Flucht über die Nordsee 29: Alles Lüge?

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hallo ahorn,

der text hat leider sehr viele rechtschreibefehler, die das leseerlebnis trueben.

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ahorn

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29. Alles Lüge

»Komm las uns unterhalten«, hauchte Stephen Torben ins Ohr, als er den Gasthof betrat.
Er nahm ihn an die Hand, führte ihn in den Schankraum. »Komm setzt dich«, bat er ihn und schob einen alten, wackeligen Eichenstuhl von einem Tisch ab.
Mit zuckenden Fingern drückte Torben sein Kleid ans Gesäß und kam der Bitte nach, überschlug die Beine, faltete die Hände an seinem Knie. Tanjas Gatte, der weiterhin in der Tracht gekleidet war, nur, dass er die Krone abgelegt hatte, ergriff einen zweiten Stuhl. Er setzte sich ihm vis-a-vis, legte den rechten Schenkel auf den Anderen. Stumm betrachtete er Torben.

Stephen fuhr sich mit einen Finger übers Ohr, faltete die Hände wie sein Gegenüber auf dem oberen Knie. »Wer bist du?«, flüsterte er mit seiner weichen, leisen Stimme.
Torben drehte den Kopf zur Seite, schloss das linke Auge, starrte ihn mit dem Rechten an. »Antonia!«
Stephen presste den Mund, zuckte unmerklichen mit den Schultern. »Das weiß ich!«, wisperte er, befeuchtete die Lippen mit der Zunge und fuhr sich durchs Haar, um anschließend erneut das Knie zu umschließen. »Deine Mutter hat mir nie von dir etwas gesagt.« Er pausierte. »Ich will. Nein ich möchte mehr von die Erfahren.«

Torbens Stirn schlug Falten. Es hatte den Anschein, dass er davon ausging, er sei Antonia. Tanja ihm nicht gebeichtet. Warum ließ sie ihm in diesem Glauben? Flucht nach vorn. Volle Segel gesetzt, schoss er in unbekannte Gewässer.

Mit zitternden Fingern zupfte Torben am rechten Ohrläppchen, kräuselte sich eine Locke. »Was willst du wissen?«, hauchte er.
Stephen fixierte seinen Schuh, den er wie ein Kreisel drehte. »Wie und wo bist du aufgewachsen?«

Geboren bin ich in Südafrika, begann sie ihre Geschichte. Er dachte kurz an den Großvater und fuhr mit der gleichen Überzeugungskraft wie dieser fort. Nach dem Tod der Großeltern hatte sie ein paar Jahre mit Tanja bei der Großtante gelebt. Ihre Mutter stürzte sich in ihr Studium und sie, sie wurde zweitrangig. Außerdem verstand sie sich nicht mit ihrem Onkel Torben, der immer von Bärbel bevorzugt wurde.
Sie zog zu ihrem Erzeuger. Die erste Zeit war er nett, dann zeigte er sein wahres Gesicht. Einerseits war er zuvorkommend, anderseits ein Tyrann, der nicht zurückschreckte, sie zu schlagen. Nur die Stiefmutter half ihr. Stand ihr bei.

Der Mann in der Tracht schaute ihn mit wässrigen Augen an. »Und Tanja hat dich nicht daraus geholt«, schnaufte er, ballte eine Faust, die mit seinen zarten Fingern eher Verzweiflung anzeigte, als Wut oder Kraft.
Torben senkte den Kopf und zupfte an der Strumpfhose. »Wir hatten keinen Kontakt. Er hat mir den Umgang verboten«, keuchte er. Er klimperte mit seinen Wimpern. »Vielleicht wollte sie mich auch nicht mehr sehen. Bin kein Kind der Liebe!«

Torben erschrak über die eigenen Worte, nicht nur darüber, dass er, soweit er sich erinnerte, außer in der Schule, mehr als nötig gesprochen hatte. Sondern, er schämte sich dafür, Tanja in einem Licht zu stellten, welches er bedauerte. Er bereute? Wurde er schwach? Für ihn gab es nur den Weg nach vorn. Zurückschauen, die eigenen Taten infrage stellen, nicht seine Art.
Obwohl ihn alle Schulkameraden, sowie Bärbel und die Schwester meist als Weichei bezeichneten, war er ihnen Überlegen und in seiner Weise stärker. Nein. Er bereute nichts, kein einziges Wort. Rache dafür, dass sie ihn belogen hatte, all die Jahre.
Trotzdem vernahm er einen absonderlichen Schmerz in der Magengegend. Dasselbe Leiden, welches er in der Gegenwart von Matthias verspürte.

Stephen berührte Torbens Knie. »Ich weiß. Tanja hat es meiner Mutter erzählt.«
Ihm stockte der Atem. Ob es daran lag, dass es das erste Mal war, von einem Mann befummelt zu werden, zart und liebevolle, wie es sonst nur die Schwester durfte. Oder eher, weil er eine Geschichte geschildert hatte, die mit der von Tanja sich deckte. Ohne, dass sie sich abgestimmt hatten. Verband sie mehr als der Geist von Geschwistern.

Die Augen traurig, glasig fuhren Stephens Fingerspitzen unter seinen Rocksaum. »Erzähl mir von deinem Vater. Wer ist er? Was macht er?«, hauchte er.
Torbens Pupillen wanderten unterhalb der Lider. »Du meinst mein Erzeuger!«, pustete er.

Nichts besonders fing sie den Faden wieder auf. Er war Krankenpfleger im Hospital ihrer Großeltern gewesen. Erst ein paar Jahre später als ihre Mutter nach Deutschland zurückgekehrt. Herbert war kein Mann von Welt, eher durchschnitt. Typus Beamter. Er hatte einen strukturierten Tagesablauf. Zudem nicht nur das abendliche Bier - jeden Tag trank er Bier, zählte. Auch der nachmittägliche Appell gehörte, wie der Sonnenaufgang, dazu. Ihre Stiefmutter Hildegard und sie traten an. Sie zeigte ihm die Schularbeiten, worauf er nur antworte, dass Frauen keine Bildung benötigten. Und seine Gattin wies ihr Haushaltsbuch vor, bevor beide in ihrem Schlafgemach verschwanden. Danach erschien sie mit geröteten Augen, bereitet das Abendmahl.

Stephen schlug die Hand vor den Mund. »Kind da musst du weg!«, stöhnte er.
Torben senkte den Blick. »Bin doch abgehauen!« Er schaute ihm in seine feuchten Augen. »Sonst wäre ich ja nicht hier«.
Stephen neigte die Augenlider. »Auch das ist mir bekannt«, flüsterte er. »Komm zu uns. Unsere Wohnung ist kein Palast, dennoch ausreichend für drei. Es soll dir an nichts fehlen. Außerdem könnte Alina dir eine treue Freundin sein.«
Die Augenbrauen hochgezogen, zog Torben den Kopf zurück. »Ich gehe ins Internat«, zischte er.
Der Mann seiner Schwester schüttelte sein Haupt. »Ach, keine gute Idee«, murmelte er. »Schau die Alina an. Glaubst du, sie ist im Internat glücklich. Komm zu uns, las uns eine richtige Familie sein!«, schoss es über Stephens Lippen.

Torben sprang auf. Er spreizte die Finger, drückte die Mittelfinger an die Schläfen und presste die Worte förmlich aus dem Schädel. »Wer meinst du wer du bist!«. Er drehte ihm den Rücken zu, beugte den Oberkörper. »Das du mir einen Antrag unterbreiten kannst. Du bist falsch von der Ferse bis zum Scheitel.« Mit einer ruckartigen Bewegung schwenkte er seinen Körper, starrte auf ihn herab. »Du mit deinen falschen Bart, deinen falschen Haar.«
Er griff in Stephens Prinz-Eisenerz-Frisur und skalpierte ihn.
Das Kreischen eines Mädchens hallte durch den Schankraum.

Eine Frau in einem rubinroten Kleid schlich um einen alten Saab herum und schloss ihre Handtasche.
Sie blieb vor dem rechten Außenspiegel stehen, kniete sich nieder. Ihr cremeweiß behandschuhter Zeigefinger strich über ihre aristokratisch bleiche Wange, betastete ihre zu einem Grinsen verzogenen Lippen. Sie stand auf, hing ihre Henkeltasche in die Armbeuge. Mit erhobenem Haupt stöckelte sie zu einer Kapelle, die sich unweit des Autos befand, lauschte an der Tür.

»Bruder ich sehe du willst bereuen«, flüsterte ein in Schwarz gehüllter, kniender Mann mit gefalteten Fingern, ohne sich umzusehen.
Der Angesprochene kniete sich neben ihn nieder, strich mit der Rechten über den Handrücken der linken Hand. »Bereuen!«, zischte er. »Du mit deinem christlichen Getue.« Er tippte an seine Stirn. »Glaubst du, ich bin gekommen, damit du mir die Beichte abnimmst.«
Der pechschwarz gekleidete hob das Gesicht, schaute auf den Gekreuzigten. »Wir haben denselben Gott und er wird dir verzeihen, wie er es schon oft getan hat.«
Mit einer Handbewegung als würde er sich den Staub von seinem dunkelblauem Nadelstreifensakko fegen, betrachtete der Andere ebenfalls das Kreuz. »Vielleicht denselben Gott, aber mit verschiedenen Vermittler«, grinste er. »Carel lassen wir dieses blöde Getue«. Er wandte sich um, legte wie ein ertapptes Schulmädchen seine Finger auf den Mund. »Entschuldigung. Ich soll dich ja nicht mit dem Namen ansprechen, den unsere Eltern dir gegeben haben.«

Karl bekreuzigte sich, senkte sein Haupt, faltete wieder die Hände. »Gott hat für jeden den Namen übermittelt und Christus ist nicht sein Bote, sondern der Herr selbst, für uns gestorben und aufgefahren zu unserem Vater, um sich mit ihm zu vereinigen«, bebte seine Stimme. »Und lasse die Eltern aus dem Spiel, sie haben auf ihre Weise den wahren Weg gefunden.« Er fuhr herum. »Nehme im Hause des Herrn die Sonnenbrille von deinen Augen.«
Er nahm die Brille ab. »In welche Augen? Ich habe nur eins und das habe ich dir zu verdanken!«
Karl starrte im in die leere Augenhöhle. »Bruder, ich habe bereut.«
Der Einäugige schüttelte den Kopf. »Warum bereut. Ich hätte in deiner Situation genauso gehandelt.« Sein Mund verformte sich zu einem Lachen. »Nenne es einfach Unfall«, gluckste er, sah erneut zum Kruzifix. »Dafür ist doch bei dir Jahwe verantwortlich. Oder?«

»Sage mir endlich was du willst?«, zischte Karl.
Der Mann presste die Lippen, faltete die Hände am Hinterkopf. »Nichts!«
Die Stirn gekräuselt, sah Torbens Zieh-Onkel ihn an. »Nichts!«, donnerte er. »Dafür komme ich zu dir!«
Ein dämonisches Glucksen quoll aus der Kelle des Einäugigen.
Er legte seine Hand auf Karls Schulter. »Genau. Ich will das du dich einfach heraushältst.«
Angewidert schob der Gottesfürchtige die Finger vom Sakko. »Heraushalten was brütet dein kranker Geist aus«, murmelte er.
»Endlich mir zu holen, was mir gehört«, schnaufte sein Gesprächspartner, dabei ballte er eine Faust. »Schon dreimal hast du es mir genommen.«
Der Priester senkte den Blick. »Immer noch diese teuflischen Steine.«
Die Augen des Mannes sprühten. »Ja!«
Stöhnend wandte sich Karl ab. »Vergiss es, die liegen auf dem Grund der See!«
Ein Lachen durchfuhr die menschenleere Kapelle.
»Das glaubst du!«
»Ich weiß es«, zischte Karl, er knetet die Hände. »Ich habe sie Nahne übergeben, um sie zu versenken.«
»Nahne«, lachte der Mann erneut. Es klang eher überheblich als freudig. »Da hast du dir den Richtigen ausgesucht.«
Die Lider geschlossenen faltete Karl die Hände. »Nahne war ein gottesfürchtiger Mensch, dem konnte man vertrauen.«
Das verlorene Schaf klopfte ihm auf den Rücken. »Wie naiv bist du!«
Der Mann Gottes ergriff den Oberarm des Herren mit der Sonnenbrille. »Und warum jetzt und nicht vor zwölf Jahren«, grinste er selbstbewusst. Daraufhin streifte er die Finger von seinem Arm, zuckte mit den Achseln. »Weil ich es erst vor ein paar Jahren erfahren habe und …«
»Und was!«, harkte Karl nach.
Die Arme emporstreckend stand der Andere auf. »Ich erzähle dir wieder zu viel. Hältst du dich raus?«
Mit einem festen Griff erfasste der Hirte erneut seinen Arm, zog ihn herab. »Dann sag mir, was du vorhast!«
Er kniete sich nieder, zwinkerte. »Ein guter Plan funktioniert Zweimal.«
»Du Dämon«, fluchte Karl und ging in sich »Wage es nicht Thorben ein Haar zu krümmen«, flüsterte er.

Der Angesprochene zog die Augenbrauen zusammen, hob die Schultern. »Welcher Thorben?«. Er streckte den rechten Zeigefinger ab, riss Mund und Augen auf. »Ah. Du meinst Sophias Sohn. Nein!«, grunzte er. Ein Lächeln hüpfte über seine vollen Lippen. »Obwohl kurz daran gedacht habe ich.« Er schwankte mit dem Kopf. »Hätte auch fast geklappt. Leider war er nicht da.« Er ließ die Schultern hängen. »Wie gut denn …«
»Erzähl weiter«, hauchte Karl, ohne ihn anzusehen.
Eine Fingerkuppe des Mannes pochte wie ein Specht auf seine Schläfe. »In die Falle laufe ich nicht!«
Der künftige Bischof von Passau verhüllte sein Gesicht. »Hirngespinste von dir«, murmelte er, ballte eine Faust. »Ich sage es dir zum letzten Mal! Nahne konnte man vertrauen.« Er presste die gefalteten Hände an seine Unterlippe, schaute zum Kreuz hinauf. »Er war ein redlicher Mann.«

Zum zweiten Mal brach ein Lachen an den Sandsteinmauern, diesmal dämonisch wie vom Satan ausgespien. »Hat dir deine Gespielin nicht gebeichtet.«
»Ich habe mit ihr nichts«, schnaufte Karl. Dann sah er auf seine geöffneten Hände, las wie ihnen wie in einem Buch. »Ich bin ein Mann Gottes, wir sind seit vielen Jahren Freunde des Geistes!«
Verwundert senkte der Einäugige die Brauen. »Das Nahne und Alfons Freunde waren«, raunte er.
»Freunde!«, zischte Karl und wackelte mit Kopf. »Wie oft habe ich ihr gesagt sie soll die alten Geschichten ruhen lassen.«
»Manchmal ist es aber vom Vorteil sie nicht zu vergessen«, sinnierte der Mann.
Karl packte mit beiden Händen seine Schultern. »Also hast du es doch auf Thorben abgesehen«, rief er.
Er löste sich aus dem Griff. »Du und dein Thorben.« Mit einer fahrigen Bewegung wischte er über die Anzugjacke. »Du langweilst mich.«
»Wenn es dir langweilt« Karl wies zum Ausgang. »Dann gehe nach Hause und bereue.«
»Ich habe gesagt, dass du mich langweilst. Der töriche Alfons hat die Klunker oder weiß, wo sie sind«, stotterte der Andere, stand auf, hielt ihm die geballte Faust vor die Nase. »Verfluchter Pfaffe. Du schaffst es immer wieder. Hältst du still ja oder nein.«

Karl schob die Hand beiseite. »Hast du mir nicht selbst gesagt, dass man ungeschliffene Diamanten nicht einfach so verkaufen kann«, raunte er, legte den Kopf zur Seite. »Für einen angemessenen Preis. Es sei denn man hat eine Mine.« Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, das um Haaresbreite seine Ohren berührte. »Besitzt du eine. Anton ist tot.«
Er streckte sich, hob die Nase. »Ja. Ich habe eine.« Die Arme gespannten, präsentierte er die geballten Fäuste auf Höhe des Halses wie Herkules vor dem letzten Kampf. »Deswegen jetzt oder nie. Wer weiß was wieder dazwischen kommt.« Seine Rechte schoss bis an Karls Stirn. »Die Antwort auf meine Frage.«
»Nie«, zischte der Geistliche und blähte den Brustkorb. »Bis an das Ende meines Lebens werde ich deinen Dämon jagen.«
»Dann kann ich die auch nicht mehr helfen«, flüsterte sein Gegenüber, zuckte mit der Schulter und marschierte aus der Kapelle.

Karl versank ins Gebet. Er schlug das Kreuz, verneigte sich vor seinem Herrn, verließ die kleine Kirche. Vor der alten Eichentür steckte er sich eine Zigarette an, pustete den blauen Dunst in den verhangenen Himmel. Leichter Nieselregen schwebte aus den bleigrauen Wolken. Er legte den Sakkokragen an den Hals und schritt auf seinen geliebten Saab zu.

Wie immer bevor er den Wagen startete, streichelte er die am Rückspiegel baumelnde Christopherus-Plakette. Der Motor heulte auf. Karl drückte auf den Startknopf des CD-Spielers, schaltete das Fahrlicht ein. Die Sex Pistols donnerten, knarrten aus den Lautsprechern. Summend stieß er das Gaspedal hinab. Sein Saab preschte über die buckelige Landstraße. Vorbei an ausladenden Fichten, durch die dichte Waldung, die die Kapelle beherbergte.

Who killed Bambi brüllte Johnny Rotten und grölte Karl, als ein Reh im fahlen Licht des Autoscheinwerfers in verheißungsvoll zublinzelte.
Eine alte Eiche, vor der eine Bank zum Verweilen einlud, stand in der nahen Kurve. Sie leuchtete flüchtig auf, bevor der matte Strahl des Scheinwerfers erlosch.

(*OB*Ist Karl aufgestiegen? Und kann sich Thorben von dem Schock erholen?*OB*)
 
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29. Alles Lüge

»Komm, las uns unterhalten«, hauchte Stephen Torben ins Ohr, als er den Gasthof betrat.
Er nahm ihn an die Hand, führte ihn in den Schankraum. »Setzt dich«, bat er ihn und schob einen alten, wackeligen Eichenstuhl von einem Tisch ab.
Mit zuckenden Fingern drückte Torben sein Kleid ans Gesäß und kam der Bitte nach, überschlug die Beine, faltete die Hände an seinem Knie. Tanjas Gatte, der weiterhin in der Tracht gekleidet war, nur, dass er die Krone abgelegt hatte, ergriff einen zweiten Stuhl. Er setzte sich ihm vis-a-vis, legte den rechten Schenkel auf den Anderen. Stumm betrachtete er Torben.

Stephen fuhr sich mit einen Finger übers Ohr, faltete die Hände wie sein Gegenüber auf dem oberen Knie. »Wer bist du?«, flüsterte er mit seiner weichen, leisen Stimme.
Torben drehte den Kopf zur Seite, schloss das linke Auge, starrte ihn mit dem Rechten an. »Antonia!«
Stephen presste den Mund, zuckte unmerklichen mit den Schultern. »Das weiß ich!«, wisperte er, befeuchtete die Lippen mit der Zunge und fuhr sich durchs Haar, um anschließend erneut das Knie zu umschließen. »Deine Mutter hat mir nie von dir etwas gesagt.« Er pausierte. »Ich will. Nein ich möchte mehr von die Erfahren.«

Torbens Stirn schlug Falten. Es hatte den Anschein, dass er davon ausging, er sei Antonia. Tanja ihm nicht gebeichtet. Warum ließ sie ihm in diesem Glauben? Flucht nach vorn. Volle Segel gesetzt, schoss er in unbekannte Gewässer.

Mit zitternden Fingern zupfte Torben am rechten Ohrläppchen, kräuselte sich eine Locke. »Was willst du wissen?«, hauchte er.
Stephen fixierte seinen Schuh, den er wie ein Kreisel drehte. »Wie und wo bist du aufgewachsen?«

Geboren bin ich in Südafrika, begann sie ihre Geschichte. Er dachte kurz an den Großvater und fuhr mit der gleichen Überzeugungskraft wie dieser fort. Nach dem Tod der Großeltern hatte sie ein paar Jahre mit Tanja bei der Großtante gelebt. Ihre Mutter stürzte sich in ihr Studium und sie, sie wurde zweitrangig. Außerdem verstand sie sich nicht mit ihrem Onkel Torben, der immer von Bärbel bevorzugt wurde.
Sie zog zu ihrem Erzeuger. Die erste Zeit war er nett, dann zeigte er sein wahres Gesicht. Einerseits war er zuvorkommend, anderseits ein Tyrann, der nicht zurückschreckte, sie zu schlagen. Nur die Stiefmutter half ihr. Stand ihr bei.

Der Mann in der Tracht schaute ihn mit wässrigen Augen an. »Und Tanja hat dich nicht daraus geholt«, schnaufte er, ballte eine Faust, die mit seinen zarten Fingern eher Verzweiflung anzeigte, als Wut oder Kraft.
Torben senkte den Kopf und zupfte an der Strumpfhose. »Wir hatten keinen Kontakt. Er hat mir den Umgang verboten«, keuchte er. Er klimperte mit seinen Wimpern. »Vielleicht wollte sie mich auch nicht mehr sehen. Bin kein Kind der Liebe!«

Torben erschrak über die eigenen Worte, nicht nur darüber, dass er, soweit er sich erinnerte, außer in der Schule, mehr als nötig gesprochen hatte. Sondern, er schämte sich dafür, Tanja in einem Licht zu stellten, welches er bedauerte. Er bereute? Wurde er schwach? Für ihn gab es nur den Weg nach vorn. Zurückschauen, die eigenen Taten infrage stellen, nicht seine Art.
Obwohl ihn alle Schulkameraden, sowie Bärbel und die Schwester meist als Weichei bezeichneten, war er ihnen Überlegen und in seiner Weise stärker. Nein. Er bereute nichts, kein einziges Wort. Rache dafür, dass sie ihn belogen hatte, all die Jahre.
Trotzdem vernahm er einen absonderlichen Schmerz in der Magengegend. Dasselbe Leiden, welches er in der Gegenwart von Matthias verspürte.

Stephen berührte Torbens Knie. »Ich weiß. Tanja hat es meiner Mutter erzählt.«
Ihm stockte der Atem. Ob es daran lag, dass es das erste Mal war, von einem Mann befummelt zu werden, zart und liebevolle, wie es sonst nur die Schwester durfte. Oder eher, weil er eine Geschichte geschildert hatte, die mit der von Tanja sich deckte. Ohne, dass sie sich abgestimmt hatten. Verband sie mehr als der Geist von Geschwistern.

Die Augen traurig, glasig fuhren Stephens Fingerspitzen unter seinen Rocksaum. »Erzähl mir von deinem Vater. Wer ist er? Was macht er?«, hauchte er.
Torbens Pupillen wanderten unterhalb der Lider. »Du meinst mein Erzeuger!«, pustete er.

Nichts besonders fing sie den Faden wieder auf. Er war Krankenpfleger im Hospital ihrer Großeltern gewesen. Erst ein paar Jahre später als ihre Mutter nach Deutschland zurückgekehrt. Herbert war kein Mann von Welt, eher durchschnitt. Typus Beamter. Er hatte einen strukturierten Tagesablauf. Zudem nicht nur das abendliche Bier - jeden Tag trank er Bier, zählte. Auch der nachmittägliche Appell gehörte, wie der Sonnenaufgang, dazu. Ihre Stiefmutter Hildegard und sie traten an. Sie zeigte ihm die Schularbeiten, worauf er nur antworte, dass Frauen keine Bildung benötigten. Und seine Gattin wies ihr Haushaltsbuch vor, bevor beide in ihrem Schlafgemach verschwanden. Danach erschien sie mit geröteten Augen, bereitet das Abendmahl.

Stephen schlug die Hand vor den Mund. »Kind da musst du weg!«, stöhnte er.
Torben senkte den Blick. »Bin doch abgehauen!« Er schaute ihm in seine feuchten Augen. »Sonst wäre ich ja nicht hier«.
Stephen neigte die Augenlider. »Auch das ist mir bekannt«, flüsterte er. »Komm zu uns. Unsere Wohnung ist kein Palast, dennoch ausreichend für drei. Es soll dir an nichts Fehlen. Außerdem könnte Alina dir eine treue Freundin sein.«
Die Augenbrauen hochgezogen, zog Torben den Kopf zurück. »Ich gehe ins Internat«, zischte er.
Der Mann seiner Schwester schüttelte sein Haupt. »Ach, keine gute Idee«, murmelte er. »Schau die Alina an. Glaubst du, sie ist im Internat glücklich. Komm zu uns, las uns eine richtige Familie sein!«, schoss es über Stephens Lippen.

Torben sprang auf. Er spreizte die Finger, drückte die Mittelfinger an die Schläfen und presste die Worte förmlich aus dem Schädel. »Wer meinst du, wer du bist!«. Er drehte ihm den Rücken zu, beugte den Oberkörper. »Das du mir einen Antrag unterbreiten kannst. Du bist falsch von der Ferse bis zum Scheitel.« Mit einer ruckartigen Bewegung schwenkte er seinen Körper, starrte auf ihn herab. »Du mit deinen falschen Bart, deinen falschen Haar.«
Er griff in Stephens Prinz-Eisenerz-Frisur und skalpierte ihn.
Das Kreischen eines Mädchens hallte durch den Schankraum.

Eine Frau in einem rubinroten Kleid schlich um einen alten Saab herum und schloss ihre Handtasche.
Sie blieb vor dem rechten Außenspiegel stehen, kniete sich nieder. Ihr cremeweiß behandschuhter Zeigefinger strich über ihre aristokratisch bleiche Wange, betastete ihre zu einem Grinsen verzogenen Lippen. Sie stand auf, hing ihre Henkeltasche in die Armbeuge. Mit erhobenem Haupt stöckelte sie zu einer Kapelle, die sich unweit des Autos befand, lauschte an der Tür.

»Bruder ich sehe, du willst bereuen«, flüsterte ein in Schwarz gehüllter, kniender Mann mit gefalteten Fingern, ohne sich umzusehen.
Der Angesprochene kniete sich neben ihn nieder, strich mit der Rechten über den Handrücken der linken Hand. »Bereuen!«, zischte er. »Du mit deinem christlichen Getue.« Er tippte an seine Stirn. »Glaubst du, ich bin gekommen, damit du mir die Beichte abnimmst.«
Der pechschwarz gekleidete hob das Gesicht, schaute auf den Gekreuzigten. »Wir haben denselben Gott und er wird dir verzeihen, wie er es schon oft getan hat.«
Mit einer Handbewegung als würde er sich den Staub von seinem dunkelblauem Nadelstreifensakko fegen, betrachtete der Andere ebenfalls das Kreuz. »Vielleicht denselben Gott, aber mit verschiedenen Vermittler«, grinste er. »Carel lassen wir dieses blöde Getue«. Er wandte sich um, legte wie ein ertapptes Schulmädchen seine Finger auf den Mund. »Entschuldigung. Ich soll dich ja nicht mit dem Namen ansprechen, den unsere Eltern dir gegeben haben.«

Karl bekreuzigte sich, senkte sein Haupt, faltete wieder die Hände. »Gott hat für jeden den Namen übermittelt und Christus ist nicht sein Bote, sondern der Herr selbst, für uns gestorben und aufgefahren zu unserem Vater, um sich mit ihm zu vereinigen«, bebte seine Stimme. »Und lasse die Eltern aus dem Spiel, sie haben auf ihre Weise den wahren Weg gefunden.« Er fuhr herum. »Nehme im Hause des Herrn die Sonnenbrille von deinen Augen.«
Er nahm die Brille ab. »In welche Augen? Ich habe nur eins und das habe ich dir zu verdanken!«
Karl starrte im in die leere Augenhöhle. »Bruder, ich habe bereut.«
Der Einäugige schüttelte den Kopf. »Warum bereut. Ich hätte in deiner Situation genauso gehandelt.« Sein Mund verformte sich zu einem Lachen. »Nenne es einfach Unfall«, gluckste er, sah erneut zum Kruzifix. »Dafür ist doch bei dir Jahwe verantwortlich. Oder?«

»Sage mir endlich, was du willst?«, zischte Karl.
Der Mann presste die Lippen, faltete die Hände am Hinterkopf. »Nichts!«
Die Stirn gekräuselt, sah Torbens Zieh-Onkel ihn an. »Nichts!«, donnerte er. »Dafür komme ich zu dir!«
Ein dämonisches Glucksen quoll aus der Kelle des Einäugigen.
Er legte seine Hand auf Karls Schulter. »Genau. Ich will, dass du dich einfach heraushältst.«
Angewidert schob der Gottesfürchtige die Finger vom Sakko. »Heraushalten was brütet dein kranker Geist aus«, murmelte er.
»Endlich mir zu holen, was mir gehört«, schnaufte sein Gesprächspartner, dabei ballte er eine Faust. »Schon dreimal hast du es mir genommen.«
Der Priester senkte den Blick. »Immer noch diese teuflischen Steine.«
Die Augen des Mannes sprühten. »Ja!«
Stöhnend wandte sich Karl ab. »Vergiss es, die liegen auf dem Grund der See!«
Ein Lachen durchfuhr die menschenleere Kapelle.
»Das glaubst du!«
»Ich weiß es«, zischte Karl, er knetet die Hände. »Ich habe sie Nahne übergeben, um sie zu versenken.«
»Nahne«, lachte der Mann erneut. Es klang eher überheblich als freudig. »Da hast du dir den Richtigen ausgesucht.«
Die Lider geschlossenen faltete Karl die Hände. »Nahne war ein gottesfürchtiger Mensch, dem konnte man vertrauen.«
Das verlorene Schaf klopfte ihm auf den Rücken. »Wie naiv bist du!«
Der Mann Gottes ergriff den Oberarm des Herren mit der Sonnenbrille. »Und warum jetzt und nicht vor zwölf Jahren«, grinste er selbstbewusst. Daraufhin streifte er die Finger von seinem Arm, zuckte mit den Achseln. »Weil ich es erst vor ein paar Jahren erfahren habe und …«
»Und was!«, harkte Karl nach.
Die Arme emporstreckend stand der Andere auf. »Ich erzähle dir wieder zu viel. Hältst du dich raus?«
Mit einem festen Griff erfasste der Hirte erneut seinen Arm, zog ihn herab. »Dann sag mir, was du vorhast!«
Er kniete sich nieder, zwinkerte. »Ein guter Plan funktioniert zweimal.«
»Du Dämon«, fluchte Karl und ging in sich »Wage es nicht, Thorben ein Haar zu krümmen«, flüsterte er.

Der Angesprochene zog die Augenbrauen zusammen, hob die Schultern. »Welcher Thorben?«. Er streckte den rechten Zeigefinger ab, riss Mund und Augen auf. »Ah. Du meinst Sophias Sohn. Nein!«, grunzte er. Ein Lächeln hüpfte über seine vollen Lippen. »Obwohl kurz daran gedacht habe ich.« Er schwankte mit dem Kopf. »Hätte auch fast geklappt. Leider war er nicht da.« Er ließ die Schultern hängen. »Wie gut denn …«
»Erzähl weiter«, hauchte Karl, ohne ihn anzusehen.
Eine Fingerkuppe des Mannes pochte wie ein Specht auf seine Schläfe. »In die Falle laufe ich nicht!«
Der künftige Bischof von Passau verhüllte sein Gesicht. »Hirngespinste von dir«, murmelte er, ballte eine Faust. »Ich sage es dir zum letzten Mal! Nahne konnte man vertrauen.« Er presste die gefalteten Hände an seine Unterlippe, schaute zum Kreuz hinauf. »Er war ein redlicher Mann.«

Zum zweiten Mal brach ein Lachen an den Sandsteinmauern, diesmal dämonisch wie vom Satan ausgespien. »Hat dir deine Gespielin nicht gebeichtet.«
»Ich habe mit ihr nichts«, schnaufte Karl. Dann sah er auf seine geöffneten Hände, las wie ihnen wie in einem Buch. »Ich bin ein Mann Gottes, wir sind seit vielen Jahren Freunde des Geistes!«
Verwundert senkte der Einäugige die Brauen. »Das Nahne und Alfons Freunde waren«, raunte er.
»Freunde!«, zischte Karl und wackelte mit Kopf. »Wie oft habe ich ihr gesagt, sie soll die alten Geschichten ruhen lassen.«
»Manchmal ist es aber vom Vorteil sie nicht zu vergessen«, sinnierte der Mann.
Karl packte mit beiden Händen seine Schultern. »Also hast du es doch auf Thorben abgesehen«, rief er.
Er löste sich aus dem Griff. »Du und dein Thorben.« Mit einer fahrigen Bewegung wischte er über die Anzugjacke. »Du langweilst mich.«
»Wenn es dir langweilt« Karl wies zum Ausgang. »Dann gehe nach Hause und bereue.«
»Ich habe gesagt, dass du mich langweilst. Der törische Alfons hat die Klunker oder weiß, wo sie sind«, stotterte der Andere, stand auf, hielt ihm die geballte Faust vor die Nase. »Verfluchter Pfaffe. Du schaffst es immer wieder. Hältst du still ja oder nein.«

Karl schob die Hand beiseite. »Hast du mir nicht selbst gesagt, dass man ungeschliffene Diamanten nicht einfach so verkaufen kann«, raunte er, legte den Kopf zur Seite. »Für einen angemessenen Preis. Es sei denn man hat eine Mine.« Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, das um Haaresbreite seine Ohren berührte. »Besitzt du eine. Anton ist tot.«
Er streckte sich, hob die Nase. »Ja. Ich habe eine.« Die Arme gespannten, präsentierte er die geballten Fäuste auf Höhe des Halses wie Herkules vor dem letzten Kampf. »Deswegen jetzt oder nie. Wer weiß was wieder dazwischen kommt.« Seine Rechte schoss bis an Karls Stirn. »Die Antwort auf meine Frage.«
»Nie«, zischte der Geistliche und blähte den Brustkorb. »Bis an das Ende meines Lebens werde ich deinen Dämon jagen.«
»Dann kann ich die auch nicht mehr helfen«, flüsterte sein Gegenüber, zuckte mit der Schulter und marschierte aus der Kapelle.

Karl versank ins Gebet. Er schlug das Kreuz, verneigte sich vor seinem Herrn, verließ die kleine Kirche. Vor der alten Eichentür steckte er sich eine Zigarette an, pustete den blauen Dunst in den verhangenen Himmel. Leichter Nieselregen schwebte aus den bleigrauen Wolken. Er legte den Sakkokragen an den Hals und schritt auf seinen geliebten Saab zu.

Wie immer bevor er den Wagen startete, streichelte er die am Rückspiegel baumelnde Christopherus-Plakette. Der Motor heulte auf. Karl drückte auf den Startknopf des CD-Spielers, schaltete das Fahrlicht ein. Die Sex Pistols donnerten, knarrten aus den Lautsprechern. Summend stieß er das Gaspedal hinab. Sein Saab preschte über die buckelige Landstraße. Vorbei an ausladenden Fichten, durch die dichte Waldung, die die Kapelle beherbergte.

Who killed Bambi brüllte Johnny Rotten und grölte Karl, als ein Reh im fahlen Licht des Autoscheinwerfers in verheißungsvoll zublinzelte.
Eine alte Eiche, vor der eine Bank zum Verweilen einlud, stand in der nahen Kurve. Sie leuchtete flüchtig auf, bevor der matte Strahl des Scheinwerfers erlosch.

(*OB*Ist Karl aufgestiegen? Und kann sich Thorben von dem Schock erholen?*OB*)
 
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die ersten beiden fehler, ahorn, befinden sich in den ersten beiden saetzen:
"Komm, las (lass) uns unterhalten ..."
"Setzt (Setz) dich ..."
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29. Alles Lüge

Antonia schlenderte durch den Eingang, betrat den Gasthof. »Komm, lass uns unterhalten«, hauchte Stephen ihr ins Ohr.
Er ergriff ihre Hand, führte sie in den Schankraum. »Setz dich«, bat er sie und schob einen alten, wackeligen Eichenstuhl von einem Tisch ab.
Mit zuckenden Fingern drückte Antonia ihr Kleid ans Gesäß und kam der Bitte nach, überschlug die Beine, faltete die Hände an ihren Knie. Er weiterhin in der Tracht gekleidet, nur die Krone hatte er abgelegt, ergriff einen zweiten Stuhl. Blinzelnd setzte er sich vis-a-vis, legte den rechten Schenkel auf den Anderen. Stumm betrachtete er sie.

Stephen fuhr sich mit einen Finger übers Ohr, faltete die Hände wie sein Gegenüber auf dem oberen Knie. »Das Kleid steht die ausgezeichnet und die Pumps passen absolut super dazu, kannst du tragen«, flüsterte er mit seiner weichen, leisen Stimme.
Antonia strich ihr Haar übers rechte Ohr, obwohl keine Strähne dort hing. »Danke!«, wisperte sie.
»Wer bist du?«
Antonia drehte den Kopf zur Seite, schloss das linke Auge, starrte ihn mit dem Rechten an. »Antonia!«
Stephen presste den Mund, zuckte unmerklichen mit den Schultern. »Das weiß ich!«, zischelte er, befeuchtete die Lippen und fuhr sich durchs Haar, um anschließend erneut das Knie zu umschließen. »Deine Mutter hat mir nie von dir erzählt.« Er pausierte. »Ich will. Nein ich möchte mehr von dir Erfahren.«

Antonias Stirn schlug Falten. Es hatte den Anschein, er ging davon aus, sie sei wahrlich Antonia Tanjas Tochter. Sie hatte ihm nicht gebeichtet. Warum ließ sie ihn in diesem Glauben? Flucht nach vorn. Volle Segel gesetzt, schoss sie in unbekannte Gewässer.

Mit zitternden Fingern zupfte Antonia am rechten Ohrläppchen, kräuselte sich eine Locke. »Was willst du wissen?«
Stephen fixierte seinen Schuh, den er wie ein Kreisel drehte. »Wie und wo bist du aufgewachsen?«

Geboren bin ich in Südafrika, begann sie ihre Geschichte. Sie dachte kurz an den Großvater und fuhr mit der gleichen Überzeugungskraft wie dieser fort. Nach dem Tod der Großeltern hatte sie ein paar Jahre mit Tanja bei der Großtante gelebt. Ihre Mutter stürzte sich in ihr Studium und sie, sie wurde zweitrangig. Außerdem verstand sie sich nicht mit ihrem Onkel Torben, den Bärbel bevorzugte.
Sie zog zu ihrem Erzeuger. Die erste Zeit war er nett, dann zeigte er sein wahres Gesicht. Einerseits war er zuvorkommend, anderseits ein Tyrann, der nicht zurückschreckte, sie zu schlagen. Nur die Stiefmutter half ihr. Stand ihr bei.

Der Mann in der Tracht schaute sie mit wässrigen Augen an. »Tanja hat dich nicht daraus geholt«, gab er erbost von sich, ballte eine Faust, die mit seinen zarten Fingern eher Leid zeigte, als Wut oder Kraft.
Antonia senkte den Kopf und zupfte an der Strumpfhose. »Wir hatten keinen Kontakt. Er hat mir den Umgang verboten«, keuchte sie. Sie klimperte mit ihren Wimpern. »Vielleicht wollte sie mich auch nicht mehr sehen. Bin kein Kind der Liebe!«

Antonia erschrak über die eigenen Worte. Nicht darüber, dass sie, soweit sie sich außer in der Schule erinnerte, mehr als nötig gesprochen hatte, sondern, sie schämte sich dafür, Tanja in einem Licht zu stellten, dass sie bedauerte. Sie bereute? Wurde sie schwach? Für sie gab es nur den Weg nach vorn. Zurückschauen, die eigenen Taten infrage stellen, nicht ihre Art.
Obwohl sie alle Schulkameraden, sowie Bärbel und die Mutter meist als schüchtern oder zurückhaltend bezeichneten, war sie ihnen Überlegen, in ihrer Art stärker. Nein. Sie bereute nichts, kein einziges Wort. Rache dafür, dass die beiden sie all die Jahre belogen hatten.
Trotzdem vernahm sie einen absonderlichen Schmerz in der Magengegend. Dasselbe Leiden, welches sie in der Gegenwart von Matthias verspürte.

Stephen berührte Antonias Knie. »Ich weiß. Tanja hat es meiner Mutter erzählt.«
Ihr stockte der Atem. Ob es daran lag, dass es das erste Mal war, von einem Mann befummelt zu werden, zart und liebevolle, wie es sonst nur einer Mutter gestattet war. Oder eher, weil sie eine Geschichte geschildert hatte, die, ohne vorher sich abgestimmt zu haben, mit der von Tanja sich zu decken schien. Verband sie mehr als der Geist von Geschwistern.

Die Augen traurig, glasig fuhren Stephens Fingerspitzen unter ihren Rocksaum. »Erzähl mir von deinem Vater. Wer ist er? Was macht er?«
Antonias Pupillen wanderten unterhalb der Lider. »Du meinst mein Erzeuger!«, grummelte sie.

Nichts besonders fing sie den Faden wieder auf. Er war Krankenpfleger im Hospital ihrer Großeltern gewesen.
Herbert war kein Mann von Welt, eher durchschnitt. Typus Beamter. Er hatte einen strukturierten Tagesablauf. Zudem nicht nur das abendliche Bier - jeden Tag trank er Bier, zählte. Auch der nachmittägliche Appell gehörte, wie der Sonnenaufgang, dazu. Ihre Stiefmutter Hildegard und sie traten an. Sie zeigte ihm die Schularbeiten, worauf er antworte: Frauen benötigten keine Bildung. Seine Gattin legte ihr Haushaltsbuch vor, bevor beide in ihrem Schlafgemach verschwanden. Danach erschien sie mit geröteten Augen, bereitet das Abendmahl.

Stephen schlug die Hand vor den Mund. »Kind da musst du weg!«
Antonia senkte den Blick. »Bin abgehauen!« Sie schaute ihm in seine feuchten Augen. »Sonst wäre ich ja nicht hier«.
Stephen neigte die Augenlider. »Auch das ist mir bekannt«, flüsterte er. »Komm zu uns. Unsere Wohnung ist kein Palast, dennoch ausreichend für drei. Es soll dir an nichts Fehlen. Außerdem könnte Alina dir eine treue Freundin sein.«
Die Augenbrauen hochgezogen, zog Antonia den Kopf zurück. »Ich gehe ins Internat«, zischte sie.
Stephen schüttelte sein Haupt. »Ach, keine gute Idee«, murmelte er. »Schau dir die Alina an. Glaubst du, sie ist im Internat glücklich. Komm zu uns, las uns eine richtige Familie sein!«, schoss es über seine Lippen.

Antonia sprang auf. Sie spreizte die Finger, drückte die Mittelfinger an die Schläfen und presste die Worte förmlich aus dem Schädel. »Wer meinst du, wer du bist!«. Sie drehte ihm ihr Kreuz zu, beugte den Oberkörper. »Das du mir einen Antrag unterbreiten kannst. Du bist falsch von der Ferse bis zum Scheitel.« Mit einem Ruck schwenkte sie ihren Körper, starrte auf ihn herab. »Du mit deinen falschen Bart, deinen falschen Haar.«
Sie griff in Stephens Prinz-Eisenerz-Frisur, skalpierte ihn.
Das Kreischen eines Mädchens hallte durch den Schankraum.

Eine Dame in einem rubinroten Kleid schlich um einen alten Saab herum und schloss ihre Handtasche.
Sie blieb vor dem rechten Außenspiegel stehen, kniete sich nieder. Ihr cremeweiß behandschuhter Zeigefinger strich über ihre aristokratisch bleiche Wange, betastete ihre zu einem Grinsen verzogenen Lippen. Sie stand auf, hing ihre Henkeltasche in die Armbeuge. Mit erhobenem Haupt stöckelte sie zu einer unweit des Autos stehenden Kapelle, lauschte an der Tür.

»Bruder ich sehe, du willst bereuen«, flüsterte ein in Schwarz gehüllter, kniender Herr mit gefalteten Fingern, ohne sich umzusehen.
Er kniete nieder, strich mit der Rechten über seinen Handrücken der linken Hand. »Bereuen!«, zischte er. »Du mit deinem christlichen Getue.« Er tippte an die Stirn. »Glaubst du, ich bin gekommen, damit du mir die Beichte abnimmst.«
Der pechschwarz gekleidete hob das Gesicht, schaute auf den Gekreuzigten. »Wir haben denselben Gott und er wird dir verzeihen, wie er es oft getan hat.«
Mit einer Geste als würde er sich den Staub von seinem dunkelblauem Nadelstreifensakko fegen, betrachtete er ebenfalls das Kreuz. »Denselben Gott, aber mit verschiedenen Vermittler«, grinste er. »Carel lassen wir dieses blöde Getue«. Er wandte sich um, legte wie ein ertapptes Schulmädchen seine Finger auf den Mund. »Entschuldigung. Ich soll dich ja nicht mit dem Namen ansprechen, den unsere Eltern dir gegeben haben.«

Karl bekreuzigte sich, senkte sein Haupt, faltete wieder die Hände. »Gott hat für jeden den Namen übermittelt und Christus ist nicht sein Bote, sondern der Herr, für uns gestorben und aufgefahren zu unserem Vater, um sich mit ihm zu vereinigen«, bebte seine Stimme. »Las die Eltern aus dem Spiel, sie haben auf ihre Weise den wahren Weg gefunden.« Er fuhr herum. »Nehme im Hause des Herrn die Sonnenbrille von deinen Augen.«
Er nahm die Brille ab. »In welche Augen? Ich habe nur eins und das hab ich dir zu verdanken!«
Karl starrte ihm in die leere Augenhöhle. »Bruder, ich habe bereut.«
Er schüttelte den Kopf. »Warum bereut. Ich hätte in deiner Situation genauso gehandelt.« Sein Mund verformte sich zu einem Lachen. »Nenne es einfach Unfall«, gluckste er, sah erneut zum Kruzifix. »Dafür ist bei dir Jahwe verantwortlich. Oder?«

»Sag mir endlich, was du willst?«, zischte Karl.
Er presste die Lippen, faltete die Hände am Hinterkopf. »Nichts!«
Die Stirn gekräuselt, sah Karl ihn an. »Nichts!«, donnerte er. »Dafür komme ich zu dir!«
Er legte die Rechte auf Karls Schulter und ein dämonisches Glucksen quoll aus seiner Kelle. »Genau. Ich will, dass du dich einfach heraushältst.«
Angewidert schob der Gottesfürchtige die Finger vom Sakko. »Heraushalten was brütet dein kranker Geist aus«, murmelte er.
Er ballte eine Faust.»Endlich mir zu holen, was mir gehört«, donnerte er. »Dreimal hast du es mir genommen.«
Der Priester senkte den Blick. »Immer diese teuflischen Steine.«
Seine Augen sprühten. »Ja!«
Stöhnend wandte sich Karl ab. »Vergiss es, die liegen auf dem Grund der See!«
Ein Lachen durchfuhr die menschenleere Kapelle.
»Das glaubst du!«
Karl knetet die Hände »Ich weiß es«, zischte er. »Ich habe sie Nahne übergeben, um sie zu versenken.«
»Nahne«, lachte er erneut. Es klang eher überheblich als freudig. »Da hast du dir den Richtigen ausgesucht.«
Die Lider geschlossenen faltete Karl die Hände. »Nahne war ein gottesfürchtiger Mensch, dem konnte man vertrauen.«
Das verlorene Schaf klopfte ihm auf den Rücken. »Wie naiv bist du!«
Der Mann Gottes ergriff den Oberarm des Herren mit der Sonnenbrille. »Und warum jetzt und nicht vor dreizehn Jahren«, grinste er selbstbewusst. Daraufhin streifte er die Finger von seinem Arm, zuckte mit den Achseln. »Weil ich es erst vor ein paar Jahren erfahren habe und …«
»Und was!«, harkte Karl nach.
Die Arme emporstreckend stand er auf. »Ich erzähle dir wieder zu viel. Hältst du dich raus?«
Mit einem festen Griff erfasste der Hirte erneut seinen Arm, zog ihn herab. »Dann sag mir, was du vorhast!«
Er kniete sich nieder, zwinkerte. »Ein guter Plan funktioniert zweimal.«
»Du Dämon«, fluchte Karl und ging in sich »Wage es nicht, dem Kind ein Haar zu krümmen!«

Er zog die Augenbrauen zusammen, hob die Schultern. »Kind ist wohl übertrieben?«. Er streckte den rechten Zeigefinger ab, riss Mund und Augen auf. »Ah. Du meinst Sophias Sohn. Nein!«, grunzte er. Ein Lächeln hüpfte über seine vollen Lippen. »Obwohl kurz daran gedacht habe ich.« Er schwankte mit dem Kopf. »Hätte um Haaresbreite geklappt. Leider war er nicht da.« Seine Schultern sackten herab. »Wie gut denn …«
»Erzähl weiter«, hauchte Karl, ohne ihn anzusehen.
Er pochte mit einer Fingerkuppe wie ein Specht auf seine Schläfe. »In die Falle laufe ich nicht!«
Der künftige Bischof von Passau verhüllte sein Gesicht. »Hirngespinste von dir«, murmelte er, ballte eine Faust. »Ich sage es dir zum letzten Mal! Nahne konnte man vertrauen.« Er presste die gefalteten Hände an seine Unterlippe, schaute zum Kreuz hinauf. »Er war ein redlicher Mann.«

Erneut brach sich ein Lachen an den Sandsteinmauern, diesmal dämonisch wie vom Satan ausgespien. »Hat dir deine Gespielin nicht gebeichtet.«
Karl sah auf seine geöffneten Hände, las wie ihnen wie in einem Buch. »Ich habe mit ihr nichts«, keuchte er. »Ich bin ein Mann Gottes, wir sind seit vielen Jahren Freunde des Geistes!«
Verwundert senkte er die Brauen. »Das Nahne und Alfons Freunde waren«, raunte er.
»Freunde!«, zischte Karl und wackelte mit Kopf. »Wie oft habe ich ihr gesagt, sie soll die alten Geschichten ruhen lassen.«
»Manchmal ist es vom Vorteil sie nicht zu vergessen«, sinnierte er.
Karl packte mit beiden Händen seine Schultern. »Hast du es doch auf das Kind abgesehen«, rief er.
Er löste sich aus dem Griff, begriff die Worte nicht, wie er nie sein Geschwafel geschnallt hatte. »Du und ihr Balg.« Mit einer fahrigen Bewegung wischte er über die Anzugjacke. »Du langweilst mich.« Er kratzte sich am Ohr. »Es sei denn, euch verbindet mehr als nur Freundschaft.«
»Solltest du etwas wissen, dann hänge es an die große Glocke, posaune es heraus, lasse die Mauern einstürzen, Jerichow versinken. Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht. Ich habe gebetet, der Herr mich erhört, mich geprüft und verziehen. Somit, wenn es dir langweilt«, Karl deutete zum Ausgang. »Dann gehe nach Hause und bereue.«
»Ich habe gesagt: Du langweilst mich. Der törische Alfons hat die Klunker oder weiß, wo sie sind«, stotterte er, stand auf, hielt ihm die geballte Faust vor die Nase. »Verfluchter Pfaffe. Du schaffst es immer wieder. Hältst du still ja oder nein.«

Karl schob die Hand beiseite. »Hast du mir nicht gesagt, wie schwer es ist, ungeschliffene Diamanten zu verkaufen«, raunte er, legte den Kopf zur Seite. »Für einen angemessenen Preis. Es sei denn man hat eine Mine.« Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, das um Haaresbreite seine Ohren berührte. »Besitzt du eine. Anton ist tot.«
Er streckte sich, hob die Nase. »Ja. Ich habe eine.« Die Arme gespannten, präsentierte er die geballten Fäuste auf Höhe des Halses wie Herkules vor dem letzten Kampf. »Deswegen jetzt oder nie. Wer weiß, was wieder dazwischen kommt.« Seine Rechte schoss bis an Karls Stirn. »Die Antwort auf meine Frage.«
»Nie«, zischte der Geistliche und blähte den Brustkorb. »Bis an das Ende meines Lebens werde ich deinen Dämon jagen.«
»Dann kann ich dir nicht mehr helfen«, flüsterte sein Gegenüber, zuckte mit der Schulter und marschierte aus der Kapelle.

Er hatte es versucht, ihn auf seine Seite zu ziehen, zumindest ihn abzuhalten ihm in die Quere zu kommen. Er war ein verbohrter Narr oder, er schloss die Augen, legte er es darauf an, um die eigenen Missetaten zu verschleiern. Waren sie sich fremder, als er es je dachte.

Karl versank ins Gebet. Er schlug das Kreuz, verneigte sich vor seinem Herrn, verließ die winzige Kirche. Vor der alten Eichentür steckte er sich eine Zigarette an, pustete den blauen Dunst in den verhangenen Himmel. Sachter Nieselregen schwebte aus den bleigrauen Wolken. Er legte den Sakkokragen an den Hals und schritt auf seinen geliebten Saab zu.

Wie immer bevor er den Wagen startete, streichelte er die am Rückspiegel baumelnde Christopherus-Plakette. Der Motor heulte auf. Karl drückte auf den Startknopf des CD-Spielers, schaltete das Fahrlicht ein. Die Sex Pistols donnerten, knarrten aus den Lautsprechern. Summend stieß er das Gaspedal hinab. Sein Saab preschte über die buckelige Landstraße. Vorbei an ausladenden Fichten, durch den die Kapelle beherbergenden Forst.

Who killed Bambi brüllte Johnny Rotten und grölte Karl, als ein Reh im fahlen Licht des Autoscheinwerfers in verheißungsvoll zublinzelte.
Eine alte Eiche, vor der eine Bank zum Verweilen einlud, stand in der nahen Kurve. Sie leuchtete flüchtig auf, bevor der matte Strahl des Scheinwerfers erlosch.

weiter zum nächsten Teil 30. Verdichtung
 



 
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