Der Vorlesende

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Mistralgitter

Mitglied
Der Vorlesende

Bisher kannte ich ihn nicht persönlich. Er huschte von der Seite auf die Bühne und setzte sich ein wenig ungelenk an den Holztisch.

Ich saß in der ersten Reihe. Damit ich besser hören konnte. Heute wollte ich nichts verpassen. In der ersten Reihe hörte ich nicht nur besser, sondern sah auch besser, ja sogar mehr. Besonders zu Beginn des Abends: Wie er etwas schüchtern und zusammengefaltet wegen seiner Länge vor seinem Lesetisch saß, wie dunkel er in seinem schwarzen Rollkragenpullover wirkte und wie kalt ihm wegen seines schwarzen, wollenen Kurzmantels mit Reverskragen sein musste, den er ein wenig hochgeschlagen hatte. Es war wirklich ziemlich kühl hier in diesem ungemütlichen, kaum beleuchteten Gewölbekeller. Die Wände des Raumes hatte man teilweise mit schwarzen Tüchern behängt, an anderen Stellen schauten die düstergrauen Steinquader hervor. Zu wenig Helligkeit und zu viel Schwarz, dachte ich.

Charlotte und ich hatten unsere Daunenjacken über die Knie gelegt und unsere Schals um den Hals geschlungen. Wir konnten uns warm halten.
Geradezu allein gelassen und verloren saß er dort oben auf der Bühne. Ich war in diese Betrachtungen versunken und hörte daher nur mit halbem Ohr zu, als sein Verleger ihn einführte, seinen Schreibstil einordnete - eine Mischung zwischen dem verschiedener anderer bekannter Schriftsteller - den Werdegang würdigte, die gewonnenen Preise, die bisherigen Veröffentlichungen. Für mich nichts Neues, ich hatte mich zuvor schon informiert. Stattdessen betrachtete ich sinnierend seine hell-beige Jeans-Hose und die hellen Turnschuhe mit den roten Schnür-Bändeln und dachte: Ein seltsamer Aufzug für einen Mann wie ihn, für diese Gelegenheit zu sportlich, zu lässig.

Und dann begann er selber zu reden, bemerkte entschuldigend, er hätte sicher die falschen Stellen aus seinem Buch herausgesucht für diese Veranstaltung. Das sei meist so und das merke man erst hinterher. Seine Selbstironie war unüberhörbar. Er fühle sich grippig, fuhr er fort, sein Hals täte weh. Aber er würde das Beste daraus machen, versprach er. Wir lächelten wohlwollend. Er hielt sein Versprechen. Er redete deutlich, jedoch zu eilig, als ob alles, was er zu sagen hätte, unwesentlich sei und keine große Bedeutung hätte, nur wenig Raum bekommen sollte. Dann nahm er sein neuestes Buch zur Hand und begann vorzulesen. In schneller Folge setzte er ein Wort an das andere, einen Satz neben den nächsten, mal betont und mal weniger betont, mit angenehmer Stimme, begleitet von sparsamer Mimik und Gestik. Ich hörte gerne zu. Er wurde allmählich zu dem, den ich erwartet hatte: einem amüsanten, versierten und souveränen Vorleser.

Dennoch war ich immer wieder unkonzentriert, betrachtete in aller Ruhe sein zerfurchtes, hageres und blasses Gesicht. Knochig war es wie auch seine ganze Gestalt. Seine Ohren, ungewöhnlich stark beleuchtet von einem Scheinwerfer, erschienen als viel zu klein, ja sogar unpassend angeschwollen für den schmalen langen Kopf, als seien sie aus dickem Filz geschnitten und anschließend falsch und abstehend an seinen Kopf geheftet worden. Seine kräftigen Hände fielen mir auf, von denen ich erwartet hätte, dass sie schmal und empfindsam aussehen müssten, wenn sie einem künstlerisch begabten Mann wie ihm gehörten. Und erschreckt stellte ich fest: Er kaut anscheinend Nägel! Natürlich nicht vor dem Publikum, aber seine Finger sahen ganz danach aus. Er beißt sich durch, überlegte ich. Sein eigener Anspruch, der des Verlegers und derjenige der Leser fordern das offensichtlich. Er bezahlt einen hohen Preis für einen schwer erarbeiteten Erfolg, vermutete ich. Die Fingernägel sind wahrscheinlich nur ein Fingerzeig. An seine Augen kann ich mich allerdings nicht erinnern. Merkwürdig. Vielleicht hatte ich Furcht davor zuviel zu sehen?

Dabei gab es gar nichts zu fürchten. Im Gegenteil. Dem Publikum war zum Lachen zumute.
Zum Glück lachte auch ich an den richtigen Stellen. Ich wollte mich wegen meiner Unaufmerksamkeit nicht blamieren. Hin und wieder schaute er von seinem Buch auf und bis zu den hinteren Reihen der Zuhörer oder hinab ins Publikum in den ersten Reihen, die sozusagen ihm zu Füßen saßen. Da saß ich. Wahrscheinlich aber sah er mich gar nicht. Es wäre dennoch peinlich gewesen, wenn ich nicht lachte, weil es ja nötig war zu lachen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man zwar als Vortragender auf der Bühne so auf seinen Text konzentriert ist, dass man von den Zuhörern wenig sieht, dennoch meist genug, um zu spüren, wie die Stimmung im Saal ist. Man nimmt nicht nur den hörbaren Beifall auf, sondern auch die stillen Reaktionen des Publikums, die sozusagen wie ein stummes Echo wirken. Wie gesagt, ich kenne das, wie man auf eine kindliche Weise abhängig wird vom Wohlwollen der Zuhörenden.

Nach einer Weile hatte mich der Text nun doch völlig gefangen genommen. Ich amüsierte mich köstlich und lachte unwillkürlich viel lauter und ungenierter als sonst. Auch Charlotte neben mir lachte aus vollem Halse. Was er uns vorlas, war brillant formuliert, messerscharf traf es die wunden Punkte einer unvollkommenen, nahezu kranken Gesellschaft, die sich in ihrer Blindheit jedoch völlig ernst nahm. Er ließ uns an einem lustvollen und klugen Auskosten von Einfällen teilhaben, um den Aberwitz menschlicher Unzulänglichkeiten und Abgründe zu beschreiben.

Charlotte flüsterte mir zu, sie habe bisher alle Bücher von ihm gelesen und könne gar nicht aufhören seine Literatur zu verschlingen. Sein neuestes Buch lag schon auf ihrem Schoß. Sie ließ es sich am Schluss der Lesung signieren.

Das Ende kam überraschend. Jemand aus der Publikumsmitte klatschte einfach drauf los, als der Autor kurz Luft holte. Ich hatte den Eindruck, er wollte eigentlich weiterlesen, und war deswegen verstört. Ein solches Verhalten fand ich direkt ungehörig dem Vorlesenden gegenüber und klatschte erst mal nicht - erst später – zunächst abwartend, wie der Autor jetzt reagieren würde. Dieser hielt inne, nickte stumm dankend ins applaudierende Publikum. Er wollte offensichtlich etwas sagen, aber es kam für eine Weile kein Laut über seine zitternden Lippen. Als ob er voller Anspannung nach Worten suchte und sie nicht herausbekam und gleich stottern würde. Mir tat das Leid.
Er nickte dankend und las weiter, dieses Mal aus seinem ersten Buch. Das habe er immer dabei, falls etwas schief gehen würde, erklärte er. Und so hörten wir ein weiteres Text-Beispiel für seinen scharfsinnigen, beißenden Humor.

Ich dachte daran, dass er mir einmal selbstironisch schrieb, er verstünde vom Fahrradfahren mehr als vom Schreiben. Auf durchschnittlich zehntausend, mit dem Rad gefahrene Kilometer käme er jedes Jahr. So viel könnte ich noch nicht einmal als Lebensleistung zuwege bringen, antwortete ich amüsiert. Er meinte, er könne mir nur zuraten, mir ein gescheites Fahrrad zu kaufen und in einen Fahrradverein einzutreten anstatt mich mit anderen Autoren treffen und austauschen zu wollen. Die Leute im Fahrradverein seien netter, als es Autoren untereinander sind. Also werde ich morgen mit dem Fahrrad losradeln und sein neues Buch kaufen. Damit ich was zu lachen hab, nahm ich mir vor und klatschte lang und anhaltend am Ende seiner Lesung. Das mit dem Fahrradverein überlege ich mir aber noch.
 

fah

Mitglied
Hallo,

Besonders gefallen mir die zahlreichen Details der Person des Vorlesers. Sie lesen sich, als ob Du reale Beobachtungen notiert hättest.

Das ist Dir gut gelungen.

Gruß
fah
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo fah,
das sind tatsächlich real gemachte Beobachtungen und Erlebnisse vor und während einer Buchvorstellung. Mich hat diese Person sehr fasziniert. Ich freue mich über deine Rückmeldung - Danke dafür und liebe Grüße
Mistralgitter
 

molly

Mitglied
Hallo Mistralgitter

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen, ich dachte schon, ich säße mit Dir in der ersten Reihe.

Aufgefallen ist mir :

"Zu wenig Helligkeit und zu viel Schwarz."
"dachte ich" finde ich unnötig. Aber es ist Deine Geschichte. Ändere das nur, wenn Du es auch besser findest.

:) Gern gelesen

Viele Grüße

molly
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Molly,
Danke für deine Rückmeldung.
Deinen Änderungsvorschlag überdenke ich - ich bin immer froh, wenn es derlei Hinweise zur Textgestaltung gibt.
Liebe Grüße
Mistralgitter
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Mistralgitter, gern gelesen :) allerdings keine Kurzgeschichte, eher eine Erzählung oder Schilderung. Ein wenig vage bleibt aus meiner Sicht die Art der (vielleicht erhofften?) Beziehung der Ich-Erzählerin zum Autor, mir fehlt auch ein Hinweis/Fingerzeig auf das Alter der Protagonistin, sie schwärmt wie ein Teenie, ist dann aber doch eher reserviert - da ist vieles offen, fast so, als sollte die eigentliche Geschichte erst noch erzählt/erfunden werden. LG - herziblatti
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Herziblatti,

das ist ja das Kennzeichen einer Kurzgeschichte, dass nicht alles erzählt wird, sondern dass Raum für ein weiteres "Fabulieren" bleibt. Eine Erzählung müsste meines Erachtens länger und anders aufgebaut sein, mit genaueren Angaben, mit einer Einleitung und mit einem Schluss, also mit keinem offenen Ende und mit einer genaueren Darstellung der Prot.

Wie ein Teenie schwärmen? Der Wunsch nach einer weitergehenden Beziehung? Oh, das wäre fatal, wenn die Geschichte einen solchen Anstrich bekommen hätte. Das wäre direkt peinlich. An welchen Details machst du deine Aussage fest?
Ist das Alter der Prot wirklich entscheidend für die Geschichte?
Für eine Antwort wäre ich dir dankbar.

Viele Grüße
Mistralgitter
 

rothsten

Mitglied
Hallo Mistralgitter,

es passen perfekt Gehalt und Rhythmus Deiner Sätze: kaum zu viel, nie zu wenig. Du kannst den Könner nicht wirklich gut verstecken. Schämen sollst Du Dich! :)

Beispiel gefällig?

Ich saß in der ersten Reihe. Damit ich besser hören konnte. Heute wollte ich nichts verpassen. In der ersten Reihe hörte ich nicht nur besser, sondern sah auch besser, ja sogar mehr. Besonders zu Beginn des Abends: Wie er etwas schüchtern und zusammengefaltet wegen seiner Länge vor seinem Lesetisch saß, wie dunkel er in seinem schwarzen Rollkragenpullover wirkte und wie kalt ihm wegen seines schwarzen, wollenen Kurzmantels mit Reverskragen sein musste, den er ein wenig hochgeschlagen hatte.
So schreibt nur jemand, der weiß, was sie tut.

Wohltuend zu lesen!

Er hielt sein Versprechen. Er redete deutlich, jedoch zu eilig, als ob alles, was er zu sagen hätte, unwesentlich sei und keine große Bedeutung hätte, nur wenig Raum bekommen sollte.
Warum ich weiterhin Deine Texte lesen werde, weiß ich spätestens seit diesem Satz. Grandiose Beobachtung mit einer Sprache, die völlig unaffektiert ist. Beneidenswert!

Dennoch war ich immer wieder unkonzentriert, betrachtete in aller Ruhe sein zerfurchtes, hageres und blasses Gesicht. Knochig war es wie auch seine ganze Gestalt. Seine Ohren, ungewöhnlich stark beleuchtet von einem Scheinwerfer, erschienen als viel zu klein, ja sogar unpassend angeschwollen für den schmalen langen Kopf, als seien sie aus dickem Filz geschnitten und anschließend falsch und abstehend an seinen Kopf geheftet worden. Seine kräftigen Hände fielen mir auf, von denen ich erwartet hätte, dass sie schmal und empfindsam aussehen müssten, wenn sie einem künstlerisch begabten Mann wie ihm gehörten. Und erschreckt stellte ich fest: Er kaut anscheinend Nägel! Natürlich nicht vor dem Publikum, aber seine Finger sahen ganz danach aus. Er beißt sich durch, überlegte ich. Sein eigener Anspruch, der des Verlegers und derjenige der Leser fordern das offensichtlich. Er bezahlt einen hohen Preis für einen schwer erarbeiteten Erfolg, vermutete ich. Die Fingernägel sind wahrscheinlich nur ein Fingerzeig. An seine Augen kann ich mich allerdings nicht erinnern. Merkwürdig. Vielleicht hatte ich Furcht davor zuviel zu sehen?
Was soll man dazu noch groß sagen? Das ist einfach ganz großer Sport, den Du uns hier bietest. Eine solche Nahaufnahme habe ich hier noch nicht gelesen, und kein, wirklich kein Wort davon ist schief oder gar überflüssig.

Very impressive!

Die Leute im Fahrradverein seien netter, als es Autoren untereinander sind.
Das muss wohl stimmen, denn nach unten ist kaum Luft ... :(

Damit ich was zu lachen hab, nahm ich mir vor und klatschte lang und anhaltend am Ende seiner Lesung.
Man muss natürlich im Kopf behalten, dass hier eine Autorin auch übers Schreiben schreibt. Eine Prise Selbstironie wird sicher mitschwingen, aber das wertet für mich den Text nochmal auf.

Ich kann leider nichts schreiben, was Dich weiterbrächte. Verzeih mir bitte meine schlichten Worte der Beeindruckung.

lg
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo rothsten,

das ist ja mal ein Kommentar, wie ich ihn noch nie bekommen hab! Danke für deine Mühe und tolle Rückmeldung. Ich bin geplättet! Schlichte Worte? Bewahre!

Aber zum Schluss lief mir doch ein kalter erschröcklicher Schauer den Rücken runter: einer meiner letzten Sätze ist durch eine falsche Interpunktion aus den Fugen geraten - ich hab ihn nämlich im Online-Status ein wenig voreilig vermurkst.
Werde ich ändern ...
Es gibt einfach immer wieder was zu tun, auch wenn man irgendwie meint, die ultimative Fassung gefunden zu haben. Ich bastele gerne immer wieder aufs Neue rum - und wenn ich dazu Hinweise bekomme, bin ich froh.

Solche Sätze wie

So schreibt nur jemand, der weiß, was sie tut.
Wohltuend zu lesen!
Warum ich weiterhin Deine Texte lesen werde, weiß ich spätestens seit diesem Satz. Grandiose Beobachtung mit einer Sprache, die völlig unaffektiert ist. Beneidenswert!
sind Balsam auf meine von Zweifeln zerfurchte Seele ;-)

Anscheinend schimmert die selbstironische Betrachtung der beiden Prot. doch durch den Text hindurch - auf die kam es mir letztendlich an.

Also auf eine gute Zusammenarbeit - bin gespannt, wie es hier weitergeht.

LG
Mistralgitter
 

rothsten

Mitglied
Bei Deinen künftigen Texten werde ich ausholen, wenn es denn nötig sein sollte, keine Sorge. Nur ehrliche Kritik bringt uns weiter, die kannst Du von mir erwarten. ;)

Diesen Text hier finde ich einfach grandios. Punkt.

Aber zum Schluss lief mir doch ein kalter erschröcklicher Schauer den Rücken runter: einer meiner letzten Sätze ist durch eine falsche Interpunktion aus den Fugen geraten - ich hab ihn nämlich im Online-Status ein wenig voreilig vermurkst.
Das kennt wohl jeder von uns. Ich zermartere mir das Hirn, lasse den Text liegen, um Abstand zu gewinnen, bin sicher, es passt, lade ihn hoch nur um festzustellen, dass -dank ehrlicher Meinung- mein text noch Feinschliff braucht.

Gegenfrage: Warum sollten wir ihn sonst hier hochladen? ;)

Wenn Du magst, suche ich Haare in Deinen Suppen.

Ich bin ebenfalls gespannt auf die weitere Zusammenarbeit. ;)

lg
 

Mistralgitter

Mitglied
Der Vorlesende

Bisher kannte ich ihn nicht persönlich. Er huschte von der Seite auf die Bühne und setzte sich ein wenig ungelenk an den Holztisch.

Ich saß in der ersten Reihe. Damit ich besser hören konnte. Heute wollte ich nichts verpassen. In der ersten Reihe hörte ich nicht nur besser, sondern sah auch besser, ja sogar mehr. Besonders zu Beginn des Abends: Wie er etwas schüchtern und zusammengefaltet wegen seiner Länge vor seinem Lesetisch saß, wie dunkel er in seinem schwarzen Rollkragenpullover wirkte und wie kalt ihm wegen seines schwarzen, wollenen Kurzmantels mit Reverskragen sein musste, den er ein wenig hochgeschlagen hatte. Es war wirklich ziemlich kühl hier in diesem ungemütlichen, kaum beleuchteten Gewölbekeller. Die Wände des Raumes hatte man teilweise mit schwarzen Tüchern behängt, an anderen Stellen schauten die düstergrauen Steinquader hervor. Zu wenig Helligkeit und zu viel Schwarz, dachte ich.

Charlotte und ich hatten unsere Daunenjacken über die Knie gelegt und unsere Schals um den Hals geschlungen. Wir konnten uns warm halten.
Geradezu allein gelassen und verloren saß er dort oben auf der Bühne. Ich war in diese Betrachtungen versunken und hörte daher nur mit halbem Ohr zu, als sein Verleger ihn einführte, seinen Schreibstil einordnete - eine Mischung zwischen dem verschiedener anderer bekannter Schriftsteller - den Werdegang würdigte, die gewonnenen Preise, die bisherigen Veröffentlichungen. Für mich nichts Neues, ich hatte mich zuvor schon informiert. Stattdessen betrachtete ich sinnierend seine hell-beige Jeans-Hose und die hellen Turnschuhe mit den roten Schnür-Bändeln und dachte: Ein seltsamer Aufzug für einen Mann wie ihn, für diese Gelegenheit zu sportlich, zu lässig.

Und dann begann er selber zu reden, bemerkte entschuldigend, er hätte sicher die falschen Stellen aus seinem Buch herausgesucht für diese Veranstaltung. Das sei meist so und das merke man erst hinterher. Seine Selbstironie war unüberhörbar. Er fühle sich grippig, fuhr er fort, sein Hals täte weh. Aber er würde das Beste daraus machen, versprach er. Wir lächelten wohlwollend. Er hielt sein Versprechen. Er redete deutlich, jedoch zu eilig, als ob alles, was er zu sagen hätte, unwesentlich sei und keine große Bedeutung hätte, nur wenig Raum bekommen sollte. Dann nahm er sein neuestes Buch zur Hand und begann vorzulesen. In schneller Folge setzte er ein Wort an das andere, einen Satz neben den nächsten, mal betont und mal weniger betont, mit angenehmer Stimme, begleitet von sparsamer Mimik und Gestik. Ich hörte gerne zu. Er wurde allmählich zu dem, den ich erwartet hatte: einem amüsanten, versierten und souveränen Vorleser.

Dennoch war ich immer wieder unkonzentriert, betrachtete in aller Ruhe sein zerfurchtes, hageres und blasses Gesicht. Knochig war es wie auch seine ganze Gestalt. Seine Ohren, ungewöhnlich stark beleuchtet von einem Scheinwerfer, erschienen als viel zu klein, ja sogar unpassend angeschwollen für den schmalen langen Kopf, als seien sie aus dickem Filz geschnitten und anschließend falsch und abstehend an seinen Kopf geheftet worden. Seine kräftigen Hände fielen mir auf, von denen ich erwartet hätte, dass sie schmal und empfindsam aussehen müssten, wenn sie einem künstlerisch begabten Mann wie ihm gehörten. Und erschreckt stellte ich fest: Er kaut anscheinend Nägel! Natürlich nicht vor dem Publikum, aber seine Finger sahen ganz danach aus. Er beißt sich durch, überlegte ich. Sein eigener Anspruch, der des Verlegers und derjenige der Leser fordern das offensichtlich. Er bezahlt einen hohen Preis für einen schwer erarbeiteten Erfolg, vermutete ich. Die Fingernägel sind wahrscheinlich nur ein Fingerzeig. An seine Augen kann ich mich allerdings nicht erinnern. Merkwürdig. Vielleicht hatte ich Furcht davor zuviel zu sehen?

Dabei gab es gar nichts zu fürchten. Im Gegenteil. Dem Publikum war zum Lachen zumute.
Zum Glück lachte auch ich an den richtigen Stellen. Ich wollte mich wegen meiner Unaufmerksamkeit nicht blamieren. Hin und wieder schaute er von seinem Buch auf und bis zu den hinteren Reihen der Zuhörer oder hinab ins Publikum in den ersten Reihen, die sozusagen ihm zu Füßen saßen. Da saß ich. Wahrscheinlich aber sah er mich gar nicht. Es wäre dennoch peinlich gewesen, wenn ich nicht lachte, weil es ja nötig war zu lachen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man zwar als Vortragender auf der Bühne so auf seinen Text konzentriert ist, dass man von den Zuhörern wenig sieht, dennoch meist genug, um zu spüren, wie die Stimmung im Saal ist. Man nimmt nicht nur den hörbaren Beifall auf, sondern auch die stillen Reaktionen des Publikums, die sozusagen wie ein stummes Echo wirken. Wie gesagt, ich kenne das, wie man auf eine kindliche Weise abhängig wird vom Wohlwollen der Zuhörenden.

Nach einer Weile hatte mich der Text nun doch völlig gefangen genommen. Ich amüsierte mich köstlich und lachte unwillkürlich viel lauter und ungenierter als sonst. Auch Charlotte neben mir lachte aus vollem Halse. Was er uns vorlas, war brillant formuliert, messerscharf traf es die wunden Punkte einer unvollkommenen, nahezu kranken Gesellschaft, die sich in ihrer Blindheit jedoch völlig ernst nahm. Er ließ uns an einem lustvollen und klugen Auskosten von Einfällen teilhaben, um den Aberwitz menschlicher Unzulänglichkeiten und Abgründe zu beschreiben.

Charlotte flüsterte mir zu, sie habe bisher alle Bücher von ihm gelesen und könne gar nicht aufhören seine Literatur zu verschlingen. Sein neuestes Buch lag schon auf ihrem Schoß. Sie ließ es sich am Schluss der Lesung signieren.

Das Ende kam überraschend. Jemand aus der Publikumsmitte klatschte einfach drauf los, als der Autor kurz Luft holte. Ich hatte den Eindruck, er wollte eigentlich weiterlesen, und war deswegen verstört. Ein solches Verhalten fand ich direkt ungehörig dem Vorlesenden gegenüber und klatschte erst mal nicht - erst später – zunächst abwartend, wie der Autor jetzt reagieren würde. Dieser hielt inne, nickte stumm dankend ins applaudierende Publikum. Er wollte offensichtlich etwas sagen, aber es kam für eine Weile kein Laut über seine zitternden Lippen. Als ob er voller Anspannung nach Worten suchte und sie nicht herausbekam und gleich stottern würde. Mir tat das Leid.
Er nickte dankend und las weiter, dieses Mal aus seinem ersten Buch. Das habe er immer dabei, falls etwas schief gehen würde, erklärte er. Und so hörten wir ein weiteres Text-Beispiel für seinen scharfsinnigen, beißenden Humor.

Ich dachte daran, dass er mir einmal selbstironisch schrieb, er verstünde vom Fahrradfahren mehr als vom Schreiben. Auf durchschnittlich zehntausend, mit dem Rad gefahrene Kilometer käme er jedes Jahr. So viel könnte ich noch nicht einmal als Lebensleistung zuwege bringen, antwortete ich amüsiert. Er meinte, er könne mir nur zuraten, mir ein gescheites Fahrrad zu kaufen und in einen Fahrradverein einzutreten anstatt mich mit anderen Autoren treffen und austauschen zu wollen. Die Leute im Fahrradverein seien netter, als es Autoren untereinander sind. Also werde ich morgen losradeln und sein neues Buch kaufen - damit ich was zu lachen hab. Das mit dem Fahrradverein überlege ich mir aber noch.
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Mistralgitter, zuerst muss ich vorausschicken, dass es nicht meine Absicht ist, den Text zu entwerten; ich lese sehr genau und reflektiere, was ich gelesen habe und wie es wirkt auf mich :) kleinere handwerkliche Mängel zeige ich in der Regel nur auf, wenn sie mich sehr stören, oder, wie in dem Fall, wenn der Autor es ernsthaft wissen möchte, weil er am Text arbeiten will, und -bestenfalls- wenn meine Vorschläge auch in seinen Augen den Text verbessern.
Ich dachte daran, dass er mir einmal selbstironisch schrieb
das meine ich mit "Art der Beziehung" - freundschaftlich, kollegial, ein Fan, oder was es sonst noch gibt an Beziehungen
und wie kalt ihm wegen seines schwarzen, wollenen Kurzmantels mit Reverskragen sein musste
verstehe ich nicht: wegen seines Mantels ist ihm kalt?
Er ließ uns an einem lustvollen und klugen Auskosten von Einfällen teilhaben, um den Aberwitz menschlicher Unzulänglichkeiten und Abgründe zu beschreiben
das ist mir unverständlich -Einfälle, [red]die[/red] den Aberwitz...-
Jemand aus der Publikumsmitte
auch das lässt sich genauer schreiben
Das waren jetzt einige Details, es gibt noch mehr davon im Text.
Nochmal mein Hinweis: "Der Vorlesende" ist keine Kurzgeschichte. Bitte den Forentext lesen, er erklärt ausführlich, warum.
Wenn ich Deine Antworten richtig gelesen habe, handelt es sich hier um eine "wahre Begebenheit" (ev.Tagebuch?). Erlebnisse werden erst dann zu Literatur, wenn sie weg von der persönlichen Empfindungswelt auf eine andere Ebene/Form gebracht werden. Meine Fragen in meinem ersten "spontanen Leseeindruck" wären durchaus als Anregung zu verstehen gewesen, den Text ein Stück weit vom Autor weg, hin zu einem echten Ich-Erzähler/Protagonisten zu rücken.
Ich hoffe, ich konnte Dir mit meinen Ausführungen helfen. LG - herziblatti
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo herziblatti,
deine Rückmeldung ist mir wichtig. Vielen Dank für die Beschäftigung mit meinem Text.
Ich habe sehr wohl die Forentexte - sowohl für die Kurzgeschichte als auch für Erzählungen - gelesen und mich dann für diese Eingruppierung entschieden.
Wenn ich deinen Ausführungen folge, wäre mein Text in der LL eigentlich nicht erwünscht, weil er keine Literatur darstellt. darüber kann ich gerne nachdenken und ihn löschen - er MUSS hier nicht stehen!

Bei dem Text kam es mir in keiner Weise auf die Beschreibung einer Beziehung an, sondern auf eine Momentaufnahme, eine Nahaufnahme einer Person, eines Schriftstellers während einer Buchvorstellung, angereichert durch eine nachgereichte Information, die zur Charakteristik dieser Person gehören sollte.

Für die Hinweise auf meine unscharfen Formulierungen danke ich dir.

Viele Grüße
Mistralgitter
 

rothsten

Mitglied
@herziblatti

Hallo Mistralgitter, zuerst muss ich vorausschicken, dass es nicht meine Absicht ist, den Text zu entwerten; ich lese sehr genau und reflektiere, was ich gelesen habe und wie es wirkt auf mich kleinere handwerkliche Mängel zeige ich in der Regel nur auf, wenn sie mich sehr stören, oder, wie in dem Fall, wenn der Autor es ernsthaft wissen möchte, weil er am Text arbeiten will, und -bestenfalls- wenn meine Vorschläge auch in seinen Augen den Text verbessern.
Ein Königreich für Deine Einsicht ... ich wünschte sie mir.

Nochmal mein Hinweis: "Der Vorlesende" ist keine Kurzgeschichte. Bitte den Forentext lesen, er erklärt ausführlich, warum.
Ich stelle mir solche Fragen kaum noch. Für mich ist fast alles hier keine Kurzgeschichte. Wenn wir ehrlich sind, wird doch eigentlich nur nach dem Schema hochgeladen:

- Kein Scroll: Kurzprosa

- max 3 Scrolls: Kurzgeschichten

- > 3 Scrolls: Erzählungen

Je nach Haupt-Ausschlag wird es dann noch verfrachtet in eines der anderen Genre.

Ich sehe das jedenfalls entspannt. Online-Forum heißt, kurz zu schreiben. ES ist fast eine eigene Art.

lg
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Mistralgitter,
Wenn ich deinen Ausführungen folge, wäre mein Text in der LL eigentlich nicht erwünscht, weil er keine Literatur darstellt. darüber kann ich gerne nachdenken und ihn löschen - er MUSS hier nicht stehen!
Wie kommst Du darauf? Ich bin einigermaßen konsterniert. Mein Hinweis auf Tagebuch? In den Prosa-Foren ist ganz unten die Rubrik "Tagebuch - Diary" für persönliche Erlebnisse, und/oder ein fiktives Tagebuch.
Freundliche Grüße - herziblatti
 

Mistralgitter

Mitglied
Der Vorlesende

Bisher kannte ich ihn nicht persönlich.
Er huschte von der Seite auf die Bühne und setzte sich ein wenig ungelenk an den Holztisch. Seltsamerweise wirkte er schüchtern und verloren dort oben auf der Bühne, obwohl er ein routinierter Schriftsteller war. Es war kühl in diesem ungemütlichen, kaum beleuchteten Gewölbekeller. Die Wände des Raumes hatte man teilweise mit schwarzen Tüchern behängt, an anderen Stellen schauten die düstergrauen Steinquader hervor.

Und dann begann er zu reden, bemerkte entschuldigend, er hätte sicher die falschen Stellen aus seinem Buch herausgesucht für diese Veranstaltung. Das sei meist so und das merke man erst hinterher. Seine Selbstironie war unüberhörbar. Er fühle sich grippig, fuhr er fort, sein Hals täte weh. Aber er würde das Beste daraus machen, versprach er. Wir lächelten wohlwollend. Er hielt sein Versprechen. Er redete deutlich, jedoch zu eilig, als ob alles, was er zu sagen hätte, unwesentlich sei und keine große Bedeutung hätte, nur wenig Raum bekommen sollte. Dann nahm er sein neuestes Buch zur Hand und begann vorzulesen. In schneller Folge setzte er ein Wort an das andere, einen Satz neben den nächsten, mal betont und mal weniger betont, mit angenehmer Stimme, begleitet von sparsamer Mimik und Gestik.

Ich sah sein zerfurchtes, hageres und blasses Gesicht, genauso knochig wie seine ganze Gestalt. Seine kräftigen Hände fielen mir auf, von denen ich erwartet hätte, dass sie schmal und empfindsam aussehen müssten, wenn sie einem künstlerisch begabten Mann wie ihm gehörten. Und erschreckt stellte ich fest: Er kaut anscheinend Nägel, als ob er sich durchbeißen müsste. Sein eigener Anspruch, der des Verlegers und derjenige der Leser fordern offensichtlich einen solchen Tribut. Er bezahlt einen hohen Preis für einen schwer erarbeiteten Erfolg, vermutete ich. An seine Augen kann ich mich allerdings nicht erinnern. Merkwürdig. Vielleicht hatte ich Furcht davor zuviel zu sehen?

Dabei gab es gar nichts zu fürchten. Im Gegenteil. Dem Publikum war zum Lachen zumute.
Hin und wieder schaute er von seinem Buch auf und bis zu den hinteren Reihen der Zuhörer oder hinab ins Publikum in den ersten Reihen, die sozusagen ihm zu Füßen saßen.

Nach einer Weile hatte mich sein Text gefangen genommen. Ich amüsierte mich köstlich. Auch Charlotte neben mir lachte aus vollem Halse. Was er uns vorlas, war brillant formuliert, messerscharf traf es die wunden Punkte einer unvollkommenen, nahezu kranken Gesellschaft, die sich in ihrer Blindheit jedoch völlig ernst nahm. Er ließ uns an einem lustvollen und klugen Auskosten von Einfällen teilhaben, mit denen er den Aberwitz menschlicher Unzulänglichkeiten und Abgründe beschrieb.

Charlotte flüsterte mir zu, sie habe bisher alle Bücher von ihm gelesen und könne gar nicht aufhören seine Literatur zu verschlingen. Sein neuestes Buch lag schon auf ihrem Schoß. Sie ließ es sich am Schluss der Lesung signieren. Ich finde so etwas immer peinlich.

Das Ende der Lesung kam überraschend. Jemand aus der Publikumsmitte klatschte einfach drauf los, als der Autor kurz Luft holte. Ein solches Verhalten fand ich ungehörig dem Vorlesenden gegenüber und deshalb klatschte ich erst mal nicht. Der Autor hielt inne, nickte stumm dankend ins applaudierende Publikum. Er wollte offensichtlich etwas sagen, aber es kam für eine Weile kein Laut über seine zitternden Lippen. Als ob er voller Anspannung nach Worten suchte und sie nicht herausbekam und gleich stottern würde. Mir tat das Leid.
Er nickte dankend und nahm ein anderes Buch zur Hand. Er wolle aus seinem ersten Buch etwas vorlesen, kündigte er an. Das habe er immer dabei, falls etwas schief gehen würde. Und so hörten wir ein weiteres Text-Beispiel für seinen scharfsinnigen, bissigen Humor.

Ich dachte daran, dass er mir einmal selbstironisch schrieb, er verstünde vom Fahrradfahren mehr als vom Schreiben. Auf durchschnittlich zehntausend, mit dem Rad gefahrene Kilometer käme er jedes Jahr.
So viel könnte ich noch nicht einmal als Lebensleistung zuwege bringen, antwortete ich amüsiert. Er meinte, er könne mir nur zuraten, mir ein gescheites Fahrrad zu kaufen und in einen Fahrradverein einzutreten anstatt mich mit anderen Autoren treffen und austauschen zu wollen. Die Leute im Fahrradverein seien netter, als es Autoren untereinander sind. Also werde ich morgen losradeln und sein neues Buch kaufen - damit ich was zu lachen hab. Das mit dem Fahrradverein überlege ich mir aber noch.
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo herziblatti,

Von Tagebuch als Alternative war bisher nicht die Rede, sondern von Erzählung.
Ich habe jetzt an dem Text einiges geändert - allerdings etwas hastig und sicherlich nicht so einschneidend, dass es "Literatur" ist.
Ich lasse ihn bis morgen und entscheide dann weiter.


Gute Nacht
Mistralgitter
 

Mistralgitter

Mitglied
Tagebuch?

Hallo herziblatti,

nun frag ich noch mal schnell nach, bevor ich wieder etwas falsch mache:
Wie muss ich dann folgenden Text einordnen? Ist das dann auch ein Tagebuchtext?

du musst Stellung beziehen
sagte man mir
wenn du ein verantwortungsvoller Bürger sein willst
musst du allen zeigen
wo du stehst
man drückte mir eine Stange mit einem Plakat in die Hand
schließe dich uns an
wir stehen für Richtungswechsel

ich stellte mich gut sichtbar an einer Kreuzung auf

nun kreuzten sich die Wege
vor mir
neben mir
hinter mir
je nachdem wie ich mich drehte
aber meist stand ich still

die Leute gingen von rechts nach links
manche von dort aus in die Mitte
die Leute gingen von links nach rechts
manche von dort aus in die Mitte
oder sie kamen von der Mitte zurück

wochenlang stand ich da
die Leute kamen und gingen von hier nach da

kreuz und quer
dachte ich
immer vorwärts
dachte ich
nie rückwärts
dachte ich

während ich da stand
ich aber hatte Stellung bezogen
Gute Nacht
Mistralgitter
 

Mistralgitter

Mitglied
Der Vorlesende

Bisher kannte ich ihn nicht persönlich.
Er huschte von der Seite auf die Bühne und setzte sich ein wenig ungelenk an den Holztisch. Seltsamerweise wirkte er schüchtern und verloren dort oben auf der Bühne, obwohl er ein routinierter Schriftsteller war. Es war kühl in diesem ungemütlichen, kaum beleuchteten Gewölbekeller. Die Wände des Raumes hatte man teilweise mit schwarzen Tüchern behängt, an anderen Stellen schauten die düstergrauen Steinquader hervor.

Und dann begann er zu reden, bemerkte entschuldigend, er hätte sicher die falschen Stellen aus seinem Buch herausgesucht für diese Veranstaltung. Das sei meist so und das merke man erst hinterher. Seine Selbstironie war unüberhörbar. Er fühle sich grippig, fuhr er fort, sein Hals täte weh. Aber er würde das Beste daraus machen, versprach er. Wir lächelten wohlwollend. Er hielt sein Versprechen. Er redete deutlich, jedoch zu eilig, als ob alles, was er zu sagen hätte, unwesentlich sei und keine große Bedeutung hätte, nur wenig Raum bekommen sollte. Dann nahm er sein neuestes Buch zur Hand und begann vorzulesen. In schneller Folge setzte er ein Wort an das andere, einen Satz neben den nächsten, mal betont und mal weniger betont, mit angenehmer Stimme, begleitet von sparsamer Mimik und Gestik.

Ich sah sein zerfurchtes, hageres und blasses Gesicht, genauso knochig wie seine ganze Gestalt. Seine kräftigen Hände fielen mir auf, von denen ich erwartet hätte, dass sie schmal und empfindsam aussehen müssten, wenn sie einem künstlerisch begabten Mann wie ihm gehörten. Und erschreckt stellte ich fest: Er kaut anscheinend Nägel, als ob er sich durchbeißen müsste. Sein eigener Anspruch, der des Verlegers und derjenige der Leser fordern offensichtlich einen solchen Tribut. Er bezahlt einen hohen Preis für einen schwer erarbeiteten Erfolg, vermutete ich. An seine Augen kann ich mich allerdings nicht erinnern. Merkwürdig. Vielleicht hatte ich Furcht davor zuviel zu sehen?

Dabei gab es gar nichts zu fürchten. Im Gegenteil. Dem Publikum war zum Lachen zumute.
Auch ich amüsierte mich köstlich. Und Charlotte neben mir lachte aus vollem Halse. Was er uns vorlas, war brillant formuliert, messerscharf traf es die wunden Punkte einer unvollkommenen, nahezu kranken Gesellschaft, die sich in ihrer Blindheit jedoch völlig ernst nahm. Er ließ uns an einem lustvollen und klugen Auskosten von Einfällen teilhaben, mit denen er den Aberwitz menschlicher Unzulänglichkeiten und Abgründe beschrieb.

Charlotte flüsterte mir zu, sie habe bisher alle Bücher von ihm gelesen und könne gar nicht aufhören seine Literatur zu verschlingen. Sein neuestes Buch lag schon auf ihrem Schoß. Sie ließ es sich am Schluss der Lesung signieren. Ich finde so etwas immer peinlich.

Das Ende der Lesung kam überraschend. Jemand aus der Publikumsmitte klatschte einfach drauf los, als der Autor kurz Luft holte. Ein solches Verhalten fand ich ungehörig dem Vorlesenden gegenüber und deshalb klatschte ich erst mal nicht. Der Autor hielt inne, nickte stumm dankend ins applaudierende Publikum. Er wollte offensichtlich etwas sagen, aber es kam für eine Weile kein Laut über seine zitternden Lippen. Als ob er voller Anspannung nach Worten suchte und sie nicht herausbekam und gleich stottern würde. Mir tat das Leid.
Er nickte dankend und nahm ein anderes Buch zur Hand. Er wolle aus seinem ersten Buch etwas vorlesen, kündigte er an. Das habe er immer dabei, falls etwas schief gehen würde. Und so hörten wir ein weiteres Text-Beispiel für seinen scharfsinnigen, bissigen Humor.

Ich dachte daran, dass er mir einmal selbstironisch schrieb, er verstünde vom Fahrradfahren mehr als vom Schreiben. Auf durchschnittlich zehntausend, mit dem Rad gefahrene Kilometer käme er jedes Jahr.
So viel könnte ich noch nicht einmal als Lebensleistung zuwege bringen, antwortete ich amüsiert. Er meinte, er könne mir nur zuraten, mir ein gescheites Fahrrad zu kaufen und in einen Fahrradverein einzutreten anstatt mich mit anderen Autoren treffen und austauschen zu wollen. Die Leute im Fahrradverein seien netter, als es Autoren untereinander sind. Also werde ich morgen losradeln und sein neues Buch kaufen - damit ich was zu lachen hab. Das mit dem Fahrradverein überlege ich mir aber noch.
 



 
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