiehlt(Komma) wieder zu gehen.“ Ssutiss senkte den Blick und Tovarjal machte es ihm nach, eingedenk der Erfahrungen, die er bisher gemacht hatte. Ssutiss genau im Auge zu behalten hatte ihn öfter vor Strafe bewahrt. Zu seinem Leidwesen allerdings nicht immer.

Die Primaduca eilte an ihnen vorbei und zwei der vier Kriegerinnen zogen die Türflügel genau in dem Moment auf, als sie die Tür erreichte, sodass sie hindurch schreiten konnte(Komma) ohne ihren Schritt zu verlangsamen. Sie verschwand in dem dahinterliegenden Raum und die beiden Männer konnten sie durch die offenstehende Tür zwar sprechen hören, aber ihre Worte nicht verstehen.

Bereits nach kurzer Zeit erschien sie wieder auf dem Gang. „Eintreten!“, befahl sie ihnen in harschem Tonfall.

Die beiden Männer beeilten sich(Komma) dem Befehl nachzukommen. Sie legten die letzten Meter bis zur Tür mit den kurzen, schnellen Schritten zurück, mit denen sie vermieden(Komma) auf den Saum ihrer langen Röcke zu treten. In dieser Situation wäre ein Sturz ziemlich schmerzhaft gewesen und das in mehr als einer Hinsicht.

Sie fanden sich in einem riesigen Saal wieder, dessen Prunk in passender Weise zu dem Eindruck passte, den Tovarjal bereits vom Palast gewonnen hatte. Ssutiss blieb stehen, als er den Rand eines dicken dunkelblauen Teppichs erreicht hatte und brachte seinen Begleiter ebenfalls zum Stehen. Gajetu war ihnen dichtauf gefolgt und stand nun rechts von Tovarjal.

„Ihr dürft den Blick heben.“

Als der Sarvarer der Anweisung nachkam, stellte er fest, dass diese Worte von einer älteren Frau gesprochen worden waren, die auf einem kunstvoll verzierten, aber wuchtigen Thron saß. Sie hatte kurzes graues Haar, das sie etwas länger trug(Komma) als er es von den Kriegerinnen gewohnt war, die ihn und Ssutiss auf der Reise begleitet hatten. Die nach allen Richtungen wie Borsten abstehenden Haare konnten aber auf keinen Fall länger als zwei Fingerbreit sein. Mandelförmige dunkelblaue Augen beherrschten ihr schmales Gesicht, das erstaunlich wenige Falten aufwies. Trotzdem vermutete der ehemalige Princepo(Komma) sie müsse ungefähr so alt sein wie sein Vater. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass er sich in der Gegenwart der Imperatra befand.

Neben dem Thron stand eine weitere Frau, schlank und hochgewachsen, in deren Gesicht er ohne Probleme Ssutiss wiedererkannte, auch wenn ihr rotes Haar und ihre grauen, mandelförmigen Augen eine Spur dunkler waren als seine. Aber niemand würde übersehen können, dass sie und Ssutiss Geschwister waren. Dies musste also dann die Hereda, die Erbin, sein. Während ihre Mutter eine lange weite und kostbar bestickte Hose und eine ebenfalls kostbar verzierte Weste über einem dunkelblauen Hemd trug, war die Tochter wie eine Bella, eine der Kriegerinnen der Vassu, gekleidet und ihr Haar war genauso kurz geschoren. Ihre ganze Haltung, aber auch der Ausdruck kaum gezügelten Zorns auf ihrem Gesicht(Komma) ließen sie um einiges weniger attraktiv erscheinen als ihr Bruder. Tovarjal schätzte sie müsste einige Jahre älter als er selbst sein. Er musste aber nicht raten, um zu wissen(Komma) wer das Ziel ihres Zorns war. Er fand nicht(Komma) dies wäre eine gute Voraussetzung für die Fortsetzung seiner Existenz.

Neben ihm erklang Gajetus Stimme, die sich an die beiden Frauen vor ihr wandte.(besser Doppelpunkt) „Ich bringe euch(Euch) Tovarjal, der gemäß den Bedingungen des Friedensvertrages, den du(Komma) Imperatra, mit Kisarvar geschlossen hast, mit der Hereda vermählt wurde. Deinen Befehlen folgend, Herrin, hat Ssutiss die Stelle seiner Schwester bei der Zeremonie eingenommen.“

Der Blick der Frau auf dem Thron ging über die beiden Männer hinweg zur Primaduca. „Ich danke dir für deine Mühen, Gajetu. Nach dieser Reise wirst du dich ausruhen wollen. Du darfst dich entfernen, ich benötige dich zurzeit nicht.“ Gajetu hatte sofort verstanden, dass sie aus der Gegenwart ihrer Herrscherin entlassen worden war. Sie verbeugte sich kurz, drehte sich dann auf der Stelle um und verließ zügig den Saal. Die Tür wurde hinter ihr wieder geschlossen.

Erst nachdem Gajetu den Saal verlassen hatte(Komma) richtete die Imperatra ihren Blick wieder auf die beiden Männer. Sie musterte Tovarjal einen langen Augenblick, wandte sich dann aber doch erstmal an Ssutiss. „Ich freue mich (Komma) dich wieder im Palast zu wissen, Ssumili. Ich gehe davon aus, dass du die dir übertragenen Arbeiten zu meiner Zufriedenheit ausgeführt hast, so(Komma) wie es deine Art ist.“

Ssutiss verbeugte sich tief vor seiner Mutter. „Custa, mein Leben hat nur den Zweck (Komma) deine Befehle auszuführen.“ Langsam richtete er sich wieder auf. Die Imperatra wirkte zufrieden.

Ihr Blick kehrte zu Tovarjal zurück. „Dies ist also dein Cuviri, Aississu“, bemerkte sie zu ihrer Tochter. „Er sieht jung und kräftig aus und meiner Meinung nach ist er auch nicht hässlich zu nennen, allerdings würde er mir besser gefallen, wenn seine Haare nicht zu kurz für einen Zopf wären.“ Tovarjal konnte ein amüsiertes Schnauben gerade noch unterdrücken, weil er selbst sich immer wieder darüber wunderte, wie lang seine Haare während der Reise geworden waren.

„Wie war nochmal dein Name, Junge? Tovarjal?“ (Komma) fragte ihn die Imperatra.

„Das ist richtig“, antwortete er ihr und wurde sofort von Ssutiss angestoßen.

„Du musst die Imperatra mit Domina ansprechen“, raunte er ihm zu.

„Verzeih mir, Domina“, versuchte er seinen Fehler zu berichtigen. „Mein Name ist Tovarjal, Domina.“

„Vielleicht hast du deine Aufgabe doch nicht so gut erledigt, Ssutiss“, ließ sich die Hereda mit eisiger Stimme vernehmen. Ihr Bruder wurde bleich und Tovarjal wäre beinahe damit herausgeplatzt(Komma) es wäre doch seine Schuld gewesen, aber ihm fiel rechtzeitig ein, dass er damit die ganze Angelegenheit für den Jüngeren noch schlimmer machen könnte. Deswegen hielt er lieber seinen Mund.

„Wahrscheinlich waren das einfach zu viele Informationen für diesen sarvarischen Jungen und er konnte sie sich nicht alle merken. Denke bitte daran, dass er nicht den Vorteil hat(Komma) als Viri geboren zu sein. Wahrscheinlich ist ihm überhaupt nicht klar geworden, dass es einen Unterschied zwischen einer Custa, die die Aufsicht über ihn hat und allen anderen Vassu gibt, die er Domina zu nennen hat. Lass deinen Unmut nicht an deinem Bruder aus, der eine Aufgabe übernommen hat, die nicht für einen Viri gedacht war.“ Aus ihren Worten sprach die Liebe einer Vassu für ihren Ssumili.

Aississu nickte. „Du hast recht, Mutter. Ich sollte Ssutiss nicht für etwas verantwortlich machen, das er unmöglich fehlerfrei bewältigen konnte.“

Als sie Tovarjal nun zum ersten Mal direkt ansah(Komma) konnte er Zorn und Verachtung in ihren dunkelgrauen Augen erkennen. „Tovarjal? Das ist kein Name für einen Serviri.“ Sie grinste, was sie nicht freundlicher aussehen ließ.

Sie streifte ihren jüngeren Bruder mit einem Blick. „Ich möchte die Angelegenheit jetzt schnell hinter mich bringen. Ssutiss, bring mir die Dinge, die dort hinten auf dem Tisch liegen. Du darfst mir zur Hand gehen, Bruder.“

Sie drehte sich wieder zu Tovarjal um und fuhr ohne Pause fort. „Hiermit binde und heirate ich dich.“ Der Sarvarer hatte diese Worte schon einmal in dem Zelt am Ufer des Hijiley-Sees gehört.

Aississu streckte eine Hand in Richtung ihres Bruders aus und dieser legte etwas hinein, von dem Tovarjal nicht mehr erkennen konnte(Komma) als dass es grün war. Bevor er Zeit hatte(Komma) weiter darüber nachzudenken, ergriff sie seine Handgelenke und fesselte diese mit zwei miteinander verbundenen grünen Armbändern. Sofort fiel ihm Ssutiss Erklärung über die Vinculae wieder ein.

Die Hereda streckte erneut ihre Hand aus und ihr Bruder gab ihr einen weiteren Gegenstand. Als sie ihn an ihrem Gürtel befestigte, erkannte er, dass es sich um einen kleinen grünen Schlüssel handelte.

„Ich verspreche, dich vor allem ungerechtfertigtem Harm und Schmerz zu schützen.“ Im Gegensatz zum ersten Teil der Zeremonie machte sie keinen Hehl daraus, dass ihr die Aussage des zweiten Satzes nicht zusagte.

Sie streckte ein drittes Mal ihre Hand aus und ließ sich einen weiteren grünen Gegenstand reichen, den sie ebenfalls an ihrem Gürtel befestigte. Diesmal handelte es sich um ein kleines Messer.

Sie war aber noch nicht fertig mit Tovarjal. „Ich benenne dich Ssutovar.“ Die ganze Zeit über hatte sie ihn nicht direkt angesehen, aber das änderte sich bei ihren nächsten Worten. „Ich hoffe doch(Komma) du kannst dir das merken. Wenn nicht, dann bin ich dir nur zu gerne dabei behilflich.“ Dem ehemaligen Princepo wurde eiskalt bei der Drohung, die in ihren Worten mitschwang.

Während der gerade umbenannte Sarvarer auf seine gefesselten Handgelenke starrte, ergriff die Imperatra erneut das Wort. „Ssutiss, ich habe beschlossen, dass du auch weiterhin die Verantwortung dafür tragen wirst(Komma) diesem Viri beizubringen, wie man sich anständig benimmt. Damit du diese Aufgabe ohne Probleme bewältigen kannst(Komma) unterstelle ich dich Aississus Aufsicht. Ich gehe auch davon aus, dass du damit noch geraume Zeit, vielleicht sogar Jahre, beschäftigt sein wirst, deshalb verzichte ich darauf(Komma) dich zu verheiraten.“ Ssutovar sah aus den Augenwinkeln wie Ssutiss schluckte.

„Ssutiss, nimm Aississus Cuviri und begib dich mit ihm zum Domuvirei. Dort warten genügend Arbeiten auf euch.“ Mit einer Handbewegung entließ die Herrscherin die beiden Virei.

Wortlos griff Ssutiss erneut nach der Hand des vormaligen Sarvarers und zog ihn zu einer unauffälligen schmalen Tür rechts von ihnen. ‚Es gibt also doch einen separaten Eingang für die Virei‘, ging es Ssutovar durch den Kopf. ‚Aber vielleicht sollte ich das eher den Eingang für die Diener nennen.‘ Er hatte verstanden, dass selbst die Söhne der Imperatra in diesem Palast nichts anderes waren, aber der Gemahl der Erbin auch nicht.

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Ssutiss führte ihn durch mehrere enge und schlichte Gänge bis vor eine schmucklose Tür. Der junge Mann machte schon Anstalten(Komma) diese zu öffnen, überlegte es sich dann aber offenbar anders und klopfte stattdessen an. Dann wartete er geduldig darauf, dass ihnen geöffnet wurde und Ssutovar wartete natürlich mit ihm. Die Begegnung mit der Imperatra und vor allem mit der Hereda hatte ihn nicht gerade aufgemuntert und ihm fehlte gerade ein bisschen die Kraft, sich mit Neuem auseinanderzusetzen. Und der auf ihn gerichtete Zorn, den er in Aississus Augen entdeckt hatte, war derart intensiv gewesen, dass er ihn ängstigte. Die Imperatra selbst hatte sich ihm gegenüber zwar nicht feindselig benommen, aber er schien ihr gleichgültig zu sein. Allerdings hatte die Art und Weise(Komma) wie sie so ganz nebenbei die Hoffnungen ihres Sohnes auf eine Verheiratung zunichtemachte, auf jeden Fall ausgereicht (Komma) den ehemaligen Princepo jeglicher Illusionen zu berauben. Wenn er denn zu diesem Zeitpunkt noch welche besessen hätte. Sein Willkommen im Palast hätte er sich gerne herzlicher vorgestellt, aber ihm war bereits im Vorhinein klargewesen, dass dies reines Wunschdenken war.

Die Tür wurde bereits nach wenigen Momenten langsam von innen geöffnet und ihnen stand ein älterer Mann gegenüber. Er trug die gleiche Art langen Rock aus ungebleichtem Stoff, die gleiche Art lange Tunika und den gleichen Gürtel wie Ssutovar und sein Begleiter. Aber er hatte noch viel mehr mit Ssutiss gemeinsam. Er besaß das gleiche rote Haar, das er zum gleichen Zopf geflochten hatte und auch den gleichen Gesichtsschnitt. Seine Augen waren ebenfalls hellgrau, allerdings nicht mandelförmig. Er war aber größer als der junge Mann und konnte Ssutovar ohne Probleme direkt in die Augen sehen. Als er erkannte, wer vor der Tür stand(Komma) erschien sofort ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht.

„Tiss!“, rief er erfreut aus.(Leerzeichen)“(kein Leerzeichen) Du bist endlich wieder da. Wir haben dich im letzten halben Jahr sehr vermisst.“ Dann stutzte er. „Aber wieso hast du geklopft?“

Auch auf Ssutiss Gesicht hatte sich ein Lächeln breitgemacht. „Ich hielt es für höflicher, weil ich nicht alleine bin.“

Der Blick des Älteren, der sich zuerst ganz auf Ssutiss konzentriert hatte, glitt jetzt zu Ssutovar hinüber und musterte dessen Rock, den Gürtel mit der weißen Schnalle in Form eines Wolfskopfes und schließlich die Vinculae. Dann sah er wieder zu Ssutiss hinüber. „Ist das Aississus Cuviri?“

„Warum lässt du uns nicht erst einmal eintreten, Vater, bevor du uns mit Fragen überschüttest. Die anderen wüssten bestimmt auch gerne(Komma) was los ist.“

Der Ältere wirkte für einen kurzen Moment schuldbewusst, dann trat er zur Seite und die beiden jüngeren Männer konnten endlich den Raum betreten. Dieser war ungefähr sechs Meter lang und genauso breit, und sein Boden war mit dicken Teppichen bedeckt, auf denen wiederum Kissen lagen. An mehreren Stellen standen niedrige kleine Tische, auf denen sich Reste verschiedener Mahlzeiten sowie dickbäuchige Krüge und Becher aus Ton befanden. Rechts und links gingen weitere Türen ab, aber geradeaus konnte Ssutovar auf eine Reihe halbgeöffneter Falttüren blicken, hinter denen er einen breiten Balkon erkennen konnte. Eine ganze Reihe jüngerer und zwei deutlich ältere Männer sowie zwei Jungen saßen auf den Kissen und blickten ihnen ziemlich entspannt entgegen.

„Willkommen im Domuvirei der Imperatra“, wandte sich der Mann, der ihnen geöffnet hatte, an Ssutovar. „Ich bin Ssupeam, der dritte Imserviri und dies“, er zeigte auf die anderen, „sind weitere von Nydaussus Imservirei, Ssumilei und auch einige ihrer Ssugenei.“

Die anderen, die genauso gekleidet waren wie Ssutovar selbst – auch wenn sie nicht alle einen weißen Wolfskopf als Gürtelschnalle zeigten – lächelten ihn an. Er merkte sofort, dass ihr Lächeln echt war und dies fühlte sich richtig gut an.

„Dies ist Ssutovar“, stellte Ssutiss ihn den anderen vor, „Aississus Cuviri.“

Ssupeam übernahm wieder das Reden. „Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass du dir die Namen von uns allen sofort merken kannst. Dafür wirst du später noch genügend Zeit haben. Aber ich möchte dir die anderen beiden Imservirei vorstellen.“ Ssupeam zeigte auf die beiden älteren Männer, die sich in der Zwischenzeit erhoben hatten. „Dies sind Ssunuapo und Ssusyda.“

„Danke“, antwortete Ssutovar ihm, „wenn du mir jetzt auch noch verrätst, was Imserviri bedeutet, verstehe ich vielleicht auch etwas von dem, was du mir erzählst.“

Ssupeam sah ihn einen Augenblick lang verwirrt an, aber dann schmunzelte er. „Es tut mir leid, aber ich habe bis gerade eben nicht wirklich geglaubt(Komma) Nydaussu werde ihre Erbin mit einem Sarvarer verheiraten.“ Er machte eine kurze Pause. „Ein Imserviri ist der Gemahl der Imperatra.“

Ssutovar sah sich die zwei genauer an. Die beiden waren mit großer Wahrscheinlichkeit nicht jünger als sein eigener Vater, eher im Gegenteil, wobei Ssunuapo eindeutig der ältere von ihnen war. Sein Gesicht war mit Falten übersät und er war völlig ergraut, aber sein Haar war immer noch voll und nicht kürzer als das der jüngeren. Genau wie alle anderen Virei, denen er bisher begegnet war, trug er es zum Zopf geflochten. Aber obwohl er zur Begrüßung lächelte(Komma) entging Ssutovar nicht, dass seine bernsteinfarbenen Augen ihren traurigen Ausdruck nicht ablegten. Ssusyda wirkte einige Jahre jünger als Ssunuapo. Er war auch um einiges kleiner als der hochgewachsene Viri und in seinem dunkelbraunen offengetragenen Haar zeigten sich (erst überflüssig) einige graue Strähnen. Seine Augen waren von einem ungewöhnlich dunklen Braun und in ihnen blitzte der Schalk auf.

Als er seinen Blick über die anderen Männer wandern ließ, bemerkte er zwei – die ältesten der jüngeren Virei – die große Ähnlichkeit mit Ssunuapo besaßen und wahrscheinlich handelte es sich bei ihnen um seine Söhne. Ssupeams rotes Haar konnte er dagegen nur bei Ssutiss entdecken, deshalb vermutete Ssutovar, dass die anderen Ssusydas Söhne waren. Außer den beiden Jungen, die genug Ähnlichkeit mit Ssunuapo hatten, um seine Enkel, seine Ssugenei, sein zu können.

Tovarjal – er ermahnte sich sofort selbst, nicht mehr als Princepo von sich zu denken – zählte vierzehn Personen in diesem Raum. Sie waren alle männlich, aber dies verwunderte ihn nicht, schließlich befand er sich im Domuvirei, im Männerquartier. Die Anwesenden waren nicht nur alle Ssutiss Verwandte, sondern auch seine neue Familie. Vor dem Krieg hatte er vier Brüder gehabt, mit denen er sich fast immer gut verstanden hatte. Aus diesem Grund ging er davon aus(Komma) mit seinen neuen Brüdern auch keine Probleme zu bekommen.

In diesem Moment war er allerdings um die richtigen Worte verlegen. „Ich danke euch für euer freundliches Willkommen. Die Begrüßung im Thronsaal lief eher frostig ab.“ Dies war nicht, was er eigentlich hatte sagen wollen.

„Frostig?“ (Komma) hakte Ssupeam nach. „Aber ich sehe doch, dass Aississu die Zeremonie ordnungsgemäß zu Ende geführt hat. Also hat sie dich als ihren Cuviri angenommen.“

„Die Imperatra hat ihn nicht unfreundlich aufgenommen, aber die Angelegenheit schien nicht wirklich wichtig für sie zu sein. Aber Aississu …“ Ssutiss leise gesprochenen Worte verloren sich in einem Murmeln, aber dann riss er sich zusammen und sprach lauter weiter. „Der Zorn in ihren Augen und die Art, wie sie mit Ssutovar umging(Komma) hat mir Angst gemacht, Brüder. Nicht um mich, sondern um ihn.“

Ssupeam sah seinen Sohn einen Augenblick lang sehr nachdenklich an, dann wanderte sein Blick zu dem ehemaligen Princepo.

„Kommt her(Komma) ihr beiden (Komma) und setzt euch zu uns, damit wir in Ruhe weiterreden können.“

Bevor Ssutiss der Bitte nachkam, wandte er sich aber erstmal den restlichen Männern zu. „Wieso befindet ihr euch eigentlich alle um diese Zeit im Domuvirei?“ Er ließ sich auf einem Kissen nieder und forderte Ssutovar mit einer Handbewegung auf(Komma) sich neben ihn zu setzen.

Auch die drei Imservirei gesellten sich wieder zu den Jüngeren. Während er es sich bequem machte, löste Ssupeam seinen Zopf. „Nydaussu hat uns erlaubt(Komma) den Nachmittag hier zu verbringen. Sie hat es zwar nicht gesagt, aber ich glaube, sie wollte uns Gelegenheit geben(Komma) Ssutovar zu begrüßen.“ Er lächelte. „Und dich natürlich auch, Tiss.“

Ssusyda lehnte sich etwas vor und schlang die Unterarme um seine angezogenen Knie. „Als ich das erste Mal von den Bedingungen des Friedensvertrages erfuhr, habe ich mich sehr gewundert.“

Ssunuapo schnaubte. „Ich konnte es nicht glauben(Komma) als plötzlich von Frieden die Rede war. Die Vassu haben nie zuvor mit einem Feind Frieden geschlossen. Jede Bella würde dir das sagen.“

„Sie haben zuvor aber ihre Gegner am Ende immer besiegt. Dagegen war die Niederlage, die Gajetu erlitten hat, so gravierend wie sonst keine zuvor. Wochenlang musste man darauf achten(Komma) nicht in ihre Nähe zu kommen. Sie hat ihren Gegner verflucht, weil sie genau wusste, dass die Vassu sich keine weitere Niederlage in dieser Größenordnung hätten erlauben können. Deshalb hat die Imperatra den Sarvar den Frieden angeboten.“ Ssupeam machte eine Pause. „Zumindest ist das meine Meinung.“ Er wandte sich an den Sarvarer. „Kannst du uns mehr darüber erzählen(Komma) wieso Frieden geschlossen wurde?“

Ssutovar hatte im ersten Moment nicht mitbekommen, dass er angesprochen worden war, denn die Worte über Gajetus Niederlage hatten ihn aufgeschreckt. Aber als er gewahr wurde, wie still es im Raum geworden war und dann merkte, dass ihn alle ansahen, drangen Ssupeams Worte zu ihm durch.

Er schüttelte den Kopf. „Als ich endlich nach Dysarvar zurückkehrte(Komma) war der Frieden bereits beschlossen und die Bedingungen ausgehandelt. Der Rego hat mir nicht viel mitgeteilt, nur was ich unbedingt wissen musste, weil es mich persönlich betraf. Aber mein Vater schätzte sich glücklich, dass den Sarvar dieser Frieden angeboten worden war. Ich habe nicht gewusst (Komma) wie sehr unser Sieg in dieser Schlacht die Vassu erschüttert hat. Aber ich kann gut nachvollziehen, dass Gajetu nicht erfreut über ihre Niederlage war.“

„Nicht nur die Primaduca war erschüttert, Aississu schäumte vor Wut, nachdem Gajetu ihr Bericht erstattet hatte. Danach hat sie angefangen(Komma) ihre Mutter bei den Bedingungen des Vertrags zu beraten. Ich bin mir sicher, der Vorschlag mit der Vermählung und die Bedingungen, dass du nach unseren Gesetzen geheiratet wirst und in Ssuyial leben musst, stammen von ihr. Es scheint fast so, als hätte sie etwas gegen dich persönlich.“

Ssutovar schnürte es die Kehle zu. Er wusste zwar nicht (Komma) aus welchem Grund Aississu so wütend war, aber die Erinnerung an Gajetus Niederlage hatte ihn auf eine Idee gebracht, wieso die Primaduca ihn so hasste.

„Vielleicht kenne ich den Grund“, flüsterte er. Die anderen Männer blickten ihn nur fragend an. „Ich war Gajetus Gegner in dieser Schlacht. Ich habe sie und ihre Streitkräfte einfach hinweggefegt. Dies war ein Sieg, den ich nicht vergessen werde und für sie muss es demütigend gewesen sein. Es gab da allerdings noch eine andere Sache, an die ich danach nicht mehr gedacht habe, einfach (Komma) weil dies etwas war, das in Kriegszeiten passieren kann. Vor der Schlacht trafen wir auf einen kleinen Trupp Kriegerinnen, die zu wenige waren, um uns etwas entgegenzusetzen. Ich hielt sie für eine Eskorte, denn es befanden sich auch Zivilisten bei ihnen. Ich muss zugeben, dass wir noch nicht einmal gestoppt haben, als wir sie töteten.“

Ssupeam starrte ihn mit weit aufgerissen Augen an. „Du warst der sarvarische Kommandant, der Gajetu besiegt hat? Weiß sie das?“

Ssutovar zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir nicht sagen. Allerdings war das in Kisarvar kein Geheimnis.“

Ssupeam nickte, als hätte er gerade etwas verstanden. Und er wirkte dabei nicht erfreut. „Dann geht es hier um Tashau.“ Er hob den Kopf und sah Ssutovar mit einem traurigen Ausdruck an. „Wir werden dir so gut es uns möglich ist helfen, Ssutovar, aber wenn Aississu weiß, dass du für Tashaus Tod verantwortlich bist, dann fürchte ich(Komma) steht dir tatsächlich eine schwere Zeit bevor. Dieser Viri war vor dem Krieg als ihr Promisi ausgesucht worden und sie hat ihn sehr gemocht. Nachdem sie von seinem Tod erfahren hatte(Komma) trauerte sie ernsthaft und lange um ihn, auf jeden Fall länger als andere Vassu für schicklich hielten. Nun bin ich mir ganz sicher, dass die Bedingungen des Vertrages, die sich mit dir beschäftigen von ihr stammen.“ Er stockte, denn die nächsten Worte fielen ihm offenbar schwer. „Bruder, ich fürchte(Komma) sie ist auf Rache aus.“

Ssutovar wurde es erneut kalt. Die anderen sahen ihn (alle überflüssig) voller Mitgefühl an, aber ihm war schon klar, dass sie ihm in seiner Situation nicht viel helfen konnten, wenn es ihnen überhaupt möglich war. Sie waren zwar Mitglieder der Familie der Imperatra, aber nur Virei, Männer, mit nicht mehr Rechten als der Ärmste auf den Straßen dieser Stadt. Sie waren Diener und Sklaven der Vassu, der Frauen, die die Geschicke des Landes und das ihrer Väter, Ehemänner und Söhne lenkten. Und auch er war nun ein Serviri, seiner Custa, seiner Hüterin, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und gerade hatte er erfahren, dass sie einen triftigen Grund hatte ihn zu hassen. Ihn schauderte und er fragte sich, wie hoch seine Lebenserwartung wohl noch war. Und dann kam ihm der erschreckende Gedanke, dass Aississu ihn vielleicht überhaupt nicht töten wollte, weil dies ein viel zu leichter Ausweg für ihn wäre. Plötzlich schossen ihm die Tränen in die Augen.

Die Männer der Sarvar weinten nicht und daran hatte er sich sein Leben lang immer gehalten. Aber seitdem er geheiratet worden war, konnte er seine Tränen einfach nicht mehr zurückhalten. Erst jetzt verstand er allerdings(Komma) aus welchem Grund. Erst jetzt begriff er, dass es seine hilflose Lage war, die ihn in Tränen ausbrechen ließ. Und die Ausweglosigkeit seiner Situation.

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Seit der Geburt seiner Tochter vor siebenundzwanzig Jahren war Ssupeam der Parservirei und nahm damit eine Position ein, die er sich als junger Mann ganz bestimmt nicht erträumt hatte. Zwar war sein Leben dadurch nicht besser geworden, aber es war auf jeden Fall anders verlaufen, als er sich das als Junge hatte vorstellen können. Und seit er der Erste in diesem Domuvirei war, hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht(Komma) die Eingangstür persönlich zu öffnen (Komma) sobald jemand Eintritt verlangte.

Als es daher am frühen Abend klopfte (Komma) war er sofort zur Stelle. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, fand er sich nicht unerwartet Auge in Auge mit seiner Tochter wieder. Sobald ihm bewusst wurde(Komma) in welch schlechter Stimmung sie sich befand – und dies festzustellen war nicht schwierig für ihn, da er sie sehr gut kannte – verbeugte er sich respektvoll vor ihr und begrüßte sie mit „Domina“, und machte ihr gleichzeitig den Weg frei.

Seit Ssutiss am Nachmittag mit Aississus Cuviri hier aufgetaucht war, hatte er gewusst, dass sie kommen würde. Er war sich ebenfalls im Klaren darüber gewesen(Komma) in welchem Gemütszustand sie sich befinden würde. Allerdings hatte er darauf gehofft ihnen bliebe mehr Zeit, aber auf die Entscheidungen einer Vassu hatte ein Viri keinen Einfluss.

„Ich will meinen Cuviri“, forderte sie und in ihrer Stimme schwang eine Menge Zorn mit.

„Sofort, Domina“, antwortete er ihr. „Ich hole ihn.“

Er bewegte sich mit kurzen schnellen Schritten –nach achtundzwanzig Jahren musste er nicht mehr bewusst darüber nachdenken – auf eine der geschlossenen Türen zu, betrat den dahinterliegenden Raum und schloss die Tür sofort wieder hinter sich. Falls die Hereda ihm folgen wollte(Komma) konnte er das dadurch natürlich nicht verhindern, denn schließlich war sie eine Vassu. Aber auch wenn kein Gesetz die Virei schützte(Komma) gab es Konventionen in Vassucit und eine davon besagte(Komma) Vassu hätten sich nicht in die Angelegenheiten des Domuvirei einzumischen. Bisher hatte Aississu sich auch immer darangehalten und deswegen hegte er durchaus die Hoffnung, sie werde jetzt nicht hinter ihm her stürmen.

Hastig bewegte er sich an die Seite des jungen Mannes, der auf einem der Lager schlief und rüttelte ihn an der Schulter. Der schwarzhaarige Viri schlug (sofort ungeschickte Dopplung) die Augen auf und blickte ihn an.

„Du musst sofort aufstehen. Aississu ist deinetwegen gekommen.“

Einen Augenblick lang glaubte er (Komma) Angst in Ssutovars Augen zu erkennen, aber dann senkte der andere seine Augenlider wieder und bemühte sich(Komma) aufzustehen. Ssupeam half ihm dabei, denn seine Handgelenke waren immer noch mit den Vinculae gefesselt.

„Dann sollte ich sie wohl nicht warten lassen.“ Seiner Stimme war die Anspannung fast nicht anzumerken.

„Ich muss dich warnen! Sie hat fürchterliche Laune. Ich fürchte um dich.“

Ssutovar lächelte ihn an. „Sie wird mich heute Nacht nicht töten, denn dann würde ich nicht lange genug leiden.“

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Ssutovar begab sich zur Tür, öffnete sie und ging voran in den Hauptraum des Männerquartiers. Er war Ssupeam dankbar dafür(Komma) die Gelegenheit bekommen zu haben zumindest einige Stunden zu schlafen und zuvor etwas zu essen. Aber genau wie der ältere Mann glaubte auch er nicht(Komma) eine angenehme Nacht vor sich zu haben. Der Ältere folgte direkt hinter ihm.

Die Hereda stand in der Mitte des Raumes und sah mehr als nur wütend aus. Ssutovar verbeugte sich vor ihr, aber blieb stumm. Er wusste nicht, ob er sich korrekt verhielt, aber Aississu erweckte in ihm nicht das Bedürfnis (Komma) sie anzusprechen. Sie sah ihn auch nicht an, denn ihr Blick ging zu seinem Begleiter hinüber und dann schlug sie zu, mit einer kurzen ansatzlosen Bewegung. Ihre flache Hand traf Ssupeam am Mund und der Schlag war so heftig, dass seine Lippe aufplatzte. Blut tropfte herab.

„Du hast mich warten lassen.“ Sie klang nicht wütend, sondern eher verächtlich, als sie dem rothaarigen Mann ins Gesicht sah. ‚Sie hat ihren eigenen Vater geschlagen‘, schoss es Ssutovar durch den Kopf. ‚Sie behandelt ihn wie einen Sklaven. Ich bin an einem Ort gelandet, an dem Töchter ihre Väter wie Sklaven behandeln.‘ Ihn schauderte erneut.

Und dann wandte sich seine Gemahlin ihm zu und da wurde ihm schlagartig bewusst, dass an diesem Ort nicht nur Töchter ihre Väter wie Sklaven behandelten, sondern auch Ehefrauen ihre Ehemänner.

„Ich verabscheue dich“, schleuderte sie ihm entgegen. „Ich käme niemals auf die Idee (Komma) dich in mein Bett zu holen.“ Sie griff nach seinen Handgelenken und öffnete die Handfesseln. Dabei lachte sie gehässig, was sich in seinen Ohren nicht gut anhörte. „Aber ich kenne eine Vassu, die sich darüber freuen wird, wenn ich dich ihr überlasse.“ Sie wirkte äußerst zufrieden mit sich und ihrer Entscheidung.

Ssutovar glaubte hingegen nicht, dass er über ihre Entscheidung ebenfalls erfreut wäre.

„Ich werde dich Gajetu überlassen“, fuhr sie mit höhnischem Gesichtsausdruck fort. „Du wirst ihr gehorchen! Hast du das verstanden?“

Er hörte jemanden mit tonloser Stimme antworten. „Ja, Custa“ konnte er vernehmen, aber es dauerte einen Moment(Komma) bevor er begriff, dass er das selbst gewesen war, denn im Inneren war er erstarrt. Er hatte Gajetus Vorlieben bereits kennengelernt (Komma) als sie ihn nach Ssuyial brachte. Auf dieser Reise hatte sie ihn noch nicht in ihr Bett holen dürfen, aber sie durfte ihn bestrafen und hatte dies auch mit großer Freude und Genugtuung getan. Manchmal auch dann, wenn er nichts falsch gemacht hatte. Auch Ssutiss hatte unter ihr leiden müssen, aber er selbst war eindeutig ihr Hauptziel gewesen. Und nun würde Aississu ihr freie Hand lassen.

Die Hereda wandte sich um und verließ den Raum. Sie sah sich nicht um, ob ihr Cuviri ihr folgte. Aber Ssutovar hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Auf seiner Reise nach Ssuyial hatte er sich fest vorgenommen(Komma) sich nicht unterkriegen zu lassen. Er hatte den Vassu nicht die Genugtuung eines Zusammenbruchs gewähren wollen. Aber in diesem Moment erkannte er, dass er bereits versagt hatte. Er folgte seiner Ehefrau mit schleppenden Schritten und hängenden Schultern. Er war zwar erst heute im Palast eingetroffen, aber er glaubte jetzt schon nicht mehr daran, er könne seinen Vorsatz noch einhalten.

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Kurz vor Sonnenaufgang schleppte Ssutovar sich zum Domuvirei zurück. Mehrmals verlief er sich in den zahllosen Gängen, weil er sich im Palast noch nicht auskannte, aber einige Virei, die in der Nacht arbeiten mussten – und an seinem Gürtel erkannt hatten, wohin er gehörte – halfen ihm dabei(Komma) seinen Weg zu finden. So schaffte er es dann endlich bis vor die schmucklose Tür, zu der Ssutiss ihn am gestrigen Nachmittag geführt hatte. Allerdings kam es ihm so vor, als ob das bereits vor langer Zeit gewesen wäre.

Er klopfte an, weil er sich nicht mehr erinnern konnte, ob man ihm gesagt hatte(Komma) er dürfe den Domuvirei einfach betreten. Deswegen wartete er nun davor. Trotz der frühen Stunde dauerte es nur einen Moment und die Tür wurde von einem der beiden älteren Söhne geöffnet. Dieser riss sofort die Augen auf, sagte aber nichts, sondern nahm ihn nur schnell bei der Hand und zog ihn in den Raum hinein, während er mit der anderen die Tür hinter ihnen beiden schloss.

‚Seiner Reaktion nach muss ich ja schrecklich aussehen‘, dachte der Sarvarer. Aus unerfindlichen Gründen erheiterte ihn dieser Gedanke, aber statt eines Lachens brachte er nur ein kraftloses Schnauben zustande. Er hörte (Komma) wie die Tür hinter ihm zufiel und stellte dann auf einmal fest, dass er auf dem Boden lag und der andere sich besorgt über ihn beugte.

„Ich bin Ssugemmu, Bruder“, stellte er sich ihm vor. „Bleib ruhig liegen, während ich die anderen hole.“ Das über ihm schwebende Gesicht verschwand.

Aber unmittelbar danach erschien schon ein anderes Gesicht. Dieses besaß zarte Züge und mandelförmige graue Augen, in denen jetzt Tränen standen, und alles wurde von rotem Haar umrahmt. Er spürte auch(Komma) wie jemand ganz behutsam seine Hand ergriff. Ein weiteres Gesicht erschien über ihm und auch das wurde von roten Haaren umrahmt. Eine Hand wischte behutsam die Tränen auf seinem Gesicht weg.

„Diese Frau ist ein Schwein!“ (Komma) flüsterte er. Seine Kehle fühlte sich rau an.

Noch mehr Hände beschäftigten sich mit ihm. Sie zogen ihm Gürtel, Rock und Tunika aus und dann spürte er, wie sie ihn wuschen.

„Er muss etwas essen und trinken. Und er muss schlafen.“ Er erkannte Ssupeams Stimme, die die anderen drängte.

Von Zorn erfüllt wiederholte er diesmal etwas lauter: „Diese Frau ist ein Schwein!“

Auf einmal erinnerte er sich wieder an alles. Ihm wurde übel und er musste sich übergeben. Die anderen unterstützten und hielten ihn.

„Diese Frau ist ein Schwein!“ Dieses Mal schrie er die Worte heraus.

„Schhh …“, versuchte Ssutiss ihn zu beruhigen. Jemand drückte erneut seine Hand.

Ihm fiel ein(Komma) mit welchen Worten sie ihn zum Domuvirei zurückgeschickt hatte. Bis heute Abend, hatte sie gesagt und ihn angelächelt. Zumindest vermutete er, dass es ein Lächeln hatte sein sollen. Er musste sich direkt noch einmal übergeben, obwohl sein Magen schon leer war.

„Sie wollte, dass ich …“, fing er an, „… ich konnte nicht …“, ihm wurde erneut übel. „Sie hat mich an die Decke gehängt.“

Er wollte alles vergessen, aber selbst wenn das möglich gewesen wäre (Komma) würde ihm das nichts nützen. Heute Abend musste er wieder zu ihr.

„Die Wunden sind nur oberflächlich“, hörte er eine Stimme sagen, die er nicht kannte. ‚Aber sie schmerzen‘, dachte er.

„Das glaube ich dir aufs Wort.“ Erst als er Ssupeams Antwort hörte(Komma) wurde ihm bewusst, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte.

Die anderen halfen ihm dabei(Komma) sich hinzusetzen und jemand drückte ihm etwas zu essen in die Hand.

„Du musst etwas zu dir nehmen“, drängte ihn Ssutiss mit leiser Stimme.

„Er hat recht“, bestätigte Ssupeam. „Du musst etwas essen und trinken und ein paar Stunden schlafen. Ich würde dich gerne länger schlafen lassen, aber Aississu hat genaue Anweisungen hinterlassen (Komma) welche Arbeiten du heute erledigen musst und wir dürfen dir nichts davon abnehmen. Aber wir können alles für dich vorbereiten und du kannst dich in dieser Zeit ausruhen.“

Ssutovar merkte (Komma) wie ihm erneut Tränen über das Gesicht liefen, aber diesmal weinte er aus Dankbarkeit. Diese Männer kannten ihn überhaupt nicht und halfen ihm trotzdem.

„Diese Frau ist ein Schwein.“ Diesmal klang es mehr wie eine Verwünschung. „Sie ist unrein.“ Er schüttelte sich voller Ekel und Abscheu.

„Ich habe von anderen Virei im Palast bereits einige Geschichten über Gajetu gehört.“ Ssunuapo blickte ihn an. „Du musst nicht weitersprechen, jeder hier weiß von ihren Vorlieben.“ Er reichte ihm einen Becher. „Trink das. Es wird den schlechten Geschmack aus deinem Mund vertreiben.“ Der ältere Mann seufzte. „Gegen deine Erinnerungen kann ich dir leider nichts geben.“

Ssutovar schluckte das bittere Gebräu hinunter. Es half tatsächlich(Komma) (dabei überflüssig) Gajetus Geschmack von seiner Zunge zu spülen.

„Ich muss heute Abend wieder zu ihr.“ Seine Stimme klang so leise, dass er nicht wusste, ob die anderen ihn überhaupt gehört hatten.

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Drei Wochen, in denen Ssutovar tagsüber die unangenehmsten, schmutzigsten und anstrengendsten Arbeiten erledigen musste, die Aississu hatte finden können und in denen er nachts gezwungen war (Komma) Gajetu zu Willen zu sein, reichten aus (Komma) ihn in einen Schatten seiner selbst zu verwandeln. Ohne die Hilfe der anderen Servirei wäre er schon längst zusammengebrochen, trotzdem war er sich sicher (Komma) nicht mehr lange durchhalten zu können. Die Tage alleine wären schon anstrengend genug, aber er war sich sicher, sie überstehen zu können. Die Nächte mit der Primaduca jedoch waren einfach nur widerwärtig. Die Frau schien sich nie zu waschen. Sie stank und er hätte sie niemals freiwillig angefasst. Es reichte schon, dass er an sie dachte und ihm wurde übel. Aber er hatte feststellen müssen, dass auch er nur ein gewisses Maß an Schmerzen ertragen konnte und deshalb fügte er sich der Primaduca immer wieder, auch wenn er ihre Wünsche abscheulich fand und er sich jedes Mal aufs Neue danach beschmutzt fühlte. Aber sie wusste genau, wie sie anderen Menschen Schmerzen zufügen konnte und er hatte ihr nichts entgegenzusetzen.

Jeden Morgen schleppte er sich in der Stunde vor Sonnenaufgang in den Domuvirei zurück, wo die anderen Männer ihn bereits erwarteten. Dann sorgten sie dafür, dass er aß und trank und ermöglichten es ihm (Komma) wenigstens ein paar Stunden zu schlafen, bevor er mit seiner Tagesarbeit beginnen musste. Abends schleppte er sich wieder in den Domuvirei zurück, um erneut ein paar Stunden zu schlafen, trotzdem war das bei Weitem nicht genug. Er hatte nie genug Zeit, um ausreichend Schlaf zu bekommen. Statt sich erholen zu können, musste er sich auf den Weg zu Gajetu machen. Er hatte einfach keine andere Wahl. Er hatte ebenfalls feststellen müssen, dass die Nächte, in denen sich auch Aississu bei der Primaduca aufhielt (Komma) die schlimmsten von allen waren.

Nach drei Wochen wusste er, dass er sich geirrt hatte. Er musste vor sich selbst zugeben, dass seine Vermutung(Komma) Aississu wolle ihn länger am Leben erhalten(Komma) falsch gewesen war. Stattdessen ging er nun davon aus (Komma) sie hasse ihn derart stark, dass sie ihn tot sehen wollte. Inzwischen erschreckte ihn dieser Gedanke aber nicht mehr, er hoffte im Gegenteil darauf (Komma) bald erlöst zu werden. Ihm war klar (Komma) nicht mehr lange durchhalten zu können. Wenn er nicht befürchtete die Hereda könnte ihre Wut an Ssutiss auslassen, hätte er seinem Leben schon längst ein Ende gesetzt.

Und dann änderte sich alles von einem Tag auf den anderen. Aississu und Gajetu verließen auf Befehl der Imperatra mit einer großen Gruppe Bellae den Palast und die Hereda übergab vor ihrer Abreise ihn und Ssutiss der Aufsicht ihrer Mutter. Dann verschwand sie aus seinem Leben, als hätte es sie nie gegeben. Er hatte keine Ahnung (Komma) wie lange sie weg sein würde, aber er fühlte sich, als hätte er drei Wochen mit einer Schlinge um den Hals auf der Falltür gestanden und dann hätte man ihn auf einmal weggeschickt, weil er selbst für diese Aufgabe nicht zu gebrauchen war. Er hatte geglaubt (Komma) sich erleichtert fühlen zu müssen, aber stattdessen fühlte er überhaupt nichts. Fast kam es ihm so vor(Komma) als wäre er tatsächlich gestorben.

Erst nach und nach schaffte er es (Komma) ins normale Leben zurückzukehren. Seine Nächte konnte er nun gemeinsam mit den anderen Servirei im Domuvirei verbringen. Jetzt erst bekam er die Gelegenheit (Komma) diese Männer wirklich kennenzulernen. Erst jetzt fiel ihm auch auf, dass alle bis auf die jüngsten – darunter Ssutiss – die grünen Armbänder trugen, die sie als Cuvirei auswiesen, was bedeutete, dass sie unter der Aufsicht ihrer Ehefrauen standen. Jetzt musste er aber ebenfalls feststellen, dass sie tatsächlich keinerlei Rechte besaßen. Trotzdem waren sie aber nicht völlig schutzlos. Genau wie die meisten sarvarischen Männer ihre Frauen, Mütter und Töchter behüteten, weil man ihnen dies als Kinder beigebracht hatte, behandelten auch viele Vassu die Virei nicht vorsätzlich schlecht. Sie betrachteten sie zwar nicht als ihnen gleichgestellt und noch nicht einmal als gleichwertig, aber sie wollten sie auch nicht vernichten. Daher behandelten sie sie mit einer Mischung aus Güte und Strenge, weil sie eben der Meinung waren (Komma) es gäbe keine andere Möglichkeit. Es gab unter ihnen aber auch Ausnahmen. Für einige der Frauen waren Männer tatsächlich nicht mehr als Tiere. Ssutovar konnte aber sich selbst gegenüber nicht leugnen, dass es auch in Kisarvar Männer gab, die ihre Frauen schlecht behandelten.

Keiner der anderen Servirei wunderte sich darüber, dass er mehr als drei Wochen benötigte, um sich auch nur halbwegs von dem zu erholen, was Aississu und Gajetu ihm angetan hatten. Natürlich hatte sich nichts an seiner allgemeinen Situation geändert, denn er war immer noch der Cuviri der Hereda und gehörte immer noch zu den Servirei. Sein Heim war jetzt der Domuvirei der Imperatra und sein Name war jetzt Ssutovar. Princepo Tovarjal von den Sarvar gab es hier nicht. Er war in dem Wissen aufgewachsen(Komma) nur Männer könnten selbst über ihr Leben bestimmen und Frauen seien zu schwach dafür und hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie ein solches Leben aus Sicht der Frauen aussah. Jetzt könnte er die nie gestellte Frage beantworten (Komma) denn er lebte nun unter Menschen, die ihrerseits in dem Wissen aufgewachsen waren nur Frauen könnten ihr Leben selbst bestimmen und Männer seien nichts wert. Er würde alles dafür geben diesem Leben entfliehen zu können. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die anderen Servirei ihm inzwischen ans Herz gewachsen waren. Und auch nicht, dass er sich längst an den Rock, die langen Haare und sogar die Schminke gewöhnt hatte.

Aber selbstverständlich beschwerte er sich nicht darüber, dass es ihm nach und nach wieder besser ging. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dies könnte ihn in Schwierigkeiten bringen. Er hatte allerdings eine Sache dabei nicht bedacht. Mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit war nämlich auch seine Wut wiedererwacht. Und er musste zu seiner Überraschung feststellen, dass es ihm schwer fiel (Komma) seinen Zorn erneut unter Kontrolle zu bekommen. Dies hatte er schon früher als unangenehm empfunden, aber jetzt wurde es tatsächlich noch schlimmer für ihn. Einige Male hatte er einen Gefühlsausbruch nur ganz knapp unterdrücken können. Ihm fiel aber auch auf, dass sein Zorn im Gegensatz zu früher nicht etwa in Situationen aufflammte, in denen er sich schlecht behandelt fühlte. Nun war immer einer der anderen Servirei der Grund dafür und in den meisten Fällen handelte es sich dabei um Ssutiss. Der junge Mann war ihm inzwischen genau so nahe wie Utoan es einst gewesen war. Manchmal schmerzte es ihn(Komma) wie stark der Jüngere ihn an seinen kleinen Bruder erinnerte, der noch nicht einmal Gelegenheit gehabt hatte(Komma) zum Mann zu werden, bevor er im Krieg umkam. Ssutiss war zwar etwas älter als Utoan, aber in mancher Hinsicht erschien er um einiges jünger. Da er noch nicht verheiratet worden war(Komma) hatte auch er noch nie bei einer Frau gelegen. Aus diesem Grund erweckte Ssutiss in ihm wohl das Bedürfnis(Komma) ihn zu beschützen. Damit brachte er ihn aber gleichzeitig in arge Bedrängnis.

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Zu den Aufgaben der Servirei gehörte unter anderem auch (Komma) die Imperatra zu bedienen, wenn sie Gäste hatte. In den meisten Fällen gestaltete sich diese Arbeit für die Virei reichlich langweilig und sie konnten sie ohne irgendwelche Vorkommnisse hinter sich bringen. Aber nicht immer lief das ohne Probleme ab und dies wurde Ssutovar eines Tages zum Verhängnis. Er war mit Ssutiss und einigen weiteren Virei in einen Nebenraum des Thronsaals beordert worden, um dort die Herrscherin zu bedienen. Der Anlass dafür war ein Treffen mit einigen Stadtoberen, um über Angelegenheiten der Hauptstadt zu sprechen. Aber offenbar fanden sogar die eingeladenen Vassu dies derart langweilig, dass sie sich lieber ausgiebig mit ihren Weinbechern beschäftigten. Und je mehr Wein sie zu sich nahmen – und sie ließen ihre Becher in immer kürzeren Abständen wieder auffüllen – desto interessanter wurden offensichtlich die Virei für sie. Ssutiss und der Gemahl seiner Schwester waren die einzigen Servirei unter denjenigen, die hier bedienten, aber sie wurden nicht anders behandelt als die übrigen. Es dauerte nicht lange(Komma) bis dem ehemaligen Princepo auffiel, dass es dem jungen rothaarigen Mann absolut nicht gefiel(Komma) von den betrunkenen Vassu angefasst zu werden und das auch noch vor den Augen seiner Mutter. Diese schien sich allerdings am Verhalten ihrer Gäste nicht zu stören.

Ssutiss wagte es nicht(Komma) sich gegen die Hände der meist älteren Frauen zu wehren, aber nicht nur Tovarjal konnte ohne Probleme erkennen(Komma) wie unwohl er sich fühlte. Immer wieder warf er der Imperatra verzweifelte Blicke zu, aber diese war ganz offensichtlich nicht im Geringsten daran interessiert, wie es ihm ging. Sie kümmerte sich um ihn genau so wenig wie um die anderen Virei, die sich alle anfassen lassen mussten, aber keiner von denen war ihr Sohn. Ssutovar konnte nicht behaupten(Komma) ihm sage die Situation zu, aber nach Gajetus Zuwendungen kamen ihm die Betrunkenen geradezu zärtlich vor. Er hatte auch keine Mühe(Komma) ihren Händen auszuweichen, genauso wenig wie die anderen Virei. Allein Ssutiss stand auf verlorenem Posten. Er war zu jung und ihm fehlte es eindeutig an der Erfahrung, um mit dieser Situation richtig umgehen zu können.

Es störte Ssutovar wenig, wie sich die Vassu ihm gegenüber benahmen, aber die Art(Komma) wie der Jüngere behandelt wurde(Komma) machte ihn immer wütender. Irgendwann war ein Punkt erreicht, an dem er nicht mehr in der Lage war(Komma) seinen Zorn zu unterdrücken und Ssutiss wurde zum unfreiwilligen Auslöser für seinen Gefühlsausbruch. Dieser Zorn richtete sich allerdings nicht gegen die betrunkenen Vassu, sondern gegen die Imperatra, denn er konnte absolut nicht verstehen(Komma) wieso eine Mutter ihren Sohn nicht beschützte.

Später konnte der vormalige Sarvarer sich nicht mehr daran erinnern, was er Nydaussu alles an den Kopf geworfen hatte und Ssutiss weigerte sich(Komma) mit ihm über den Vorfall zu sprechen. Ihm blieb nur die Stille im Gedächtnis, die sich über den Raum legte, nachdem er mit seiner lautstarken Tirade zum Ende gekommen war.

Natürlich konnte die Imperatra, die in Abwesenheit ihrer Tochter die Aufsicht über ihn hatte, seinen Ausbruch nicht ungestraft lassen. Sobald er ihr kalkweißes Gesicht sah(Komma) wurde ihm bewusst, dass er in großen Schwierigkeiten steckte. Und ehe er sich versah, fand er sich in Ketten gelegt in einer winzigen dunklen Zelle wieder.

Er hatte keine Ahnung(Komma) wie viele Stunden er dort drin verbringen musste, ohne Wasser oder Nahrung. Niemand kam, um nach ihm zu sehen. Wegen der Ketten und weil der Raum, in den man ihn eingesperrt hatte(Komma) winzig war, konnte er darin nur kauern. Er war nicht in der Lage(Komma) aufzustehen oder seine Gliedmaßen zu strecken und als man ihn dann endlich holen kam, konnte er sich zuerst weder aufrichten noch ohne Probleme fortbewegen.

Er hatte natürlich mit einer Strafe gerechnet, aber dabei an Prügel gedacht, schließlich hatte Gajetu ihn auf der Reise nach Ssuyial öfter auf diese Art gezüchtigt. Allerdings hatte er nicht gewusst, was er tatsächlich getan und wie sehr er die Imperatra verärgert hatte. Er hatte auch nicht bedacht, wie sehr sich die Imperatra durch sein Verhalten beschämt fühlen musste. Und er hatte nicht nachvollziehen können(Komma) wie sehr sie glaubte(Komma) in den Augen der bei dem Vorfall anwesenden Vassu an Gesicht verloren zu haben. Erst im Nachhinein konnte er verstehen(Komma) wieso seine Strafe derart drastisch ausfiel.

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Schließlich fällte die Imperatra im zum Gerichtssaal umfunktionierten Thronraum das Urteil über ihn. Natürlich war es für sie nicht notwendig(Komma) ihn zu befragen, um herauszufinden(Komma) welche Strafe gerecht wäre, denn er war ja nur ein Viri. Außerdem war sie ja bei dem Vorfall selbst anwesend oder besser gesagt(Komma) bei ihr handelte es sich um das Opfer seiner Attacke. Das hinderte sie aber nicht daran(Komma) auch seine Richterin zu sein. Direkt nach der Urteilsverkündung wurden ihm zwar die Ketten abgenommen, aber nur (Komma) damit er sich vor den Augen aller ausziehen konnte. Dass ihm alle anwesenden Vassu dabei zusahen(Komma) wie er seine Kleidung ablegte(Komma) war ihm unangenehmer(Komma) als in Ketten gelegt worden zu sein.

Man ließ sich offensichtlich Zeit damit(Komma) ihm andere Kleidung zu bringen, aber nach einer für ihn unerträglichen Wartezeit konnte er sich dann doch wieder etwas anziehen. Der Rock ging ihm (aber übrflüssige Dopplung) gerade mal bis übers Knie und die Tunika reichte noch nicht einmal bis zum Rockbund. Beide Kleidungsstücke waren alt, schmutzig und zerrissen, als ob sie vor ihm bereits unzählige Verurteilte getragen hatten. Für diese Kleidung benötigte er auch keinen Gürtel. Das einzige(Komma) was man ihm nicht wegnahm(Komma) waren die Vinculae. Diese Fesseln schmückten auch weiterhin seine Handgelenke, aber sie blieben dort nicht lange allein. Ein weiteres Paar Armbänder, dieses allerdings aus profanem Eisen, leistete ihnen bald Gesellschaft und kettete seine Handgelenke zusammen. Seine Fußgelenke erhielten ebenfalls ihren eigenen Schmuck und die Kette, mit der sie verbunden wurden(Komma) erlaubte ihm nur kurze Schritte. Derart ausgestattet führte man ihn ab und er fand sich erneut in einer winzigen dunklen Zelle wieder.

Aber das war es nicht, was ihn an seiner Behandlung durch die Vassu tatsächlich störte. Er hatte begriffen, dass er zu Arbeitsdienst verurteilt worden war und dazu an einem(n) anderen Ort gebracht werden sollte und das akzeptiert (mir unverständlich. Was akzeptiert?). An seiner Situation konnte er sowieso nichts ändern und deshalb ärgerte er sich auch nicht darüber. Zu seiner eigenen Verwunderung fand er aber etwas anderes viel schlimmer. Seit seinem Zornesausbruch im Thronsaal hatte er niemanden mehr aus dem Domuvirei zu Gesicht bekommen, geschweige denn gesprochen. Obwohl er es vorher nicht für möglich gehalten hatte, stellte er nun fest, dass er die anderen Männer schmerzlich vermisste. Er begann darüber nachzugrübeln, ob man sie überhaupt informiert hatte. Ob sie überhaupt erfahren hatten(Komma) was mit ihm geschehen war. Ssutiss war zwar anwesend (gewesen überflüssig)(Komma)als er die Beherrschung verlor, aber danach musste es für die anderen so gewesen sein(Komma) als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Er war sich nicht sicher, ob ihnen jemand gesagt hatte(Komma) zu welcher Strafe er verurteilt worden war.

Er kauerte in seiner Zelle und zerbrach sich den Kopf über diese Fragen. Gleichzeitig versuchte er nachzuhalten wie lange er bereits eingesperrt war. Ab und zu wurde die Klappe in der kleinen Tür geöffnet und eine Bella reichte Wasser herein. Und einmal in der ganzen Zeit gab es auch eine Mahlzeit für ihn. Natürlich reichte das nicht aus, um das Hungergefühl zu vertreiben, das sich in ihm ausbreitete. Er war sich aber sicher(Komma) man werde ihn nicht in dieser Zelle verhungern lassen, denn ein Toter konnte schließlich keinen Arbeitsdienst leisten. Deshalb gab er sich der Hoffnung hin(Komma) eine weitere Mahlzeit zu erhalten, sobald sich die Klappe das nächste Mal öffnete. Selbst in einer Situation wie dieser, in der er zurzeit steckte, durfte er sich zumindest einen Traum erlauben.

Er konnte nicht wissen, dass er sich in dieser Hinsicht im Irrtum befand. Die Klappe würde sich nicht ein weiteres Mal für ihn öffnen. Stattdessen wurde die Tür geöffnet und eine Bella gab ihm zu verstehen, er habe die Zelle unverzüglich zu verlassen. Er war sich sicher(Komma) sie habe kein Problem damit(Komma) ihn einfach herauszuzerren, deshalb kroch er aus eigener Kraft – wenn auch unter großer Mühe – ins Freie. Erneut hatte er nach dem Aufenthalt in einem derart winzigen Raum Probleme damit(Komma) aufrecht zu stehen. Sein ganzer Körper schmerzte, aber dies interessierte die Bella natürlich nicht im Geringsten. Sie griff ganz einfach nach seinen Handfesseln und zog ihn hinter sich her, als sie sich in Bewegung setzte. Auf diese Weise führte sie ihn durch etliche schmutzige, nur durch Fackeln erhellte Gänge, vorbei an weiteren kleinen Türen, bis zu vier übereinander, hinter denen sich seiner Meinung nach weitere dieser winzigen Zellen befanden. Wahrscheinlich war dies ein Verlies für Virei. Warum sollten die Vassu auch mehr Platz für die Männer verschwenden.

Schließlich erreichten sie einen öffentlicheren Bereich. Der Korridor, durch den er jetzt geführt wurde, war immer noch schlicht (Komma) aber sauber. Durch einige Fenster, die sich hoch oben in einer der Wände befanden, fiel Tageslicht. Am Ende des Korridors gelangten sie an ein Tor und traten schließlich ins Freie hinaus. Auf einem kleinen ungepflasterten Hof warteten bereits weitere Verurteilte auf sie, alle mit Hand- und Fußfesseln versehen und alle in der gleichen abgerissenen und kurzen Kleidung. Jeder von ihnen hatte seine Haare zu einem Zopf geflochten, wenn dieser auch in einigen Fällen nicht besonders ordentlich aussah. Ihm fiel sofort auf, dass keiner dieser Zöpfe kürzer war als sein eigener, denn seine Haare waren gerade lang genug, um überhaupt zusammengefasst zu werden. Die Gefangenen hatte man mit einer schweren Kette miteinander verbunden und nun wurden auch seine Handfesseln daran befestigt. Offensichtlich war er der Letzte, der dieser Gruppe hinzugefügt wurde und bildete das Ende der Kolonne. Er musterte die anderen und stellte fest, dass sie sich ziemlich stark voneinander unterschieden. Einige der Virei waren jung, andere alt. Es gab große und kleine, dicke und dünne, kräftige und abgemagerte. Den wichtigsten Unterschied konnte er aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennen. Erst später und auch erst, als es ihm nicht mehr half(Komma) entdeckte er, dass die Gefangenen auch noch in Opfer und Tyrannen unterteilt werden mussten. Aber in diesem Moment hatte er noch keine Ahnung davon(Komma) an welchen Ort es ihn verschlagen würde und was ihn dort erwartete.

Schnell wurde klar, dass man tatsächlich nur noch auf seine Ankunft gewartet hatte, denn sobald er angekettet worden war(Komma) setzte sich die ganze Gruppe sofort in Bewegung. Durch ein Tor auf der anderen Seite des Hofs verließen sie den Palast und gelangten auf eine schmale Nebenstraße. Diese wiederum mündete in eine etwas breitere Straße in einem der ärmeren Stadtviertel. Ssutovar stellte anhand des Sonnenstandes fest, dass der Tag gerade erst angebrochen war. Es war kalt hier draußen und er fror erbärmlich.

Je länger sie unterwegs waren(Komma) desto mehr Menschen drängelten sich auf den Straßen. Die meisten Erwachsenen ignorierten die Gefangenen, aber die Kinder – Mädchen, aber auch Jungen - waren längst nicht so zurückhaltend. Sie machten sich einen Spaß daraus(Komma) die Männer, die mit der Kette verbunden waren und deshalb keine Möglichkeit hatten auszuweichen, mit Schmutz, Unrat, verrottetem Obst und Gemüse und in einigen Fällen sogar mit Steinen zu bewerfen. Niemand hinderte sie daran. Als Letzter in der Kolonne wurde Ssutovar nicht nur von der Seite her getroffen, sondern auch von hinten. In kürzester Zeit war er mit den meist übelriechenden Resten der Wurfobjekte übersät und blutete am Rücken, wo ihn ein Stein getroffen hatte. Die Erwachsenen, die sich die Zeit nahmen(Komma) auf die Kolonne zu reagieren, warfen zwar nicht mit Dingen, aber sie griffen zu ziemlich unflätigen und drastischen Beleidigungen. In den meisten Fällen bezogen sich diese auf die Länge oder besser gesagt auf die Kürze der Röcke. Ssutovar musste feststellen, dass ihn das auch nicht kalt ließ.

Schließlich erreichten sie eines der kleineren Tore in der Stadtmauer und ließen die Menschenmassen endlich hinter sich. Ohne Pause setzten sie ihren Weg auf einer staubigen Landstraße fort und entfernten sich immer weiter von der Stadt.

Sie marschierten nicht durch die gleiche Steppenlandschaft, die Ssutovar vor etlichen Monaten auf dem Weg nach Ssuyial durchquert hatte. Stattdessen führte die Straße zwischen niedrigen Hügeln hindurch und in der Ferne konnte er eine Kette von immer höher werdenden Bergen erkennen, die schließlich in ein Gebirge übergingen. Wahrscheinlich befand sich dort das Ziel der Gefangenenkolonne.

Je länger sie der Straße folgten und je näher sie dem Gebirge kamen, umso mehr war er davon überzeugt(Komma) ihr Ziel läge tatsächlich dort. Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie schließlich einen mit einer hohen Mauer und Wachtürmen befestigten Ort. Nachdem sie das Tor durchschritten hatten(Komma) begriff Ssutovar, dass man ihn zu einem Steinbruch oder einer Mine gebracht hatte. Offenbar hatte man sie schon eine Zeitlang beobachtet, denn sie wurden erwartet. Die Gefangenen wurden von der Kette getrennt, von ihren Fesseln befreit und dann in eine Höhle getrieben, die hinter ihnen mit einem stabilen Gitter verschlossen wurde. Diese stellte wohl das Quartier für die Gefangenen dar und die Gruppe, mit der er angekommen war, diente nur als neueste Verstärkung für die Arbeiter, die hier schon länger ihre Strafe ableisteten. Und diese Gefangenen warteten ebenfalls schon auf die Neuen.

Hier im Gebirge lernte Ssutovar einen Ort in Vassucit kennen, an dem die Virei sich nicht als Brüder verstanden. Hier im Arbeiterquartier dieser Mine lernte er einen Bereich kennen, an dem Bestien in Menschengestalt auf ihre Beute warteten. Eine Beute, die aus den Neuankömmlingen bestand, (zu denen auch Ssutovar gehörte überflüssig). Sobald er der Männer ansichtig wurde, die erwartungsvoll in der Mitte der Höhle standen, wurde ihm schlagartig bewusst, dass an diesem Ort nicht die Arbeit das Schlimmste war, was ihn erwartete und auch nicht die Vassu, die hier die Aufsicht führten. Die größte Gefahr, die ihm hier drohte und die er auf keinen Fall unterschätzen durfte, ging von diesen Männern aus, von seinen Mitgefangenen, die sich schon auf ihre neuen Opfer freuten.

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Der vormalige Sarvarer hob einen weiteren der Gesteinsbrocken hoch, die von anderen Gefangenen aus der Felswand herausgeschlagen worden waren. Gemeinsam mit ihm sammelten weitere Verurteilte diese Brocken in Körben, die dann(Komma) sobald sie voll waren(Komma) zu einer Sammelstelle transportiert werden mussten. Allerdings war ihm klar, dass sein Korb noch lange nicht voll genug war und er ihn mit noch mehr Gestein füllen musste, bevor er mit ihm losziehen durfte, obwohl er ebenfalls wusste, dass er jetzt schon schwer genug war, um ihm Rückenschmerzen zu bescheren. Sollte er aber mit einer zu geringen Last an der Sammelstelle ankommen, riskierte er(Komma) von den Wachen geprügelt zu werden. Wenn dies auch ziemlich schmerzhaft war, fürchtete er diese Strafe nicht tatsächlich. Aber sollten die Wachen der Meinung sein, er könne nach der ihm verabreichten Prügel nicht mehr weiterarbeiten, würden sie ihn umgehend in die Schlafhöhle zurückschicken. Und dort warteten immer einige der menschlichen Bestien auf diejenigen Gefangenen, die nicht vorsichtig genug gewesen waren. In den ersten Wochen seines Aufenthaltes hier hatte auch Ssutovar diesen Fehler begangen. Jetzt riskierte er lieber Rückenschmerzen und blieb bei der Knochenarbeit. Er hatte seine Lektion gelernt.

Trotzdem konnte er den anderen nicht völlig aus dem Weg gehen, denn am Abend wurden alle Gefangenen wieder in die Höhle zurückgetrieben. Dann gab es die einzige Mahlzeit des Tages, und wer essen wollte – und wer wollte das nicht - musste sich zuvor mit den Bestien arrangieren. Jeder war gezwungen(Komma) ihren Preis zu zahlen und auch er selbst kam nicht darum herum. Anfänglich hatte er es zwar versucht, denn er hatte sich ihnen nicht beugen wollen. Er hatte das bisschen an Würde, was ihm noch geblieben war, nicht auch noch verlieren wollen. Dennoch war ihm am Ende nichts anderes übriggeblieben als nachzugeben, weil er nämlich feststellen musste, dass es die Wachen nicht im Geringsten interessierte, ob einige Gefangene verhungerten. Und er wollte nicht zu den Toten gehören. Er wollte leben. Und das ging leider nur(Komma) wenn er sich unterordnete, so schwer ihm das auch fiel. Allerdings half es ihm tatsächlich, dass er in den letzten Monaten bereits gelernt hatte, was es hieß(Komma) sich unterzuordnen, wenn es auch einen gravierenden Unterschied zwischen dem Palast und diesem Ort hier gab. Hier standen alle Gefangenen, er selbst eingeschlossen, für sich allein. Hier gab es keine Solidarität zwischen den Virei und keine Unterstützung für Schwächere. Am Ende war ihm tatsächlich nichts anderes übriggeblieben, als sich der Gewalt zu beugen. Die einzige Alternative dazu wäre der Hungertod gewesen. Jeden Tag dachte er allerdings erneut über seine Entscheidung nach, kam aber jedes Mal wieder zu der Erkenntnis, dass er nicht hatte anders handeln können. Er wollte die Mine unter allen Umständen lebend verlassen.

Schließlich nahte das Ende der heutigen Arbeitszeit. Er brachte seinen letzten Korb mit Gesteinsbrocken halbvoll zur Sammelstelle und reihte sich danach in die Schlange vor dem Eingang zur Höhle ein. Bei seiner Ankunft hier im Steinbruch hatten die Bellae ihm seine (hatten ihm die Bellae die Fesseln) Fesseln abgenommen und darüber war er natürlich sehr erleichtert gewesen. Es dauerte aber nicht lange, bis ihm aufging, dass er trotzdem noch Fesseln trug, wenn diese auch nicht zu sehen waren. Aber das Wissen, dass Widerstand ihn das Leben kosten würde, machte ihn zu einem wehrlosen Opfer. Weil er noch nicht bereit war zu sterben, war er auch nicht in der Lage(Komma) sich zu wehren. Ihm blieb nur jeden Abend, während er vor der Höhle darauf wartete(Komma) hineinzukommen, zu versuchen(Komma) sich für das zu wappnen, was ihn dort erwartete. Bisher war er allerdings jedes Mal dabei gescheitert. Dazu kam noch, dass er ziemlich schnell verstanden hatte(Komma) ihn würde in erster Linie nicht die ihm persönlich entgegengebrachte Gewalt und Erniedrigung zerstören, sondern seine Unfähigkeit( . . . dass es ihm unmöglich war,) den Schwächeren zu helfen. Und dann war da noch eine unerwartete Versuchung, die an ihm zehrte, denn man hatte ihm überraschenderweise angeboten(Komma) auf die andere Seite wechseln zu können. Bislang hatten es ihm seine moralischen Grundsätze noch ermöglicht(Komma) auf der Seite der Opfer zu bleiben, aber er wusste nicht(Komma) wie lange er sich diesem Druck noch widersetzen konnte.

Sofort nachdem er den Eingang zur Höhle durchschritten hatte, wurde ihm schon bewusst, dass das Essen für diesen Tag bereits gebracht worden war. Ein verführerischer Duft hatte bereits den Weg in seine Nase gefunden und brachte ihm schnell zu Bewusstsein(Komma) wie hungrig er war. Wenn er hier überleben wollte(Komma) musste er auch essen. Aber wenn er essen wollte(Komma) musste er zuerst ein Hindernis in Form der Gefangenen überwinden, die sich zu Herren über die anderen aufgeschwungen hatten. Bevor er sich der Nahrung nähern konnte(Komma) musste er diesen Ungeheuern ihren Preis zahlen. In seinem speziellen Fall bedeutete das(Komma) sich mit einer bestimmten Person auseinanderzusetzen. Das Wissen, dass er nicht darum herum kam(Komma) nach dem Arbeitsdienst im Steinbruch hier in der Höhle eine andere Art von Dienst abzuleisten, belastete ihn. Aber wenn er(Komma) was von ihm gefordert wurde(Komma) nicht zur vollsten Zufriedenheit seines persönlichen Peinigers ausführte, würde er hungrig schlafen gehen. Wenn er überhaupt zum Schlafen kommen würde, denn in dieser Hinsicht konnte er sich auch nicht sicher sein. Aber sich besagter Person zu verweigern(Komma) war keine Option, denn diese konnte ihren Willen auch ohne seine Einwilligung durchsetzen, nur gäbe es in dem Fall kein Essen für ihn.

Er hatte nie zuvor einen Grund gehabt(Komma) darüber nachzudenken, wie sich die Regeln für ein Zusammenleben in einer solchen reinen Männergruppe wie dieser hier verändern könnten. Er wäre noch nicht einmal auf die Idee gekommen, dass sich unter diesen Umständen die Regeln verändern würden. Allerdings hatte er es auch nie zuvor mit Männern zu tun gehabt, die wegen der Schwere ihrer Verbrechen dieses Arbeitslager wahrscheinlich nie mehr verlassen würden. Deshalb hatte er nicht wissen können, dass sich in so einer Umgebung Regeln entwickeln würden, die sich von jenen im normalen Alltag grundlegend unterschieden. Die Männer hatten ihre Schreckensherrschaft in der Höhle auch deshalb errichten können, weil sich die Wachen nicht im Geringsten dafür interessierten, was sich zwischen den Gefangenen abspielte, zumindest solange die Arbeit im Steinbruch nicht darunter litt. Auf diese Weise war es den Tyrannen gelungen(Komma) den völligen Mangel an Frauen auszugleichen und dies stellte sich als die Hauptmotivation für ihre Taten heraus. Sie verachteten aber auch nicht die Möglichkeit(Komma) Macht über andere auszuüben.

An diesem Abend war Ssutovar einer der Letzten, der die Höhle betrat und wie an anderen Tagen auch hoffte er(Komma) Cytys habe sich in der Zwischenzeit ein anderes Opfer gesucht, denn er war nicht für seine Geduld bekannt. Aber auch dieses Mal musste er zu seinem Leidwesen feststellen, dass der riesige, überaus hässliche und äußerst brutale Viri – der den Informationen nach, die Ssutovar aufgeschnappt hatte, wegen mehrerer auf abscheuliche Art ausgeführter Morde verurteilt worden war – auf sein ausgewähltes Opfer gewartet hatte.

„Tov!“ (Komma) hörte er ihn von der Rückseite der Höhle rufen und er klang ehrlich erfreut. „Wie schön, dass du es auch geschafft hast.“ Der Spruch hätte sich tatsächlich originell anhören können, wenn er ihn nicht jeden Abend in unveränderter Form benutzt hätte.

Tov war der Name(Komma) unter dem er bei seinen Mitgefangenen bekannt war und auch die Wachen hatten ihn zu seinem Glück übernommen. Ihm war es nicht ratsam erschienen(Komma) sich als Ssutovar vorzustellen und damit allen mitzuteilen, er wäre ein Teil der imperialen Familie. Er war sich sicher(Komma) ihm wäre es dann noch schlechter ergangen als jetzt. Wahrscheinlich hätte er die erste Nacht nicht überlebt.

„Komm zu mir, Tov!“ (Komma) hörte er Cytys wieder rufen, obwohl der andere sehen konnte, dass er sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Er wusste, er konnte seinem Peiniger nicht entgehen. Fast das einzig Positive, was er über den Riesen sagen konnte(Komma) war, dass er seine Privatsphäre liebte. Ansonsten konnte er Gajetu ohne Probleme das Wasser reichen. In jeglicher Hinsicht.

Cytys hatte sich bereits in seine Lieblingsnische zurückgezogen und Tov beeilte sich zu ihm zu gelangen. Der Mann hatte bereits warten müssen und dies hatte seine Laune nicht gerade verbessert.

„Du hast dir Zeit gelassen“, warf er ihm auch schon vor, kaum dass Tov ihn erreicht hatte.

Es würde nichts bringen(Komma) ihm zu widersprechen, zumal es auch der Wahrheit entsprach. Es würde Tov allerdings nicht guttun, dem anderen dies mitzuteilen. „Ja, Dominus“, antwortete er ihm deshalb nur und ließ sich vor ihm auf die Knie nieder. Sein Peiniger liebte es(Komma) auf diese Weise angeredet zu werden.

Cytys schob den Rock hoch und Tov starrte direkt auf seinen Schwanz. Wie alles an dem Mann war auch dieser Teil von ihm riesig und die Vorfreude auf seinen ausgewählten Bettpartner – auf seinen Mann Tov, wie Cytys ihn gerne nannte – hatte ihn bereits erregt und sein Glied hatte tatsächlich schon begonnen (Komma) sich aufzurichten. Nun erwartete Cytys(Komma) von Tov befriedigt zu werden und dies nicht nur einmal. Zu Beginn ihres abendlichen Zusammenseins liebte er es Tovs Lippen und Zunge an seinem Glied zu spüren. Aber wenn alles zu Cytys Zufriedenheit erledigt wurde, dann würde nicht nur sein Samen Tovs Mund füllen, sondern er würde auch etwas zu essen bekommen, bevor der Riese sich weiter mit ihm beschäftigte. Auf viel Schlaf konnte er in einer solchen Nacht allerdings nicht hoffen. Cytys war unermüdlich und unersättlich und hatte den ganzen nächsten Tag Zeit, seinen Schlaf nachzuholen, da er die Höhle nie verließ. Diese Möglichkeit stand Tov nicht offen. Aber sein Peiniger war nicht so dumm wie er aussah und hatte durchaus verstanden, dass Tov ein um die andere Nacht Schlaf benötigte.

Auch an diesem Abend hatte Tov Erfolg dabei(Komma) seinen Dominus zufriedenzustellen und als Belohnung erhielt er eine ausreichende Menge an Essen. Zwischen den einzelnen Liebesdiensten, die Cytys ihm abverlangte, wurde er immer wieder mit kleineren und größeren Happen gefüttert und durfte selbstverständlich auch trinken, aber dann wurde er erneut gefordert. Der Riese verfügte über ein schier unerschöpfliches Standvermögen und hatte nicht nur eine Vorliebe für Tovs Mund, sondern auch für seinen Hintern entwickelt. Aus diesem Grund hatte der ehemalige Sarvarer in diesen Nächten immer das Gefühl (Komma) entweder vom Schwanz des Riesen erstickt oder von ihm zerrissen zu werden, aber er hatte in dieser Hinsicht keine Wahl. Zwischendurch wurde er immer wieder gefüttert, allerdings schmeckte das gesamte Essen nach Cytys. Trotzdem verzichtete er nicht darauf, denn er benötigte die Kraft, die es ihm gab. Irgendwann hatte der Riese dann tatsächlich genug. Er legte sich hin, umarmte Tov und schlief auf der Stelle ein. Sein Opfer durfte dann auch endlich schlafen.

Am nächsten Morgen säuberte Tov sich erst einmal gründlich, bevor er wieder zu der Schufterei im Steinbruch zurückkehren musste. Eine der Privilegien, die er als Cytys Mann genoss, war die Möglichkeit(Komma) sich morgens zu waschen. Hätte er die Wahl gehabt(Komma) wäre er lieber schmutzig geblieben, aber er hatte keinen Einfluss auf Cytys Zuneigung. Der Riese verlangte, dass Tov gewaschen, geschminkt und mit einem ordentlichen Zopf die Höhle verließ, damit jeder direkt erkennen konnte, dass er Cytys gehörte.

Schließlich war es wieder einmal an der Zeit(Komma) die Höhle zu verlassen und Tov reihte sich zwischen den anderen Gefangenen ein, um von den Bellae zum Steinbruch gebracht zu werden. Aber kaum war er ins Freie getreten(Komma) wurde er von einer Wache aus der Reihe gezogen.

„Tov?“ Er nickte. „Komm mit!“

Er trottete hinter der Vassu her, bis sie sich außerhalb der Sicht der anderen Gefangenen befanden.

„Deine Zeit hier ist um“, eröffnete sie ihm übergangslos und fuhr dann fort: „Heute geht es für dich zurück in die Stadt. Dort angekommen(Komma) wirst du wieder deiner Custa übergeben.“

Wahrscheinlich starrte er sie gerade verständnislos an, weil ihre Worte in diesem Moment überhaupt keinen Sinn für ihn ergaben.

Sie betrachtete ihn mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck. Er war wohl nicht der erste Gefangene, dem sie diese Nachricht überbringen musste und der sie daraufhin wie ein Idiot ansah . . . der beim Hören dieser Nachricht einen idiotischen Gesichtsausdruck annahm). „Du hast deine Strafe verbüßt.“

Niemand hatte Tov mitgeteilt (Komma) wie lange er hierbleiben musste. Er hatte auch nur ziemlich grob die Zeit nachhalten können, die er hier verbrachte, deshalb war er nicht darauf vorbereitet gewesen(Komma) heute(jemals) hier herauszukommen. Als ihm aber dann endlich aufging, was sie gesagt hatte, konnte er sich nur knapp zurückhalten(Komma) einen Freudensprung zu machen. Nur weil die Bella den Eindruck erweckte, als würde sie so etwas auf keinen Fall dulden, gelang es ihm ruhig stehenzubleiben.

Trotzdem hätte er sie beinahe umarmt, um ihr dafür zu danken, dass sie ihm die Möglichkeit gab(Komma) wieder nach Hause zu kommen.

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Allerdings ging er davon aus(Komma) sich bei seiner Ankunft im Palast nicht tatsächlich so zu fühlen, als ob er nach Hause gekommen sei, denn dies war für ihn immer noch Dysarvar. Der riesige Komplex in Ssuyial war kein Ersatz für ein Zusammenleben mit seinem Vater und seinem Bruder, wenn ihm auch bewusst war, dass er nicht völlig falsch lag, wenn er von diesem Ort hier als Zuhause sprach. Er durfte ihn eben nur einzig auf das Domuvirei und die Männer, die dort lebten, anwenden. Schließlich war ihm schon lange bevor er im Steinbruch gelandet war (Komma) aufgegangen, dass die anderen Virei ihm ans Herz gewachsen waren.

Aber zu seiner großen Verwunderung fühlte es sich in dem Moment, als er Ssuyial wiedersah, für ihn tatsächlich so an(Komma) als wäre er nach Hause gekommen. Nach allem(Komma) was ihm in diesem Palast zugestoßen war, hatte er das nicht für möglich gehalten, zumal er zu dem Zeitpunkt ja auch noch nicht wusste, ob Aississu oder Gajetu schon wieder zurückgekehrt waren. Als er dann feststellte, dass sich die beiden nicht hier befanden, freute er sich tatsächlich darüber(Komma) die Gelegenheit zu erhalten, in sein Leben im Palast zurückzukehren, ohne dass ihm jemand dabei Probleme bescherte. Aus diesem Grund fand er sich schnell in der Situation wieder, die ihm so unerträglich und unzumutbar vorgekommen war, bevor man ihn gezwungen hatte(Komma) den Palast für einige Zeit zu verlassen.

Erst geraume Zeit später fiel ihm auf, dass seit der Zeremonie am See bereits ein ganzes Jahr vergangen war. Ihm war nicht aufgefallen, dass er bereits so lange im Domuvirei und als Viri lebte. Er hatte tatsächlich sein erstes Jahr als Viri hinter sich gebracht. Ihm wurde auch bewusst, dass es hier Menschen gab, denen er etwas bedeutete, genau wie es auch umgekehrt der Fall war. Trotzdem würde er sofort wieder nach Kisarvar zurückkehren, wenn er den Sarvar damit nicht schadete und er hoffte immer noch(Komma) diese Gelegenheit würde sich irgendwann einmal ergeben. Auch in Zukunft würde er diesen Traum nicht aufgeben.

Doch fürs erste war er zufrieden damit(Komma) wieder in Ssuyial sein zu dürfen. Von nun an würde er darauf achten, niemals wieder einer Vassu auf eine Art in die Quere zu kommen(Komma) wie ihm das bei der Imperatra passiert war. Ansonsten blieb ihm nichts anderes übrig als abzuwarten, was die Zukunft für ihn bereithielt.

Formularende

Das Wort „nachhalten“ kannte ich bis dato nicht.

Bin gespannt auf die Fortsetzung.
lg​
 
Danke. Ich hoffe, ich habe die korrigierte Fassung gespeichert, aber ohne Computer ist die Bearbeitung nicht so einfach.
An der Fortsetzung arbeite ich noch.
 



 
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