Flucht über die Nordsee 79. Ringtausch

ahorn

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Ringtausch

»Wohin gehen wir?« – »Außerdem bin ich müde!«
»Wart ab!«
»Warum sollte ich aus dem Fenster klettern?«
»Durch die Haustür hätte Klara es mitbekommen«
Svenja blieb stehen. »Sie ist meine Mutter!«
»Dann hast du jetzt zwei!« Tami zerrte sie am Oberarm. »Sie scheint verrückt, aber ihre Schilderung klingt logisch!«
Den Kopf zurückgezogen überkreuzte Svenja die Arme und legte ihre Hände auf ihre Schultern.
»Welche Geschichte?«
Tami wies auf eine Parkbank. Svenja setzte sich, zog die Beine auf die Sitzfläche und umringte ihre Knie. »Mir ist kalt!«
Ihre Freundin nahm neben ihr Platz und legte ihren Arm um Svenjas Schultern.

»Also«, hauchte Tami, »die Frau behauptete, Tanja zu sein!«
»Die ist tot!«
»Sie wirkte auf mich munter!« Tami kicherte. »Vielleicht ist sie ein Zombie. Hat irgendetwas von einer Mumie.« Sie hob die Schultern. »Krass!«

Tami berichtete Svenja, dass diese Tanja was mit dem Stephen gehabt hatte. »Dem Mann deiner Mutter!«, untermauerte sie ihre Aussage und biss auf ihre Lippe. »Sie sagte mir, dass sie mit ihrem Vater und ihrer Tochter zurück nach Deutschland wollte.«
»Von wo?«
»Südafrika!« – »Na ja, ihr Vater war es nicht. Nicht der Mann, der sie gezeugt hat. Das hatte sie erst kurz zuvor erfahren.« Sie streifte ihr nicht mehr vorhandenes langes Haar übers Ohr. »Sie hat gesagt, sie sei zu ihrem Erzeuger, hätte ihm mit einer Knarre bedroht.«
»Ihn erschossen?«

Svenja kam die Geschichte bekannt vor, nur dass Klara ihr das Verbrechen gestanden hatte.
»Nein! Sie ist dann weg!« – »Packen oder so!« – »Jedenfalls wollte sie ihr Kind holen!« Tami kratzte sich an der Schläfe. »Sie hatte einen Unfall. War im Krankenhaus, wollte zu ihre Tochter.« – »Die war weg, verschwunden.« Sie zippte an ihren Zähnen. »Dafür wurde sie von der Polizei abgeholt, die sie beschuldigten, ihren Vater umgebracht zu haben.«
»Ihren Vater?«
»Den anderen!«
»Hieß er Anton?«
»Ja! So hatte sie ihn genannt!«

Tami brauchte nicht weiter zu erzählen. Svenja zählte eins mit eins zusammen, berichtete ihrer Freundin, was sie von Klara erfahren hatte.

»Dann bist du ihre Tochter!«
»Nein! Tanja«, sie schüttelte den Kopf, »Klara hat uns vertauscht.« – »Ihr Kind ist bei irgendeiner anderen Familie.«
»Aussage gegen Aussage!«, raunte Tami.
Svenja lehnte sich zurück, verschränkte die Arme. »Warum meldet sie sich erst jetzt?«
»Sie war im Gefängnis, dann musste sie sich verstecken.« - »Eher verbergen - so eine Art Zeugenschutz. Vielleicht hat sie etwas gesehen.« Tami fuchtelte mit ihren Hände. »Eine andere Identität hatte sie angenommen, sogar studiert – Jura.« Sie schnippte. »Heiraten möchte sie. Hat einen Freund.« Sie senkte den Kopf. »Vorher sollst du aber an einem sichern Ort, wie sie sagte, damit ihr euch kennenlernen könnt.« Sie lachte. »In ein Internat in Belgien will sie dich bringen!«

Belgien? Svenja zupfte an ihrem Ohrläppchen. Der Brief auf Französisch, schoss ihr durch den Kopf, der Ausweis. Es ging um kein Erbe. Diese Frau sowie der Admiral steckten unter einer Decke. Der Alarm Klaras erklang wie ein Orakel. Zwei Gruppen kämpften um dasselbe Kind. Die Fremde und der Admiral zerrten auf der einen Seite an ihr, Klara und Stephen an der anderen.
Falsch! Der Admiral, ihre Tochter und Stephen traten gen Klara an. Deswegen wollte sie die Hochzeit platzen lassen. Nein! Sie sollte, sie musste Nein sagen. Stephen erkannte, dass sie nicht Tanja war, dafür eine Tochter an ihrer Seite, diese seine. Daher das Geschäker von ihm, welches sie einerseits abgelehnt, anderseits genossen hatte. War Blut im Übertragenen gar dicker als Wasser? Gab es ein Band, jenes in seiner Magie Blutsverwandte verband. Lehnte sie nicht das mütterliche Gehabe ihrer angeblichen Schwester ab. Abstruse Gedanken überfielen sie, welche sie auf einen Abweg zerrten.

Svenja hob die Nase. »Woher will sie das alles Wissen, wenn sie jahrelang in Südafrika war?«
»Von ihrem Freund, dem Stephen!« – » Sie hat es mir zwar nicht direkt gesagt, aber ich denk, er ist es!« Sie nahm Svenjas Hand. »Denk wie eine Frau!«

Das tat sie. Sie stellte sich vor, ein Kind zu gebären, welches ihr jemand abnahm und dieser dann den Kindsvater heiratete, den sie liebte. Den sie liebte wie ... sie empfing einen Brechreiz.
Tami schien ihre Gedanken zu lesen. »Genau! Dein Freund wäre dein Onkel.« – »Krass!«
»Nie!«, schrie Svenja. »Du bist meine Tante!«
Sie nahm Tami in die Arme. »Du spinnst!«– »Hat dich Tanja«, ihre Freundin verdrehte die Augen, »Klara nicht weggeschickt?«
»Zu dieser Frau – genau!« Sie leckte über ihre Lippen. »Sie hat aber nicht mich, sondern dich erwartet!«
Svenja zeigte ihr einen Vogel. »Dann kennt K L A R A sie.«
»Nicht sie sollte dich in Empfang nehmen, sondern ihre Freundin.«
Svenja zog ihren linken Mundwinkel empor.

Die Augen aufgerissen, hob Tami ihre Hände. »Für das Treffen!«
»Treffen?«
»Hat dir Klara nichts gesagt.«
»Ich war müde!«– »Vielleicht wegen der Spritze.«
»Spritze!«
»Meine ersten Hormonspritze!«
Tami lächelte. »Merkst du schon was!«
»Wie?«
»Ein Ziepen in der Brust oder so«– »Ich hatte immer Brustschmerzen.«
Svenja presste die Lippen zusammen, ihre Stirn fiel in Falten und klopfte Tami gegen die Taille. »Das Treffen?«
»Die Drei kennen sich von früher. So eine Art Klassentreffen auf einem Reiterhof.«
Svenja zupfte an ihrem Ohrläppchen. »Reiterhof?«

Der Brief mit dem ‚Wasserschaden in der Unterkunft verlangte, in baufälliger Pension mit Tochter zu übernachten‘ kam ihr in den Sinn. Sie war allein. Ihre vor kurzen gefundene Mutter löste ihre Umarmung und stellte sich in die Gruppe, die Admiral, ihrer Tochter und Stephen bildeten. War das Gerede von den vertauschten Kindern einzig zu ihrem Beruhigen über Klaras Lippen gesprudelt? Sie zu Anfang in Sicherheit zu wiegen, um sie später zu übergeben. Ihrer wahren Mutter in den Schoß zu legen. Sie als Antonia zu verkaufen. Der Admiral ohne Zweifel ihre Tante und es an der Zeit, das unliebsame Kind abzuschieben, als Tochter der Nichte auszugeben. Ihr Puls raste, ihr Herz klopfte. Der Drang, den Anker zu hieven und mit der Sophia wieder in See zu stechen, überkam sie.

»Mit ihren Kindern ihn wiederzusehen«, holte sie Tami aus den Gedanken.
»Wen?«
Tami verdrehte die Augen, boxte ihr in die Seite. »Hörst du nicht zu! Den Kerl!«
»Sprech Deutsch!«
»Da muss vor Jahren etwas vorgefallen sein.«Tami zuckte mit den Achseln. »Jedenfalls will der Typ, dass sie mit ihren Töchtern erscheinen. Klara, Tanja und Josephine! Die wollen alles wieder richtigstellen, oder so ähnlich hat sie gesagt.«
»Josephine?«
»So hat sie die Freundin genannt.«

Svenja erzählt ihr, was sie von Josephine wusste, von der Hochzeit und das ihre Großmutter Nachbarin der Tütkens waren.
»Aber die hat keine Tochter nur einen Sohn zwei, drei Jahre alt«, vervollständigte sie ihren Bericht.
»Die Tanja hat was anderes vermutet, wegen der Geburtsurkunde. Die Tochter soll in Belgien geboren sein, lebt jetzt bei Adoptiveltern und die Großeltern von der Josephine wohnen in Belgien – van Düwen oder so.«

Belgien! Immer dieses Belgien, geisterte durch Svenjas Kopf. Reiterhof in Belgien, Internat in Belgien, Franziska hat mit ihrem Anton in Belgien …
»Wie heißt sie?«
»Josephine! Habe ich gerade gesagt.«
»Die Tochter!«
»Alina!«
»Mensch! Matthias Schwester heißt Alina und wurde adoptiert!«
»Krass!«
»Alles gelogen!«, schrie Svenja.
»Was!«
»Nicht deine Mutter hat Anton umgebracht, sondern Josephine!«
»Meine Mutter hat wen umgebracht?«
»Verstehst du nicht! Die Geburtsurkunde! Du bist Antonia Weber!«
»Ja!«
»Deine Mutter ist Klara. Der Admiral geht davon aus, sie hat Anton erschossen und ihre Nichte ist tot. Sie gibt Klara als Tanja aus, da du bei deiner Großmutter lebst. Josephine bewusst, dass sie zur Rechenschaft gezogen wird, bringt ihr Kind zu den Großeltern, die es zur Adoption freigeben. Nicht zu Fremden, sondern in die Hände ihrer Haushälterin.«
Svenja zog den linken Mundwinkel herauf und zupfte an ihrem Ohrläppchen.»Ich bin aber nicht Klaras Tochter.«
»Weißt du das?«
»Nach deiner Logik wäre die Frau, mit der ich gesprochen habe, deine Mutter!«
»Tanja ist tot«, konterte Svenja.

»Dann komm jetzt mit!«, befahl Tami.
»Nein! Meine Eltern sind tot, tot, tot!«, schrie sie. »Und wenn Klara nicht meine Mutter ist, so bleibt sie immer meine Schwester. Ich vertraue ihr.«
Tami stand auf, zog sie am Arm. »Hör dir wenigsten an, was sie dir zu sagen hat.«
»Ich bin müde, mir ist kalt, ich will ins Bett!«
»Vielleicht ist alles ganz anders.«Tami wies die Straße entlang. »Es sind nur ein paar Meter«, zischte sie und zerrte Svenja hinter sich her.

Der Geruch von frisch gebratenen Fisch kroch Svenja in die Nase. »Wo ist sie!«
Tami zeigte auf eine Frau in einem luftigen rapsgelben Sommerkleid, welche einsam an einem Tisch saß und auf ihr Smartphone starrte. »Da sitzt sie!« Sie rief ihr zu, woraufhin die Frau sich ihnen zuwandte.
Svenja und Tami schritten auf sie zu. »Stephen!«, murmelte Svenja.
Tami lächelte. »Eher eine Stephanie.«
»Weder noch«, raunte Stephen. »Ich bin Klara Weber deine Mutter.«

weiter zum nächsten Teil 80. Die Maske sinkt
 



 
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