Hallo Monsieur Milan,
ich mache das nun mal ganz unkonvetionell: Ich lese und schreibe dabei mit. Das bringt die Eindrücke unverfälscht aufs Papier.
Der Ich-Erzähler fährt mit seinem Kumpel Jakob auf ein Festival. Stimmungsvoll beschreiben die ersten Sätze das Setting, wobei ich bei „dunklen, durchfurchten Böden“ an das beginnende Frühjahr oder den späten Herbst denken musste, die „hochstehende Mittagssonne“ und der Umstand, dass sie zu einem Festival fahren, mich allerdings an einen Sommertag denken lassen. Jakob scheint der Prototyp eines Althippis zu sein, der seine Entsprechung wohl im der Figur des taxifahrenden Vaters von Kommisar Thiel aus dem Münster-Tatort findet. Ja, solche Typen, die morgens in ihren bunten, mariuhanaumwehten Sakkos zum Bäcker schlendern, werden leider nicht mehr gebaut. Manchmal frage ich mich, wo all die Kerle geblieben sind. Wahrscheinlich hocken die meisten von denen heute in den Banken und bescheißen die Leute oder sitzen für die Grünen in den Stadträten, was aufs Selbe hinausläuft. Jakob müsste nun, nach grober Schätzung, so um die 65 sein. Das Alter des Erzählers bleibt im Vagen. Ich denke, dass er in etwas gleich alt ist.
Das ist ansprechend geschrieben, bringt die Stimmung im Auto gut rüber und man wünschte sich, dass man dort dabei sein könnte. Ich würde hier Adjektive streichen ( sanften, glatten – Kühlerhauben sind ohnehin glatt - , locker, laut – das Verb 'dröhnen' sagt an dieser Stelle schon, dass es laut ist).
„Jakob, so wie ich ihn kannte!“: der Abschluss dieser Passage bringt hier schön lakonisch den Bezug des Ich-Erzählers zu seinem Kumpel Jakob zum Ausdruck. Mehr braucht es bis dahin nicht.
Nun kommen hier 4 Absätze, von denen ich meine, dass da einfach zu viel erzählt wird. Es wird weiterhin versucht Atmosphäre zu schaffen und den Zeitgeist der 70'er einzufangen. Sicher, es finden sich ein paar nette Details (der Vergleich des profanen Focus mit dem alten, bunten Bully), aber das wesentliche, das was die beiden verbindet, wird nicht weiter beleuchtet. Das bleibt mir vorenthalten. Hier wäre mMn ein bisschen mehr 'show dont tell' angesagt.
Mit den Zitat „on the road „ legst du hier aber auch die Messlatte auf unerreichbare Höhen. Ja, ein bisschen was vom Kerouac hätte der Geschichte an dieser Stelle gut getan.
In den Absätzen zwischen „ Die größer werdene Autokarawane .... bis …. mit dem Duft gegrillten Fleisches“ hat sich der Erzählton in dem Maße gewandelt, dass man meint, man lese einen Leserbeitrag in einer Musikzeitschrift. Also das ist mir ein bisschen zu viel Reportage und zu wenig storiedienliches Erzählen.
Nun gehts weiter:
„Irgentetwas fehlte!“ … Genau! Der Dialog. Also das war mir bis dahin ein bisschen zuviel Beschreibung. 2 alte Zöpfe in einer Karre, das schreit ja förmlich nach Dialog.
Ich hätte Jakob an dieser Stelle nun nicht in 'Doc' umbenannt, und wenn es denn sein muss, dann hätte ich ihn schon zu Beginn als 'Doc' eigeführt. Das sind solche Sachen, für die eine Kurzgeschichte eigentlich keine Zeit hat. Es ist weder wichtig für den Leser, noch für die Storie.
Aber es wird wieder besser. Der Dialog tut der Storie gut.
Die „geschickten“ und „geübten“ Bewegungen Bewegungen beim Tütenbasteln würde ich auf ein originelles Adjektiv reduzieren. Weder „geschickt“, noch „geübt“ scheint mir hier das Richtige zu sein.
So. Du hast ja bis zu dieser Stelle eigentlich noch keinen wirklichen Konflikt. Also da passiert nichts spannendes zwischen Jakob und Ich-Erzähler. Eigentlich Ok, denn wer sagt denn, dass alles immer konfliktbeladen sein muss? Muss es nicht, meine ich. Man kann auch einfach mal ein Stimmungsbild malen. Dafür müssten die Pinsel aber ein bisschen feiner sein. Also gerade die nächsten Passagen schreien nach 'show dont tell'.
Das verlorene Gefühl von Raum und Zeit beim Rauchen des Joints, die Müdigkeit die sich auf die Glieder senkt, die ineiander laufenden Farben , usw, dies wird mir alles nur erzählt, aber nicht gezeigt, so, dass man denken könnte, der Autor wüsste in dem Moment nicht, wovon er eigentlich gerade schreibt. Gut, du findest ein passendes Bild (die fliegenden Züge) , das war nicht mal schlecht, aber ein Bild allein reicht da nicht. Wenn es in der Geschichte darum geht, eine Drogenerfahrung zu thematisieren, dann muss man an dieser Stelle auch genauer werden, dann braucht es mehr Kerouac.
Allerdings habe ich nun etwas zu früh gemeckert, denn beim Weiterlesen beginnt die Sache nun interessant zu werden. Der Ich-Erzähler sieht nun eine Gruppe Indianer um ein Feuer sitzen. Schöner Einfall, schön erzählt. Allerdings beschränkt sich das Erzählen auch hier auf die Wiedergabe dessen, was er zu sehen meint, ohne weitere Reflexion des gesehenen. Ein bisschen 'Erlebte Rede' oder 'Bewusstseinsstrom' hätte der Passage mehr Dichte gegeben.
Den letzten Absatz finde ich wieder schön geschrieben. Der aufkommende Morgen, das Erwachen, der Kater danach, das ist wunderbar eingefangen.
Wobei es mir an Stellen wie „den neuen Tag mit frischer Tatkraft zu erfüllen“ doch schon wieder zu pathetisch gerät. Man ist auf einem Festival, die Bands sind spitze, der Shit wirkt gut – wer zur Teufel braucht an solchen Tage 'neue Tatkraft'?
Das Ende ist an dieser Stelle nun nicht wirklich überraschend, aber das muss es auch gar nicht sein.
Als Fazit muss ich sagen, dass mir die beiden Protagonisten etwas fremd geblieben sind. Dass du mehr Augenmerk darauf gerichtet hast die Festivalsatmosphäre einzufangen, Stimmungen zu erzeugen, aber leider nicht über die Figuren gekommen bist. Es ist oft zu sehen, dass vor lauter Plot und Beschreibung vergessen wird an den Figuren zu schnitzen. Ich hätte versucht dem Jakob mehr Tiefe zu geben, denn der Ich-Erzähler ist immer am stärksten wenn er von anderen erzählt. Ich denke: Jakob hat nicht nur den Shit, er hat auch den Schlüssel zur Storie in der Tasche.
Aber ich sehe es so, dass du hier, nicht frei von leiser Melancholie, die Stimmung einer Zeit heraufbeschwören wolltest, die wir heute 'unsere Zeit' nennen.
Ich wünscht, ich wär' dabei gewesen.
Lg Vagant.