farblehre der lyrik

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
weiß ist weiß
und grau ist grau
und schwarz ist schwarz

aber

schwarz hat etwa bräunliches
und grau etwas rötliches

und hell ist nicht dunkel
und dunkel ist nicht hell

gelb ist gelb
und orange ist orange
aber gelb schwebt über rot

karmin aber ist rot
weiß über karmin wird die helle farbe des himmels
es wird also blau

die rose ihrerseits ist ebenfalls blau
oder auch violett

grün ist dunkelorange
und dunkelorange ist rotbraun

ich sehe und meine verwirrung
wird größer und steigt

ist der himmel nun blau
oder wie eine rose?

so fragte sich goethe und schrieb und schrieb
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Wo sind Identität und Differenz identisch? Ist Differenz mit sich selbst identisch?

Die Wackelbilder von Identität und Unterschied an Farben durchzuspielen, macht die Sache nicht nur auf schlichte Weise anschaulich, sondern trifft auch "ins Schwarze" (wie die Phrase lautet), etwa das Schwarze der Pupille - bzw. - wohinein eigentlich? vielleicht in den Regenbogen.

Ich sehe dicht daneben das Gesetz, dem nach dann, wenn ich eine Farbe aus dem (zu Grau synthetisierten oder - bei Mitaddition der Helligkeit - zu Weiß addierten) Spektrum herausnehme, dann alle "anderen" Farben des Regenbogens die Komplementärfarbe ergeben sollen. Ich nehme Orange raus, Blau bleibt übrig. Ich subtrahiere Grün und erhalte Purpur.

Beim Malen faszinierte mich schon immer, wie man aus der Braunmischung aller materiellen Farben das Violett hervor-magern lassen kann, indem die Gelbtöne reduziert werden, und dann wiederum Purpur, indem die Bläue aus dem Lila heraus-gewärmt wird.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wie sieht ein Blinder die Welt?
Wie sieht ein Rot-grün-Blinder die Welt?
Goethe fragte und fragte.
Können wir es uns vorstellen, wie andere sehen?
Quelle ist die Farblehre Goethes.

Interessant ist auch die Metamerie.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Tritonus des Tritonus

Noch eins:
Bei den musikalischen Intervallen sind die Tritonus-Beziehungen komplementär. Das Schwingungsverhältnis ist eine relle Zahl, nicht der einfache Bruch wie bei Oktave (1:2), Quinte (2:3) und Quarte (3:4). In der temperierten Stimmung liegt die Tonart, die zum Grundton der Ausgangstonart den Tritonus-Abstand hat, im Quintenzirkel genau gegenüber: Dem C-Dur das Fis-Dur, dem F das H, dem G das Cis. In der Reihe C G D A E H Fis also die sechste Quinte über dem Ausgangs-Grundton.
In der Reihe C G D A E => 1 3 9 27 81 muß ich die Töne natürlich wieder runter-oktavieren, es ist sonst ein beziehungsfremdes Gepiepse. Die 81 (E) sollte (temperiert) mit dem 5.Teilton (E) übereinstimmen, der selbst im 10., 20., 40. und 80. nach oben oktaviert erscheint. Unser Gehör würde den 81. vom 80. auch nicht unterscheiden können, wenn die beiden Töne schön tief angesetzt wären.
Fis erreiche ich als 9. Teilton des 81. => 729. Oder als 9.Teilton des 5. => 45. 729:45=(720+9):45=(90x8+9):45 => 16 Rest 9. Das bedeutet: Versechzehnfachung der 45 (d.h. vierfache Oktavierung nach oben) mit einem Rest, der nach Reduktion der Oktavierungs-Vervierfachung runterschrumpft auf den Einserrest der "81", den jede Temperierung wegtemperiert.

Als Quinte über dem H (15.), das zugleich die große Terz (4:5) über dem dritten Teilton (=Dominante) ist, finde ich für Fis gleichfalls die 45.

Nun rundet sich das Experiment erst dann richtig ab, wenn ich als Tritonus des Tritonus wieder den Grundton erreiche. Der 45. Teilton des 45. Teiltons sollte also eine Zweierpotenz ergeben.
[ 4] 45x45
[ 4] 1800
[ 4]+ 225
[ 4]=1025
Die dieser Zahl nächste Zweierpotenz ist 1024. Schön klein, der Abstand.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
tja, wie heißt es in der Startrekk-Folge (next generetion) "Die Kinder von Tamar"?
"seine Augen noch nicht offen".
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Sonatenhauptsatzform

Natürlich ist das immer eine interessante Frage, was Lyrik ist und was nicht, was noch Lyrik ist oder schon Lyrik ist usw.

Und wenn es in die Grenzen eines vorgegebenen Lyrikbegriffs geht, bleibt der umfassendere Kunstbereich. Ob es schon Kunst ist oder noch Kunst ist usw.

Allerdings gehört es sowohl zur Lyrik als auch zur Kunst, daß sie mit den Grenzen spielen. Man kann Obergrenzen nach unten drücken, oder sich um die wirklichen Probleme schöpferischen Schaffens kümmern, d.h.: es wird einem, der die Schönheit des Wirklichen oder die Wahrheit des Unerhörten zu Gesicht oder Gehör bringen will, egal sein, ob da einer die Wirklichkeit mit Definitionen verwechselt oder keine Lust hat, zu spielen.

Ästhetik, Kunst und Lyrik sind eine Frage der Form bzw. des Spiels mit der Form:
weiß ist weiß
und grau ist grau
und schwarz ist schwarz
Trikolon, parallelistisch gefügt, mit Klimax.
Exposition zu einem Spiel mit Identitäten. Wie der erste Teil in der Sonatenhauptsatzform, wo Thema und Gegenthema vorgestellt werden.
aber

schwarz hat etwa bräunliches
und grau etwas rötliches

und hell ist nicht dunkel
und dunkel ist nicht hell
Das kann man als Gegenthema der Exposition auffassen, oder bereits als Beginn der "Durchführung".
Das Spiel mit den Identitäten wird in Bewegung gebracht, gebrochen (reflektiert), zwielichtig.
gelb ist gelb
und orange ist orange
aber gelb schwebt über rot
Wenn das vorhin das Gegenthema war, dann wäre das die Synthese-überleitung zur Durchführung. Oder es ist bereits die Coda. (Klassizistisch gesehen.)

Wesentlich ist, daß es um Farben geht, das gibt dem Identitäts-Spiel die sinnliche Seite. Es ist jedenfalls nicht die trockene Sprachspielerei, die in der modernen Lyrik (haha, seit über 50 Jahren) akademisch abhebt. Es ist nachvollziehbar, und trotzdem nicht blöde. Der Goethe ist drin, aber auch die Probleme des Autolackierers, des Photographen und des Wahrnehmungszweiflers.

Ich habe die Entsprechung der Farbenkomplementarität mit der Tonalitäts-Komplementarität erwogen. Das öffnet Wissenschaften füreinander, aber auch ästhetische Reflexionen. Das ist relativ schlichte Mathematik, von Riemannschen Zetafunktionen (glaubich) weit entfernt, nur ein bißchen Zweierpotenzen-Oktaven im Verhältnis zu den Dreierpotenzen des Quintenzirkels. Why not. Ich finde das mit den Komplementärfarben und das mit dem Tritonus erwägenswert. Muß nicht, kann aber. Es trägt aber zur Ästhetik der Sinnesempfindungen, Wahrnehmungen, Wahrheiten und zu deren sonatenhauptsatzförmigen Gestaltung etwas bei: einen dimensionenöffnenden Seitenblick.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
spannend!

Und vor allem: Was für eine wunderbare Entwicklung, Steigerung bis in sinnliche Paradoxien.
Farben sind was Eigenartiges, schwer Greifbares, Erstaunliches.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja. Goethe hat damals mehrere Leute befragt und war ganz verwirrt über die Aussagen.
Ich habe hier naatürlich komprimiert und ein Gedicht draus gemacht. Wenn ich mich nicht vertan habe, stimmt es nicht nur poetisch.

Danke für die ausführliche Analyse, Mondnein.

Revilo scheint einen recht engen oder einen völlig anderen Begriff von Lyrik zu haben.

Das ist ähnlich wie in der Fotografie. Dort werden von einigen Fotografen heute nur die bis in jedes Detail scharfen Fotos anerkannt.

Hier eins meiner Bilder: Fernseher - zum Vergleich: https://www.flickr.com/photos/116228447@N06/29232633090/in/dateposted-public/
 

revilo

Mitglied
Für Lyrik braucht es ein wenig mehr als das Fabulieren über
Farbenvielfalt, lieber Bernd...hier hast du lediglich ein paar Hauptsätze aneinandergereiht und mit Zeilenumbrüchen versehen....das Thema ist sicherlich interessant, aber eher schlecht - für Lyrik - umgesetzt.....da muss wesentlich mehr kommen....

Lg revilo
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Revilo, Du musst Dich schon entscheiden: Schlecht umgesetzt oder keine Lyrik.
Keiner verbietet in der Lyrik Hauptsätze. Das lese ich zum ersten Mal.

Mit der Analyse "schlecht umgesetzt" hätte ich ja keine Probleme. Das ist bekanntlich in starkem Maße Ansichtssache.

PS: Wie kommst Du darauf, dass ich über Farbenvielfalt fabuliere? Ich fabuliere über Erkennbarkeit, Vergleichbarkeit, Innenwelt und Außenwelt und Verbindung zwischen den verschiedenen Welten.
 

revilo

Mitglied
Es geht mir nicht um den Inhalt, der ist völlig wurscht....
es geht mir einfach darum, dass ein Text, der sich liest wie eine Bedienungsanleitung zur Lyrik erhoben wird.....das funktioniert in meinen Augen nicht...aber in diesem Thema kommen wir einfach nicht zusammen...Lg revilo
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
B Dean Unxan Leitung

Lieber revilo,
die Zeilen von Bernd lesen sich nicht wie eine Bedienungsanleitung, allein schon deshalb, weil sie keine Imperative enthalten, sondern schlichte Prädikatsnominalsätze, Empfindungsvergleiche, Parallelismen und Reflexionen. Daß das in freien Versen geschieht, macht sie natürlich nicht lyrikfremd, und ich denke, Du wärst der letzte, der den "freien Vers" als unlyrisch ansähe.

ein Text, der sich liest wie eine Bedienungsanleitung
solche ein Text wäre ein saftiges Stück pop art. Dada pur.

In Köln bin ich zigmal im Museum Ludwig gewesen, wo eine Fülle von pop art Werken hängt, z.B. ein kleines Malennachzahlen-Bild von Warhol, natürlich unausgefüllt, Lichtenstein-comic-strips mit zentimetergroßen Pixeln, Plakatfetzenreste-Collagen, Werbedesign "aus dem Zusammenhang gerissen" usw.

Es lebe die Bedienungsanleitung, das wäre mal was, ein richtiges Stück pop art. Je sinnloser und absurder, desto besser. Je alltagsweltlicher, desto täglichbrotiger.

Marcus Krämer hat in der Sächsischen Zeitung vor etwa vier Wochen einen Text ins samstägliche Magazin gesetzt, der zur Hälfte aus einer Bedienungsanleitung für eine Waschmaschine bestand. Das war das glänzendste Stück Literatur, das ich in diesem Jahr gelesen habe. Köstlich!

Aber das Berndding hier ist keine Bedienungsanleitung. "Deine Augen nicht offen".
 

revilo

Mitglied
komisch , lieber Mondnein.....bevor ich deinen Kommentar las, dachte ich mir, da könnte Bernd ja gleich über ne Waschmaschine schreiben..gibt es den Artikel irgendwo noch zu lesen?
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Waschmaschinen hat Lem behandelt, wenn auch nicht in der Lyrik, sondern in einer Tragödie in Prosa.
Aber ich werde sehen ...
 



 
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