Ji Rina
Mitglied
Es war gegen sechs Uhr abends, als ich auf dem Weg zur Bibliothek war. Ich nahm die Abkürzung über den Ostbahnhof, ging durch die belebte Passage voller Geschäfte und blieb vor einem Stand stehen, um mir eine Crêpe zu kaufen.
Vor dem Tresen überlegte ich, welche Füllung ich für meine Crêpe bestellen sollte, als mein Blick zur Seite ging und auf einen Mann fiel, der mich beobachtete. Er stand vor einem Schuhgeschäft, sein angewinkeltes Bein gegen die Wand gestemmt, war um die fünfzig und trug eine Halbglatze. Zwischen seinen Lippen hing ein Zahnstocher.
Ich nahm die Crêpe mit Nutella entgegen, drehte mich um und sah genau in die Augen dieses Mannes, in denen der Abglanz seines Grinsens lag.
Kannten wir uns?
Ich aß die Crêpe und musste aufpassen, dass mir das Nutella nicht auf meine Kleidung tropfte. Ich ging langsam weiter, und als ich an dem Mann vorbeikam, sagte er:
»Du, schöne Frau!«
»Was?« Ich blieb stehen.
Er betrachtete mich von Kopf bis Fuß. Sein Blick war glasig, und er wiederholte:
»Du, sehr schöne Frau!«
»Schöne Frau. Schöne Stadt. Schönes Leben, mh?«, antwortete ich und leckte das heruntertröpfelnde Nutella ab.
»Ja-ha«, sagte er und räusperte sich. »Ich nur sagen: Du schöne Frau!«
»Was machst’n den ganzen Tag hier?«, fragte ich.»Sagst den Frauen, dass sie schön sind?«
»Wenn Frau schön, dann ich sage.«
Er starrte auf meine Brüste.
»Du keine Lust mitkommen?«, fragte er und wechselte seinen Zahnstocher von einem Mundwinkel zum anderen.
»Mitkommen? Wohin? Wo kommste denn her? Afghanistan? Syrien?«
»Türkei. Ich Türkei.»
»Türkei! Hui!«, sagte ich. »Icli Köfte? … Töfte wie’ne Crêpe mit Nutella« und gab der Crêpe einen kräftigen Zungenschlag, bevor mir das Zeugs auf die Bluse tropfte.
»Du mitkommen? Keine Lust, schöne Frau?« Er grinste, starrte wieder auf meine Brüste und dann auf das Buch unter meinem Arm.
»Sartre«, sagte ich und nickte in Richtung des Buches. »Kennste den?«
Er schüttelte den Kopf, blickte hinüber zum Crêpestand und dann wieder zu mir. »Ich dich einladen – und dann du mitkommen in meine Wohnung. Okay, schöne Frau?«
Sein durchdringender Blick heftete sich an meine Lippen, dann auf meine Brust, wanderte langsam hinab bis zu meinen Schuhen und wieder hinauf. Mir war, als sähe er außer meinem Körper nichts.
»Könntest doch mein Opa sein«, sagte ich und schob mir das letzte Stück Crêpe in den Mund. »Watt soll ich mit’m Oppa wie du?«
Er lächelte, blickte um sich und scharrte dabei mit dem Fuß auf dem Boden. »Keine Opa«, sagte er und fügte dann lachend hinzu: »Keine Opa. Ich Wohnung, gleich hier neben Bahnhof. Du mitkommen … Gläschen trinken, gemütlich Musik, du kommen in Wohnung?«
»Boxt du?«, fragte ich.
Er sah mich entgeistert an.
»Du Boxen?«, wollte ich wissen und boxte dreimal in die Luft, um mich verständlich zu machen. »Muss jetzt in’n Boxverein zum Training. Bin Meisterin im Fliegengewicht, 50 Kilo, verstehste? Willst mal mitkommen zum Verein? Da kannste mal mein’ Trainer kennenlernen. Birny Funke, cooler Typ.«
Er löste sich von der Wand und blickte an mir vorbei. »Kein Boxen«, sagte er und grinste.
»Wieso?«, fragte ich. »Auf was für’n Sport stehste denn? Fußball? Schwimmen? Rennsport? Kennste Vettel? Geil, was? Aber geiler war Schumi. Achtmal Weltmeister. 1566 WM-Punkte, 155 Podestplätze, 91 Siege. Das schnellste Rennen: 2003 in Monza, mit 247,585 Km/h … In Montreal holte er sich einmal in letzter Sekunde die Pole: 1:18, 439 Minuten, Bestzeit. Coulthard, der alte Dackel, musste sich um 98 Tausendstelsekunden geschlagen geben. Nü? Was sagste dazu?«
Er sah mich an, steckte sich die Hände in die Hosentaschen und trat einen Schritt zur Seite. Mir schien, ihm war der Gesprächsstoff ausgegangen. Schließlich drehte er mir den Rücken zu und ging davon.
»Was ist mit Sartre?«, rief ich und hielt das Buch in die Luft. »Vertreter des Existenzialismus! War’n Franzose, geboren in Paris! Willste ma lesen?«
Aber er lief weiter. Ich sah seinen kahlen Kopf zwischen den Passanten, sah, wie er seinen Schritt beschleunigte und in die erste Seitengasse bog.
Als ich drei Tage später wieder zum Crêpestand ging, stand er an derselben Stelle. Angelehnt an der Wand, Zahnstocher im Mund. Als auch er mich entdeckte, blickte er schnell in eine andere Richtung. Ich bestellte mir eine Crêpe mit Himbeersoße, zahlte und drehte mich um.
Aber er war bereits weg.
Vor dem Tresen überlegte ich, welche Füllung ich für meine Crêpe bestellen sollte, als mein Blick zur Seite ging und auf einen Mann fiel, der mich beobachtete. Er stand vor einem Schuhgeschäft, sein angewinkeltes Bein gegen die Wand gestemmt, war um die fünfzig und trug eine Halbglatze. Zwischen seinen Lippen hing ein Zahnstocher.
Ich nahm die Crêpe mit Nutella entgegen, drehte mich um und sah genau in die Augen dieses Mannes, in denen der Abglanz seines Grinsens lag.
Kannten wir uns?
Ich aß die Crêpe und musste aufpassen, dass mir das Nutella nicht auf meine Kleidung tropfte. Ich ging langsam weiter, und als ich an dem Mann vorbeikam, sagte er:
»Du, schöne Frau!«
»Was?« Ich blieb stehen.
Er betrachtete mich von Kopf bis Fuß. Sein Blick war glasig, und er wiederholte:
»Du, sehr schöne Frau!«
»Schöne Frau. Schöne Stadt. Schönes Leben, mh?«, antwortete ich und leckte das heruntertröpfelnde Nutella ab.
»Ja-ha«, sagte er und räusperte sich. »Ich nur sagen: Du schöne Frau!«
»Was machst’n den ganzen Tag hier?«, fragte ich.»Sagst den Frauen, dass sie schön sind?«
»Wenn Frau schön, dann ich sage.«
Er starrte auf meine Brüste.
»Du keine Lust mitkommen?«, fragte er und wechselte seinen Zahnstocher von einem Mundwinkel zum anderen.
»Mitkommen? Wohin? Wo kommste denn her? Afghanistan? Syrien?«
»Türkei. Ich Türkei.»
»Türkei! Hui!«, sagte ich. »Icli Köfte? … Töfte wie’ne Crêpe mit Nutella« und gab der Crêpe einen kräftigen Zungenschlag, bevor mir das Zeugs auf die Bluse tropfte.
»Du mitkommen? Keine Lust, schöne Frau?« Er grinste, starrte wieder auf meine Brüste und dann auf das Buch unter meinem Arm.
»Sartre«, sagte ich und nickte in Richtung des Buches. »Kennste den?«
Er schüttelte den Kopf, blickte hinüber zum Crêpestand und dann wieder zu mir. »Ich dich einladen – und dann du mitkommen in meine Wohnung. Okay, schöne Frau?«
Sein durchdringender Blick heftete sich an meine Lippen, dann auf meine Brust, wanderte langsam hinab bis zu meinen Schuhen und wieder hinauf. Mir war, als sähe er außer meinem Körper nichts.
»Könntest doch mein Opa sein«, sagte ich und schob mir das letzte Stück Crêpe in den Mund. »Watt soll ich mit’m Oppa wie du?«
Er lächelte, blickte um sich und scharrte dabei mit dem Fuß auf dem Boden. »Keine Opa«, sagte er und fügte dann lachend hinzu: »Keine Opa. Ich Wohnung, gleich hier neben Bahnhof. Du mitkommen … Gläschen trinken, gemütlich Musik, du kommen in Wohnung?«
»Boxt du?«, fragte ich.
Er sah mich entgeistert an.
»Du Boxen?«, wollte ich wissen und boxte dreimal in die Luft, um mich verständlich zu machen. »Muss jetzt in’n Boxverein zum Training. Bin Meisterin im Fliegengewicht, 50 Kilo, verstehste? Willst mal mitkommen zum Verein? Da kannste mal mein’ Trainer kennenlernen. Birny Funke, cooler Typ.«
Er löste sich von der Wand und blickte an mir vorbei. »Kein Boxen«, sagte er und grinste.
»Wieso?«, fragte ich. »Auf was für’n Sport stehste denn? Fußball? Schwimmen? Rennsport? Kennste Vettel? Geil, was? Aber geiler war Schumi. Achtmal Weltmeister. 1566 WM-Punkte, 155 Podestplätze, 91 Siege. Das schnellste Rennen: 2003 in Monza, mit 247,585 Km/h … In Montreal holte er sich einmal in letzter Sekunde die Pole: 1:18, 439 Minuten, Bestzeit. Coulthard, der alte Dackel, musste sich um 98 Tausendstelsekunden geschlagen geben. Nü? Was sagste dazu?«
Er sah mich an, steckte sich die Hände in die Hosentaschen und trat einen Schritt zur Seite. Mir schien, ihm war der Gesprächsstoff ausgegangen. Schließlich drehte er mir den Rücken zu und ging davon.
»Was ist mit Sartre?«, rief ich und hielt das Buch in die Luft. »Vertreter des Existenzialismus! War’n Franzose, geboren in Paris! Willste ma lesen?«
Aber er lief weiter. Ich sah seinen kahlen Kopf zwischen den Passanten, sah, wie er seinen Schritt beschleunigte und in die erste Seitengasse bog.
Als ich drei Tage später wieder zum Crêpestand ging, stand er an derselben Stelle. Angelehnt an der Wand, Zahnstocher im Mund. Als auch er mich entdeckte, blickte er schnell in eine andere Richtung. Ich bestellte mir eine Crêpe mit Himbeersoße, zahlte und drehte mich um.
Aber er war bereits weg.