Go to hell, Sergeant Snyder. Resilienzlyrik vom 12.2. 1981

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Willibald

Mitglied
Go to Hell, Sergeant Snyder
Resilienzlyrik 12.2.1981.

Over the mountains the wet wind blows,
I´ve lice in my tunic and a cold in my nose
When I´m a veteran with only one eye
I shall do nothing but look at the sky
....
Über die Berge bläst nass der Wind,
in der Tunica Läuse und die Nase rinnt.
Wenn ich Veteran bin mit bloß einem Aug,
wird nichts mehr getan als zum Himmel geschaut.
(W.H. Auden: Roman Wall Blues, übersetzt von Ernst Jandl)



Ich sitze hier
zähneklappernd
nicht weit von Dinkelsbühl
im Wintermanöver
am Fuße des Hesselbergs
auf strohbedecktem
Boden des Zeltes.

„Die Härteübung,
die Schweinekälte”,
sagte gestern Feldwebel Schneider
(er mahlte die Worte
zwischen den Kiefern
und glich dabei
dem König der Elche),
„all das wird euch Säcke
schrumpfen lassen,
auf Erbsengröße.”
(Sagt´er vielleicht
„Eure Säcke“?)

Auf dem Flaschenhals
des engen Tales pfeift der Wind.
Die Fische frieren
in der Tiefe der Wörnitz.
Am Abend teilen
wir glorreichen Sieben irischen Whiskey,
gestiftet von Ben:
Tullamore, eine Kruke.
Das hilft ein bisschen
bei Kälte, barbarisch.

Gestern nacht ohne Schlaf
habe ich, im Mumien-Schlafsack,
mit Handschuh-Fingern, Caesar gelesen,
in Ovid reingeschaut,
meine Freunde von Reclam.
Ovid beklagt seine „tristia fata”,
nach Tomis verbannt,
weit weg vom warmen Italien,
lebt er unter lauter Barbaren,
der arme Ovid.

Und Willibald liest, bedrückt, im kalten Germanien,
doch wirklich Caesars Latein
und - schwer verständlich- die Verse Ovids, weil:
Er braucht das Latinum
in Bayern für jene vergleichsweise
goldene Zeit nach Feldwebel Schneider.

Und gewärmt von Benjamins Whiskey
tönt ihm jetzt im Kopf,
was Caesar schreibt über Elche,
zu finden im „Gallischen Krieg”
Buch Römisch Sechs, Kapitel ZwoSieben:

[blue]Die
Elche
im Barbarenland
sie gleichen großen Ziegen.
Und sie können sich gar nicht
nicht hinlegen zum Ausruhn,
weil sie der Gelenke entbehren.
Sie lehnen sich, um Schlaf zu finden,
an Bäume. Die schlauen Barbaren
sägen die hohen Schlafbäume an:
So fallen die Bäume ("arbores cadunt")
und fällen die Elche ("caedunt alces").
Übrigens sah ich vorhin Feldwebel Schneider
hinter den Zelten am Wald, den großen Strategen
und Leuteschinder. Er trank aus dem Flachmann den Schnaps.
Das bringt mich auf eine Idee, denn er lehnte mit steifen Knieen
in Nato-Oliv an dieser Fichte.
"Fortasse
et cras?"
(Vielleicht ja
auch morgen?)[/blue]​

-------------------------------------------
Anmerkung:


Bitte die Lateinischen Sätze entschuldigen. Das war die Situation
beim Bund vor dem Studium. In Bayern brauchte man da das Latinum.

Resilienz: Widerständigkeit, Aufmupf, Gegenkraft, Widerstandsfähigkeit

Und, nein, das ist wirklich hoffentlich nicht als öder Jungmann-Landser-Qua(r)k zu verstehen.

Für Klassikfreaks und Neugierige:

Sunt item, quae appellantur alces. Harum est consimilis capris figura et varietas pellium, sed magnitudine paulo antecedunt mutilaeque sunt cornibus et crura sine nodis articulisque habent. Neque quietis causa procumbunt neque, si quo adflictae casu conciderunt, erigere se aut sublevare possunt. His sunt arbores pro cubilibus; ad eas se adplicant atque ita paulum modo reclinatae quietem capiunt. Quarum ex vestigiis cum est animadversum a venatoribus, quo se recipere consuerint, omnes eo loco aut ab radicibus subruunt aut accidunt arbores, tantum ut summa species earum stantium relinquatur. Huc cum se consuetudine reclinaverunt, infirmas arbores pondere adfligunt atque una ipsae concidunt. C. Julius Caesar, BG VI-27

Es gibt ebenso Tiere, die Elche genannt werden. Sie haben eine ähnliche Gestalt und Färbung wie Ziegen, aber in der Größe übertreffen sie sie ein wenig, ihre Hörner sind verstümmelt und sie haben Beine ohne Knöchel und Gelenke. Weder legen sie sich zum Schlafen hin noch können sie, wenn sie durch irgend einen Zufall umgeworfen, sich aufrichten oder aufstehen. Ihnen dienen Bäume als Schlafstätten. Sie nähern sich ihnen an und genießen so, ein wenig an sie angelehnt, Ruhe. Wenn Jäger durch Spuren bemerkt haben, wohin sie sich gewöhnlich zurückziehen, untergraben sie dort alle Bäume oder kerben sie so weit an, dass im Ganzen noch der Anschein stehender Bäume bleibt. Wenn die Elche sich ihrer Gewohnheit nach hier angelehnt haben, bringen sie die schwachen Bäume durch ihr Gewicht zu Fall und werden selbst getötet.
 

Willibald

Mitglied
Übrigens, geneigte(r) Leser*, die Resilienz der glorreichen Sieben dokumentierte und verstärkte sich weniger in Taten als in Worten.

Beim abendlichen Zusammensein erfand man Jokes über Feldwebel Schneider und seine Verhaltensweisen. Hier seien drei dieser Jokes genannt, auch wenn sie sich vielleicht auf recht billige Weise über den Mann lustig machen.

A) Feldwebel Schneider zu den glorreichen Sieben: "He, was?
Alles Abiturienten, was? Telligent wollt ihr sein? In-telligent seid ihr."

B) Feldwebel Schneider: "Kompanie, stillgestanden!" Stimme aus dem Hintergrund: "Und sie bewegt sich doch." Feldwebel Schneider ärgerlich: "Wer hat das gesagt?" Stimme aus dem Hintergrund: "Galileo Galilei." Feldwebel Schneider: "Galileo, Galilei, vortreten!"

C) Feldwebel Schneider wird als Zen-Buddhist wiedergeboren, richtig intelligent diesmal. Ist der beste Schüler seines Zen-Meisters, der zu ihm sagt: "Du weißt, dass es dich nicht gibt?" Erwidert der Wiedergeborene: "Wem sagst du das?"

Und in dieser Tullamore-Stimmung generierte oder lieferte Ben (Vater Ire, Mutter aus Dinkelsbühl) einen recht guten Buddhismus-Joke. Funktioniert nur auf Englisch:

A Buddhist like our intelligent and wise Monk Snyder walks up to a Döner-Vendor (Verkäufer) and says "make me one with all“.

Wir keckerten und waren recht fröhlich, als wir den Witz bald verstanden hatten. Und Ben hatte noch eine Fortsetzung:

When the Döner-Vendor hands him the Döner, the Buddhist pays and asks for his change. The vendor smiles and replies, "Change comes from within."

greetse

ww
 

minitaurus

Mitglied
Lieber Willibald

Glückwunsch. Das liest sich wunderbar. Nur eine kleine Anregung:
Übrigens sah ich vorhin Feldwebel Schneider
hinter den Zelten am Wald, den großen Strategen
und Leuteschinder. Er trank aus dem Flachmann den Schnaps.
Das bringt mich auf eine Idee, denn er lehnte mit steifen Knieen
in Nato-Oliv an dieser Fichte.
"Fortasse
et cras?"
(Vielleicht ja
auch morgen?)
müsste hier nicht die Textfarbe wieder wechseln, damit wir wieder zurück in die Gegenwart kommen?
 

Willibald

Mitglied
Sei gegrüßt, Hermann,
gucken wir mal, wie der Baum und das Farbspiel wirkt/wirken:

Go to Hell, Sergeant Snyder
Resilienzlyrik 12.2.1981.

Over the mountains the wet wind blows,
I´ve lice in my tunic and a cold in my nose
When I´m a veteran with only one eye
I shall do nothing but look at the sky
....
Über die Berge bläst nass der Wind,
in der Tunica Läuse und die Nase rinnt.
Wenn ich Veteran bin mit bloß einem Aug,
wird nichts mehr getan als zum Himmel geschaut.
(W.H. Auden: Roman Wall Blues, übersetzt von Ernst Jandl)



Ich sitze hier
zähneklappernd
nicht weit von Dinkelsbühl
im Wintermanöver
am Fuße des Hesselbergs
auf strohbedecktem
Boden des Zeltes.

„Die Härteübung,
die Schweinekälte”,
sagte gestern Feldwebel Schneider
(er mahlte die Worte
zwischen den Kiefern
und glich dabei
dem König der Elche),
„all das wird euch Säcke
schrumpfen lassen,
auf Erbsengröße.”
(Sagt´er vielleicht
„Eure Säcke“?)

Auf dem Flaschenhals
des engen Tales pfeift der Wind.
Die Fische frieren
in der Tiefe der Wörnitz.
Am Abend teilen
wir glorreichen Sieben irischen Whiskey,
gestiftet von Ben:
Tullamore, eine Kruke.
Das hilft ein bisschen
bei Kälte, barbarisch.

Gestern nacht ohne Schlaf
habe ich, im Mumien-Schlafsack,
mit Handschuh-Fingern, Caesar gelesen,
in Ovid reingeschaut,
meine Freunde von Reclam.
Ovid beklagt seine „tristia fata”,
nach Tomis verbannt,
weit weg vom warmen Italien,
lebt er unter lauter Barbaren,
der arme Ovid.

Und Willibald liest, bedrückt, im kalten Germanien,
doch wirklich Caesars Latein
und - schwer verständlich- die Verse Ovids, weil:
Er braucht das Latinum
in Bayern für jene vergleichsweise
goldene Zeit nach Feldwebel Schneider.

Und gewärmt von Benjamins Whiskey
tönt ihm jetzt im Kopf,
was Caesar schreibt über Elche,
zu finden im „Gallischen Krieg”
Buch Römisch Sechs, Kapitel ZwoSieben:

[blue]Die
Elche
im Barbarenland
sie gleichen großen Ziegen.
Und sie können sich gar nicht
nicht hinlegen zum Ausruhn,
weil sie der Gelenke entbehren.
Sie lehnen sich, um Schlaf zu finden,
an Bäume. Die schlauen Barbaren
sägen die hohen Schlafbäume an:
So fallen die Bäume ("arbores cadunt")
und fällen die Elche ("caedunt alces").[/blue]
Übrigens sah ich vorhin Feldwebel Schneider
hinter den Zelten am Wald, den großen Strategen
und Leuteschinder. Er trank aus dem Flachmann den Schnaps.
Das bringt mich auf eine Idee, denn er lehnte mit steifen Knieen
in Nato-Oliv an dieser Fichte.
"Fortasse
et cras?"
(Vielleicht ja
auch morgen?)​
 

Monochrom

Mitglied
Hi,

ich muss leider anmerken, dass ich nicht glaube, dass dieser Text es vermag, eine Stimmung beim Leser zu erzeugen. Also, ich schränke auch gerne ein... der Text vermag es nicht bei mir.

Ich versuche, zu erläutern, warum ich das denke.

Es ist eine Anekdote, ein Prosastück, dass in Enjambements umgebrochen wurde.
Der Inhalt ist klar ablesbar, es gibt keine erkennbaren Ansätze der Versgestaltung, Rhythmik oder Metrik.
Auch die Enjambements sind zur äußerlichen Formgebung "verbraucht", und nicht zur Erzeugung eines Spannungsbogens.

Der Text ist eine Momentaufnahme.
Der Soldat, der aus nicht erkennbarem Grund in der Eiseskälte sitzt, säuft und Latein lernt, weil er es für eine höhere Laufbahn braucht. O.K.?

Doch gibt es im Text einen Spannungsbogen, eine lyrische Metaebene, oder noch besser, da es eine Momentaufnahme ist, einen Zusammenhang, der den Leser mitzieht oder nachdenklich macht? Ich finde, nein.

Und ich glaube, es liegt an der Perspektive des Verfassers. Diese distanziert süffisante, fast ironische Blickweise sperrt den Zugang.

Das vermag dann auch das Zitat über den Elch am Baum nicht retten... denn diese macht aus dem undefinierbaren Beginn eine dissonante Farce. Was ja vielleicht Absicht ist...?

Der Text scheint mir weder Fisch noch Fleisch. Weder wirklich witzig, noch ironisch, noch ernsthaft. Mir / dem Leser fällt es schwer, eine Identifikation zu finden.
Da an sich nur Lyriker Lyrik lesen, schränkt sich das Argument des "Für den Leser" schreiben für uns ohnehin stark zurück, aber dieser sicher mit viel Feingefühl und Schweiß gefertigte Text bleibt hinter seiner äußeren Formgebung inhaltlich stecken, finde ich. Er ist sicher nicht verkopft, aber auch gefüllt mit weder für Sinngebung noch Stimmung notwendigen Füllseln.

Mein Ansinnen ist, dass es hier noch etwas mehr Zeit zum Vorbereiten gebraucht hätte.

Was ist notwendig, was will ich sagen, was brauche ich dafür, und was ist mir wichtiger, der Inhalt oder die Form, und welche Stilmittel setze ich ein, und welche conclusio, oder welche Pointe soll es geben...?

Das alles sehe ich bei diesem Text noch nicht zur Gänze umgesetzt.

Monochrom
 

Willibald

Mitglied
o, feine Diskussionsmöglichkeit über das, was den ästhetischen Mehrwert lyrischer Texte ausmacht und was sie daher aufweisen sollten.

Wahrscheinlich sind die in vielen Jahrzehnten erprobten und neu installierten Register inzwischen sehr vielfältig geworden. Und in ihrer Bandbreite und mit dieser Stilbreite lässt sich Lyrik betreiben.

Dabei lässt sich schwer argumentieren. Immerhin vielleicht nur mit einer gewissen Plausibilität. Wenn man nämlich zeigen kann, was in "der" Literatur und "den" Literaturkritikern schon mal diskutiert und dann auch in den Kanon aufgenommen wurde.

Hier mal nicht Brecht ("reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen") oder Eliots und Pounds "freirhythmische Langedichte", der Text hier ist in der "bundesrepublikanischen" Poetikdiskussion vor einiger Zeit relevant gewesen.

Man kann ihm gut vorwerfen, dass er auf Reim, Rhythmus, Unbestimmheitsstellen, Aenigmatisierung und ähnliches verzichtet.

Über ihn zu diskutieren, ist vielleicht ergiebiger.


Die Bewohner

Nur die Bewohner machen
eine Wohnung fröhlich,
aber du bist nicht da,
die Heizung ist abgedreht
und kühl sickert die Luft
durch den Spalt im Fenster.
Ich will nicht sagen, daß ich
dich austauschen könnte
gegen irgend jemanden sonst,
ähnlich dir oder ganz
anders. Du bist eine
von Millionen, aber auch ich
bin einer von Millionen.
Wären wir soweit (du und ich
und alle, die wir nicht kennen),
die Türen nicht abzuschließen,
wenn wir wegfahren für länger,
wer weiß, ich wäre eingetreten
in einen fröhlichen Kreis.
So blicke ich auf den Teebeutel,
vertrocknet im Aschenbecher,
stehe im Mantel herum
und vermisse dich, die ich liebe,
vielleicht mehr
als uns lieb sein kann.


greetse
 

Monochrom

Mitglied
Oh, Hi,

gut dass Du einen Brecht bringst.

Ich kann Dir jetzt den hauptsächlichen Unterschied zwischen Brechts Stück und Deinem Gedicht zeigen:

Brecht hat ein Thema, und jedes ELement seines Texts stützt in Stimmung und Bild dieses Thema.

Bei Deinem Text ist das leider nicht so.

Brecht bleibt auf dem Spielfeld, Du rennst in die Binsen...

Grüße,
Monochrom
 

Monochrom

Mitglied
Hi,

ich kenne nicht alles von Bertold, ich habe Dir vertraut.
Wird mir nicht mehr passieren.

Es ist an sich auch egal, vielleicht ist der andere Text von Dir, ändert nix daran, dass der Text, um den es hier eigentlich geht, misslungen ist.

Vielleicht nimmst Du mal Stellung anstatt zu lavieren.

Bisher hast Du nichts konstruktives von Dir gegeben.

Erstaunt,
Monochrom
 

Willibald

Mitglied
Salute, Monochrom,

bei eigenen Texten das Deuten und analysieren zu vermeiden, ist Ergebnis von Erfahrungen und Erlebnissen von (ungewollten) Peinlichkeiten.

Auf Stilvielfalt und lyrische Trends hinzuweisen, die schon einmal einschlägig diskutiert und ästhetisch akzeptiert wurden, ist eine mögliche Konsequenz und Strategie.

Freilich hat sie Nachteile: Sie generiert den Vorwurf vielleicht des Ausweichens und Lavierens. Sie generiert den Vorwurf, sich in Höhenkammliteratur indirekt zu positionieren und hat eine Affinität zu komischer Fallhöhe und drohendem „Rumpel Pumpel“.

Das Gedicht ist von Theobaldy und hat einen gewissen Stellenwert in der einst diskutierten Formatierung „Langgedicht“:

Als Walter Höllerer, bis dahin Theoretiker und Beschützer eher esoterischer Literaturversuche, 1965 seine provozierenden „Thesen zum langen Gedicht“ aufstellte, den gesellschaftlichen Aufwind im Rücken, war das hermetische Gedicht der Nachkriegszeit formelhaft erstarrt. Die „Thesen“, die den vorliegenden Band eröffnen, fixieren den Punkt eines lyrischen Aufbruchs, machen Mut zum Beschreiben der Wirklichkeit nach Jahren des „Verschlüsselns“ und „Verstummens“.
Programmatisch lautet die erste These, das lange Gedicht „unterscheidet sich nicht nur durch seine Ausdehnung von den übrigen lyrischen Gebilden, sondern durch seine Art sich zu bewegen und da zu sein, durch seinen Umgang mit der Realität“. Im Blick vor allem auf die jüngste Entwicklung der amerikanischen Lyrik (William Carlos Williams, Charles Olson, Allen Ginsberg, Gregory Corso, Robert Creeley) fordert Höllerer die Poeten auf, „die Welt freizügiger zu sehen“, zu opponieren „gegen vorhandene Festgelegtheit und Kurzatmigkeit“, alle „Feiertäglichkeit“ wegzulassen.

https://www.zeit.de/1977/49/im-handgemenge
p.s.

ich kenne nicht alles von Bertold, ich habe Dir vertraut.
Wird mir nicht mehr passieren.
das hier ist vielleicht nicht deutlich genug, aber doch belastbar.

[blue]Hier mal nicht Brecht ("reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen") oder Eliots und Pounds "freirhythmische Langedichte", der Text hier ist in der "bundesrepublikanischen" Poetikdiskussion vor einiger Zeit relevant gewesen.[/blue]

Man kann ihm gut vorwerfen, dass er auf Reim, Rhythmus, Unbestimmheitsstellen, Aenigmatisierung und ähnliches verzichtet.

Über ihn zu diskutieren, ist vielleicht ergiebiger.


Die Bewohner

Nur die Bewohner machen
eine Wohnung fröhlich,
aber du bist nicht da,
die Heizung ist abgedreht
und kühl sickert die Luft
durch den Spalt im Fenster.
Ich will nicht sagen, daß ich
dich austauschen könnte
gegen irgend jemanden sonst,
ähnlich dir oder ganz
anders. Du bist eine
von Millionen, aber auch ich
bin einer von Millionen.
Wären wir soweit (du und ich
und alle, die wir nicht kennen),
die Türen nicht abzuschließen,
wenn wir wegfahren für länger,
wer weiß, ich wäre eingetreten
in einen fröhlichen Kreis.
So blicke ich auf den Teebeutel,
vertrocknet im Aschenbecher,
stehe im Mantel herum
und vermisse dich, die ich liebe,
vielleicht mehr
als uns lieb sein kann.

p.p.s.

Das Gedicht „alternierend“ scheint mir ungewöhnlich gut gearbeitet.
https://www.leselupe.de/lw/titel-alternierend-118993.htm

greetse
ww
 

Willibald

Mitglied
Go to Hell, Sergeant Snyder
Resilienzlyrik 12.2.1981.

Over the mountains the wet wind blows,
I´ve lice in my tunic and a cold in my nose
When I´m a veteran with only one eye
I shall do nothing but look at the sky
....
Über die Berge bläst nass der Wind,
in der Tunica Läuse und die Nase rinnt.
Wenn ich Veteran bin mit bloß einem Aug,
wird nichts mehr getan als zum Himmel geschaut.
(W.H. Auden: Roman Wall Blues, übersetzt von Ernst Jandl)



Ich sitze hier
zähneklappernd
nicht weit von Dinkelsbühl
im Wintermanöver
am Fuße des Hesselbergs
auf strohbedecktem
Boden des Zeltes.

„Die Härteübung,
die Schweinekälte”,
sagte gestern Feldwebel Schneider
(er mahlte die Worte
zwischen den Kiefern
und glich dabei
dem König der Elche),
„all das wird euch Säcke
schrumpfen lassen,
auf Erbsengröße.”
(Sagt´er vielleicht
„Eure Säcke“?)

Auf dem Flaschenhals
des engen Tales pfeift der Wind.
Die Fische frieren
in der Tiefe der Wörnitz.
Am Abend teilen
wir glorreichen Sieben irischen Whiskey,
gestiftet von Ben:
Tullamore, eine Kruke.
Das hilft ein bisschen
bei Kälte, barbarisch.

Gestern nacht ohne Schlaf
habe ich, im Mumien-Schlafsack,
mit Handschuh-Fingern, Caesar gelesen,
in Ovid reingeschaut,
meine Freunde von Reclam.
Ovid beklagt seine „tristia fata”,
nach Tomis verbannt,
weit weg vom warmen Italien,
lebt er unter lauter Barbaren,
der arme Ovid.

Und Willibald liest, bedrückt, im kalten Germanien,
doch wirklich Caesars Latein
und - schwer verständlich- die Verse Ovids, weil:
Er braucht das Latinum
in Bayern für jene vergleichsweise
goldene Zeit nach Feldwebel Schneider.

Und gewärmt von Benjamins Whiskey
tönt ihm jetzt im Kopf,
was Caesar schreibt über Elche,
zu finden im „Gallischen Krieg”
Buch Römisch Sechs, Kapitel ZwoSieben:

[blue]Die
Elche
im Barbarenland
sie gleichen großen Ziegen.
Und sie können sich überhaupt
nicht hinlegen zum Ausruhn,
weil sie der Gelenke entbehren.
Sie lehnen sich, um Schlaf zu finden,
an Bäume. Die schlauen Barbaren
sägen die hohen Schlafbäume an:
So fallen die Bäume ("arbores cadunt")
und fällen die Elche ("caedunt alces").
Übrigens sah ich vorhin Feldwebel Schneider
hinter den Zelten am Wald, den großen Strategen
und Leuteschinder. Er trank aus dem Flachmann den Schnaps.
Das bringt mich auf eine Idee, denn er lehnte mit steifen Knieen
in Nato-Oliv an dieser Fichte.
"Fortasse
et cras?"
(Vielleicht ja
auch morgen?)[/blue]​

-------------------------------------------
Anmerkung:


Bitte die Lateinischen Sätze entschuldigen. Das war die Situation
beim Bund vor dem Studium. In Bayern brauchte man da das Latinum.

Resilienz: Widerständigkeit, Aufmupf, Gegenkraft, Widerstandsfähigkeit

Und, nein, das ist wirklich hoffentlich nicht als öder Jungmann-Landser-Qua(r)k zu verstehen.

Für Klassikfreaks und Neugierige:

Sunt item, quae appellantur alces. Harum est consimilis capris figura et varietas pellium, sed magnitudine paulo antecedunt mutilaeque sunt cornibus et crura sine nodis articulisque habent. Neque quietis causa procumbunt neque, si quo adflictae casu conciderunt, erigere se aut sublevare possunt. His sunt arbores pro cubilibus; ad eas se adplicant atque ita paulum modo reclinatae quietem capiunt. Quarum ex vestigiis cum est animadversum a venatoribus, quo se recipere consuerint, omnes eo loco aut ab radicibus subruunt aut accidunt arbores, tantum ut summa species earum stantium relinquatur. Huc cum se consuetudine reclinaverunt, infirmas arbores pondere adfligunt atque una ipsae concidunt. C. Julius Caesar, BG VI-27

Es gibt ebenso Tiere, die Elche genannt werden. Sie haben eine ähnliche Gestalt und Färbung wie Ziegen, aber in der Größe übertreffen sie sie ein wenig, ihre Hörner sind verstümmelt und sie haben Beine ohne Knöchel und Gelenke. Weder legen sie sich zum Schlafen hin noch können sie, wenn sie durch irgend einen Zufall umgeworfen, sich aufrichten oder aufstehen. Ihnen dienen Bäume als Schlafstätten. Sie nähern sich ihnen an und genießen so, ein wenig an sie angelehnt, Ruhe. Wenn Jäger durch Spuren bemerkt haben, wohin sie sich gewöhnlich zurückziehen, untergraben sie dort alle Bäume oder kerben sie so weit an, dass im Ganzen noch der Anschein stehender Bäume bleibt. Wenn die Elche sich ihrer Gewohnheit nach hier angelehnt haben, bringen sie die schwachen Bäume durch ihr Gewicht zu Fall und werden selbst getötet.
 

Monochrom

Mitglied
Hoppla. Mein handy hat meinen salmon gefressen...

Warum bist du denn hier? Textarbeit ist wohl nicht der grund.

Übrigens... Literatur ist woanders... die wirst du hier nicht finden...

Grüsse
Monochrom
 

Willibald

Mitglied
Textarbeit ist wohl nicht der Grund
In real earnest/sobriety?
greetse
ww

p.s.
Textarbeit setzt genaueres Lesen voraus, bevor man sich in den Vorwurfmodus begibt.

Hier mal [red]nicht[/red] Brecht ("reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen") oder Eliots und Pounds "freirhythmische Langedichte", der Text hier ist in der "bundesrepublikanischen" Poetikdiskussion vor einiger Zeit relevant gewesen.
 

James Blond

Mitglied
Joho!

Vermutlich hat die Band- und Stilbreite der Lyrik in den letzten hundert Jahren derart zugenommen, dass eine Erörterung darüber, was sich diesem Kanon nicht zuordnen ließe, ebenso überflüssig erscheint, wie die berühmte Frage nach der Kunst schlechthin: Man kann es eben halten, wie man möchte.

Eine subjektive Betrachtung hinsichtlich der Textwirkung erscheint mir dagegen aussichtsreicher. Mir zeigt sich der Text als Melange einer ganzen Reihe von Zutaten: Biografisches, Anektdotisches, Kurioses, Lehrreiches, Ikonografisches und Poetisches mischen sich hier auf eine besondere Weise.

Aber ob der Kuchen auch aufgeht? Ich bin mir nicht sicher, auch wenn die Lektüre nicht schwer fiel; es blieb immerhin ein humoriger Nachgeschmack, hauptsächlich Caesars Elchtext geschuldet. Eine tiefere innere Ergriffenheit wollte (sollte?) sich bei mir allerdings nicht einstellen, die Zutaten perlten eher ab an der eigenen Vita.

Grüße
JB
 

Monochrom

Mitglied
Willibald,

den Vorwurfsmodus hast Du gerade aktiviert.

Warum denkst Du, ich hätte nicht genau gelesen?

Du hast meine Fragen immer noch nicht beantwortet...

Ich hatte lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Text auf mich keine Wirkung hat und mir wie ein zusammengewürfelter Haufen vorkommt, dem sich der Autor gewollt oder ungewollt selbst durch eine süffisante, ironische und distanzierte Schreibweise entzogen hat.

Ich merke, dass Textarbeit mit Dir nicht möglich ist, und Du borniert bist.

Ich ziehe mich aus diesem thread zurück...

Monochrom
 

Willibald

Mitglied
Nun ja, da gibt es die Unterstellung, es sei ein Brecht-Text von durch Willibald avisiert worden. Es sei dem Willibald nicht mehr zu trauen.
Greetse borniert
ww
 

Willibald

Mitglied
Grüsse dich, James blond!
"Innere Ergriffenheit"?
Angelegt ist eher eine komische Fallhöhe für Sergeant Schneider und so ne Schelmenromanstilhöhe auf Postabiturientenniveau im Blending mit studentennaher Vagantenliederei. Ein gedeckelter Francois-Villon-versuch.
Eher was für poetry-slam.

Beste Grüße
ww
 

Willibald

Mitglied
Is nicht per se schlecht und a-poetisch, meine ich.
Bund hat ein bisschen seine eigenen Regeln.
Beste Grüße .
ww
 



 
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