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lapismont

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Piers Anthony: Orn. Die Macht der Mantas 2

Die Pilze bilden das Dritte Königreich in Piers Anthonys Macht der Manta Reihe. Die Mantas sind die Karnivoren unter den Fungiden. Orn ist ebenfalls ein reiner Fleischesser und ebenfalls intelligent, er ist ein Vogel - ein Ornisapiens. Auf ihrer Suche nach Lebensraum stoßen Veg, Aquilon und Cal also erneut auf intelligente Wesen. Diese Suche ist allerdings keine Mission mehr wie in Omnivor. Schon bald erkennen die Menschen, dass sie ins Paläozän der Erde verfrachtet wurden und diesmal die Versuchskaninchen für eine Besiedlung darstellen. An der Art und Weise, wie Piers Anthony das Problem löst, erkennt man, dass es ihm nicht darum ging, eine wirkliche Bedrohung durch Viren oder Bakterien darzustellen. Diese erst spät gewonnene Erkenntnis, inzwischen nur noch Spielball in einer militärischen Angelegenheit zu sein, mag für die Gruppenbindung wichtig sein, die Hauptkonflikte dieses Buches liegen aber woanders.
Langsam nähert sich Piers Anthony nämlich der Frage, inwieweit es tatsächlich vertretbar ist, Arterhaltung zu Lasten anderer Arten zu betreiben. Der im Vegetarismus innewohnende Gewaltverzicht wird hier noch weiter geführt. Der urzeitliche Planet, der letztlich doch nicht die Erde, sondern eine Parallelwelt ist, wird für Mantas und Menschen interessant. Cal glaubt zwar, durch eine Freisetzung der Sporen zweier Mantas und die damit verbundene Gefährdung etwaiger menschlicher Kolonisten, eine Besiedlung durch die Erde verhindern zu können, aber eine Rettung von Paläo ist beides nicht. Piers Anthony glaubt an die Macht der Einzelperson. Hier vermögen es vier Mantas und drei Menschen, eine Entwicklung in Gang zu setzen, die das Leben dreier Planeten verändern wird. Zwischen Mantas und Menschen stehen die Zeichen auf Krieg, denn plötzlich beanspruchen beide denselben Lebensraum. Cal steht für den Tod und seine Entscheidung führt zu einer gewaltigen Vernichtungsaktion, noch überwältigender, als im Vorband. Dort wurden Menschenleben geopfert, um die Sporen eines Mantas zu vernichten, der eine ungeahnte Bedrohung für das menschliche Leben auf der Erde hätte werden können. Auf Paläo wird eine komplette Enklave der Kreidezeit ausgelöscht, um einen menschenleeren Planeten von Mantas freizuhalten.
Aber Paläo hat bereits seine eigene intelligente Art hervorgebracht. Orn verfügt über ein Rassengedächtnis. Er kann sich an die Entstehung des Lebens erinnern, das Leben im Wasser, sein Aufbruch an Land, seine Fortentwicklung und die geographischen Veränderungen der Welt werden von Generation zu Generation weitervererbt.
Der Roman nimmt sich ausführlich Zeit, das Leben von Orn darzustellen und die Beschreibung der urzeitlichen Welt ist fantastisch. Da wir das Geschehen aus dem Blickwinkel Orns erleben, stellt sich dem Leser keine einfache Naturdokumentation dar, Piers Anthony entwickelt eine umfassende Theorie der Vorgeschichte. So endet das Buch auch mit einem pseudowissenschaftlichen Vortrag, dem man entnehmen kann, wie interessiert der Autor an einer Interpretation des Wissensstandes der Archäologen ist. Er führt deutlich vor Augen, wie er die Aufgabe eines SF-Autors sieht. Man wird nicht nur an Verne und Doyle erinnert. Dort, wo beide Autoren von eine festen und moralisch einwandfreien Gesellschaft ausgehen, bietet Piers Anthony die räuberische Gesellschaft des Omnivoren Mensch als Kulisse an. Somit bestimmt er seinen Platz beständig neu. In der Macht der Mantas ist der Mensch niemals an der Spitze der Evolution, zumindest nicht kampflos.
Parallel zu Geschichte Orns wird die Beziehung der drei Menschen vertieft. Die Trennung auf der Erde ist geheilt, scheint es. Gemeinsame Abenteuer, wie auf Nacre, bringen Nähe, dennoch drängt der offensichtliche Konflikt, das sexuelle Bedürfnis, nach einer Lösung.
Katalysator ist das Zusammentreffen mit Orn. Hat sich bisher nur Cal, wenn auch insgeheim, Gedanken um die Zukunft Paläos gemacht, wird es nun auch für Aquilon und Veg offensichtlich, dass hier eine massive Vernichtung einer Welt droht.
So spaltet sich die Gruppe an der erkennbaren Bruchstelle. Veg und Aquilon gehen auf die Insel, auf der Orn und seine Partnerin brüten. Obwohl die wichtigen Ereignisse für die Zukunft Paläos zu diesem Zeitpunkt bereits angelaufen sind, von den Hauptfiguren und auch vom Leser unbemerkt, bringt dieser Höhepunkt des Buches eine Zerstörung mit sich.
Der Traum von etwas ist befriedigender, als seine Erfüllung. Der Bruch auf der persönlichen Ebene zwischen Veg und Aquilon, als beide erkennen, dass sie sich nicht so lieben, dass Sex ihnen keine Steigerung ihrer Gefühle bringt, dieser Bruch führt dazu, dass das Verständnis Orns für die erstaunlichen Säuger erwacht.
Aquilon kann nur durch diese Enttäuschung zur Pflegerin des letzten Eies werden. Wenn sie zum Schluss das Ei zwischen ihren nackten Brüste, Säugerbrüste!, legt, um es zu wärmen, erfüllt sie eine metaphorische Rolle, die noch deutlicher hervorhebt, wie tiefgründig Piers Anthony hier an einer Ontogenese, sowohl der Menschen, der Mantas als auch der Orns gearbeitet hat. Aquilon bekam im ersten Band die acht jungen Mantas überantwortet, nun trägt sie das Ei Orns an ihrer Brust.
Und nur Cal, das Gehirn, der es sogar schaffte, die nächste Generation von Agenten, jenen Supermenschen der Regierung, intellektuell die Stirn zu bieten, wird eine Vorstellung davon haben, welche Rolle dieses Ei in der Zukunft spielen wird.
Ethische Fragen kommen in Reichweite, die an Orson Scott Cards Ender Romane denken lassen.
 

lapismont

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Terry Pratchett: Pyramiden

Die Last der Kultur ist überall groß und teuer. Besonders wenn man beständig gezwungen ist, immer größere Pyramiden für verstorbene Herrscher zu errichten. Wenn das Objekt der Herrschaft zudem ein winziges Reich, mit fast Nulleinkommen ist, kann es schon passieren, dass sich der Thronfolger aufmacht, um einen anständigen Beruf zu erlernen, der Geld in die leere Schatzkammer spülen könnte.
Pteppic, Pharao in Wartestellung, will Assassine werden. Wo anders als in Ankh-Morpok kann ein junger Mann eine ordentliche Ausbildung erhalten? So lässt sich Teppic also im Berufsbildungsinstitut der Assassinengilde ausbilden und überlebt sogar die Abschlussprüfung. Im Gegensatz zu seinem Vater, der just an jenem Tag das Fliegen lernt. Und das Sterben. Aber nur fast. Immerhin ist er ein Pharao und hat somit das Privileg unsterblich und bei seiner eigenen Mumifizierung dabei zu sein. Dabei ist es besonders interessant festzustellen, dass der zu Lebzeiten umnebelte Verstand das Meer der Klarheit zu durchschiffen beginnt, wenn man erst einmal nicht mehr ganz lebendig ist.
Neuer Pharao von Djelibeyby ist nun Teppic, der aus Ankh-Morpok zurückkehrt und erbarmungslos in das Herrschen eingeführt wird, was im alten Königreich vor allem bedeutet, Präsenz zu wahren, denn Dios, der oberste Priester und Premierminister, erklärt recht deutlich, wer Vorschläge macht und wer ihnen zuzustimmen hat.
So wird es also nichts mit der Abschaffung des Pyramidenbauens – im Gegenteil, die größte aller Pyramiden wird geplant, errichtet und natürlich nicht bezahlt.
Da Pyramiden auf der Scheibenwelt eine magische Beziehung zu Raum und Zeit besitzen, erweist es sich als nicht ganz klug, ein Monsterexemplar zu bauen, was dazu führt, dass der Pharao auf dem größten Mathematiker der Scheibenwelt flieht, weiblichen Reizen ausgesetzt wird und alle Götter und Mumien des Alten Königreiches aktiv werden.
Pyramiden hat bisher keine Fortführung im Scheibenweltuniversum gefunden. Als Leser erkennt man auch schnell warum. Pratchett parodiert zwar gekonnt ägyptische Kultur und treibt seine Späße mit der Philosophie, seine Figuren gewinnen aber nicht jene Persönlichkeit, die Oma Wetterwachs, Karotte oder Rincewind in ihren Debüts erreichen.
Lesenswert sind die Assassinenabschlussprüfung und das an Troja angelegte Kriegstreiben der beiden Nachbarstaaten von Djelibeyby. Für Fans ist natürlich das gesamte Buch ein Muss, ansonsten bietet das Scheibenweltwerk wesentlich schönere Seiten als die hier dargebotene.
Piper wühlt im Heyne-Nachlass und ist mit der Scheibenwelt sicherlich auf der erfolgreichen Seite. Das Titelbild von Josh Kirby wird aber auch bei Pyramiden in schmerzlicher Weise verstümmelt und auch die Übersetzungsfehler von Andreas Brandhorst sind immer noch die alten: Maurerkellen zu Handtüchern!
Pyramiden sind nur sehr bedingt eine Empfehlung und wie bei den anderen Piper-Ausgaben gilt auch hier, dass man sich eher nach den Heyne oder Goldmann Ausgaben umschauen sollte, da dort wenigstens das geniale Titelbild in voller Pracht bewundert werden kann.
 

lapismont

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Piers Anthony: Ox. Die Macht der Mantas 3

1970 erfand John H. Conway ein mathematisches Spiel, mit dessen Hilfe man Leben simulieren kann. Dabei bestimmen drei einfache Regeln das Überleben, das Sterben und das Auftreten von Mustern. Von einer Grundsituation aus können sich diese Muster über viele Spielzüge hinweg verändern oder in regelmäßigen Abständen zum Ursprungskonstrukt zurückkehren, dabei ist nicht vorherzusehen, wohin sich die Muster entwickeln oder ob sie überhaupt lebensfähig sind.
1976, 6 Jahre nach „Orn“, erscheint „Ox“ als letzter Band der Manta-Trilogie und Piers Anthony hat sich inzwischen ausführlich mit dem Leben und seinen Mustern beschäftigt. So ist „Ox“ das komplexeste der drei Bücher geworden.
Es entfernt sich weit von der ursprünglichen Dreiteilung in Pflanzen-, Fleisch- und Allesfresser oder den drei Königreichen, Pflanzen- Tier- und Pilzreich. Zwar hat Piers Anthony das Konzept von Parallelwelten in „Orn“ schon benutzt, hier aber verbindet er es mit einem weiteren mathematischen Phänomen, dem Hexehexaflexagon zu einer Gesamtheit an Realitäten, die er Alterkeit nennt. Zwei neue Lebensformen tauchen auf und erweisen sich als durchdringendes Element dieser Alterkeit. Auf der einen Seite die lebenden Muster, vertreten durch Ox. Auf der anderen die intelligenten Maschinen mit Mech. Dabei kommt es nicht nur zu einer Verbindung der ursprünglichen Figurengruppe Veg, Cal und Aquilon, sondern auch zu einer Allianz der hypothetischen Leben, den Nachkommen. Bab, Ornet und Dec sind es, die die Kontakt zu Mech und Ox herstellen und die Vereinbarung schließen, einen Pakt für alle Lebensformen in allen Realitäten. Piers Anthony verwendet dabei den Vorgängerband, um geschickt alternative Realitäten in die bereits veröffentlichte Handlung einzuarbeiten. Der Weg durch die Struktur, ein festes Muster, ein spezielles Hexehexaflexagon, hinter dessen Vorhandensein ausgerechnet der Muskel kommt, nämlich Veg, erscheint wie ein überkomplexes System von Möglichkeiten und Tendenzen. Je mehr Möglichkeiten sich ergeben, umso unmöglicher wird es, eine Lösung daraus zu finden. Erst die Summe der fünf verschiedenen Intellekte, der Manta mit dem Sinn für Kommunikation, der Vogel als Speicher der Erinnerungen, der Mensch mit seiner Emotionalität, das Muster mit der Durchdringung aller Ebenen und die Maschine mit der rationalen Koordinationsfähigkeit, sie ergeben die Antwort auf das Chaos. Jedes Teil ist intelligent und hochlebensfähig, aber erst im Zusammenschluss bewirken sie das Überleben aller.
„Ox“ ist kein beliebiger SF-Roman mit geradliniger Handlung. Er fordert neben einem gewissen mathematischen Verständnis auch eine intellektuelle Bemühung. Die menschliche Gesellschaft, von der Piers Anthony berichtet, befindet sich nicht in einem moralischen Idealzustand. Dennoch ist „Ox“ keine Distopie. Der Mensch ist für Piers Anthony nun nicht mehr nur der brutale Omnivor, er wurde mehr. Vom ersten Band bis zum Finale scheint sich auch in der Weltanschauung des Autors etwas getan zu haben. Selbst die menschlichen Agenten mit ihren Superkräften beginnen daran zu scheitern, zu wenig Mensch zu sein, wird es für die Agentin Tamme überlebenswichtig, zu sich selbst zurückzufinden. Das dient natürlich auch dazu, die besondere Stellung des Menschen innerhalb der fünf Spezies darzustellen, stellt die Liebe und ihre emotionale Kraft doch eine wesentliche Stärke da.
Der Roman funktioniert als Einzelroman nur bedingt. Die Entwicklung zwischen den verschiedenen Teilen ist ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der Handlungsweisen der Akteure. Zwar bindet Piers Anthony die Schlüsselszenen aus „Orn“ ein, dennoch liegt gerade in der intensiven Beschreibung der Dinosaurier-Enklave die Tiefe, die es erklärt, warum das Schicksal Paläos die Verbindung der fünf Rassen überhaupt erst möglich macht. Hier wird Bab gezeugt und Ornet durch einen Mensch gerettet. Dass Piers Anthony in „Ox“ die Geschichte dupliziert und nun einen Vogel den Säugling retten lässt, macht die Wichtigkeit nur noch deutlicher.
Selbst der ferne schmale Eröffnungsband „Omnivor“ gewinnt im Rückblick einige Bedeutung mehr. In seiner grundlegenden Darstellung der Erdgesellschaft liefert er das Gerüst für das moralische Verbessern dieser Gesellschaft in „Ox“. Das Agentenprogramm wird durch ihre Kapitalgeber eingestellt, nachdem sie ihr Bedrohungspotential erkannt haben. Damit beweist Piers Anthony einen hohen Grad an Idealismus, der ein starker Kontrast zum Zynismus des ersten Bandes ist.
Der Titel „Die Macht der Mantas“ für die Trilogie ist irreführend. Die Mantas sind nur ein Aspekt, zwar ein faszinierender, aber nicht der wichtigste. Wahrscheinlich würde jeder Titel ein Gefühl von Ungleichheit aufkommen lassen.
Omnivor, Orn und Ox sind drei sehr gute Science Fiction Romane. Sie zwingen zum Denken und das mit Phantasie.
 

lapismont

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Piers Anthony: Chamäleon-Zauber. Xanth 1

Xanth ist ein Land irgendwo am Rande der Realität. Hier gibt es Magie und damit auch alle nur möglichen magischen Lebewesen, von Zentauren bis hin zu Drachen.
Die Menschen, die hier leben, verfügen jeder jeweils über ein magisches Talent. Einer kann bunte Punkte auf einer Wand erscheinen lassen, ein anderer kann alles verwandeln. So unterschiedlich die Talente sind, so sind sie auch mehr oder weniger nützlich.
Ganz schlecht allerdings ist es, gar keine Magie zu besitzen, denn dann wird man im Alter von 25 Jahren aus Xanth verbannt.
Genau dieses Schicksal droht Bink. Weil er nun aber ein schönes Mädchen zur Freundin hat und schon recht gern mit ihr in Xanth leben will, macht er sich auf, den guten Zauberer Humfrey zu befragen, über welches Zauber-Talent er denn nun verfüge.
So beginnt eine amüsante Reise durch ein durch und durch magisches Land, in dem jede Pflanze, jedes Tier, ja selbst jeder Berg ebenfalls über eine Magie herrscht.
Ein Wald der nicht betreten werden will, verbirgt alle Wege in ihn hinein. Die Blume, die sich nicht pflücken lassen möchte, verschießt giftige Stacheln und ein hungriger Baum versetzt Reisende in seinem Schatten in ewigen Schlaf, um ihn langsam zu verdauen.
Da kann ein kleiner Marsch schnell lebensgefährlich werden. Doch Bink schlägt sich durch und lernt eine Menge Leute kennen. Natürlich spielen besonders Frauen eine große Rolle. Neben der mächtigen Illusions-Zauberin Iris begegnet ihm auch noch das Chamäleon. Diese junge Frau leidet unter einer seltsamen Phasenverwandlung. Von einer dummen aber bildhübschen Sexbombe wandelt sie sich innerhalb eines Monats zur hässlichen Intelligenzbestie. Bink erkennt erst später, welche drei Frauen da zu einer zusammengehören.
Und nichts ist leichter, als die Qual der Damen-Wahl.
Inzwischen flog er doch aus Xanth raus, denn Humfrey vermochte nicht zu sagen, welches Talent in dem Burschen steckt, nur dass er überhaupt eines hat. Das reicht dem König aber nicht aus.
Kaum im magielosen Mundania angekommen, fällt er dem ebenfalls exilierten bösen Zauberer Trent in die Hände, der an einer Invasion Xanths bastelt um den alten Sturmkönig zu ersetzen.
Wie das Ganze letztendlich in einer Königswahl und Doppelhochzeit endet, erfährt der Leser in kurzweiligen Stunden des Lesens, die keine Minute an Spannung verlieren.
Der Humor Piers Anthonys ist nicht laut. Er verbirgt sich meist im Hintergrund, in den Requisiten der Geschichte. So werden schon einmal explodierende Kirschen als Kirschbomben benutzt oder Harpyien liebestoll.
Auch die Figurenkonstellation nimmt sich selbst auf die Schippe. Der gute Zauberer ist gar nicht so gut, ist der böse Zauberer nicht so böse und auch der Sturmkönig stürmt nicht sehr.
Selbst wenn wichtige Themen des Landes diskutiert werden, erhält man zum Schluss die Erkenntnis, dass etwas Skurriles dahintersteckt. So wird die Existenz von Zentauren recht eindeutig einer amourösen Verbindung zwischen Reiter und Reittier zugeordnet.
Dadurch gewinnt das magische Land Xanth nicht nur liebenswerte Züge, sondern auch eine sehr farbenfrohe Anziehungskraft.
Piers Anthony tröpfelte in die Fantasy-Geschichte auch Politik hinein, denn so eine Königswahl hat ihre Tücken gerade dann, wenn alle verfügbaren Kandidaten eigentlich gar nicht zur Verfügung stehen, da sie entweder Verbrecher oder unfähig sind. Man kann dem gebürtigen Britten unterstellen, hier einen satirischen Blick auf seine Heimat Amerika geworfen zu haben.
Xanth ist der Beginn eines Riesenerfolges für Piers Anthony. Seit dem Animationsfilm Shrek ist die Bedeutung dieser Fantasy-Serie für die USA aber sehr offensichtlich, schade, dass deutsche Verlage sich scheuen, die aktuellen Bände der Reihe in Deutsch herauszugeben.
Den Großteil der Serie hat Ralph Tegtmeier für Bastei/Lübbe übersetzt. Mit seinen erfreulich kreativen Eindeutschungen eigentlich unübersetzbarer Wortspiele, von denen es in keinem Buch Piers Anthonys mangelt, erwarb er sich einen sehr guten Ruf bei den Lesern.
Xanth ist keine normale Fantasy. Im unnormalen aber, da ist es das größte magische Land, dass wir besuchen können und dass sollten wir auch schnell wieder tun.
 

lapismont

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Robert A. Heinlein: Die Tramps von Luna

Kennen Sie Tribbles?
Dann wird es Sie freuen zu hören, dass es tatsächlich literarische Vorbilder für die Wollknäuel gibt.
Bereits 1947 schuf Heinlein in seiner amüsanten Familien Space Opera kleine, glücklich machende Tiere, die einer unkontrollierten Fortpflanzung anheim fallen.
Zwar ist die Episode mit den marsianischen Flachkatzen nur eine von vielen, aber nicht minder witzig.
Trotz der eindeutig veralteten Technik, geht von Heinleins Roman eine große Faszination aus.
Hier lebt der Ingenieursgeist der Nachkriegsjahre, eine Gewissheit mit ein paar Ventilen und Atomkraft alles unternehmen zu können. Die Stones, eine toughe Familie, lebt auf dem Mond. Die Zwillinge Castor und Pollux sind fidele Bastler, die mit der Idee in die Familie stürmen, mittels eines aufgemöbelten Raumschiffs vom Schrottplatz in den Weltraumhandel einzusteigen. Familienoberhaupt Roger Stone ändert den Plan kurzentschlossen in eine Vergnügungsreise zum Mars und die ganze Familie reist mit. Das Raumschiff Moostöter durcheilt daraufhin unser Planetensystem.
Fernab großer Visionen vom Universum und dem ganzen Rest, bäckt Heinlein für heutige Verhältnisse kleine Brötchen. So dauert eine Reise vom Mond zum Mars mehrere Monate, sind exakte astronautische Berechnungen und Kurskorrekturen stets von Nöten, muss man sich um ausreichende Stützmassen und jedes Gramm Gewicht Gedanken machen und trägt man überall Raumanzüge.
Physikalisch korrekt und den Möglichkeiten der Gegenwart weitaus angepasster, als gängige moderne Werke, lassen jene diesen Roman wie ein Fossil der Science Fiction erscheinen. Dabei ist die Zukunft, die Heinlein malt, gar nicht so unrealistisch. Es gibt zwar keine Computer bei ihm, aber was Geschwindigkeiten und Reisemöglichkeiten betrifft, sind Heinleins Grundlagen wohl logischer als andere Konzepte.
Aber die technische Seite ist nicht annähernd so beeindruckend, wie die wunderbare Situationskomik, die wirklich jede Szene ausfüllt und dem Leser ein Dauergrinsen ins Gesicht schreibt. Die Art und Weise, wie die Mitglieder der Familie Stone miteinander umgehen, lockere Bemerkungen mit trockenem Humor würzen, ist ein großes Vergnügen.
Allein die beständige Fortschreibung der Handlung einer SF-Serie für das Erdfernsehen, an deren Entstehen die gesamte Familie beteiligt ist, wird zum unerschöpflichen Quell skurriler Einfälle. Gleichzeitig ist es ein kleines Fenster in eine Zeit, da Serien wie Flash Gordon Millionen begeisterten.
Luna, Mars und Halleluja-Knoten, sind Gebiete am Rande der Zivilisation. Großmutter Hazel trägt nicht umsonst beständig eine Pistole mit sich herum, auch wenn sie Hustenbonbons enthält. Ein Hauch Western-Romantik weht durch die Seiten, sind Taten gefordert, nicht große Reden. Solidarität und unkomplizierte Lösungen fernab strenger Regeln und Gesetze und die Familie im Zentrum der Sorgen und Wünsche der Figuren lassen die guten alten Zeiten wieder lebendig werden.
Der Roman erzählt nicht von den ganz großen Themen, aber er ist allerbeste Unterhaltung.
Im Original heißt der Roman übrigens "The Rolling Stones".
 

lapismont

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Gerhard Branstner: Die Reise zum Stern der Beschwingten

Ein Raumschiff das Bommel heißt, dessen Besatzung sich die Bommelanten nennt und auf der Milchstraße unterwegs ist, das Exil der Marsmenschen zu finden - ganz klar, dieser Roman hat es in sich. In ganz besonderem Maße aber Heiterkeit.
Pilot Schimansky startet in das Unternehmen mit einem Stullenpaket unter dem einen und den Filzpantoffeln unter dem anderen Arm. Sein Freund Piccolomini fasst die Situation vor dem Start zusammen: „Ich hatte von Anfang an das Gefühl, daß man sich höhern Orts nicht viel von dieser Expedition verspricht. Daß man uns aber die alte Bommel gibt, ist gerade zu bedenklich.“
Wenn nicht die Hoffnung der Welt in der Expedition liegt, kann man die Sache auch ruhig angehen. Mit von der Party sind weiterhin Expeditionsleiter Professor Hedderich, natürlich verschusselt, Bierbauchträger Weynreich und der schweigsam haarlose Rinstone, um den sich bald das Geheimnis der Reise entwickelt, war er doch schon einmal am Zielort, der Corinna.
Zunächst aber führt sie ihre Suche nach den verschwundenen Marsmenschen in einen Kampf mit Robotern, in die Arme von Menschenfressern, in den Fokus von Vogelmenschen, in das Reich trübsinniger Wasserbewohner und zu den bequemen Schwätzern von Bilbomane, wie Corinna dort heißt.
Marsmenschen gab es jedoch keine.
Dennoch strotzt eine jede Begegnung vor Ironie, oder besser beschwingter Heiterkeit, wie das Geheimrezept des Lebens am Ende des Buches definiert wird.
Dabei gibt sich dieser 1968 erschienene Roman erfreulich unpropagandistisch. Was im Verlagswesen der DDR nicht ganz einfach war, wurde doch der Sieg des Kommunismus für eine Zukunft vorausgesetzt, genauso wie eine führende Rolle der Sowjetunion und ihrer Menschen. „Die Reise zum Stern der Beschwingten“ entwirft nur im Hintergrund eine Gesellschaft, recht substanzlos und eher in den ironischen Spiegelungen, wie etwa der bereits zitierten Äußerung von Piccolominis. Gerade mal beim einzigen, in einer Klassengesellschaft lebenden Volk, den Wassermenschen von Aquavox, kann man Gesellschaftskritik wahrnehmen, aber auch eine Vision von DDR-Neubaugebieten lesen:
„Siebenscharffs Erklärung machte den Bommelanten die Stadt keineswegs anheimelnder. Sie wurden im Gegenteil von deren Rechtwinkligkeit und unmenschlicher Ödnis bis zur Übelkeit gereizt. Vor allem war es die unnatürliche Kahlheit, die sie bedrückte und zugleich ihren Widerwillen erregte.“
Der Unmut der Bevölkerung äußert sich in einer illegalen politischen Versammlung, die die Bommelanten belauschen. Ein Agitator lässt die Konspiration mit einer grandiosen Rede platzen:
„Meine Herren Klassenkämpfer! Wir wollen die Kapitalisten stürzen. Worauf warten wir noch? Der Feind ist bekannt, schlagt ihn wo ihr ihn trefft! Gebt ihm Ohrfeigen von gewaltiger Klebkraft. Benutzt dazu KULLERMANNS ALLESKLEBER und der Sieg wird unser sein. Die Weltrevolution ist eröffnet!“ Zwar zieht hier ein kapitalistischer Staatsdiener die revolutionären Bemühungen ins Lächerliche und bleibt somit handlungsformal für den DDR-Leser der Bösewicht. Aber ohne Zweifel wird er sich noch recht oft an den Alleskleber erinnert haben, wenn er ähnliche Phrasen in den DDR-Medien vernahm.
Selbst also in diesem eher pädagogischen Kapitel verschließt sich Branstner einer offiziellen Richtung und geht allein seiner Nase lang.
Eine Einordnung des Werkes in die DDR-Science-Fiction findet sich in Angela und Karlheinz Steinmüllers „Vorgriff auf das Lichte Morgen“: „Der sich abzeichnende Bruch zum Raumfahrtroman wird noch deutlicher mit Gerhard Branstners „Die Reise zum Stern der Beschwingten (1968). Nach über einem Jahrzehnt prognostischen Ernstes wird der heldenhafte Weg in All von Branstner humoristisch auf die Schippe genommen.“
Im eigentlichen Sinne ist Branstners Roman eine Space Opera. Sie funktioniert ohne besondere technische Finessen oder physikalische Erklärungen, allein die Heiterkeit ist der Brennstoff, der die Bommel durchs All schubst, vielleicht die wichtigste Erklärung, warum der Roman zeitlos ist und seine Leser auch 36 Jahre nach seinem Erscheinen noch zum Lachen bringt.
"Die Beschwingten nehmen nämlich nichts ernst und nichts heiter zugleich, gleichgültig, ob es sich um eine heitere oder ernste Angelegenheit handelt.
...
Gerade durch dieses heitere Spiel, welches den Ernst verstellt, wird aber die Wirklichkeit nur um so treffender bezeichnet."
 

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Jo Zybell: Die Expedition. Maddrax Hardcover Band 8

In Band 10 der Heftserie „Götter und Barbaren“, den Jo Zybell ebenfalls schrieb, lernten wir Eve Carlyle kennen. Sie ist die Schlüsselfigur, die Matt nicht nur erklärt, dass er in einer sehr weiten Zukunft wandelt, durch sie erfährt er auch von den Resten der einstigen Zivilisation. Diese Begegnung ist der erste Schritt für den weiten Weg von Aruula und Matt über London, Washington bis hin zum Kratersee. Ohne diese Frau, hätte es den erfolgreichsten Serienplot nicht gegeben, also Grund genug, ihr einen Extra-Roman zu gönnen.
Als Leser der Serie steht man zu Beginn vor dem Problem, ob man tatsächlich mehr über die Vorgeschichte Eve Carlyles erfahren will, kennt man ja ihr Ende. Zybell geht dieses Problem knallhart an. Er beginnt mit dem bekannten Ende, stellt damit Neuleser und Fans auf die gleiche Wissensstufe und fährt nach der dichten Action mit einer romantischen Liebesszene fort. Und ganz nebenbei breitet er das Innenleben der Communities London und Salisbury vor uns aus. Man merkt, mit welcher Freude er über all jene Kleinigkeiten des Alltags schreibt, die in einem Heftroman zuviel Platz einnähmen, aber hier zum wohldosierten Gewürz werden. In Verbindung mit den Berichten aus den Zeiten des Kometeneinschlags und den Anfängen der beiden Communities ergibt sich ein sehr dichtes Bild vom Leben der britischen Bunkerzivilisationen. Zybell hantiert mit den verschiedenen Zustandsformen der Zivilisationszerstörung, so dass es in jeder Hinsicht nachvollziehbar bleibt. Die persönlichen Probleme und Enttäuschungen von Johanna Carlyle, spiegeln dabei auch immer die Konflikte ihrer Nachfahrin wieder. Dieses zeitlich verwobene Spiel der Handlungen birgt einen sehr großen Reiz. Dabei geht Zybell mit den Figuren so streng um, wie die Zeit wild ist. So erreichen einige Szenen Beklemmung beim Lesen und lösen ein Erstaunen aus, das der Roman in solch mitreißender Sprache geschrieben ist.
Jo Zybell beweißt erneut seine große Fähigkeit, einen eindringlichen Abenteuerroman zu schreiben, dessen Figuren lebendig sind und in ihren Taten einfühlsam beschrieben werden.
Der Umschlag ist im gewohnten Look der Hardcover Reihe gehalten und wirkt besonderes durch das exzellente Titelbild sehr edel.
Das Cover von Kovacs ist düster, aber voller Dramatik. Den nachtdunklen Grün- und Blautöne wohnt dennoch ein Leuchten inne. Ein eindrucksvolles Cover.
Unabhängig vom Serienhintergrund ist dieses Buch eine erstklassige Lektüre!
 

lapismont

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Robert Jordan: Der neue Frühling. Das Rad der Zeit 29

Das umfangreiche Fantasy-Epos „Das Rad der Zeit“ (RdZ) erhält eine Vorgeschichte. Soweit die Pläne des Autors sich nicht ändern, ist „Der neue Frühling“ der Beginn einer Trilogie, die uns von den Ereignissen vor Rand al’Thors Abenteuern berichtet. Allerdings will Robert Jordan die beiden anderen Prequels erst nach dem Erscheinen des letzten RdZ Bandes (Nummer 12 in der amerikanischen Originalausgabe) schreiben.
So begleiten wir im ersten Buch Moiraine Damodred und Siuan Sanche auf ihrem Weg von Aufgenommenen in der weißen Burg bis zum Erhalt der Stola einer Aes Sedai. Wir erleben den Beginn der Suche Moiraines nach dem Wiedergeboren Drachen und ihre Begegnung mit Lan Mandragoran. Der Aiel-Krieg, die Prophezeiung über die Wiedergeburt des Drachen, der endgültige Untergang Malkiers, die Vorgeschichte zur Besteigung des Sonnenthrones von Andor durch das Haus Trakand, ja selbst der Ursprung des Hasses von Elaida a’Roihan auf Siuan sind Themen dieses Buches.
Jordan hat im Laufe der Zeit Unmengen loser Stränge in seinem Gewebe geschaffen, dass er kaum Mühe hat, genug Erzählenswertes zu finden.
Moiraine und Siuan bei der Ausbildung zu erleben, ist spannend und interessant in Anbetracht ihrer späteren Rollen und erinnert stark an Egwenes und Nynaeves Aufenthalt in der Weißen Burg. Gerade Siuan bildet Jordan nun so ab, wie sie auch in der Hauptserie zum Schluss ist. Er verschafft sich damit eine größere Figurenkontinuität. Schwerer fällt es ihm bei Moiraine, deren Ähnlichkeit mit Elayne enttäuscht. Jordans Frauenzeichnung ist sehr eigen, in der Masse auch zunehmend langweilig. So schläfert er den Leser in einigen Aes Seadai Kapiteln erneut mit dutzenden Frauenbeschreibungen ein. Bei jedem Frauennamen fragt man sich frustriert, wer ist die nun schon wieder und sehr schnell verliert man den Überblick.
Zum Glück gibt es in der Vorgeschichte keine Weisen Frauen, Cousinen oder Windsucherinnen und so bleibt dies die einzige Länge in dem Buch.
Beachtenswert ist die Schilderung Lans, der hier den männlichen Hauptfigurenpart übernimmt. Er wird interessanter und deutlich als im Hauptwerk ausgearbeitet und es ist zu erwarten, dass Jordan dies auch in die Figurenzeichnung dort übernehmen wird. So tief konnten wir bisher nicht in das Herz dieses stillen Mannes blicken.
Für die anderen Nebenfiguren lassen sich schnell Parallelen zu anderen RdZ Figuren finden, eine wirkliche Neuerfindung gelang Robert Jordan nicht.
Piper setzt mit „Der neue Frühling“ nicht die üble Verfahrensweise von Heyne fort, ein Buch des Originals in bis zu vier deutschen Bänden über zwei Jahre verteilt zu veröffentlichen.
Allein dadurch liest sich dieses Buch deutlich besser als manche RdZ Bände (etwa Band 16 -25 der Heyne-Ausgabe). Jordan geht mit seiner Handlung schnell und zügig voran und bleibt dennoch dem typischen Rad der Zeit Flair treu. Er schöpft aus dem Vollen, an vielen Stellen spürt man die Absicht des Autors, so viele Bezüge wie nur möglich zum Hauptwerk herzustellen. Sie geraten zum Teil lexikonhaft und sind damit zur Auffrischung, als auch zum Einstieg sehr geeignet.
Erneut enttäuschend ist die Covergestaltung von Piper. So wird das Titelbild von Darryl Sweet auf der linken Seite abgeschnitten. Der treue Bukama verschwindet somit vom Cover, obwohl auf der rechten Seite des Bildes genügend freier Platz zum Abschneiden gewesen wäre. Die hässliche Titelbauchbinde, die Piper seinen Fantasy-Paperbacks verpasst, ist genauso gedankenlos platziert, wie das stilistisch dazu überhaupt nicht passende Logo der deutschen RdZ Ausgabe. Warum sich Piper zudem entschied, diesem Band die Nummer 29 zu verpassen, ist wohl müßig zu spekulieren. Wie bereits eingangs erwähnt erscheinen die beiden anderen Teile der Trilogie erst nach den noch nicht in Deutsch vorliegenden RdZ Bänden 11 und 12. Somit steht dem Leser in Band 30 der deutschen Ausgabe ein gewaltiger Zeit- und Handlungssprung bevor.
Die Übersetzung von Andreas Decker ist gewohnt überzeugend. Da er seit Band 24 die RdZ Bände übersetzt, sind keine Brüche in den Begriffen oder in der Stilistik der Übertragung zu beobachten.
„Der neue Frühling“ ist kein Höhepunkt der Fantasy-Literatur und auch eher für Fans der Serie interessant, aber innerhalb dieser ist es eine Besinnung auf die erzählerische Stärke der Anfangsbände.
 

lapismont

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Gerhard Branstner: Der negative Erfolg

Phantastische Geschichten untertitelte der Mitteldeutsche Verlag 1985 die fünf kurzen Texte. Damit der Leser ob dieser Einordnung nicht all zu sehr verwundert bleibt, beschäftigt sich der letzte Text, „Was ist Utopie? – Versuch einer Entwirrung“ auch mit der Begrifflichkeit des Phantastischen, der letztendlich hinter dem Untertitel steht:
„In der phantastischen Utopie (ob nun gesellschaftliche, technische oder verfremdende) wird wie im Märchen das Unmögliche möglich, tritt an die Stelle des Glaubhaften das Zauberhafte.“
Für Branstner ist das Phantastische die Opposition zum Realen, funktionieren phantastische Geschichten aber nur, wenn sie „ihre Bezüglichkeit, die wirkliche historische Logik als Maßstab unterstellen.“
Mit diesem Anspruch versucht der Autor seinen Geschichten neben dem ihm wichtigen Humor auch den Ernst der realistischen Gegenwartsspiegelung einzuhauchen, was umso schwerer fällt, je weiter sich diese Gegenwart vom Zeitpunkt des Lesens entfernt.
Dieses Problem ist vielen Satiren eigen.

„Die sterbende Frage“ ist die Frage der Bescheidenheit. Dieser witzige Text nimmt verschiedene Phrasen aus der Sicht der personifizierten Frage auf die Schippe und ist trotz einiger DDR-Begrifflichkeit, etwa dem Betriebsleiter, zeitlos aktuell.

In „Der negative Erfolg“ geht es um den Versuch, das menschliche Gedächtnis zu verbessern, so dass er sich an alles zu erinnern beginnt. Da der Mensch aber auf Verdrängung und Schönfärberei angewiesen ist, um mit sich selbst klar zu kommen, misslingt das Experiment. Natürlich endet die Geschichte bei Branstner mit einem Lachen. Sie erscheint zunächst umständlich und dem Zeitgeist geschuldet, das Institutswesen der DDR war etwas sehr eigenes und wird hier als bekannt vorausgesetzt. Dennoch ist diese Kurzgeschichte das Schlüsselwerk zu Branstners „Anpassungstheorie“. Besonders die Anpassung des Menschen an die Notwendigkeit auch Emotionen nicht als wahre Erinnerung zu speichern, sondern im Gefühlsgedächtnis abzuschwächen, ja sogar umzubiegen, gehört für den Autor zu einer elementaren Erweiterung der darwinschen Entwicklungstheorie. So wird im Idealfall Schmerz zu Heiterkeit.

Die bedeutsame Frage „Wer hat denn nun den Einbrecher erschossen?“ wird zwar nicht beantwortet und so recht erfährt man auch nicht, warum der skurrile Familiennachmittag Auskunft über das Jahr 2000 geben kann, aber der Autor präsentiert hier ein deutliches Beispiel, wie ungenau und letztendlich altmodisch Utopie in der DDR sein konnte.
Die kulturellen Auswahlmöglichkeiten, Theater, Fußball, Museum und letztendlich Fernsehen weisen nicht gerade in eine veränderte Zukunft, sondern atmen eher den statischen Mief einer Gesellschaft, die zu Veränderungen nicht fähig ist, weil ihre Menschen keine Visionen haben.
Dieses biedere Bürgertum stellt für Branstner den Ausgangspunkt einer Reise zu einer Gesellschaft dar, die ihre Kraft aus einer fröhlichen Lockerheit zieht, eben mit der branstnerschen Heiterkeit Probleme löst.

„Die Stadt der Letzten“ ist eine polemische Auseinandersetzung mit dem feindlichen Gesellschaftssystem. Durch die Wirklichkeit in ihrer Treffsicherheit arg mitgenommen, bleibt ein eher schaler Geschmack zurück, wenn man die doch recht eindimensionalen Personen betrachtet. Aus einer Position des Siegers geschrieben, werden Klischees zum Kapitalismus bedient, Religion verhöhnt und scheinbare gesellschaftliche Logiken entworfen, die heute wie Anschauungsmaterial plumper Demagogie wirken. Branstner entwickelt hier ein Umerziehungskonzept für gesellschaftliche Außenseiter, dass ohne Gewalt auskommt. In dem Tagediebe, Beamte und sonstige Schmarotzer gezwungen werden, durch das Fehler der Arbeiter, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, transformieren sie, wenn auch nicht gleich zu Arbeitern, so doch aber zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft. In Branstners Gesellschaftsverständnis ist nicht die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen das Schlimmste, sondern das Verwalten von Menschen durch Menschen.
Interessant an dieser Geschichte über die Stadt der letzten Kapitalisten, ist zudem das Gespräch, in deren Verlauf sie erzählt wird. Der Rahmen zeigt das heitere Geschick des Autors, mit Logik Pointen zu kreieren.

Die Erde als Museum, das man in „Zu Besuch auf der Erde“ aufsucht, um etwas über ausgestorbene Wörter wie Krieg und Frieden zu erfahren, ist schon eine sehr außergewöhnliche Idee. Das damit die Geschichte selbst in ihrer politischen Intention zum Museumsstück wird, ist zumindest solange skurril, wie die gesellschaftliche Entwicklung einer geistigen Weiterentwicklung des Menschen hinterherläuft. Die optimistische Vision Branstners ist nur etwas visionärer geworden, aber nicht unsympathischer.

Das Büchlein wird beschlossen von dem bereits erwähnten literaturtheoretischen Essay über „Was ist Utopie - Versuch einer Entwirrung“. In fünf Abschnitten seziert Branstner mit der ihm eigenen Logik die Begrifflichkeit. Zunächst beweist er, dass die eigentliche Utopie anders ist, als Utopien in anderer Literatur. Der nächste Beweis verknüpft Utopie mit der Zukunft ohne dies zum ausschließlichen Kriterium zu machen. Im nächsten Schritt werden die Formen der Utopie definiert und als formbar bestimmt. Anschliessend wird das Wesen der Utopie um die Kraft erweitert, dem Leser Kraft „die notwendig ist, für den Kampf um die Verwirklichung des Möglichen“ zu geben. Wodurch quasi jedwede gute Literatur utopisch wird. Im letzten Schritt wird die Funktion der Utopie als Erweiterung der Literaturfunktion erklärt. Was aber Erweiterung des einen ist, macht es zu seinem Bestandteil, womit gute wie schlechte Literatur zur Utopie wird.
Dieses kleine Textlein ist nicht nur hirnvermanschend im amüsanten Sinne, es enthält natürlich genau jenes Quentchen Wahrheit, das Branstner verwirrend in die Entwirrung hineinrechnete. Nun wissen wir auch, was der Autor davon hält, in diesem Bändchen Phantastische Geschichten untergebracht zu haben.
Natürlich ist Branstner der größte aller Logiker.

Durch die übertreibenden, aber textintensiven Bilder von Ioan Cozacu wird das Buch aufgelockert und zu einem kleinen Schmuckstückchen, wie sie heute aus Kostengründen kaum noch entstehen.

Alles in allem ist „Der negative Erfolg„ eine anregende Lektüre, die zwar einen Blick in die Zukunft wirft, aber einen genauso großen Blick in die Vergangenheit verschafft.
 

lapismont

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Beowulf. Mit einem Essay von J. R. R. Tolkien

Der Gotenkönig Hygelac hört von einem schrecklichen Ungeheuer, welches die berühmte Halle Heorot, die der Dänenkönig Hrothgar bauen ließ um seine treuen Kämpen angemessen beherbergen zu können, Nacht für Nacht aufsucht und die besten der dänischen Kämpfer zerfleischt.
So schickt der Gote fünfzehn seiner kühnsten Streiter aus, in der Fremde ihren Mut zu beweisen. Der stärkste von ihnen ist Beowulf.
Er stellt sich dem Untier Grendel und später dessen Mutter und besiegt beide. In späteren Jahren, als Beowulf bereits das Gotenreich führt, stellt er sich einem fürchterlichen Drachen, um Land und Leute zu schützen, wie es seine Fürstenpflicht ist.
In den Gesängen erfahren wir mehr über die vergangenen Tage der Goten, wie der Dänen, öffnet sich uns ein großes Tor in die verdunkelte Höhle des frühen Mittelalters.

Beowulf hat im englischen Sprachraum eine überwältigende Bedeutung und wird stets verglichen mit dem Rolandslied und den Nibelungen. Das Gedicht ist um 500 in Skandinavien entstanden und heute in einer Abschrift aus der Zeit um 1000 erhalten. Durch einen Brand beschädigt liegt die Handschrift heute im Britischen Museum.
Der Kampf gegen Grendel, ohne Waffen und Rüstung, hat die Fantasie der Menschen bis heute angeregt, so etwa in der Star Trek Voyager Folge Heroes & Demons, in der der Holo-Doc gegen den Dämon antritt.

Klett-Cotta verwendete für seine Ausgabe die deutsche Übersetzung von Georg Paysen Petersen von 1901, der an vielen Stellen versuchte, den Stabreim des altenglischen Originals zu erhalten. Leider ist dem Buch nicht zu entnehmen, wie vollständig die Ausgabe ist.
Auch wäre es für den deutschen Leser besser gewesen, etwas über die deutsche Übertragung zu erfahren, aber die gibt es nicht von Tolkien.
Dafür aber beschäftigt sich der wohl berühmteste englische Altphilologe mit den Schwierigkeiten einer Übersetzung vom Altenglischen ins Neuenglische.
Zum Inhalt selbst äußert er sich darin nicht und damit ist das Essay nicht ansatzweise so nützlich, wie etwas das Essay zum Gawain, den Klett-Cotta 2004 herausbrachte. Zudem fehlt der Teil, in dem sich Tolkien mit dem Versmaß beschäftigte.
Sicher wird der Fantasy-Fan Gefallen am Beowulf haben. Mit dem Tolkien-Essay aber kann nur ein Philologe oder Mittelalterspezialist etwas anfangen. Einen besseren Zugang zum Text verschafft das Essay nicht.
Grafisch passt sich die Ausgabe in die Reihe der Tolkien-Werke von Klett-Cotta ein, modern und ansprechend von Dietrich Ebert gestaltet und illustriert.

Das Buch enthält also einen unvollständigen Beowulf und ein unvollständiges Vorwort Tolkiens zu englischen Neuausgabe von 1940. Für eine Sparversion ist das Buch mit 15 Euro aber recht teuer, zumal nach einmaligem Lesen die Klebung versagte.

Wer sich mehr mit dem Beowulf beschäftigen will, wird unter
http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/anglist1/html/beowulf_part_1.html
fündig. Hier gibt es Original und deutsche Übersetzung in drei Teilen, vorzüglich aufbereitet.
 

lapismont

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Piers Anthony: Zauber-Suche. Die Saga vom magischen Land Xanth Band 2

Im zweiten Band seiner Xanth-Reihe gönnt Piers Anthony dem Leser keine Atempause.
Bink, durch die nahende Niederkunft seiner Frau Chamäleon und deren damit verbundener „Unpässlichkeit“ leicht fehlplaziert, befreit eine hübsche Gespenstin aus seiner untoten Lage und kann nur knapp dem Dank, einem Rendezvous mit ihr, entgehen. Das heißt, er begibt sich auf die Suche nach der Quelle der Magie von Xanth.
Ihm zur Seite stehen der Zentaur Chester und der Soldat Crombie. Letzterer wird der Bequemlichkeit halber in einen Greif verwandelt. Unterwegs schließt sich ihnen noch der gute Zauber Humfrey mit seinem Übersetzergolem Grundy an.
Piers Anthony hat keine Mühe eine bunte und exotische Welt voller Wunder zu beschreiben. So stürzt sich ein Rammbock auf die Heldenparty, wird auf einer Bühne mit einer echten Zauberflöte gespielt, wird einem vegetarischen Oger in Herzensangelegenheiten geholfen - der übrigens dem Oger Shrek durchaus als Vorbild gedient haben könnte, werden Probleme von Sirenen und Gorgonen besprochen und in vorderster Front die große Frage behandelt: Was stimmt nicht mit Frauen?
Denn darum geht es in erster Linie. Unsere Männerparty muss sich durch die diversesten Anfechtungen hindurchkämpfen, stets von weiblicher Lust, Leidenschaft und Diktatur gequält. Es mag eine Welt der Männerphantasie sein, vielleicht findet auch nur ein Mann das neckische Treiben amüsant, jedoch dient Piers Anthony in diesem Buch eindeutig Aphrodite und nicht Ares.
Interessant ist aber Anthonys Umgang mit den Figuren. Jede ist eigen und völlig unterschieden von den anderen. Er gibt sich als Beobachter der Szenen, die dadurch natürlich und unbefangen wirken. Für den Leser ist es dadurch zum Teil etwas verwirrend, wenn etwa eine Antwort von der falschen Figur kommt und damit der Zusammenhang fehlt. So schafft Piers Anthony beständig aberwitzige Situationen, immer kurz davor der Kontrolle zu entgleiten, aber mit eleganter Meisterschaft geht der Pfad der Geschichte seinem Gipfel entgegen und natürlich auch wieder hinab, denn Piers Anthony hält die Spannung nicht allein durch Action aufrecht, sondern vor allem durch die Beziehungskisten. Der Seifen-Oper Effekt nährt also nicht nur Harry Potter und betreibt das Rad der Zeit, nein, es ist ein viel genutztes Mittel, um nach dem Happy End noch weiter zu machen.
Xanth 2 ist lesenswert. Komischer und auch auf seine Art lebensnaher noch, wie nicht anders zu erwarten, durch Ralph Tegtmeier kongenial ins Deutsche übertragen.
Die deutsche Erstveröffentlichung im Bastei Lübbe Verlag wird geziert von einer belanglosen Titelillustration, die rein gar nix mit dem Buch zu tun hat, aber da hat der Verlag später hinzugelernt.
 

lapismont

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Gerhard Branstner - Vom Himmel hoch oder Kosmisches Allzukomisches. Utopische Lügenge

Vom Himmel hoch - der Titel ist bei einem wie Gerhard Branstner keine plumpe Titelei. Es steckt wohl mehr dahinter. Denn hoch oben, im Himmel, über den Menschen der Erde, sitzen vier Weltraumveteranen im Wirtshaus „Zum müden Gaul“ und flunkern sich die Langeweile weg. Das ist göttlich.
Oder auch nicht. Denn mit der Logik nimmt es dieses kleine Büchlein schon sehr genau.
Die vier munteren Erzähler sind Wirsing, der Himmelsgärtner, dessen Haare sich natürlich wie ein Wirsing kräuseln; Stroganoff - der Raumkoch; Kraftschyk - der ehemalige Physiker, aufgrund seiner Arbeiten mit der Schwerkraft auch der Schwerenöter genannt und Fontanelli - der Automatendoktor, der eine Klinik für übergeschnappte Roboter geleitet hatte.
An drei Abenden erzählen sie sich bei einigen Flaschen Wein erstaunliche Geschichten über Roboter, ferne Welten und natürlich über das unmöglich Mögliche. Da die Geschichten absichtlich erlogen sind, hat der wissenschaftliche Aspekt eher unterhaltenden Charakter und wird immer wieder verwendet, um am scharfen Menschenverstand gemessen und mit listiger Lust der Heiterkeit übergeben zu werden.
Die einzelnen Geschichten müssen sich einer eifrigen Hinterfragung durch die Vier unterziehen. Dramaturgische und logische Besonderheiten werden in aller Genüsslichkeit seziert und jede Schwäche ins Rampenlicht gezerrt. Damit gelingt Gerhard Branstner der Trick, sich selbst jeglicher Kritik zu versagen, da er sie stets gleich mitliefert. Ebenso lässt er seine alten Helden die Moral der Geschichten finden, um ja keinem Leser zu verbergen, welche Pointen der Autor klug versteckte oder offen zu Tisch trug.

Der erste Abend beginnt stimmungsvoll mit der Frage, wie eine Lügengeschichte zu beginnen habe, um als solche zwar erkennbar zu sein, aber nicht durch ihre offensichtliche Unwahrheit für eine versteckte Wahrheit gehalten zu werden. Dieser Einstieg in die sich selbst beständig nivellierende branstnersche Logik, stellt uns die einzelnen Erzähler kurz und anhand ihrer argumentativen Tendenzen vor.
Die vier Helden werden als schlagfertige Kauze eingeführt, die zwar alt, aber nicht vertrocknet sind.
Der Himmelgärtner beginnt mit "Die haarsträubende Rettung aus tödlicher Gefahr". Aus der tödlichen Falle fleischfressender Pflanzen entkommt man hier tatsächlich durch Haaresträuben und einer Reminiszenz an Wilhelm Buschs "Max und Moritz", vom Autor wohl nicht ohne Absicht gleich zu Beginn des Büchleins erwähnt.
Es dürfte wohl schwerlich eine andere SF-Geschichte geben, die ihren Plot auf Busch zurückführt. Branstner lässt den Leser auch gleich wissen, worin seiner eigenen Meinung nach das Besondere an dieser Geschichte besteht:
"«Max und Moritz», erklärte Kraftschyk, «haben mit ihrem Streich ihren Witz bewiesen, nicht mehr. Wirsings Gefährten aber haben mit ihrem Witz die Überlegenheit des menschlichen Geistes über die Natur bewiesen.»"

Stroganoff versucht mit "Die Sonne im Schlepptau" zu beweisen, wie ganz und gar unmöglich etwas sein kann. So fliegt ein unmöglich großes Raumschiff mit unmöglich großer Geschwindigkeit beständig über die Grenzen des Weltalls hinaus und kann erst durch das Einfangen eines Sternes mit Hilfe eines Netzes gebremst werden.
Doch Branstner lässt in der anschließenden Diskussion Kraftschyk argumentieren, das in einem unendlichen Weltall auch die Möglichkeiten unendlich seien. Der Beweis für eingefangene Sterne wird aber geschenkt - wer weiß ob dem Autor auch hier eine logische Spitzfindigkeit eingefallen wäre.

Der Automatendoktor darf in "Der Narr im Waisenhaus" eine Robotergeschichte zum besten geben, in der es, ähnlich einem Volkstheaterstück, um Verwechslungen und Verkleidungen geht. Ein Ulk, der aber mit einem Thema spielt, dem Branstner immer wieder nachgeht: Das Gedächtnis und dessen selektive Speicherung von Erinnerungen und Gefühlen. Wie in "Der negative Erfolg" stellt sich der Autor hier die Frage, wie wichtig das Vergessen für die geistige Gesundheit des Menschen ist. Und wie verhält es sich dem gegenüber mit Robotern?

Um Zeitdilatation und Relativität geht es in Kraftschyks Geschichte "Die Begegnung mit dem wahren Irrtum". Auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich ohne größere Probleme von seiner zänkischen Frau zu trennen, verfällt ein Mechaniker auf die Idee, mittels Zeitdilatation deren Tod auszusitzen und als freier Witwer zurückzukehren. Seine Kollegen vom Müllentsorgungsraumschiff Dschunke versuchen ihm den Schmarren auszureden, aber vergeblich. Es kommt sogar noch schlimmer: Unterwegs gabeln sie den lebenden Beweis dilatierender Zeit auf.
Natürlich darf Kraftschyk in seiner eigenen Geschichte mehr flunkern als die Anderen und so bekommt er auch im Anschluss zu hören:
"«Das ist ein starkes Stück!», rief Fontanelli.
«Erst singst du eine ganze Geschichte lang ein Hohelied des Möglichen, indem du alles Unmögliche verdammst, und am Ende gibst du, ohne mit der Wimper zu zucken, die ganze Geschichte als unmöglich preis.»"

Der zweite Abend beginnt mit "Der eiserne Schildknappe", in der Stroganoff eine rührselige Geschichte über seinen treuen Roboter Jimmi erzählt, der im Laufe der Geschichte an Stroganoffs Stelle die Großvaterrolle bei dessen Enkeln übernimmt.
Gerhard Branstner berichtete in einem Interview in diesem Zusammenhang von einer Lesung, in der die Stelle:
"Kinder wollen nicht nur Kinder, sie wollen auch Enkel sein, wie sie später nicht nur Eltern, sondern auch einmal Großeltern sein wollen, weil ihnen sonst irgendetwas fehlt. Einem Tier würde nichts fehlen, weil das keinen Enkel oder Großvater braucht. Das ist wohl auch so ein Unterschied."
bei einer alten Dame zu trauriger Erregung führte.
Das Ersetzen menschlicher Funktionen durch Roboter führt auch in Bereiche, die so offensichtlich gar nicht sind.

Nachdem Kraftschyk die Erzählung unter besonderem Hinweis auf die branstnersche Technik der heiteren Verstellung in den Kanon der Lügengeschichten einreihte, legt er selbst mit "Kumpelfings im Weltraum" einen Scheit Skurrilität in das Feuer der Unmöglichkeit.
Kumpelfings picknicken nämlich nicht im Stadtpark, sondern fliegen mit ihrem Raumschiff Flaschenkürbis zum Rande des Sonnensystems, rollen eine Decke Schwerkraft aus, die vom Filius mit grüner Farbe eingefärbt und mit sechs Stunden Wetter, überwiegend heiter, zu einer bequemen Örtlichkeit veredelt wird.
Da an solch einem netten Familienausflug nicht wirklich etwas spannendes zu finden ist, endet die Geschichte auch sofort wieder nach etwas Büchsengekicke und Palaver.

Das die Geschichte recht dünn ist, bemerken auch die anderen Weltraumveteranen, deshalb geht es auch ohne große Umschweife weiter mit "Die Kometenpost".
Der Weltraumgärtner berichtet von einer Rettungsaktion für eine verdurstende Welt, die er nur rechtzeitig erreichen und mit lebensnotwendiger Kulturerde versorgen konnte, indem er als Reisemittel einen vorbeiziehenden Kometen nutzte. Durch die ungewöhnliche Anreise, als höheres Wesen betrachtet, macht Wirsing dem Spuk ein Ende, indem er energisch nach Nahrung verlangt, was höhere Wesen eigentlich nicht tun. Da das nun schon die ganze Geschichte war, stößt Wirsing nicht gerade auf Begeisterung bei seinen Zuhörern. Jedoch lässt Branstner die Geschichte mit einem Witz enden, in dem er aus der Erde die mit der Kometenpost kam, den Kompost ableitet.

Fontanelli beschließt den Abend mit einer weiteren Robotergeschichte, in der es um einen entflohenen Roboter geht, dessen Aufgabe es war, die Probleme seines Besitzers zu übernehmen. Dadurch aber wurde der Mensch recht träge und antriebslos. Da konnte nur ein Arzt helfen. Jedoch übernahm der Nothelfer logischer weise auch dieses Problem und ging an des Menschen statt zum Arzt. Der rät ihm, den Schwierigkeiten nicht mehr aus dem Weg zu gehen, also werden die Scheiben des Chefs eingeworfen und der Schwager verprügelt, wie Roboter es halt so tun.
Doch auch die unernste Drohung, die Ehefrau umzubringen, gerät nun in die möglichen Ziele des Nothelfers, was den Mann zur Polizei treibt, um seine Frau in Schutzhaft nehmen zu lassen.
Erneut wird in dieser Geschichte eine Stellvertreterfunktion des Roboters untersucht, trotz aller verwickelten Komik, eine hintergründig gruselige Sache, auch wenn die Pointe das alles wieder etwas entschärft.

Den dritten Abend eröffnet der Automatendoktor natürlich mit einer Robotergeschichte: "Der verliebte Roboter". Zwar wird hier das künstliche Wesen tatsächlich als Werkzeug benutzt, doch die Grenzen maschineller Existenz und Fähigkeiten bringen einiges zum Krachen. Branstner sucht nicht die großen Konflikte, er wird in den kleinen fündig.
Dass sich die Stammtischexperten anschließend über die Fehlerhaftigkeit robotischer Nachahmung unterhalten und in ihr den Schlüssel zu Geschichte finden, ist der Geschichte nicht abträglich, macht sie nur noch amüsanter.

Stroganoff kontert diese hintersinnige Story mit "Das entlaufene Perpetuum mobile", in der eine durchdrehende Klimamaschine mit dem Rezept für Streuselkuchen im Speicher fortläuft und die heißhungrigen Menschen zwingt, das Rezept neu zu erfinden.
"Wie aber erfindet man etwas das zweite Mal, was das erste Mal gar nicht erfunden wurde?"
Dieser Gedankengang ist typisch für die branstnersche Logik, die ihre Komik aus Fragen bezieht, die zwar einfach zu stellen, aber kaum zu beantworten sind, obwohl sie so tun, als ob es doch möglich sei. Selbst im Trivialsten liegt tiefe Philosophie, will uns der Autor hier zuflüstern.

Wirsing treibt hingegen ein anders Spiel: "Das Königsspiel". Indem eine aus lauter Männern bestehende Raumschiffsmannschaft in einer matriarchalischen Gesellschaft landet und dort an jenem Spiel teilnehmen, dessen Gewinner König wird. Dieses Spiel aber ist ein Kartenspiel, in dem man gesellschaftliche Aufgaben und ihre Bedingungen zusammensammeln muss.
Jedoch es stellt sich heraus, das Männer für derlei Staatsgeschäfte gänzlich ungeeignet sind.
"Die Liebe ist das Verbindende, und wenn es nichts Trennendes mehr in der Gesellschaft gibt, entspricht die Gesellschaft dem natürlichen Beruf der Frau."
Und wie ließe sich diese These besser beweisen, als mit einem Blick auf die eigenen Ehen?

Nach diesem Loblied auf die weibliche Herrschaft beschließt Kraftschyk den Abend und das Buch mit "Vom Himmel hoch". Die Energienotleidende Menschheit beginnt den Bau gigantischer Sonnenkraftwerke, gegen die Rufe des einsamen Mahners, den man zum Mond schickt um ihn loszuwerden. Von da muss man ihn zurückholen, da er der Einzige ist, der das Projekt retten kann. Indem er es aber rettet, sorgt er auch für sein Scheitern. Die Aufhebung der Schwerkraft, die hier zur alternativen Energieerzeugung genutzt wird, nimmt Branstner als Anlass für die These, dass jegliche Wissenschaft nur eine bestimmte Stufe der Treppe zur Physik, jede Gesellschaftswissenschaft eine Stufe der Treppe zur Ästhetik darstellt.
Und mit der Feststellung, das nach der physikalischen Schwerelosigkeit die ästhetische Schwerelosigkeit den endgültigen Zweck des Menschen benenne, endet das Buch mit genau jener unfasslichen komischen Verwirrung, deren Auswirkung ein tiefes Grinsen im Gesicht des Lesers ist.

Man kommt nicht umhin, einen großen Anteil der Wirkung dieses Büchleins in den großartigen Illustrationen von Horst Bartsch (1926 - 1989) zu sehen. Verspielt und filigran, zumeist auf zwei Seiten verteilt, unterstützen sie das Unwirkliche der Lügengeschichten und setzen sie zum Teil auf einer bildlichen Ebene fort, die nicht einfach surreal ist, sondern darüber hinaus mit frappierender Einfachheit Spaß machen.

Eine derartige Verbindung von grafischer Ausstattung und literarischem Inhalt ist selten geworden. Umso schöner wird dieses kleine bibliophile Schätzchen: Vom Himmel hoch.
 

lapismont

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Herbert G. Wells: Menschen, Göttern gleich

„Men like Gods“ erschien 1923 und damit über 400 Jahre nach Thomas Morus „Utopia“ aus dem Jahr 1516. Wells weitet das mittelalterliche Bild und steht wie Morus vor einer umfassenden Zivilisationskritik.
Der Anfang ist leicht, luftig und amüsant, lassen die Probleme des biederen Mr. Barnstaple, der am Pessimismus seines Arbeitgebers leidet, eher an eine Karikatur denken.
Seine Flucht vor seinem miefigen Leben mit einen Auto quer durchs Land, führt ihn unversehens in eine andere Welt, mit ihm zwei weitere Wagen voller unterschiedlichster Typen. Vom Priester über die Diva bis hin zum Minister, vom Fahrer bis zum Militär.
Zunächst stellt man nur den plötzlichen Transfer fest und findet in zwei Toten die offensichtlich Verantwortlichen des Geschehens.
Wie kommt man aber sogleich darauf, in Utopia zu sein, wenn man zwei schöne Leichen sieht? Nun ja, Wells nimmt sich zwar viel Zeit, über Utopia zu schreiben, aber manche Einzelheiten nimmt er nicht so genau.

Die Beschreibung der Gesellschaft Utopias erinnert an Stapeldons Sternenschöpfer. Vermutlich bezog dieser sich auf Wellssche Ideen, den Roman wird er gekannt haben.
In beiden Büchern wird die Erde von einem Mann aus einer englischen Landschaft heraus verlassen.
Wahrscheinlich ist der Drang nach Utopia bei Stapeldon noch intensiver, zumindest aber fantasievoller beschrieben.

Die Äußerungen zur bedingten Nützlichkeit des Privateigentums zeigen, wie dicht Wells zeitlich den Theorien von Marx und Engels noch war. Noch war kein totalitäres System darauf gebaut worden, die Entwicklung in der UdSSR noch nicht ganz absehbar.
Der Große Krieg von 1914 bis 1918 war noch der einzige seiner Art und England fühlte sich als Sieger, der wenig verloren hatte.
Barnstaples ist die Leseridentifikation. Durch ihn bindet Wells den Leser an seine Ideen von Utopia. In dem Barnstaple zum Utopen wird, versucht Wells den Leser ebenfalls dahin zu bringen.
Weder die Meinung des verbohrten Priesters Amerton als auch des Konservativen Politikers Catskill wird von Barnstaples geteilt, aber mit Verständnis bedacht.
Wells analysiert hier unter unterschiedlichen Gesichtspunkten die Möglichkeit eines Utopia.
Zum einem natürlich der religiöse Konflikt. Für uns abgeklärte Leser, als SF-Fans eh meist unreligiös, mag es anachronistisch erscheinen, wie viktorianisch Amerton predigt, aber zu Wells Zeiten war eine sittliche Betrachtung sehr wichtig, nicht umsonst stellt er die Utopen so leicht bekleidet dar. Sie sollen unsittlich erscheinen.
Auf der anderen Seite der Konflikt mit der Evolutionstheorie. Für Catskill gehört die natürliche Auslese zur Forschrittsessenz der gesellschaftlichen Entwicklung.
Wells deutet hier an, dass wenn sich der Stärkere durchsetzt, nicht das Bessere siegen muss, aber auch wie in Utopia, das Bessere nicht immer die Stärke haben mag, um sich durchzusetzen.
Die ethischen Fragen zur Eugenik beschäftigen ja auch Wollstonecraft Shelley in ihrem Frankenstein. Die monströsen Auswirkungen eines menschlichen Eingriffes in die Natur breiten sich ja auch erst allmählich vor unseren Augen aus.
Wells war da noch deutlich am Anfang.
Ratten und Wölfe sind wohl wichtige Symbole in diesem Werk.

Interessant finde ich auch den kolonialistischen Anspruch der Erdlinge, quasi sofort Kritik an der fremden Kultur üben zu müssen. Nach einem anfänglichen Erstaunen kommt sofort eine arrogante Nabelschau, quer durch die gesellschaftlichen Schichten.
Die Fremdartigkeit der utopischen Gesellschaft wird nicht toleriert, geschweige denn akzeptiert. Natürlich wollte Wells das auch gar nicht. Er will ja über Utopia streiten.
Dadurch wird der gesamte bisherige Teil zwar sehr handlungsarm, dafür aber philosophisch sehr spannend.
Vielleicht nicht gerade sozialkritisch, da ich Wells hier nicht zu Hause sehe. Seine Ausrichtung an Moores Utopia, hat einen globalen Wissenschaftsstaat im Sinn.
Auf der ökonomischen Seite bleibt er sehr ungenau. Weder Industrialisierung noch Automatismus spielen bei ihm eine größere Rolle, es riecht alles nach Handarbeit.
Dass aber tatsächlich genug freiwilliger Dienst in diesen Gebieten, quasi die Drecksarbeit, geleistet werden kann, versucht er gar nicht näher zu begründen oder zu analysieren.
Er fordert einfach einen besseren Menschen. Idealismus pur.
Mir gefällt sein Glauben an den Menschen.
Ansonsten ist eine Gewichtung in positiv oder negativ immer die Frage.
Wells empfand die Zerstörung seiner Welt und eine Umwandlung in etwas anderes als positiv - und genau das ist es aber auch, was der Nährboden in einem Endzeitszenario ist.
Nach einer Zeit der Verwirrung beginnt das goldene Zeitalter.
Als die Erdlinge versuchen, Utopia zu erobern, reagieren die Utopen mit großem Machteinsatz. Doch es wird vorher bereits erklärt, dass die Utopen langsam das Interesse an den Menschen verloren. Durch die Epidemie wurden sie zu einer Gefährdung.
Humanismus spielt im Wellsschen Utopia eine untergeordnete Rolle. Es wird ja das Existenzrecht von Krankem und Hässlichem bezweifelt. Für Wells ist es legitim, unanfechtbar sogar, ein einzelnes Leben der Idee von Utopia zu opfern. Nicht umsonst hat Barnstaple auch Angst vor den Utopen.
Es sind eben Menschen, die Göttern gleich sind. Grausamkeit ist ein Urteil über sie, das nur von Außen getroffen werden kann, mit unserer Ethik.
Insofern ist die Frage interessant, ob es tatsächlich eine positive Utopie ist.
Das Buch von dtv ist übrigens eine sehr gute Arbeit. Nach dem Lesen ist die Klebbindung unbeschädigt, Layout und Satz sind modern und stilvoll.
Die Aufmachung des Bandes ist klassisch modern, dem Erstveröffentlichungsjahr angemessen.
"Die Trompeten von Jericho" von H.R.Giger sollen wohl eine Interpretationsrichtung des Verlages darstellen, sie veredeln auf jeden Fall das Titelbild.
„Menschen, Göttern gleich“ ist ein wirklich sehr guter Roman.
 

lapismont

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William King: Der Hort des Drachen

Die Geschichten um Felix und Gotrek sind unter den Anhängern des Table Top Spieles Warhammer so beliebt, dass Modelle der beiden nicht selten auch in Armeen auftauchen, die weder zu den Zwergen noch zu den Menschen gehören.
Das ist wohl die Schuld von William King.
Im vierten Teil der Abenteuer sieht Felix endlich seine Ulrika wieder, doch bevor sie der Zarin in Praag Mitteilung vom Vormarsch einer riesigen Chaoshorde machen können, taucht da noch ein alter Drache auf, den zu töten, es besonders den Slayern mächtig in den Fäusten juckt. Es ist nicht notwendig die Vorbände gelesen zu haben, alles erschließt sich aus dem Kontext und wird hinreichend und stilvoll erklärt.
Für Fans des Spieles sei gesagt, dass King sich mit den Armeebüchern und Hintergründen der Fünften Edition beschäftigt hat, was Veteranen sicher freuen wird.
Ansonsten kommen alle Spielarten der beliebten Völker zu ihrem Recht. Goblins dürfen mit Kamikazekatapulten und Spinnen moschen, die Zwerge erweisen sich als Meister moderner Kriegsmaschinen, die Skaven sind schrullige Intriganten und unsere Slayer stürzen sich in jeden Kampf.
King handhabt seine Schar Figuren optimal. Jeder erhält eine unverwechselbare Charakteristik, die auch ihre Beziehungen untereinander prägen. Die Liebesgeschichte zwischen Felix und Ulrika hingegen nervt zum Teil, da sie doch etwas übertrieben lang ist.
Der Hort des Drachen ist ein spannendes Fantasy-Abenteuer, auch für diejenigen, die nichts mit dem Spiel am Hut haben, allerdings sollte man eine Vorliebe für Hack & Slay haben, denn in erster Linie wird in diesem Buch gekämpft.
Das Buch ordnet sich in die anderen Abenteuer ein und weist in die düstere Zukunft, denn die Macht des Chaos nimmt immer mehr zu und bedroht die Welt der Menschen. Felix und Gotrek werden immer zur Stelle sein.

Piper bringt die Abenteuer von Felix und Gotrek nicht in seiner Fantasy-Reihe heraus, sondern im Boulevard. Dafür muss man dankbar sein, denn so kommt man in den vollen Genuss des Titelbildes von Geoff Taylor, das eine der Schlüsselszenen des Buches darstellt, nämlich der Kampf des Zwergenluftschiffes Geist Grungnis gegen den bösen Drachen Skjalandir.

Alles in allem ist King ein weiteres fesselndes Abenteuer in der Warhammer-Welt gelungen, voller Monster, Schlachten und auch voll von Gefühl!
 

lapismont

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Maggie Furey - Das Herz von Myrial. der Schattenbund 1

Nur drei Tage aus der Geschichte des Planeten Myrial schildert Maggie Furey, doch sind es sehr ereignisreiche Tage, voll gestopft mit Geschichten und Wesen, Liebe und Hass, Rätseln und Fantasie.
Myrial ist ein Planet stark verschiedener Reiche, welche durch die Schleierwand von einander getrennt sind. Eine Organisation Eingeweihter, der Schattenbund, bewahrt das Wissen um das Geheimnis der Welt und versucht den Schöpfern dieser Menagerie auf die Schliche zu kommen. Doch einer dieser Hüter des Wissens, will Myrial in die Freiheit führen und die engen Grenzen der Schleierwand zerstören. Doch mit dem Schwinden der Grenzen gelangen auch böse Wesen in friedliche Länder oder dringt grausames Wetter in milde Regionen.
Mitten in diesem beginnenden Chaos stecken Veldan, eine Hütern, und ihr Partner, der Feuerdrache Kazairl, fest. Ihre Mission droht zu scheitern und bald kämpfen sie um ihr nacktes Überleben. Doch die beiden sind nur ein kleines Steinchen im bunten Mosaik aus Figuren und Handlungssträngen, das Maggie Furey mit großem Geschick und ohne jegliche Hast vor dem Leser zusammensetzt.
Man erfährt nach und nach die Hintergründe der Personen, lernt ihre Motive kennen und wird immer tiefer in die Geschichte hineingezogen. Aber nie wird es langweilig. Zu keiner Zeit schweift Maggie Furey ab, stets treibt sie die Handlung sanft vorwärts, beleuchtet viele Szenen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und verknüpft dabei die verschiedenen Stränge mit meisterlicher Präzision.
Selbst solche Figuren, die sehr schnell aus der Handlung wieder verschwinden, weisen eine Unmenge von Details auf. Diese Mehrdimensionalität führt dazu, dass es dem Leser trotz einer immensen Anzahl an Handlungsträgern niemals schwer fällt, den Überblick über sie zu bewahren.
Das Herz von Myrial ist ein überaus gelungener Erster Band der Schattenbundtrilogie
Fantasie vom Feinsten. Keine schönfärbende Elfengeschichte und auch keine ultrabrutale Metzelorgie. Myrial erscheint, trotz aller phantastischen Ideen als ein realer Ort.
Die Übersetzung von Angela Koonen lässt keinen Grund zur Klage, die Gestaltung des Buches wirkt durch die Kapitelzeichnung stimmungsvoll.
Das Titelbild der Paperback Ausgabe von Bastei stammt von Mick van Houten und hat mit dem Buch nicht viel zu tun, bestenfalls könnte man an eine eher untypische Szene des Buches erinnert werden. Doch das kann nichts daran ändern, das Das Herz von Myrial eine uneingeschränkte Leseempfehlung ist.
 

lapismont

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Stefan T. Pinternagel: CyberJunk

Der Autor unternimmt den Versuch eine Zukunft zu entwerfen, in der die Erste und die Dritte Welt ihre Rollen getauscht haben und Russland zu neuer Macht aufgeblüht ist. Dabei stellt er eine ökologisch und moralisch verfallende Welt dar. Dieser interessante Hintergrund wird jedoch in massiven Info-Blöcken serviert, die immer mehr wie knallbunte Tapeten für eine billige Sex und Gewalt Story anmuten.
Die Fülle an Informationen ist immens. Hinzu kommt noch ein Überschwang an Beschreibungen, die mit massivem Einsatz von Metaphern und Adjektiven auf den Leser einschlagen und nur sehr selten Handlungsrelevanz besitzen.
Die Handlung selbst entpuppt sich als ein simpler Plot um einen Vertreter für Gehirnverkabelung, der sich in die Frau eines Freundes verliebt, mit ihr ein Verhältnis beginnt und als sie es wieder beendet in seinem Liebeskummer in virtuelle Gewaltphantasien flüchtet, die ihn zum gewalttätigen Mörder machen. Motivation und Zeichnung der Figuren bleiben dabei in den üblichen Klischees von reicher Gattin, hinterhältigem Freund und zum Junkie mutierten Betrogenen hängen. Es kommt keinerlei Spannung auf. Die Entwicklung der Hauptfigur zum Psychpathen ist nicht nachvollziehbar. Tablettenkonsum und Geldausgaben werden in epischer Breite dargelegt, die Auswirkungen jedoch variieren zwischen Bedeutungslosigkeit und Katastrophe, ohne dass eine tatsächliche physische Schilderung dazu passt. Der Autor versucht hier eine Kompetenz mit Details zu erreichen, verstärkt jedoch damit nur seine Unglaubwürdigkeit.
Der Roman hinterlässt den Eindruck, dringend einen Lektor zu benötigen, von einem Korrektorat ganz abgesehen, allein auf den ersten vier Seiten fanden sich zehn Fehler.
Cyber Junk ist definitiv nicht eines der besten Bücher das ich bisher gelesen habe.
 

lapismont

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Charles Stross: Singularität

Der Anfang des Debüts von Charles Stross stellt zunächst zufrieden. Das Setting ist effizient und lesbar in Szene gesetzt. Die Handlung beginnt als Satire, nicht bissig oder bitterböse, eher in Richtung Schalk gehend.
In eine Provinzwelt, deren Gesellschaft eine Mischung aus Zarentum und viktorianischem Stil darstellt, mit einer kleinen Beimengung High Tech., bricht ein fremdartiges Gebilde, das sich Festival nennt, und wirbelt alles durcheinander:
Es regnet Telefone, die die Bevölkerung auffordern, sie zu unterhalten, im Ausgleich werden Wünsche erfüllt.
Ein wirklich großartiger Einstieg.
Leider konnte der Autor diese Großartigkeit nicht über den gesamten Roman hinweg aufrechterhalten.
Die Figuren erhalten keine Tiefe, obwohl ihre Einführung es meist verspricht.
So ist die Beschreibung des Admirals Kurtz stark karikierend. Sie verdeutlicht, wie sehr die Neue Republik mit ihrem statischen Gesellschaftssystem an ihre Grenzen stößt. Die Funktion ist nicht sonderlich innovativ aber auch nicht peinlich.
Solche Figur passt einfach in die erdachte Militärhierarchie.
Aber mit fortschreitender Handlung, wird die Figur immer überflüssiger, ihr destruktives Potential verschenkt.
Die beiden kurz hintereinander folgenden Lebensrückblicke von Rachel und Martin kommen wie Hammerschläge ohne sichtbare Motivation, erscheinen als fehlgeschlagener Versuch, die Charakterisierung der Personen vielseitiger zu gestalten.
Kurz vor Schluss erhält der Leser auch noch die Lebensgeschichte des Revolutionärs Rubinstein. Durch die Verknüpfung mit Wassily dringt leider eine völlig unnötige Familiengeschichte in die Handlung und flacht meiner Meinung nach den doch recht interessanten Charakter des Revolutionärs ab.
Warum gibt es keinen Lebenslauf zur siebenten Schwester, einem Alien, die als Kritikerin das Festival begleitet?
Die Vermutung drängt sich auf, dass der Autor keine interessanten Lebensläufe ersinnen kann.
Hinzu kommen Unglaubwürdigkeiten. Etwa in der Darstellung des Geheimdienstlehrlings Wassily. So wie sein Chef, der Kurator, aufgebaut wurde, dürfte ein unfähiger Mitarbeiter bei ihm nicht lange genug überleben, um mehrere Fehler zu begehen. Zudem wird ja auch vom BÜRGER festgestellt, wie auffällig sich die männliche Hauptfigur, der Erdling Martin verhielt, als er mit der weiblichen Protagonistin, Rachel, nach so langer Abstinenz abschob. Da die Hauptfiguren beide als Agenten unterwegs sind, handelt es sich doch um eigentlich recht dumme Fehler für Spione. Besonders bei Rachel sollte mehr Professionalität zu erwarten sein. Solche kleinen Fehler finden sich viele.
Ein weiterer Schwachpunkt sind die Military-SF Szenen, die man gutmütig als Parodie bezeichnen könnte, die aber eigentlich für Satire zu lang und unleserlich, und zudem noch dramaturgisch unpassend über den Leser hereinbrechen.
Das Desaster bei Wolf 359, ups Wolf Depository, ist der absolute Tiefpunkt.
Ich habe von der Schlacht nämlich nichts verstanden außer dem Ergebnis.
Im Mittelteil tauchen plötzlich massiv Fußnoten auf und man bekommt die Ahnung, dass etwas mit dem Buch nicht stimmen kann, wenn sich die Übersetzerin Usch Kiausch gezwungen fühlt, den Lesern technische Begriffe zu erklären. Oder aber die Übersetzerin sah sich einfach außerstande den technischen Hintergrund ohne Lexikon zu übertragen und ging davon aus, dass es dem Leser ähnlich geht.
Wenn man den Witz mit Haaren und schwarzen Löchern nicht versteht, ist es doch eigentlich nicht schlimm. Genauso sind Insidergags aus dem Hostbereich dem Leser schnurzpiepegal. Aber wenn man mir beständig versucht zwischendurch etwas zu erklären, stört das. Es ist wie eine plötzliche Werbepause.
Dabei gibt sich Stross große Mühe den Begriff der Singularität zu erklären und Bewegung bei großen Geschwindigkeiten und der damit verbundenen Relativität der Zeit in die Handlung einzubauen. Die Infoblöcke werden aber immer trockener. Den wissenschaftlichen Aspekt behandelt der Autor aber sehr stiefmütterlich. Entweder er erschlägt mit langatmigen Erklärungen, deren Logik schwer zu folgen ist, oder aber er reißt das Thema nur an. Gerade der Upload verschwindet in der skurrilen Handlung.
Dadurch verliert sich schnell der Reiz und auch die Lust, das Ende der Reise mitzuerleben, sinkt. Dabei sind seine Konzepte nicht unbedingt neu. Eine höhere Wesenheit, die ihre eigene Existenz durch eine Zeitreise schützen muss. Warum nur denke ich bei Eschaton an ES?
Gerade die zum Teil bissigen Szenen des Anfangs fehlen. Weder Humor noch Augenzwinkern sind ab der Mitte des Buches entdecken.
Der gesamte Handlungsstrang, der sich mit der Kriegsflotte der neuen Republik beschäftigt, ist uninteressant und ohne Verve erzählt.
Auf Rochards Welt geht es hingegen recht unterhaltsam zu und erinnert an Otherland von Tad Williams.
Die Idee des Festivals ist faszinierend, schade, dass Stross erst zum Ende des Buches mehr darüber schreibt (und in verständlichen Sätzen). Das sich verselbständigende Werkzeug mit eigenen Zivilisationen, erinnert stark an die Endlose Armada, ist aber bei Stross spaciger. Solch cooles Konzept, und er stellt es nicht in den Mittelpunkt der Handlung!

Singularität ist ein ungewöhnliches Buch. Es verspricht sehr viel, ist aber an vielen Stellen zu unreif, um gut zu sein. Die Art der Veröffentlichung ist ebenso gewöhnungsbedürftig, gerade die Fußnoten irritierten.
Wenn Stross seine wissenschaftlichen Ideen interessanter erzählt und in seiner Charakterdarstellung ideenreicher wird, kann er tatsächlich zu einem guten SF-Autor werden.
Singularität ist ein Experiment, ein Versuch, der in großen Teilen scheitert aber einen gewissen Charme hat.
 

lapismont

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Maggie Furey: Der Geist des Steines. Der Schattenbund Band 2

Der Geist des Steines schließt sich nahtlos an seinen Vorgänger, Das Herz von Myrial, an.
Die Wissenshüter Veldan, Elion und Kaz entkommen dem Chaos von Tiarond und gelangen nach Gendival, dem geheimen Reich des Schattenbundes. Hier kollidieren die unterschiedlichen Ansichten zur Bewältigung der Krise. Dabei beweist der Führer des Schattenbundes, Cergorn, erneut große Sturheit.
Währenddessen sucht der abtrünnige Amaun in Callisiora nach Verbündeten und die Gruppe um Tormon nähert sich den Ursprüngen Myrials.
In Tiarond versuchen die Überlebenden, in der Basilika dem Angriff der Ak'zahar standzuhalten. Tirishri, gefangen in der magischen Falle Blanks, erfährt mehr über das Volk der Magier...

Allein die kurze und bei weitem nicht vollständige Inhaltsangabe lässt erahnen, dass dieser zweite Teil ohne Band 1 nicht zu lesen ist. Es werden sehr viele Handlungsstränge aufgeworfen und davon nur wenige miteinander verbunden. Die Sprünge zwischen den Schauplätzen erfolgen meist recht zufällig, was ein wenig von der Dramatik zerstört.
Zudem baut Furey neue Figuren in die Handlung ein, wodurch der zeitliche Ablauf erneut verzögert wird und immer mehr den Charakter eine Telenovela annimmt. Mit zunehmendem Lesefortschritt wird deutlich, wie oft die Autoren bei der Charakterisierung ihrer Figuren statisch bleibt und dabei auf Klischees zurückgreift.
Las sich der erste Band noch als eine bunte Menagerie, fallen im zweiten Band die Strickmuster immer stärker ins Auge, wird die recht simple Grundstruktur erkennbar. So bleiben die Konzepte Gut und Böse klar von einander getrennt. Damit gehen logische Abfolgen einher, die es dem Leser leicht machen, die Geschehnisse vorauszusagen. Die Gestaltung der einzelnen Persönlichkeiten verflacht zusehends. Besonders das Verhalten Cergorns, der ja als Führer des Schattenbundes eigentlich gewisse Fähigkeiten haben sollte, wirkt unglaubwürdig. Hier werden Konflikte gebastelt, die den Leser nicht überzeugen können.
Zwar ist „Der Geist des Steines“ immer noch ein spannender Fantasyroman, durch den technischen Hintergrund des Hauptplottes wird sogar SF ins Spiel gebracht, aber die Fortsetzung offenbart deutlich, dass Maggie Furey leichte Kost ist.

Die Ausgabe in der Bibliothek der Phantastischen Literatur ist ein Schmuckstück. Es wird versucht, den Eindruck eines ledergebundenen Buches mit Metallecken zu erwecken, das Cover von Atilla Boros und die schon von Band 1 bekannte Innengestaltung unterstreichen den klassischen Eindruck.
 

lapismont

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Arkadi & Boris Strugatzki: Picknick am Wegesrand

Die Erzählung wird als Klassiker in diversen Listen geführt, nicht zuletzt, weil Andrej Tarkowski in seinem Film „Stalker“ darauf Bezug nimmt. Allerdings haben die Strugatzkis für das Filmprojekt den letzten Teil der Erzählung umgestaltet und auch unter dem Namen „Die Wunschmaschine“ separat veröffentlicht.
Das einführende Interview erleichtert den Einstieg sehr. Es setzt nicht nur eine zynische Sicht auf den Hintergrund, sondern sorgt auch dafür, dass man im Nachhinein mehr versteht, gerade im dritten Teil, da der Wissenschaftler erneut zu Wort kommt und näher auf die verschiedenen Theorien über Erstkontakt eingeht. Das kosmische Picknick ist allerdings eine äußerst originelle Idee
Der Leser wird in die Handlung geworfen. Die Perspektive ist Innensicht Schucharts - so dicht kommen wir der Figur erst wieder zum Schluss.
Die klassische Einteilung in vier Akte wird von den Strugatzkis mit einem temporeichen und spannenden Auftakt sehr gekonnt umgesetzt.
Handwerklich erste Sahne, besonders so dicht nach "Singularität", wo ja zumindest in Teilen des Festivals ähnliches Gedankengut verarbeitet wurde, wie hier bei den Picknickern.
Meine Ausgabe beruht auf der Übersetzung von Aljonna Möckel vom Verlages Das Neue Berlin, sie enthält wirklich gute Innenillustrationen von Günter Lück, ganz im Stile der Sgt. Pepper Ästhetik.
Ich habe „Das Picknick“ zum ersten Mal in meiner Jugend gelesen und es von damals auch mehr in Richtung Märchen im Gedächtnis behalten. Was natürlich auch eine Frage der Lesererfahrung ist.
Es ist im eigentlichen Sinne Phantastik. Vielleicht sogar eine russische Variante der Gralssuche. Die Ritter der Zone scharren sich ja im dritten Teil um König Aasgeier und veranstalten ihre Art von Turnieren. Die Orte ihres Todes stehen dann wie Kapellen am Wegesrand von Roderiks Queste.
Der Müll in der Zone, den die Schatzgräber bergen, ist ähnlich der Fringe aus Stross’ „Singularität“, in seiner chaotischen Zerstörungskraft faszinierend.
Hier ein für den Leser funktionierendes Gebilde der Analyse zu kreieren, scheint mir die eigentliche Leistung.
Die Geschichte begleitet die Hauptfigur nicht kontinuierlich, sondern nur Abschnittsweise. Ich kann mich erinnern, dass die Autoren es mit Maxim Kammerer ähnlich taten, nur eben auf mehrere Bücher verteilt.
Ich glaube gar nicht, dass es wirklich um die Aliens geht. Ihre Hinterlassenschaft ist nur ein Fokus.
Die Strugatzkis legen den Handlungsort an eine für ihre primären Leser weit entfernten Punkt, der hätte auch in einer anderen Galaxie sein können.
Obwohl der Existenzkampf, das ganze Ausgebeute, nach Kapitalismuskritik aussehen mag, wird hier heftig vom Leder gezogen, gegen das Vaterland.
Nicht umsonst wird so viel gesoffen, geraucht und geflucht.
So kann man die Zonen auch als "Freihandelszonen" lesen, als analytische Betrachtung eines Einbrechens anderer Umgebungsvariablen in eine starre Gesellschaft.
Es kehrt das Moderne das Alte heraus.
Die goldene! Kugel ist ein Rätsel dem etwas zugesprochen wird, was die Umstände ebenso hervorgebracht haben können. Kinder entstehen je gewöhnlich... durch Fortpflanzung, nicht durch eine Wunschmaschine.
Iwan Zarewitsch suchte auch nach danach und bekam stets die Zarentochter und das halbe Königreich.
Schucharts Odyssee lässt sich als komplexe Struktur immerwährender Fürsorge erklären.
Irgendwie passt das zur eigenartigen Ritterlichkeit Schucharts.
Sein eigener Codex ist einer starken Veränderung unterworfen, allerdings enthält er immer dieses Verantwortungsbewusstsein für Andere. Er ist damit auf einer Seite ein strahlender Held, auf der anderen Seite aber auch ein kompromissloser und gerissener Underdog, ein Mörder. Zerrissen. Genauso wie ich mir einen Russen vorstelle. Was daran liegen mag, dass die Autoren welche sind und sie mir nicht eine kanadische Gesellschaft verkaufen können, oder es auch gar nicht versuchen.
Das die Strugatzkis über den Sozialismus schreiben, halte ich für eindeutig. Etwas anderes ist nicht vorstellbar. Es gibt bestimmt nicht viele sowjetische Autoren, denen es nicht um ihr Land und dessen Gesellschaft ging.
Vielleicht sind die Zonen ja auch eine Vision der Gebrüder vom Verfall des Superstaates. In ihren anderen Büchern bohren sie immer unter die Oberfläche gefestigter Strukturen und fördern dort die Fresstunnel der Subkultur zu Tage.
Die Goldene Kugel mystifiziert den Zukunftsglauben der sozialistischen Utopie und enttarnt ihn zugleich. Distupien sind ja hier eine sehr seltene Ausnahme, zumindest was das veröffentlichte Spektrum anbelangt. Vielleicht musste das Schlusskapitel geschrieben werden und vielleicht wehrten sich die Autoren gegen das optimistische Ende in dem sie es derartig böse darbieten. Mit dem Opfer. Mit der moralischen Zerstörung ihrer Hauptfigur. Brachte die sowjetische Gesellschaft auf dem Weg in die schöne Zukunft nicht ebensolche Opfer? Wurden nicht Millionen umgebracht, um den Weg ins Licht freizuräumen?
Die gegenläufige Beziehung von Glück und Glückssuche macht das Tragische der Figur aus. Schuchart wird nicht zum Tier. Vielmehr scheint er zum Ende hin vergöttlicht. Er transzendiert.

Kein Wunder, dass den Strugatzkis Tarkowskis Interpretation und Konzentration gefiel.

Die ersten drei Teile sind eine spannende SF-Erzählung, aber durch den vierten Teil wird daraus ein Kunstwerk. Denn es atmet.
Die Tatsache an sich, dass sich die Hauptfigur innerhalb weniger (gemessen am heute Üblichen) Seiten verändert, glaubhaft eine Entwicklung durchlebt, zeigt die hohe Qualität im Erzählstil.
 

lapismont

Foren-Redakteur
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Matthew Stover: Die Rache der Sith. STAR WARS Episode III

Anakin Skywalker, gerade erst durch die erfolgreiche Prüfung zum Jedi-Ritter geworden und sein ehemaliger Lehrer, Obi-Wan Kenobi sind die einzige Hoffnung für Kanzler Palpatine: Die Separatisten unter der militärischen Führung General Grievous haben ihn während eines Großangriffs auf das Zentrum der Republik, dem Planeten Coruscant, gefangen genommen. Nun droht Sith-Lord, Graf Dokuu, der sich ebenfalls auf Grievous Flaggschiff befindet, den Kanzler umzubringen. Doch es gelingt den beiden Jedi zum entführten Palpatine vorzudringen. Hier kommt es zum Duell zwischen Dokuu und Skywalker; Kenobi wurde während des Kampfes bewusstlos. Indem Anakin auf den Einflüsterungen des Kanzlers hört, tötet er den entwaffneten Sith. Tiefer schreitet Anakin in den Schatten der dunklen Seite.
Doch für die Befreiung des Kanzlers wird er als Held bejubelt. Das Leben könnte so schön sein, doch da hat Anakin einen erschreckenden Traum: Er sieht den Tod seiner geliebten Frau Padmé. Von nun an kennt er nur noch die Furcht um ihr Leben, will er doch nicht noch einmal zu spät kommen, wie beim Tod seiner Mutter Shmi.
Dabei gerät er zwischen die politischen Fronten der untergehenden Republik. Am Ende kommt es zum langerwarteten Höhepunkt der Trilogie: Die Verwandlung von Anakin Skywalker zu Darth Vader...

Einen Roman nach einem Drehbuch zu schreiben ist keine besonders dankenswerte Aufgabe. Noch schlimmer ist es, wenn der Film in erster Linie ein Effektfilm ist. Vielleicht 120 Minuten Kino muss zu einer lesenswerten Geschichte umfunktioniert werden, neben den Schwierigkeiten der detaillierten Beschreibungen soll auch dramaturgische Rahmen gewahrt bleiben, ohne das Effektfeuerwerk der großen Leinwand zu Verfügung zu haben.
Stover konzentriert sich in seinem Roman auf die genaue Motivationsbegründung der Figuren. Die Hartnäckigkeit, mit der er seinen Figuren in die Psyche blickt, zeigt die Tiefe des Gesamtproblems: Dieser Anakin Skywalker will einfach nicht glaubwürdig werden.
Was mit der unbefleckten Empfängnis in Teil 1 seinen verkorksten Anfang nahm, mit einer lächerlichen Liebesgeschichte fortgesetzt wurde, findet hier seinen traurigen Abschluss. Umso bekümmernder, als beim Lesen beständig das Gesicht Hayden Christensens in der Rolle des Anakin vor Augen steht.
Stovers Leistung ist dennoch bemerkenswert. Vielleicht fehlten ihm einfach nur noch mehr Szenen für eine echte dramatische Figur. Hier setzen das Drehbuch und die Kürze des Films wohl die Grenzen. Es steht zu befürchten, dass der Film hier noch mehr Schwächen offenbart, wenn die einfühlsame Innensicht des Romans fehlt.
Dafür geht das Buch auf Szenen kaum ein, die im Kino wohl ausführlicher behandelt werden, etwa Yodas Befreiung von Kashyyyk.
Der eigentliche Gewinner des Buches ist Obi-Wan Kenobi. Er bleibt der gute Held mit der weißen Weste, der makellos durch die Handlung schwebt und meisterlich mit der Macht in Harmonie schwingt. Ach ja, besonders spannend ist das nicht, eher auf die subtile Art befriedigend, die einem ein Funke Licht in dem düsteren Plot zu geben vermag.
Der Rest der Figuren erfüllt statistische Funktionen. Am ehesten hat Palpatine genug Szenen um seine Rhetorik unter Beweis zu stellen, aber nur um zu zeigen, wie geistig minderbemittelt der geprüfte Jedi Anakin Skywalker ist.
Weder Padmé, noch die anderen Jedi, geschweige denn die Droiden setzen irgendwelche Höhepunkte. Immerhin wird erklärt, warum C3-PO sich nicht mehr an Skywalker und Obi-Wan erinnert. Was natürlich die Amnesie R2-D2 und dem Jedi nicht zu begründen vermag.
Im Gegenzug darf sich Leia ja in „Rückkehr der Jedi-Ritter“ an ihre Mutter erinnern, obwohl sie nun bei ihrer Geburt stirbt. Aber natürlich wird dieser Fehler in einer zukünftigen Bearbeitung der alten Trilogie ebenso behoben, wie das Gesicht von Darth Vader.
Interessant ist die nachträgliche Hervorhebung von Qui-Gon Jinn. Stover hat ja bereits Erfahrung im STAR WARS Universum und dies merkt man deutlich. Seine kurzen Auftritte von Mace Windu zeigen die tiefe Figurenverbundenheit, die er bereits in „Mace Windu und die Armee der Klone“ und in Traitor (engl. Original - noch nicht in deutsch erschienen) aus der „Erbe der Jedi-Ritter“ Buch Serie auf- und ausbauen konnte.
Als Fazit bleibt ein dialoglastiger Roman übrig, der auf hohem analytischen Niveau Figurenpflege betreibt, aber durch die Vorlage bedingt an Handlungsarmut leidet.
Trotz intensivem Bemühen kann Stover die inhaltlichen Mängel und Lücken Georges Lukas nicht übertünchen.
 
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