Flucht über die Nordsee 80. Die Maske sinkt

ahorn

Mitglied
Zum Klappentext
Zum Anfang von Neptun schlägt zu


Die Maske sinkt

Sie dachte, es wäre das Knallen eines Fensterladens, ignorierte das Geräusch und stellte den Wasserkocher an.
Klara konnte nicht schlafen. Ein Baldrian-Tee ein Mittel, ihre Nerven zu beruhigen. Erneut das Schlagen. Sie verließ die Küche und das Klopfen nahm an Lautstärke zu. Es kam von der Haustür.
Sie schüttelte den Kopf, dabei drehte sie sich eine Locke ins Haar. Verwundert trat sie an die Tür, legte die Kette vor und öffnete und hauchte: „Schwester“. Sie drückte das Türblatt zu, schob die Sperre zurück, öffnete sodann die Tür in Gänze.
Die Besucherin strich ihr langes, gewelltes orangerotes Haar über die Schulter und wetterte: „Ich klopfe bereits eine halbe Ewigkeit“. Auf das Schmunzeln von Klara ergänzte sie: „Hat mir halt gut gefallen!“
„Ich mache mir einen Tee, kann nicht schlafen.“ Klara trat zur Seite und schloss die Tür hinter sich. „Es ist tiefste Nacht.“
„Um genau zu sein, halb drei.“
„Tanja. Was machst du hier?“, fragte Klara.
Ohne ein Wort überreichte Tanja ihr eine Papiertüte, aus der Klara eine schwarze Langhaarperücke fischte. Sie stopfte diese zurück und stellte die Tüte beiseite.

„Ich habe dich auf dem Reiterhof gesucht, aber der Leiter hat mir gesagt, dass ihr erst morgen anreist. War überaus barsch der Kerl. Na ja, war ja kurz nach Mitternacht.“
„Tanja, du zitterst am ganzen Leib. Komm mit, ich gieß mir gerade einen Baldrain-Tee auf.“
Tanja folgte Klara in die Küche. „Wo ist Svenja?“
„Auf dem Weg zu den van Düwen.“
„Wie bitte?“
Klara holte einen zweiten Becher aus dem Küchenschrank, hing einen Teebeutel hinein. „Erzähle ich dir gleich.“
Tanja strich über Klaras Rücken. „Ich hätte sie gerne ein letztes Mal gesehen.“
„Kannst du später.“
Zwinkernd, ergriff Tanja Klaras Hand. „Sie ist wie die Mutter.“
Klara wandte sich um, dabei strich sie über Tanjas Wange und schmachtete: „Das ist sie“, während sie sich zurückdrehte und die Tees aufgoss. „Deswegen bist du hier?“
„Nein!“ – „Ich wollte mich verabschieden.“
Klara sah sie mit großen Augen an. „Warum?“
„Es gibt nichts mehr zu klären“. Tanja verbarg ihre Lippen. „Meine Mutter ist tot.“

Die Augenbrauen emporgezogen, schreckte Klara zurück.
„Die Ärzte sagten, sie habe die Narkose nicht überstanden“, berichtete Tanja.
„Es war nur ein kleiner Eingriff. Weswegen dir? Warum warst du bei ihr?“
„Du hattest recht gehabt. Der Vergangenheit sich zu stellen, sie damit zu konfrontieren, zu fragen, weshalb sie mich in Stich gelassen hatte.“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Mir haben sie nichts gesagt. Ich bin eine Fremde. Karl regelt alles.“ Eine Augenbraue erhoben, lehnte sie ihren Kopf zur Seite. „Hat er dir nicht Bescheid gegeben?“
Klara schlug an ihre Stirn. „Mensch, der hat meine neue Nummer nicht. Hat er dich erkannt?“
„Ja? Nein? Er nahm an, ich wäre du.“ Sie strich über Klaras Wange. „Schwester, bist du nicht in Trauer?“
„Wieso? Sollte ich betrübt darüber sein, dass sie mich die ganzen Jahre belogen, mir Bärbel vorgespielt hat.“ Sie schloss die Augen. „Du kennst sie nicht.“ Sie atmete tief ein, schnalzte mit den Lippen und schlug mit der flachen Hand auf die Arbeitsplatte. „Zumindest hatte Svenja recht.“
„Wie?“
„Spielt keine Rolle.“ Klara drehte ihr den Rücken zu, ergriff eine Tasse. „Tee?“
„Danke.“

„Hat sich Karl nicht gewundert, dass du somit ich da warst? Immerhin bin ich mit Svenja auf See.“
Tanja blies über den Rand des Gefäßes. „Schon!“. Sie umgriff den Pott mit beiden Händen. „Man kann sagen, was man will, Herz hat er. Mit diesem sieht er.“ Sie schürzte ihre Lippen. „Nicht wie Josephine.“

Klara wandte sich um. „Apropos! Wollten wir uns nicht an ihr rächen?“
„Wir? Höchsten ich.“ Tanja ballte die Rechte. „Wer wurde vergewaltigt? Wer hat zugeschaut?“ Sie hob die Faust an Klaras Kinn.
„Kommt der Zorn aus deinem Herzen. Kannst du dich erinnern?“
„Nee! Deine Erzählungen sind derart mit Leben erfüllt, dass ich sie nachempfinde.“
„Nein! Ich wollte ihr nichts anhaben. Dir beistehen ist mir genug“, erklärte Klara. „Wenn ich es gewollt, dann hätte ich sie erledigt und dem Mistkerl seinen Schwanz …“
Tanja legte ihre Hand an Klara Taille. „Komme zur Ruhe.“
„Weißt du endlich, wer es war?“
Tanja schüttelte den Kopf.
„Trotzdem hatten wir Pläne!“
„Zum letzten Mal lass die Vergangenheit ruhen, bleib Tanja, kümmere dich um dein Kind.“
„Josephine vergönnen unbestraft wegzukommen.“
„Lass sie in ihrem Wahn schmoren! Diese alte Lesbe“ Sie senkte den Kopf. „Entschuldige.“
Klara strich über Tanjas Wange. „Ist gut. Obwohl gegen einen guten Fick habe ich nichts.“
„Du bist vulgär“, zischte Tanja. „Wären mein Vater sowie deine Mutter nie auf die blöde Idee mit dem Reiterhof gekommen, wir hätten das Miststück nie kennengelernt.“
„War doch immer nett, wenn wir beide zusammen hoch zu Pferd über die Wiesen flogen.“
Tanja legte den rechten Zeigefinger an ihre Unterlippe und zischelte: „Du brauchst mich nicht mehr zu unterstützen. Ich bin groß. Gehasst hast du es. Oder? Du wärst lieber mit Nahne in See gestochen und er mit dir. Manchmal war ich eifersüchtig auf dich.“
„Warum?“
„Weiß ich nicht. Habe es mir ausgemalt. Ich glaubte, er hatte dich lieber. Du wärst die bessere Enkeltochter gewesen. Ich war doch mit meinem Alten auf der Flucht. Oder?“
„In den Ferientagen, waren wir zusammen.“
„Ich glaube dir.“

Klaras Finger glitten über Tanja Taille an ihre Brust. „Hast du Josephine getroffen?“
Tanja schlug Klaras Hand weg. „Lass das! Ich hasse es, wenn Frauen mich betatschen. Du warst dabei.“
„Nicht im Hotel. Bei ihr Zuhause?“
Sie tippte an ihre Schläfe. „Ich weiß nicht mal, wo sie wohnt. Wie kommst du auf den Schwachsinn?“
„Stephanie hat eine Frau aus ihrer Wohnung gehen gesehen.“
„Da hat er mich erkannt!“
„Sie! Akzeptiere es. Und? Warst du da?“
„Hat er mich erblickt? Ich habe ihn …“
„Das letzte Mal im Krankenhaus gesehen“, ergänzte Klara. „Erkannt nicht, aber du stehst doch auf Vintage-Look.“
„Da bin ich nicht allein.“
„Du hast recht, Aishe steht gleichfalls drauf.“
„Lass uns nicht streiten. Ich hätte mich gern bei ihm verabschiedet.“
Ob sie das mit Ironie, oder im Ernst meinte, vermochte Klara in ihren Augen nicht zu lesen.

„Nachdem du ihm in der Klinik einen Laufpass gegeben hast.“
„Ein Mann bleibt ein Mann“, wetterte Tanja.
„Wie konsequent.“
„Schwester! Ich hatte mich in ihn verliebt. Oder? Ein Kind mit ihm gezeugt.“ Sie tippte an ihre Stirn. „Dann treffe ich ihn unverhofft in der Klinik. Er erzählt mir, was er vorhat, dabei beteuert er nur seine Liebe. Total krank! Hast du gesagt.“
„Sie zwangen ihn“, verteidigte Klara.
Tanja wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. „Er wäre die Auserwählte! Unser Kind, der Grundstein für eine bessere Welt. War es nicht so?“ – „Wenn das nicht durchgeknallt ist.“ – „Außerdem Sünde. Eine Frau mit einer Frau. Die ein Mann war.“
„Inkonsequent oder hattest du wieder Bibelstunde bei Karl.“
„Täte dir gut!“
„Liebe ist unabhängig vom Geschlecht“. Klara presste die rechte Hand auf ihre Brust. „Nur das Herz entscheidet.“
„Du verwechselst Wollust mit Liebe“, zürnte Tanja. „Entschuldige“
„Nein! Du musst verzeihen. Es gibt Themen, da sind wir zu weit auseinander.“ Klara breitete ihre Arme aus. „Lass mich dich ein letztes Mal zum Abschied drücken!“ Sie grinste. „Schwesterlich!“

Klara drückte ihre Wange an ihr. „Aber, dass der Admiral Sophia war, hätte ich nie vermutet, obwohl“, sie drehte sich eine Locke, derweil sie gen Boden sah.
„Obwohl was?“
„Nichts!“
„Dich bedrückt was?“
„Das weniger. Svenja hat es mir gesagt.“
„Was?“
„Dass sie herausbekommen hätte, dass Bärbel …“
Tanja riss sich los. „Was hast du gemeint?“
„Kinderfantasien. Bärbel und Sophia sehen sich gar nicht ähnlich!“
Tanja strich über ihre Unterlippe, fasste in ihr Haar, begann es zu drehen, zuckte zurück. „Stimmt doch?“
„Wie bitte?“
Die linke Augenbraue erhoben, kreuzte Tanja ihre Arme. „Ich kenne Bärbel, ich kannte Sophia. Sie hat mich nach dem Motorradunfall gefunden, versorgt, sich um mich gekümmert, nicht meine Mutter. Das hast du mir gesagt.“
Klara fasste sich an die Nasenspitze und grinste. „Wenn ich mir vorstelle, du im Kloster“. Sie lehnte ihren Kopf zur Seite. „Na ja, passte zu dir.“
„Es war eine Mission.“
„Deine Mission. Dann erinnerst du dich?“
„Ich habe nur das Foto.“

Tanja boxte Klara in die Seite. Dann nahm sie einen Schluck Tee und runzelte die Stirn. „Aber Bärbel hat dir doch anvertraut, dass ich bei Doc in der Buschklinik lebe. War es nicht so?“
Klara verdrehte ihre Augen. „Ein Pinguin. Die sehen alle gleich aus.“ Sie streckte die Zunge heraus, strich mit der Spitze über ihre Oberlippe und stotterte: „Du hast es mir mitgeteilt, als wir uns wiedergesehen haben, dass sie …“
Tanja schmunzelte. „Hör auf, wenn ich an diesen Tag nur denke. Mir wird heut noch übel. Ich hatte dich zuerst überhaupt nicht erkannt.“
„Wie denn?“ Klara schielte zur Küchendecke. „Warst ja sofort unter Deck.“
„Witzig! Bin erst wieder heraus, als wir gehalten haben.“
„Geankert.“
„Von mir aus.“
Klara griente. „Ich habe dich gleich erkannt.“
Tanja stemmt ihre Fäuste in die Taille. „Nett dich zu sehen, Tanja, dann sprangst du mit den Kollegen“, sie zielte mit dem Zeigefinger auf sie, „und meinen Chef ins Meer.“
„Was ist dabei?“
Tanja atmete tief ein, hielt die Luft an, ließ sie mit einem Schlag entweichen. „Ihr wart nackt und ich kannte dich nicht. Ich dachte, ich sehe in einen Spiegel.“
„Und?“
„Und!“, empörte sich Tanja. „Ihr beide seid gleich zu der Bucht geschwommen.“ Sie hielt sich die Ohren zu. „Ich will gar nicht wissen, was ihr dort getrieben habt.“
Klara grinste. „Einen knackigen Achtern hatte er, aber sonst“, ihr Zeigefinger hing schlaff hinab. Sie stieß Tanja an. „Der Typ war dermaßen stockschwul, da konnte ohnehin nichts passieren. Außerdem stehe ich nicht auf Männer.“
Tanja stellte den Becher ab. „Jetzt muss ich aber. Besuch mich mit Svenja in Angola.“
„Angola?“
„Mein Schatz und ich gehen dorthin. Wo genau schreib ich dir.“ Sie drohte. „Lass den Quatsch mit der Selbstanzeige. Du bist Tanja, bleibst Tanja. Soll alles vergebens gewesen sein. Sei froh, dass sie dich die ganzen Jahre nicht entdeckt haben. Mit denen ist nicht zu spaßen.“ Sie drehte sich um, machte einen Schritt vor und wandte Klara ihr Gesicht zu. „Warum ist Svenja bei den van Düwen?“
„Stephanie meint, die Kinder seien dort sicher.“
Tanja zitterte. „Weshalb bei Aaron?“
„Kennst du ihn?“
Sie fuhr sich über die Lippen. „Du hast mir von ihm erzählt.“
Klaras Augen flirrten. Soweit sie sich erinnerte, hatte sie vom Internat, jedoch Tanja nichts über Aaron berichtet. „Wann?“ Klara winkte ab, tippte an ihre Schläfe. „Egal! Stephanie ist der Ansicht, Josephine hätte Lunte gerochen. Ihr ist nicht zu trauen. Sie will später zu Josephine“, sie nahm Tanjas Arm, erfasste deren Armbanduhr, „müsste bereits da sein. Alina abholen.“

„Du bist komisch. Erst sagst du, sie sei eine Gefahr, dann bist du gelassen.“
Klara winkte ab. „Keine Angst! Ich habe einen guten Aufpasser“, sie presste ihren Zeigefinger an den Mund, „psst, darf Stephanie nicht erfahren.“
„Wenn?“
Sie strich eine Haarsträhne von der Stirn, währenddessen berührten ihre Lippen Tanja Ohrmuschel. „Valentin, habe ich dir zu verdanken. Du bist spitze. Aber erzähle mir nicht, wie du das geschafft hast.“
Tanja schmunzelte. „Na ja, John hatte mich verlassen und …“
Klara strich durch Tanjas orange Mähne. „Wer von uns beiden“, sie stockte, ergriff eine Locke und schloss die Augen. Orange. Orange-schokoladenbraun. Orange-schokoladenbraun kariert. Siegelringe. Die Wörter kreisten in ihrem Gehirn. Sie hatte die Zeichen nicht bemerkt, nicht erkannt. Seit wann schenkt eine Frau einem Mann ein Damenkostüm und warum? Dass Stephanie, sie blieb bewusst bei diesem Namen, um nicht verrückt zu werden, eine Frau war, hatte sie Aishe nicht auf die Nase gebunden. Es gab für Klara nur zwei Erklärungen und diese waren nicht zu ihrem Vorteil. Kostümrock. Analog verhielt es sich mit den Siegelringen. Josephine übergab Stephanie den Irrigen und steckte sich den von Tanja an. Dass sie vergessen hatte, welcher ihrer, schloss Klara aus. Er war ein Zeichen, ein Symbol. Stephanies Worte hallten in ihrem Schädel, ein Affe, welcher sich den Mund zuhält. Das Sinnbild für Schnauze halten.
Dass ihr diese Umstände erst in diesem Moment einfielen, sogar erst auffielen, grämte sie. Die Zeit schritt dahin, Zeit, die sie verlören, hatte.
War alles von langer Hand geplant? Das Wiedertreffen mit Tanja kein zufalle. Bestand ihre Amnesie deshalb, weil sie unwissend war. Sie nichts anders war, als ein dummes Double. In diesem Fall war, sie konnte es nicht fassen, Stephanie Tanja und nicht ... Sie, Klara war nicht der Wolf, sondern das Lamm, welches man dem Wolf opferte. Wer war dann der Wolf?
Tanja klopfte auf ihre Unterlippe. „Warte!“
Sie beugte sich zu Tanja vor und flüsterte ihr ins Ohr. Sodann umarmten sie sich. Sie drehten sich im Kreis. Schneller, immer schneller, bis sie wie zwei Protonen zu einem Heliumkern verschmolzen.



Einzig die Trauerweiden sahen zu

„Los! Wie sagen sie in Krimis? Hände hoch!“
„Schickes Kleidchen, sommerlich, luftig, haben wir aber nicht zusammen ausgesucht.“
„Komm Flossen hoch!“
„Geht das Ding überhaupt. Es sieht aus, als wäre es aus einem Museum.“
„Soll ich es dir zeigen oder willst du zuhören.“
Josephine streckte die Arme empor. „Okay, Okay! Kannst du damit überhaupt umgehen. Nicht, dass du dich verschießt. Du mir ohne Not Schmerz zufügst. Du weißt, ich leide ungern.“
Stephanie zielte mit dem Lauf der Walter PP auf Josephines Schädel. „Ich treffe eine Kapkobra im Abstand von hundert Metern zwischen deren Augen.“
„Oh, du vergleichst mich mit einer Schlange, was für ein Kompliment.“ Josephine lehnte ihren Kopf auf ihre Schulter. „Kann ich zumindest erfahren, warum du mich durchlöchern willst? Stephen.“
„Du bist so blind.“ Stephanie lächelte. „Eine Schlange eben.“ Sie krümmte den Zeigefinger. „Niemanden erkennst du. Eingehüllt in der Blase deines Narzissmus.“
„Wen stellst du dar? Die gute Fee mit Funken sprühendem Zauberstab.“ Ihr höhnisches Lachen reflektierte an den Trauerweiden, welche den Morgen erwarteten.
„Rate, denn nur dies kannst du. In Nebel stochern in deiner Blindheit.“
„Jannette!“
„Jannette?“, echote Stephanie. „Wie kommst du darauf?“
„Weil ich …“
„Blöd bin.“
Josephine griente. „Drei Freundinnen. Klara, Jannette und …“
„Sprich es aus.“
„Die Zeit hat euch vernebelt. Deinen Geist. Wach auf. Glaube nicht ihren Lügen. Du weißt, wer du bist.“
„Da gebe ich dir recht.“
„Jannette. Du bist Tanja.“
Josephine nahm die Hände hinab, setzte zum Klatschen an.
„Arme oben lassen.“
„Lass uns ein paar Sitzungen … du hast Wahnbilder. Erst siehst du in jedem Mädchen deine Tochter und jetzt.“ Sie klopfte mit der Rechten auf ihren Kopf. „Mensch, du spielst Tanja.“
„Ich mime niemanden, der ich bin. Dreizehn Jahre, dreizehn lange Jahre habe ich darauf gewartet, dich zu erledigen.“
Josephine zuckte mit den Schultern. „Hab ich dir etwas getan?“
„Zugesehen hast du, dich ergötzt, wie er mir die Kleider vom Leibe gerissen hat, in mich eingedrungen ist, mich versklavt hat“, donnerte Stephanie.
Josephine zog ihre Augenbrauen zusammen, dabei zeichnete sich keine Falte auf ihrem Gesicht ab. „Schätzchen da bringst du etwas durcheinander. Du warst diejenige. Aufgegeilt von Klaras und meinem Liebesspiel, hast dich dem erst Besten, der vorbeikam, an den Hals geworfen.“
Ihr Daumen spannte die Waffe. „Du lügst, denn du ...“
Stephanies Kopf sauste gegen ihren Nacken. Ihr Oberkörper beugte nach vorn. Mit einem im Rachen erstickten Schrei fiel sie auf ihre Knie, dann schlug ihr Körper auf der taufeuchten Rasenfläche auf.

„Man, hast du dir Zeit gelassen.“
Beim Niederknien legte Fridolin den Klappspaten ab. „Hauptsache, ich habe sie nicht zu doll verletzt.“ Er drehte den Frauenkörper auf den Rücken. „Stephen?“
Josephine verschränkte die Arme und trat mit ihrem Stilettoabsatz gegen die Bewusstlose. „Wen gedachtest du zu erwarten: Prinz Eisenherz.“
Seine Fingerspitzen glitten über ihr rapsgelbes Sommerkleid. „Weshalb trägt er ein Kleid?“
Sie verdrehte ihre Augen, raffte ihren nachtblauen Kostümrock und hockte nieder. Mit ihren weiß behandschuhten Fingern schob sie den Saum des rapsgelben Kleides herauf und den Slip hinunter. „Weil er eine Frau ist.“
Fridolin zog den Kopf zurück, dabei starrte er Josephine an. „Dann ist er nicht mein Stiefbruder?“
„Sie“, grummelte Josephine. „Es ist eine sie und nicht Stephen. Wer weiß, was für eine hergelaufene Hure dein Vater angeschleppt hat.“
Das Gesicht zu einer Mimik des Unglaubens verzogen, schüttelte er den Kopf.
„Hereingelegt hat dich dein Alter.“ Sie schlug gegen seinen Schädel. „Kapierst endlich!“
„Eventuell ist sie Tanja. Sie hat es behauptet. Denn du hast mir gesteckt, dass die andere Klara ist.“
„Hast du was auf den Ohren“. Josephine deutete in die Richtung, in der Stephanie zuvor gestanden hatte. „Du standst hinter ihr. Hast du damals Tanja vergewaltigt?“
Er ging einen Schritt zurück, dabei hob er zur Abwehr die Hände. „Nein.“
Sie biss auf einen Finger. „Obwohl, Zeit hättest du gehabt.“
„Wir sind alle vier aus der Scheune“, erboste sich Fridolin.
Sie hob wie ein Schulmeister den rechten Zeigefinger. „Lüge nicht! Anton, Klara und ich gingen zuerst, du kamst erst später heraus.“
„Das war keine Minute.“
Sie stieß ihren Ellenbogen in seine Seite. „Für dich genug Zeit“, warf sie ihm mit einem herablassendem Tonfall entgegen. Lachte.

„Außerdem ist Tanja sie selbst!“
„Bitte?“
„Tanja spielt uns nur vor, sie sei Klara.“
Fridolin kratzte sich am Genick.
„Sie hat etwas zu verbergen, will sich tarnen!“
Er massierte weiterhin seinen Nacken.
„Doppelte Verneinung, die Wahrheit hinter der Wahrheit!“
Sein Kinn senkte sich.
„Wir“, sie räusperte sich. „Ich vertrat längst die Ansicht, dass sie uns was vorspielte. Eben eine Tütken.“
„Ich verstehe nur Bahnhof“, gab Fridolin kund.
„Bist ja ein Mann. Männer können nicht denken“. Sie grinste. „Ist ja nicht euer Existenzgrund.“
„Deswegen ist sie Tanja. Tanja nicht Klara?“
„Hallo! Ich weiß es“, untermauerte Josephine.
„Beweise.“
„Tanja hat nie ein Gespräch auf früher gelenkt. Immerhin kenn ich sie länger, als Klara sie kannte.“
Er wedelte mit der Rechten vor seinem Gesicht. „Wie denn, wenn sie Klara ist.“
„Weil sie Tanja ist.“
Fridolin nickte, dabei spitzte er den Mund und zog seine Augenbrauen zusammen.
„Schalt deine zwei Synapsen ein. Stell dir vor, ich erzähle dir eine Geschichte, die wir beide erlebt haben. Was passiert?“
Er zuckte mit den Schultern.
„In deinem Gehirn läuft ein Film ab, du denkst schneller …“ Sie winkte ab.
Er hob seinen rechten Zeigefinger. „Ich erzählte die Story zu Ende.“
Sie sah ihn an und pfiff. „Außerdem war Klara eine Lesbe und Tanja das Gegenteil mit ihrem religiösen Gehabe. Aber dieses erkläre ich dir ein anderes Mal. Ich will dein mickriges Männergehirn nicht überfordern.“

Josephine steckte die Walter in ihre Handtasche, hing die Tasche über ihre Schulter und ergriff Stephanies Knöchel. „Fass mit an!“
„Weswegen?“
„Willst du sie hier liegen lassen.“ Sie warf ihren Kopf in den Nacken. „Hier im Park.“
Er fasste unter Stephanies Schulter.
„Vergiss deinen Spaten nicht“, ereiferte sie sich. „Weshalb hast du einen Klappspaten dabei?“
Erst zuckte er mit der Achsel, dann verstaute er das Grabwerkzeug unter derselben. „Stell dir vor, du fährst dich in einer Schneewehe fest“, erklärte er und zog den Rücken der Leblosen an seinen Bauch.
Josephine presste Stephanies Fersen an ihre Taille. „Es ist Sommer.“
„Dann eben eine Dünne.“
„Dünnen in der Stadt?“
„Am Meer!“
„Quirle nicht so viel geschwafelten Schwachsinn, ab zu meinen Wagen.“

„Vorne, du Idiot“, schimpfte Josephine.
Fridolin schritt um den Porsche herum, öffnete die Klappe, griff in den Kofferraum, brachte ein Paar Pumps zum Vorschein. „Seit wann stehst du auf himbeerrot?“
Sie stieg aus und befahl: „Schmeiß die Dinger weg und hole endlich den Karton heraus“.
Dann schritt sie auf ihn zu, ging in die Hocke und nahm den Deckel ab.
Fridolin drehte die Schuhe, sah in ihr Inneres, wandte sie, schnüffelte an ihnen. Er schloss die Augen, inhalierte ihren Duft, dann hob er seine Schulter und warf die Schuhe ins Gebüsch. Erneut über den Kofferraum gebeugt, zerrte er einen Sack aus der Kiste. „Ein Postsack? Fährst du den immer spazieren?“
„Ein Paketsack, du Dummerchen. Lege ihn zur Seite!“
„Spielzeug?“ Fridolins riss seine Augen auf. „Hast du das geplant?“
Sie trat gegen Stephanie und murmelte: „Dumm, wenn man vergesslich ist“. An ihn gewandt, zischelte sie: „Für jemand anderen.“
„Ach, du bist so lieb zu mir.“
„Diesmal nicht für dich, mein Püppchen.“ Sie kniff ihm in die Wange. „Wenn du lieb bist, dann bekommst du deine Bestrafung. Schulmädchen.“ Sie griff in den Karton. „Lege ihr zuerst den Knebel an und“, sie fischte eine Maske heraus, „verdecke ihre Augen.“
Josephine entnahm zwei mit rosa Plüsch ummantelte Handschellen, presste Stephanies Arme auf ihren Rücken, befestigte die erste Schelle an den Handgelenken und die Zweite schnappte an den Fersen zu.
„Lege ihr das Halsband um!“
„Das ist aber nicht aus einem Sexshop.“
„Vom Tierbedarf!“ Sie kniff ihn erneut. „Für ganz böse Hündinnen.“
„Fester!“, donnerte Josephine und stieß in weg. „Las mich machen, du Weichei!“
Sie zog das Halsband zu, bis das Metall in Stephanies Haut eindrang. Bis Blut austrat. Stephanie zuckte, fing an, sich zu wehren. Der Karabiner der Leine schnappte ein.
„Die Füße an die Hände“, befahl Josephine, dann verknotete sie die Hundeleine mit den Handschellen. „Ab in den Sack mit ihr.“

Josephine schlug die Klappe zu.
„Was hast du mit ihr vor?“, erkundigte sich Fridolin.
„Ich schmeiß sie in irgendeine Gracht, dann sollen sich die Fische um sie kümmern.“
Er sah nach oben. „Der Morgen graut, aber du muss wissen, was du tust.“
„Du hast recht. Am besten irgendwo zwischenlagern.“
Er beugte sich zu Josephine vor und legte seine Lippen an ihr Ohr.
Sie schmunzelte und stieß ihn an. „Gute Idee, wie vor zwanzig Jahren nur …“
„Dass es diesmal kein Spiel ist“, vervollständigte er ihren Satz.
Josephine griff an das Revier seiner Anzugjacke, zog ihn an sich heran und flüsterte ihm etwas zu.
„Meinst“, murmelte er.
„Na klar, zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie ist entsorgt und Joos im Knast.“ Sie griff in ihre Handtasche, zog die Pistole heraus. „Nehme die an dich und“, sie entnahm ein Smartphone, „das!“
„Deins?“
Sie zwinkerte. „Auf Joos Namen angemeldet.“
Sie fasste ihn an die Augenbraue und riss ein Haar heraus.
„Autsch!“
„War sehr lang. Du musst dir mal wieder die Brauen zupfen.“

Fridolin faste an das Griffstück der Kofferraumklappe.
„Was machst du?“, erboste sich Josephine.
„Sie in ihren Wagen umladen.“
Josephine verdrehte die Augen und schlug sich an die Stirn. „Dummkopf. Wenn du die ganzen Sachen besorgst, dann hast du keinen Platz mehr in dieser Blechbüchse. Außerdem musst du Alina bis morgen in Sicherheit bringen.“ Sie klopfte auf ihren Sportwagen. „Um die kümmere ich mich. Ich gebe dir Bescheid, wo du sie abholen kannst. Du musst ohnehin bis heute Mittag in mein Hotel, meine Sachen holen. Bezahlt ist.“ Sie umschritt die offene Fahrertür. „Wir sehen uns dann Punkt eins an der Kapelle.“

Josephine öffnete das Handschuhfach, schnappte sich einen Lippenstift, malte ihre Lippen blutrot nach. Sie startet den Motor, verteilte die Farbe, grinste, warf ihren Kopf nach hinten, lachte und drückte das Gaspedal an seinen Anschlag.



Mit der Waffe einer Frau

„Junge Dame, soll ich Ihnen behilflich sein?“, fragte ein Herr im Nadelstreifenanzug und starrte dabei auf ihren Hintern.
Sie wandte sich um. „Danke! Nein! Das schaffe ich!“
„Nein! Ich kann doch keine Landsfrau und dann so eine zarte, bildhübsche, einen schweren Sack …“, prahlte er, strich mit beiden Händen über seine grauen Schläfen und drängte sie weg.
Sie strauchelte und umklammerte seinen Oberarm.
Er entschuldigte sich, dann zerrte er den Paketsack heraus. Mit einem Schwung warf er diesen auf den Gepäckwagen.
„Vorsicht!“
„Was habe sie den da drin?“ Er japste.
„Eine Leiche.“
„Eine Leiche?“ Er grinste. „Mit der fahren sie spazieren?“
Sie ging in die Hocke und berührte den Stoff mit ihrem Mund und flüsterte: „Kein Mucks, sonst bist du gleich hin“.
Danach hob sie ihren Kopf an und griff an den Verschluss des Sackes. „Wollen sie sehen?“
„Danke, nein!“, werte er ab.
„Da ich nicht mit ihr spazieren fahren möchte, will ich sie zwischenlagern.“ Sie erfasste die Hand des hilfsbereiten Fremden, beugte sich vor, bis ihre Nase fast seinen Oberkörper erreichte und blickte zu ihm herauf. „Es soll extrem heiß heute werden.“
Er grinste breiter. „Da haben sie Angst, dass sie stinkt.“
„Nö. Riechen tut sie nicht.“ Sie hielt sich den Mund zu, wies auf den Sack und lachte. „Sie meinen, sie ist frisch.“ Sie gluckste und winkte ab. „Ein Plastinat – Körperwelten.“ Sie schob ihre Sonnenbrille auf ihre Nasenspitze. „Ich zeige es ihnen.“
Er drückte auf den im Leichensack versteckten Körper. „Ich dachte, diese Dinger wären härter.“
Josphine blinzelte ihn an. „Deswegen bin ich in Amsterdam. Ich, wir haben in der Uni München ein neues Verfahren entwickelt, welches die Exponate weitaus lebensechter wirken lässt. Das erste Muster präsentiere ich heute Abend hier in der Universität.“
Der Herr faste sich ans Kinn, zeigte nach rechts. „Das ist der Bahnhof!“
„Auf Bahnhöfen gibt es Schließfächer“, konterte sie.
Er zupfte an seiner Unterlippe.
„Ich bin das erste Mal in Amsterdam. Will die Stadt besichtigen. Stellen sie sich vor, jemand klaut“, sie streichelte ihren Wagen, „meinen Kleinen.“

„Dann sind sie ja wochenlang von ihrer Familie getrennt?“
Er schob den Gepäckwagen, auf dem in inniger Zweisamkeit Stephanie Körper mit seinem handgepäckgroßen Koffer ruhten.
„Bin geschieden!“
„Kinder?“
„Leider nein!“
„Immer in Hotels?“
„Versuchen sie, in Amsterdam eine Wohnung zu finden, außerdem habe ich mein Haus in Nürnberg. Dort genieße ich meine freien Tage. Na ja! Die Firma hat zwei Hotelzimmer auf Dauer angemietet. Fast wie Zuhause.“ Er wies einen Gang entlang, dessen Wände aus Schließfächern bestanden. „Da sind die Großen!“
Sie strich über seine Hand. „Sie kennen sich aber gut aus.“
„Viel Zeit, viel Langeweile.“ Er blieb stehen. „Das ist der Letzte in der untersten Reihe.“ Der Hilfsbereite nahm seinen Koffer vom Wagen, zog den Handgriff heraus und stellte das Gebäck auf seine vier Rollen. Dann öffnete er beim Hinknien die Schließfachtür, wuchte den Sack vom Gepäckwagen direkt ins Fach. „Kommen sie herunter, ich zeig es ihnen.“
Er warf eine Münze ein.
Sie raffte ihren nachtblauen Kostümrock bis zum Anschlag und hockte sich nieder.
Er legte seine Hand auf ihr seidig bestrumpftes Knie und studierte die Bedienanleitung. „Sie müssen sich eine Geheimzahl ausdenken“, erklärte er, sah ihr ins Gesicht, sodann auf seine liebkosenden Finger und zuckte.
Sie fing seine Hand ab, legte sie erneut auf ihr Knie und ihre Linke auf seine Schulter. Sie lehnte sich an ihn und flüsterte ihm ins Ohr.

Mit einem gezielten Schlag ihres Fußes schnappte die Schließfachtür, gefolgt von einem Gurgeln aus dem Inneren, ins Schloss.
„Was war das?“
Sie faste sich an ihren Bauch. „Mein Magen. Ich habe seit gestern Nachmittag nichts mehr gegessen.“ Sie strich über das Revier seiner Anzugjacke, dann lächelte sie ihn an. „Können sie ein Café in der Nähe empfehlen?“
„Ja. Mit exzellentem Frühstück. Ich könnte, wenn sie wollen, sie begleiten.“
„Das würden sie tun. Aber ihr Zug?“
Er winkte ab. „Dann nehme ich den Nächsten oder Übernächsten.“ Er klopfte auf seine goldene Armbanduhr. „Mein Flieger geht erst in fünf Stunden.“
Sie berührte seine Taille. „Wissen sie, dass sie, entschuldigen sie, wenn ich es direkt ausspreche, für ihr Alter einen“, sie blinzelte, „super Körper haben.“
Er lächelte. „Danke.“
„Haben sie sich vielleicht schon einmal den Gedanken darüber gemacht“, sie klimperte mit ihren falschen Wimpern, „wir müssen definitiv alle mal gehen. Ihren Körper zu spenden?“
Er schielte auf die verschlossene Schließfachtür. „Als Plastinat?“
Sie schob ihren Oberkörper näher an seinen, glitt mit ihrem Knie über sein Hosenbein und leckte ihre Lippen. „Kennen sie einen Ort an der wir nicht ein exzellentes, sondern deftiges Frühstück genießen.“ Ihre Finger umspielten sein Gesäß. „Mal genauer Nachsehen.“
Er schluckte.

„Nebenbei, ich heiß Chantal“, hauchte sie im ins Ohr.
„Erotisch“, stotterte er.
„Und du?“
„Günter.“
Er griff in seine Anzugjacke, holte einen Kugelschreiber sowie ein Blatt hervor, notierte eine Zahl, dann übergab er ihr den Zettel. „Nicht, dass du den Code vergisst.“
„Danke. Du denkst an alles“, lobte sie ihn und verwahrte das Papier in ihrer Handtasche.
Er gab ihr den Kugelschreiber. „Den schenk ich dir.“
Sie betrachtete das Geschenk. „Oh, mit deinem Namen“ Sie schnurrte wie eine Katze. „Günter. Wenn ich ihn benutze, dann denke ich an dich.“
Günter wedelte mit der Hand. „Ich bringe schnell meinen Koffer drüben in eins der kleineren Schließfächer“, erklärte er, schnappte sein Gepäck und spurtete den Gang entlang.
Sie holte den Zettel aus ihrer Handtasche, knüllte ihn zusammen, sah zur Decke, an der ein rotes Licht leuchtete und warf ihn zu Boden.
Nachdem er zurückgekommen war, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn.



Weiter zu Die Suche nach Überlebenden
 
Zuletzt bearbeitet:

ahorn

Mitglied
Zurück zum Klappentext
Zurück zu 79. Ringtausch


Die Maske sinkt

Sie dachte, es wäre das Knallen eines Fensterladens, ignorierte das Geräusch und stellte den Wasserkocher an.
Klara konnte nicht schlafen. Ein Baldrian-Tee ein Mittel, ihre Neven zu beruhigen. Erneut das Schlagen. Sie verließ die Küche und das Klopfen nahm an Lautstärke zu. Es kam von der Haustür. Sie schüttelte den Kopf, dabei drehte sie sich eine Locke ins Haar. Verwundert trat sie an die Tür, legte die Kette vor und öffnete.
»Schwester!«, hauchte sie, drückte das Türblatt zu, schob die Sperre zurück, öffnete die Tür in Gänze.
Die Besucherin strich ihr langes, gewelltes orangerotes Haar über die Schulter. »Ich klopfe bereits eine halbe Ewigkeit«, wetterte sie und auf das Schmunzeln von Klara ergänzte sie: »Hat mir halt gut gefallen!«
»Ich mache mir einen Tee, kann nicht schlafen.« Klara trat zur Seite und schloss die Tür hinter sich. »Es ist tiefste Nacht.«
»Um genau zu sein, halb drei.«
»Tanja! Was machst du hier?«, fragte Klara.
Ohne ein Wort überreichte Tanja ihr eine Papiertüte, aus der Klara eine schwarze Langhaarperücke fischte. Sie stopfte diese zurück und stellte die Tüte beiseite.

»Ich habe dich auf dem Reiterhof gesucht, aber der Leiter hat mir gesagt, dass ihr erst morgen anreist. War ganzschön barsch der Kerl. Na ja, war ja kurz nach Mitternacht.«
»Tanja, du zitterst am ganzen Leib. Komm mit, ich gieß mir gerade einen Baldrain-Tee auf.«

Tanja folgte Klara in die Küche. »Wo ist Svenja?«
»Auf dem Weg zu den van Düwen.«
»Wie bitte?«
Klara holte einen zweiten Becher aus dem Küchenschrank, hing einen Teebeutel hinein. »Erzähle ich dir gleich.«
Tanja strich über Klaras Rücken. »Ich hätte sie gerne ein letztes Mal gesehen.«
»Kannst du später.«
Zwinkernd, ergriff Tanja Klaras Hand. »Sie ist wie die Mutter.«
Klara wandte sich um, dabei strich sie über Tanjas Wange. »Das ist sie«, schmachtete sie, drehte sich zurück und goss die Tees auf. »Deswegen bist du hier?«
»Nein!« – »Ich wollt mich verabschieden.«
Klara sah sie mit großen Augen an. »Warum?«
»Es gibt nichts mehr zu klären«. Tanja verbarg ihre Lippen. »Meine Mutter ist tot.«

Die Augenbrauen empor gezogen, schreckte Klara zurück.
»Die Ärzte sagten, sie habe die Narkose nicht überstanden«, berichtete Tanja.
»Es war nur ein kleiner Eingriff. Weswegen dir? Warum warst du bei ihr?«
»Du hattest recht gehabt. Der Vergangenheit sich zu stellen, sie damit zu konfrontieren, zu fragen, weshalb sie mich in Stich gelassen hatte.« Sie schüttelte das Haupt. »Mir haben sie nichts gesagt. Ich bin eine Fremde. Karl regelt alles.« Eine Augenbraue erhoben, legte sie den Kopf auf die Seite. »Hat er dir nicht Bescheid gegeben.«
Klara schlug an ihre Stirn. »Mensch, der hat meine neue Nummer nicht. Hat er dich erkannt?«
»Ja! Nein! Er nahm an, ich sei du.« Sie strich über Klaras Wange. »Schwester bist du nicht in Trauer?«
»Wieso? Sollte ich betrübt darüber sein, dass sie mich die ganzen Jahre belogen, mir Bärbel vorgespielt hat.« Sie schloss die Augen. »Du kennst sie nicht.« Sie atmete tief ein, schnalzte mit den Lippen und schlug mit der flachen Hand auf die Arbeitsplatte. »Zumindest hatte Svenja recht.«
»Wie?«
»Spielt keine Rolle.« Klara drehte ihr den Rücken zu, ergriff eine Tasse. »Tee!«
»Danke!«

»Hat sich Karl nicht gewundert, dass du somit ich da warst? Bin ja mit Svenja auf See.«
Tanja blies über den Rand des Gefässes. »Schon!«. Sie umgriff den Pott mit beiden Händen. »Man kann sagen, was man will, Herz hat er. Mit diesem sieht er. Nicht wie Josephine«, sie schürzte die Lippen.

Klara wandte sich um. »Apropos! Wollten wir uns nicht an ihr Rächen!«
»Wir? Höchsten ich.« Tanja ballte die Rechte. »Wer wurde vergewaltigt? Wer hat zugeschaut?« Sie hob die Faust an Klaras Kinn.
»Kommt der Zorn aus deinem Herzen. Kannst du dich erinnern?«
»Nee! Deine Erzählungen sind derart mit Leben erfüllt, dass ich sie nachempfinde.«
»Nein! Ich wollte ihr nichts anhaben. Dir bestehen mit genug«, erklärte Klara. »Wenn ich es gewollt, dann hätte ich sie erledigt und dem Mistkerl seinen Schwanz ...«
Tanja legte ihre Hand an Klara Taille. »Komm zur Ruhe.«
»Weiß du endlich, wer es war?«
Tanja schüttelte den Kopf.
»Trotzdem hatten wir Pläne!«
»Zum letzten Mal las die Vergangenheit ruhen, bleib Tanja, kümmere dich um dein Kind.«
»Josephine vergönnen unbestraft wegzukommen.«
»Las sie in ihrem Wahn schmoren! Diese alte Lesbe« Sie senkte den Kopf. »Entschuldige!«
Klara strich über Tanjas Wange. »Ist gut! Obwohl gegen einen guten Fick habe ich nichts.«

»Du bist vulgär«, zischte Tanja. »Wären mein Vater, sowie deine Mutter nie auf die blöde Idee mit dem Reiterhof gekommen, wir hätten das Miststück nie kennengelernt.«
»War doch immer nett. Wir beide zusammen flogen hoch zu Pferd über die Wiesen.«
Tanja legte den rechten Zeigefinger an ihre Unterlippe und pustete. »Du brauchst mich nicht mehr zu unterstützen. Ich bin groß. Gehasst hast du es. Oder? Wärst lieber mit Nahne in See gestochen und er mit dir. Manchmal war ich eifersüchtig auf dich.«
»Warum?«
»Weiß ich nicht. Habe es mir ausgemalt. Ich glaubte, er hatte dich lieber, wärst die bessere Enkeltochter gewesen. Ich war doch mit meinem Alten auf der Flucht. Oder?«
»In den Ferientagen, dann waren wir zusammen.«
»Ich glaube dir.«

Klaras Finger glitten über Tanja Taille an ihre Brust. »Hast du Josephine getroffen?«
Tanja schlug Klaras Hand weg. »Las das! Ich hasse, wenn Frauen mich betatschen. Du warst dabei!«
»Nicht im Hotel! Bei ihr zuhause?«
Sie tippte an ihre Schläfe. »Ich weiß nicht Mal, wo sie wohnt. Wie kommst du auf den Schwachsinn.«
»Stephanie hat eine Frau aus ihrer Wohnung gehen gesehen.«
»Da hat er mich erkannt!«
»Sie! Akzeptiere es! Und? Warst du da?«
»Hat er mich erblickt! Ich habe ihn ...«
»Das letzte Mal im Krankenhaus gesehen«, ergänzte Klara. »Erkannt nicht, aber du stehst doch auf Vintage-Look.«
»Da bin ich nicht allein.«
»Hast recht, Aishe steht gleichfalls drauf.«
»Las uns nicht streiten. Ich hätte mich gern bei ihm verabschiedet.«
Ob sie das mit Ironie, oder im Ernst meinte, vermochte Klara in ihren Augen nicht zu lesen.

»Nachdem du ihm in der Klinik einen Laufpass gegeben hast.«
»Ein Mann bleibt ein Mann«, wetterte Tanja.
»Wie konsequent!«
»Schwester! Ich hatte mich in ihn verliebt. Oder? Ein Kind mit ihm gezeugt.« Sie tippte an ihre Stirn. »Dann treffe ich ihn unverhofft in der Klinik. Er erzählt mir, was er vorhat, dabei beteuert er seine Liebe – total krank! Hast du gesagt.«
»Sie zwangen ihn!«
Tanja wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. »Er wäre die Auserwählte! Unser Kind der Grundstein für eine bessere Welt. War es nicht so?« – »Wenn das nicht durchgeknallt ist.« – »Außerdem Sünde. Eine Frau mit einer Frau. Die ein Mann war.«
»Inkonsequent oder hattest du wieder Bibelstunde bei Karl.«
»Täte dir gut!«
»Liebe ist unabhängig vom Geschlecht«. Klara presste die rechte Hand auf ihre Brust. »Nur das Herz entscheidet.«
»Du verwechselst Wollust mit Liebe«, zürnte Tanja. »Entschuldige«
»Nein! Du musst verzeihen. Es gibt Themen, da sind wir zu weit auseinander.« Klara breitete ihre Arme aus. »Las mich dich ein letztes Mal zum Abschied drücken!« Sie grinste. »Schwesterlich!«

Klara drückte ihre Wange an sie. »Aber das der Admiral Sophia war, hätte ich nie vermutet, obwohl«, sie drehte sich eine Locke, derweil sah sie gen Boden,
»Obwohl was?«
»Nichts!«
»Dich bedrückt was?«
»Das weniger. Svenja hat es mir gesagt.«
»Was?«
»Das sie rausbekommen hätte, dass Bärbel ...«
Tanja riss sich los. »Was hast du gemeint?«
»Kinderfantasien. Bärbel und Sophia sehen sich gar nicht ähnlich!«
Tanja strich über ihre Unterlippe, fasste in ihr Haar, begann es zu drehen, zuckte zurück. »Stimmt doch?«
»Wiebitte?«
Die linke Augenbraue erhoben, kreuzte Tanja ihre Arme. »Ich kenne Bärbel, ich kannte Sophia. Sie hat mich nach dem Motorradunfall gefunden, versorgt, sich um mich gekümmert, nicht meine Mutter. Das hast du mir gesagt.«
Klara fasste sich an die Nasenspitze und grinste. »Wenn ich mir vorstelle, du im Kloster«. Sie legte den Kopf auf die Seite. »Na ja, passte zu dir.«
»Eine Mission!«
»Deine Mission? Dann erinnerst du dich?«
»Ich habe nur das Foto.«

Tanja boxte Klara in die Seite, dann nahm sie einen Schluck Tee und runzelte die Stirn. »Aber Bärbel hat dir doch anvertraut, dass ich bei Doc lebe – in der Buschklinik. War es nicht so?«
Klara rollte mit den Augen. »Ein Pinguin! Die sehen alle gleich aus.« Sie streckte die Zunge heraus, strich mit der Spitze über ihre Oberlippe. »Du hast er mir mitgeteilt, als wir uns wiedergesehen haben, dass sie ...«, stotterte sie.

Tanja schmunzelte. »Hör auf, wenn ich an diesen Tag nur denke. Mir wird heut noch übel. Ich hatte dich zuerst überhaupt nicht erkannt.«
»Wie denn!« Klara schielte an die Küchendecke. »Warst ja sofort unter Deck.«
»Witzig! Bin erst wieder heraus, als wir gehalten haben.«
»Geankert!«
»Von mir aus.«
Klara griente. »Ich habe dich gleich erkannt.«
Tanja stemmt ihre Fäuste in die Taille. »Nett dich zu sehen Tanja, dann sprangst du mit den Kollegen«, sie zielte mit dem Zeigefinger auf sie, »und meinen Chef ins Meer.«
»Was ist dabei?«
Tanja atmete tief ein, hielt die Luft an, ließ sie mit einem Schlag entweichen. »Ihr ward nackt und ich kannte dich nicht. Ich dachte, ich sehe in einen Spiegel.«
»Und?«
»Und!«, empörte sich Tanja. »Ihr beide seid gleich zu der Bucht geschwommen.« Sie hielt sich die Ohren zu. »Ich will gar nicht wissen, was ihr dort getrieben habt.«
Klara grinste. »Einen knackigen Achtern hatte er, aber sonst«, ihr Zeigefinger hing schlaff herab. Sie buffte Tanja gegen die Schulter. »Der Typ war so was von stockschwul, da konnte eh nichts passieren. Außerdem stehe ich nicht auf Männer.«
Tanja zog ihre Stirn in Falten.

Tanja stellte den Becher ab. »Jetzt muss ich aber. Besuch mich mit Svenja in Angola.«
»Angola?«
»Mein Schatz und ich gehen dorthin. Wo genau schreib ich dir.« Sie drohte. »Las den Quatsch mit der Selbstanzeige. Du bist Tanja, bleibst Tanja. Soll alles vergebens gewesen sein. Sei froh, dass sie dich die ganzen Jahre nicht entdeckt haben. Mit denen ist nicht zu spaßen.« Sie drehte sich um, machte einen Schritt vor und wandte Klara ihr Gesicht zu. »Warum ist Svenja bei den van Düwen?«
»Stephanie meint, die Kinder seien dort sicher.«
Tanja zitterte. »Weshalb bei Aaron?«
»Kennst du ihn?«
Sie fuhr sich über die Lippen. »Nein! Du hast mir von ihm erzählt.«
Klaras Augen flirrten. Soweit sie sich erinnerte, hatte sie vom Internat, aber Tanja nichts über Aaron berichtet. »Wann?« Klara winkte ab, tippte an ihre Schläfe. »Egal! Stephanie ist der Ansicht, Josephine hätte Lunte gerochen. Ihr ist nicht zu trauen. Sie will später zu Josephine«, sie nahm Tanja Arm, faste ihre Armbanduhr, »müsste bereits da sein – Alina abholen.«

»Du bist komisch. Erst sagst du, sie sei eine Gefahr, dann bist du gelassen.«
Klara winkte ab. »Keine Angst! Ich habe einen guten Aufpasser«, sie presste ihren Zeigefinger an den Mund, »psst, darf Stephanie nicht erfahren.«
»Wenn?«
Sie strich eine Haarsträhne von der Stirn, währenddessen berührten ihre Lippen Tanja Ohrmuschel. »Valentin! Hab ich dir zu verdanken! Du bist spitze. Aber erzähl mir nicht, wie du das geschafft hast.«
Tanja schmunzelte. »Na ja, John hatte mich verlassen und ...«
Klara strich durch Tanjas orange Mähne. »Wer von uns beiden«, sie stockte, ergriff eine Locke und schloss die Augen. Orange. Orange-schokoladenbraun. Orange-schokoladenbraun kariert. Siegelringe. Die Wörter kreisten in ihrem Gehirn. Sie hatte die Zeichen nicht bemerkt, nicht erkannt. Seit wann schenkt eine Frau einem Mann ein Damenkostüm und warum? Das Stephanie eine Frau war, hatte sie Aishe nicht auf die Nase gebunden. Es gab für Klara nur zwei Erklärungen und diese waren nicht zu ihrem Vorteil. Kostümrock. Analog verhielt es sich mit den Siegelringen. Josephine übergab Stephanie den Irrigen und steckte sich den von Tanja an. Dass sie vergessen hatte welcher ihrer, schloss Klara aus. Er war ein Zeichen, ein Symbol. Stephanies Worte echoten in ihrem Schädel, ein Affe, welcher sich den Mund zuhält. Das Sinnbild für schnauzehalten.
Das ihr diese Umstände erst in diesem Moment einfielen, sogar erst auffielen, grämte sie. Die Zeit schritt dahin, Zeit die sie verlören hatte.
War alles von langer Hand geplant? Das Wiedertreffen mit Tanja kein zufalle. Bestand ihre Amnesie deshalb, weil sie unwissend. Sie nichts anders war, als ein dummes Double. In diesem Fall war – sie konnte es nicht fassen – Stephanie Tanja. Sie, Klara war nicht der Wolf, sondern das Lamm, welches man dem Wolf opferte. Wer war dann der Wolf?

Tanja klopfte auf ihre Unterlippe. »Warte!«
Sie beugte sich zu Tanja vor und flüsterte ihr ins Ohr. Sodann umarmten sie sich. Drehten sich im Kreis. Schneller, immer schneller, bis sie wie zwei Protonen zu einem Heliumkern verschmolzen.

Weiter zu 81. Mit der Waffe einer Frau
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten