Heimsuchung

4,20 Stern(e) 9 Bewertungen

ENachtigall

Mitglied
Heimsuchung (überarbeitet)


Der Tod kam durch die Hintertür ins Wohnzimmer. Er setzte sich wie ein Gast an unseren Tisch. Er half mir beim Abwasch. Er spielte mit den Kindern. Er fütterte die Katzen. Er bot sich an, das zerschlagene Geschirr aufzufegen. Er schlief sogar in meinem Bett, während ich nachts wachte. Er fühlte sich wohl bei uns.

Heute sagte ich ihm, es sei Zeit zu gehen. Ich setzte mich auf die Treppe vor der Haustür in die blendende Sonne. Ich blinzelte ihm fast wehmütig nach.

(Juli 2007)


Heimsuchung


Der Tod kam durch die Hintertür ins Wohnzimmer. Er setzte sich wie ein Gast an unseren Tisch. Er half mir beim Abwasch. Er spielte mit den Kindern. Er fütterte die Katzen. Er bot sich an, das zerschlagene Geschirr mit aufzufegen. Er schlief sogar in meinem Bett. Er fühlte sich wohl bei uns.

Heute sagte ich ihm, es sei Zeit zu gehen. Ich setzte mich auf die Treppe vor der Haustür in die Sonne. Ich sah ihm fast wehmütig nach.





© elke nachtigall
Juni 2007
 

Ohrenschützer

Mitglied
Hallo Elke,

der Text ist schön verfasst, allerdings löst er keine eindeutigen Assoziationen bei mir aus. Am ehesten klingt es für mich nach der Präsenz des Todes, wenn ein nahestehender Mensch gestorben ist. Wenn es das sein sollte, wird er mir zu aktiv, namentlich bei "er fütterte die Katzen". In diesem Bezug fielen mir auch noch andere Kritikpunkte ein, aber zuerst wüsste ich gerne, ob ich nicht grundsätzlich auf dem Holzweg bin.

Schönen Gruß,
 
N

no-name

Gast
Liebe Elke,

ein toller Text, der in mir - anders als beim Ohrenschützer - sehr wohl konkrete Assoziationen auslöst. Ich lese den Text so, dass jemand "dem Tod ins Gesicht sah", nahe dran war zu sterben, dann aber doch weiterleben durfte bzw. musste.
Manchmal kann der Tod schließlich auch so eine Art "Erlösung" sein, z.B. von Schmerzen - dass man dann so etwas wie Todessehnsucht empfndet , halte ich für durchaus nachvollziehbar...

Du hast mich mit deine Zeilen tief berührt, Elke.
Ich fühlte mich an das lange Sterben meiner Mutter erinnert...

Liebe Grüße von no-name.
 

Haremsdame

Mitglied
Depression?

Liebe Elke,

bei mir kommt an, dass eine Depression der tägliche Begleiter war. Bei Depressiven ist der Tod ständiger Begleiter - weil sie nichts mehr fühlen können.

Gut, wenn sie wieder ins Leben zurückfinden. Auch wenn der Weg nicht leicht, weil häufig unbekann ist...

Mich spricht Dein Text sehr an.

Haremsdame
 
N

no-name

Gast
Vielleicht ist es ja ein Text, der eher auf Frauen wirkt...?

denkt no-name. ;-)
 

namaqool

Mitglied
nein, no-name, der text wirkt auch auf mich unheimlich stark.
im leben lernt man loszulassen, auch wenn es weh tut.
 
N

no-name

Gast
ha namaqool, DAS (mit dem loslassen) musst du mir nun wirklich nicht erklären... ;-)
 

namaqool

Mitglied
erst kommt der tod ins haus und macht sich breit. dann muss der prot. lernen loszulassen, indem er eine nahestehende person verliert. und jetzt setzt der prot. das gelernte um - und lässt den tod los.

so verstehe ich den text.
 

ENachtigall

Mitglied
@ Ohrenschützer,

danke für Deinen interessanten Leseeindruck.

Am ehesten klingt es für mich nach der Präsenz des Todes, wenn ein nahestehender Mensch gestorben ist. Wenn es das sein sollte, wird er mir zu aktiv, namentlich bei "er fütterte die Katzen". In diesem Bezug fielen mir auch noch andere Kritikpunkte ein, aber zuerst wüsste ich gerne, ob ich nicht grundsätzlich auf dem Holzweg bin.
Du hast es inhaltlich sehr gut erfasst. Es betrifft die Auseinandersetzung/das Annehmen des Todes - sowohl theoretisch-thematisch, als auch im täglichen Umgang mit der neuen Situation. Gastaspekt

Dabei wird er auch "benutzt" als (den Verstorbenen) ersetzender Halt, Bezugspunkt (im Gedicht übersteigert in der Personifizierung und Einbindung in häusliche Prozesse). Da ist durchaus auch krankhaftes in-Beziehung-treten mit drin (zu aktiv werden lassen).

Bin nun gespannt auf Deine weiteren Punkte ...



@ no-name

Ich lese den Text so, dass jemand "dem Tod ins Gesicht sah", nahe dran war zu sterben, dann aber doch weiterleben durfte bzw. musste.
Mein Ausgangsbild zum Text war das Gegenteil des vorliegenden Resultats: nämlich der Tod, der keinen Einlass findet, weil jeder ihn fürchtet und meiden will. Als fester und nicht wegzudenkender Bestandteil des Lebens keine sehr soziale Umgehensweise mit dem "dunklen Gesellen, der den undankbaren Job hat".

Früher wurden ja den Göttern auch z.B. Fettopfer und so was dargebracht, geschenkt, um sie durch Beachting gnädig zu stimmen. Dieser Aspekt öffnete dem Personifizierten in meinem Text die Hintertür. Bei Lyrichs sollte er es gut haben. Er fühlte sich ja auch prompt gut aufgehoben.



Grüße und ein großes Danke von

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Liebe Haremsdame,

auch Deine ist eine mögliche Lesart des Textes, die mir so noch nicht aufgegangen war. Ich finde sie sehr einleuchtend.
Danke für den neuen Aspekt!

bei mir kommt an, dass eine Depression der tägliche Begleiter war. Bei Depressiven ist der Tod ständiger Begleiter - weil sie nichts mehr fühlen können.
Herzlichen Gruß von

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Nur bleiben sollte er natürlich nicht auf Dauer.

@ namaqool,

das hast Du sehr gut herausgelesen. Am Ende muss gelernt - und vorher erkannt - werden, auch den Tod wieder loszulassen. Dass dieses nicht selbstverständlich ist, gibt dem knappen Text erst seine Berechtigung, wie ich finde.

Danke für Dein treffendes Resumee!

Elke
 

Ohrenschützer

Mitglied
Hallo Elke,

vielen Dank für Deine aufklärenden Worte. Ich dachte mir schon, dass unsere Hirnwindungen in ähnlichen Bahnen verlaufen.

Ungeachtet dessen, dass Dein Text bei anderen sehr gut, stimmig und nachvollziehbar ankommt, möchte ich Dir noch meinen persönlichen Eindruck schildern. Besonders, wenn Du mich noch so nett dazu aufforderst.

Die Idee, die Präsenz des Todes im Alltag zu personifizieren, finde ich sehr gut; er ist ins Haus gekommen (= Kopf) gekommen, und zwar durch die Hintertür (ohne dass man ihn bewusst gebeten hätte, einzutreten). Er sitzt mit am Tisch, hilft beim Abwasch, liegt im Bett - da kann ich ihn mir durchaus noch als Geistwesen vorstellen, der nicht physisch eingreifen muss.

Wenn er mit den Kindern spielt, kann ich es für mich auch noch in eine Sprache übersetzen, die mir sagt: Die Kinder haben plötzlich gespielt: "Peng, jetzt bist du tot" oder "Begräbnis", vielleicht als Verarbeitung des Tods der Großmutter (oder wem auch immer).

Für das Füttern der Katzen fehlt mir dann eine entsprechende Lesart, und daher bricht das schön aufgebaute Bild in mir ab. Plötzlich stelle ich mir einen Sensenmann vor, der mit knochigen Fingern den Inhalt einer Dose in den Napf manscht.

Wenn der Tod die Katze streicheln würde, wäre das etwas anderes. Dann assoziierte ich dazu aufgestellte Haare einer angespannt wirkenden Katze, wo man sich dazu denken könnte "aha, vielleicht hat sie jetzt gerade der Tod gestreichelt".

Ähnlich ist es mit dem Geschirr auffegen; sofort erscheint das Bild des Schnitters, wie er sich mit einer rosa Küchenschürze und einem Reisigbesen ausstattet. Anders wiederum wäre, wenn er sich anböte, sich um das zerschlagene Geschirr zu kümmern. Dann ließe er es verschwinden, in Vergessenheit geraten, zerstäuben...

Übrigens finde ich die Erwähnung des zerschlagenen Geschirrs sehr gut, weil sofort klar wird, dass es aus Zerstreuung über die Anwesenheit des Tods passiert ist.

Soweit meine Gedanken dazu. Beste Grüße,
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Elke,

viel Interessantes ist schon zu deinem Text geschrieben worden. Mich hat er einfach daran erinnert, dass mit der Geburt auch der Tod in unsere Leben kommt, dass wir mitbestimmen (in der Regel) wie alt er mit uns werden darf.
Dein Text ist kurz, er hat aber eine starke Aussagekraft.

Liebe Grüße
Franka
 

ENachtigall

Mitglied
Synonym

Lieber Ohrenschützer,

nun haben wir uns wohl doch missverstanden:

Die Idee, die [red]Präsenz des Todes im Alltag [/red]zu personifizieren, finde ich sehr gut; er ist ins Haus gekommen (= Kopf) gekommen, und zwar durch die Hintertür (ohne dass man ihn bewusst gebeten hätte, einzutreten). Er sitzt mit am Tisch, hilft beim Abwasch, liegt im Bett - da kann ich ihn mir durchaus noch als Geistwesen vorstellen, der nicht physisch eingreifen muss.
Der Tod in der Personifikation ist hier Synonym für die Bewältigung der Trauer. Sie wirkt in alle Bereiche des Alltags aktiv hinein, weil hier der Verstorbene am intensivsten vermisst wird, weil er hier selbst einst zu Hause war. Daher sind die Aktionen oder Stationen, an denen "der Tod" hier eingreift, in meiner Lesart auch gleichwertig. Die Trauer ist wie allgegenwärtig. Sie läßt sich nicht auf geeignete Orte oder Zeiten verschieben. Sie ist mächtig. Daher ist es gut, sie zur rechten Zeit zu verabschieden.

Danke für Deine intensive Auseinandersetzung mit dem Text!

Einen herzlichen Gruß

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Liebe Franka,

dass mit der Geburt auch der Tod in unsere Leben kommt
... ist ein schöner Abschlussgedanke zu dem Text. Danke für die ermutigenden Worte. Vielleicht traue ich mich ja bald mal an was Umfangreicheres.

Lieben Gruß von Elke.
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Elke,

Dein Text hat mir verdeutlicht, wie unterschiedlich der Tod kulturell bedingt gesehen wird. Bei uns ist er eine Art eigene Person.
Ich habe gestern in Arte eine Dokumentation über Schamanen in einer indischen Berg-Provinz gesehen, bei der diese Personalisierung undenkbar ist. Nicht der Tod, sondern die Toten bleiben als Geister in der Gemeinschaft und müssen mit besonderen Ritualen, an denen alle Dorfbewohner teilnehmen müssen, vom Zustand des Verstorbenen in die Spiritualiserung der Ahnenwelt geführt und begleitet werden. Dieser Prozess dauert sehr lange und bei gewaltsamen Toden, auf die sich der Einzelne und seine Gemeinschaft nicht vorbereiten konnten, müssen die Rituale über Jahre hinweg zelebriert werden.
Ohne Deinen Text wäre mir dieser Unterschied gar nicht aufgefallen.

Vielleicht ist diese Personalisierung des Todes als Akteur der eigentliche Grund dafür, dass wir den Tod ausgrenzen.
Vielleicht aber ist es auch der hohe Grad an Individualiserung in unserer Gesellschaft - im Gegensatz zu den Sora, die das Individuum über den Platz in der Gemeinschaft zu definieren scheinen -, dass der Tote selbst gar keinen Bezugsrahmen in einer Gesellschaft mehr hat, sondern ihm und uns als von außen kommender Akt begangen von einer 'Person' gleichsam entfremdet wird.

Ein wichtiges Thema!

Liebe Grüße
Petra
 

ENachtigall

Mitglied
Umgang mit Verstorbenen

Liebe petrasmiles,

mit sehr großem Interesse habe ich Deinen Kommentar gelesen und nachträglich verschiedene Aspekte dieser Vermenschlichung des Todes recherchiert.

Tatsächlich spielt sie auch in der Vorstellungswelt von Kindern (ca. 5-10 Jahre) eine große Rolle; sie macht ihnen das Phänomen begreifbar. Sogesehen steckt eine Gesellschaft, die sich dieses Bildes bemächtigt, in ihrer spirituellen Entwicklung wohl selbst in Kinderschuhen. Man bedenke, wie austauschbar der Platz des Individuums (als Partner, als Vater/Mutter, als Mitarbeiter ...) in den Minizellen unserer Gemeinschaft ist.

Da sorgt der Tod eines Idols á la Lady Di oder John Lennon für weitaus mehr Furore, obwohl wir auf diese Menschen nur fern- und mediengesteuert reagieren. Als würde hier die Trauer selbst sich einen Bann brechen, in der Magie einer mitreißenden Woge. Gleichzeitig entblößt sich darin eine relativ schwache Empathiefähigkeit und unsere (sicherlich individuell verschiedene) alltäglich gelebte Unnahbarkeit im direkten mitmenschlichen Kontakt.

Dieser Prozess dauert sehr lange und bei gewaltsamen Toden, auf die sich der Einzelne und seine Gemeinschaft nicht vorbereiten konnten, müssen die Rituale über Jahre hinweg zelebriert werden.
Tatsächlich liegt dem Text ein solcher gewaltsamer Tod zugrunde. Der Prozess der beschriebenen "Heimsuchung" dauerte mehrere Jahre.

Diese Entsprechung zwischen Kommentartext und Hintergrund ist frappierend.

Ich grüße Dich herzlich.

Elke
 
Der Text ist mir etwas zu gegenständlich. Zwar ist die Überindentifikation mit dem "Tod" als personifiziertem Etwas gut deutlich, aber sie wird zu wenig psychologisiert = zu sehr an Alltagsgegenständlichem festgemacht.
Und gerade bei "Er schlief -sogar- in meinem Bett" würde man eine Andeutung erwarten, was dabei herauskam: Unfruchtbarkeit?, ein neuer Tod?, gebar das Angst?, oder weitere Angstlosigkeit?
Der Tod im Text hat kein "Gesicht", und das bedeutet, es ist eben doch nicht gelungen ihn zu personalisieren = mit ihm bekannt zu werden = er bleibt somit weiterhin "außen vor" = verdrängt.
Es gibt in Kunst und Literatur eine Vielzahl von Darstellungen dazu, ein Spektrum von "Die Schöne und das Biest" bis hin zum nicht nur mittelalterlichen Thema "Jungfrau/junge Frau und Tod" (hatte ganz reale Ursache: die damals sehr große Kinder/Müttersterblichkeit während Schwangerschaften, bei Geburten, nachgeburtlich), siehe auch die "Totentanz"-Szenarien (beim Tanzen lernten sich früher die jungen Paare kennen).
Und "alte Frau und Tod", wobei der Tod sogar die Gestalt alter Frauen annahm, mit der dabei magischen Logik, dass Frauen Leben schenken und es auch am Ende halt wieder nehmen.
(wenn eine uralte Frau -als Gespenst- zu Füßen eines Kranken erschien, war dies dessen sichere "Totsagung").
Und nicht zu vergessen, waren Frauen über Jahrtausende als Heilerinnen und Giftmischerinnen mit dem Tod sehr intim bekannt.

Lesestoff zum Thema:
Phillipe Aries "Die Geschichte des Todes"

Eine arabische Erzählung dazu:
Ein schöner junger Fürst lebt mit seiner schönen jungen Frau in einem Palast mit großen Gärten. Der Fürst liebt den morgendlichen Spaziergang durch diese Gärten. Eines Tages gesellt sich ihm dabei ungefragt ein Fremder hinzu, der zwar höflich und kurzweilig den Umgang mit dem Fürsten aufnimmt, diesem aber auch nach Längerem nicht ganz geheuer dünkt, sogar Angst auslöst, bis eines Tages auf Befragen der Fremde offen zugibt, dass er der Tod sei.
Den Fürsten graust es, er nimmt sein schnellstes Pferd und flieht in eine ferne Stadt.
Die folgenden Wochen freundet sich der Tod mit der Gattin des Fürsten an, die ebenfalls mit ihm durch die Gärten wandelt. Man unterhält sich kurzweilig, die Frau empfindet seltsamer Weise keine Angst vor dem Fremden.
Eines Morgens erwartet der Fremde die Frau jedoch am Eingang der Gärten und bedeutet ihr, die Zeit der Spaziergänge mit ihr sei nun leider vorbei, er müsse nunmehr auf der Stelle in die ferne Stadt reisen zu ihrem Mann ...
 
Nachtrag:

Und nochmals auch darauf hinweisen, dass die Bilder eines solchen "magischen" Textes perspektivlos bleiben müssen, denn die Bilder entstammen dem magischen Weltbild, in welchem es "den Tod" als in magische Zeitlosigkeit eingebettete Entität gibt, sei es nun eine Personifizierte oder ein magisches Abstraktum.
Alle magischen Entitäten (Schimären) bleiben berührungslos, d.h., man kann sich ihnen auf keine Weise bewusst/rational/wachbewusst annähern, und dies ganz schlicht deshalb, weil sie dem später irreversibel verschwindenden frühkindlichen Animismus entstammen, sie existieren nur innerhalb dieses animistischen Welterlebens, welches dem späteren Erwachsenen aus biologisch-funktionalen Gründen verschlossen ist.

Der Erkenntnisschock "Huch, es gibt Leben und Tod", das ist Teil des finalen Abschiedsfeuerwerks des animistischen Welterlebens, wenn wir nach der Frühkindphase ein eigenständiges Immunsystem entwickelt haben, welches körperlich und psychisch ab dann "uns"/"Ich" von "Umwelt" trennt - beschrieben auch in der biblischen Metapher der Vertreibung aus dem (animistischen) Paradies, die ja auch schildert, dass "so" der Tod in die Welt kam, (weil nach dem Baum der Erkenntnis und irreversibel das "Ich" entsteht).

Die Bibel macht dabei nur den typischen Fehler magischen Welterlebens, dass sie Ontogenetisches und Phylogenetisches verwechselt, denn nicht "am Anfang der Menschheit" einmalig, sondern am Anfang jeden Lebens immer wieder erneut geschieht diese "Vertreibung" aus dem animistischen Paradies. Und dies ist der Überlebenspreis für ein eigenes Immunsystem, unter dessen Regie wir erst zu eigenen "Ichs" werden.

Moderne Lesart in einer Wechselwirkungswelt:
Es gibt nur ein Sterbenmüssen als Prozess, solches Absterben beginnt prozessual direkt bereits nach der Geburt, in ihm ist also aspektual Großwerden, Erwachsenwerden, Altwerden mit eingeschlossen.
Absterben ist, genau wie Geborenwerden nur phänomenologische Zäsur (Epi-Phänomene), einer in Wirklichkeit nach beiden Enden hin endlosen Prozessekette, die ihrerseits nicht-final ist (sinnfrei, wertfrei, zielfrei).
Die phänomenologische und daher magische-Weltbild- Metapher für das Ende des Absterbeprozess-Teils der endlosen Prozessekette ist "der Tod" als sprachliche Setzung, objektiv eine Schimäre ohne Inhalt (der "Tod" als Begriff ist eine leere Eigenschaftenmenge - was ihn natürlich nachgerade erst recht unheimlich erscheinen lässt) = "sterben" kann man, "totsein" aber kann man nicht.

(Eine Aussage wie: "Herr Meier ist tot" ist ein schwerer sprachlicher Lapsus, da es nach dem zeitlichen Ende des Absterbeprozesses per Definition gar keinen realen "Herrn Meier" mehr gibt, dem die Eigenschaft "tot zu sein" zugewiesen werden könnte. Stattdessen wird unbemerkt = unkritisch diese Eigenschaft dem virtuellen Referenzbild des Herrn Meier, also dem Erinnerungsbild von ihm zugewiesen, bezieht sich also auf Vergangenheit und auf subjektive Autopoiese).
"Herr Meier ist tot" ist also eine sprachlich-erzeugte Paradoxie, deren Entstehen aus einer Verletzung der sprachl.Grammatikregeln einer zweiwertigen Sprache kommt.

Weiterhin: Die Prozessekette vom "vor Ei und Samenzelle" über Embryo, Geborenwerden, 80 Jahre Evolution und Involution, Absterbeprozess - ist nach beiden Enden hin offen, und sie ist eingebettet in der Wechselwirkungswelt in die viel allgemeinere und universale Funktion endloser (energie-getriebener) unablässiger Wandlungen = Wechselwirkungen, welche den generellen Urprozess "Welt" darstellen. in dem, phänomenologisch betrachtet = magisch erlebt, jede einzelne Wechselwirkung eine Zäsur darstellt, denn alle WWen in dieser Welt sind: (a)einmalig und (b)irreversibel.

Daraus folgt: Ein "Herr Meier" hätte nichtmal den Bruchteil einer Sekunde Zeit "tot zu sein" - und wir können tatsächlich auch live beobachten, dass auch an verstorbenen Überresten die Wechselwirkungen unablässig und ohne die geringsten Pausen dazwischen weitergehen (zB die Auflösung, besser: Veränderung! (denn "Auflösung" ist schon wieder finalistisch/zweckhaft erlebt) der Strukturen per bakterieller, chemischer und physikalischer Einwirkungen).

Die Trauer über das Absterben/Vergänglichkeiten aller Arten (altmodisch/magisch ausgesagt: die Trauer über den Tod - und die Angst vor ihm) resultiert aus magischem Welterleben = aus dem nicht-Verstandenhaben der Funktionsweise von Leben, und erweitert: aus dem nicht-Verstandenhaben der funadmentalen Funktionsweise(n) der Wechselwirkungswelt, in der wir doch alle leben.
Wer am Epi-Phänomen autopoietisch-selbsterzeugter Bilder klebt, dem entgehen völlig die Wunder der Prozessualität der Welt; wer die stets merkwürdig idyllischen gegenständlichen Stilleben "Dinge" für "Sein" hält, dem entgeht zwangsläufig das einzig wirkliche Sein aller Weltinhalte als unablässiges, zielfreies, sinnfreies, zweckfreies = nicht-finalistisches Werden aus Dynamik.

So sind die Trauernden über "Tode", über Abschiede, über Vergänglichkeiten jeder Art selbst schuld an ihrem Zustand, der nur daraus resultiert, dass sie in magischem Welterleben beharren und sich somit -wider besseres Wissenkönnen- den Luxus des Nichtwissens über Welt leisten.
Ebenso sind die über Erreichtes, Ankünfte, Angekommensein, eine-Zeitlang-irgendwas-festhalten-können Idyllen-Erfreuten selbst schuld an ihren grundlosen Freuden, denn auch sie haben vom Werden der Welt garnichts verstanden.
Jedem, der Ziele, Zwecke, Absichten in diese Welt hinein-interpretiert, dem entgeht das Wesentliche der Sache "Welt".

PS:
Das Copyright für diesen Text muss ich übrigens verblüffender Weise -teilweise- dem Gautama Buddha überlassen, denn der hat, von völlig anderem Denken her kommend, in einer damals nicht-wissenschaftlichen Umgebung, keinerlei Ahnung von Physik, mit leicht anders gesetzten Schwerpunkten und natürlich in seiner eigenen Notation das im Prinzip teilweise-Selbe ausgesagt.
Die Dynamik der Wechselwirkungswelt, in der aber auch wirklich alles vergänglich ist, das Epi-Phänomen "Vergänglichkeit aller Dinge" aber im Hintergrund nur unablässige Wandlung meint, hat Buddha als bedeutungsloses "maya" bezeichnet, an welches man sein Herz nicht hängen dürfe, wohl um einen sprachlichen Vektor zu haben, mit dem er die Sache aussprechen konnte.
Dass dem verblüffend gedankenhellen "Erleuchteten" dabei just völlig entging, dass ausgerechnet dieses vermeintlich bedeutungslose "maya" die per Wahrnehmung und anschließender subjektiver Autopoiesen mit Bedeutungen aufinterpretierten "Dinge" sind, die wir einzig und selbstgemacht überhaupt von Welt mitbekommen = dies ist für uns Welt, und zwar exklusiv!, kann man ihm als kleineren Lapsus zugute halten, ein zwangsläufiger Denkfehler in alten Zeiten, obwohl unter heutigem Wissen damit auch seine, an sich sehr gelungene Philosophie komplett hinfällig ist.
Was würde dieser zu seiner Lebenszeit mithilfe eigenen Denkens wirklich "erleuchtete" Mann sich wundern und staunen, wie gierig und unersättlich würde er unsere Bücher "aufsaugen", wenn er heute noch einmal leben könnte!
 



 
Oben Unten