Hallo Maren,
vielen Dank für deine Antwort. Ich gehe mal darauf ein. So schreibst du:
ich schätze, es wird immer eine Hinzugezogenheit gegenüber der Natur geben.
Ich denke, auf emotionaler Ebene ist das tatsächlich nicht zu verhindern (und ich finde es persönlich auch gut so), aber die Problematik ist ja, dass seit ca. 30 Jahren der Begriff
Natur zumindest im elaborierten Diskurs derartigen Veränderungen unterlegen ist, dass die klassische Mensch-Natur-Dichotomie nicht mehr funktionieren will. Soweit ich die Lage überblicke, scheint man im Groben die Tendenz beobachten zu können, dass die Hobbydichter ungeachtet dieser Entwicklung und wahrscheinlich auch in Unkenntnis dessen an der tradierten Sichtweise festhalten, während zahlreiche professionellere Schreiber sich dieses Problems durchaus bewusst sind und es auf verschiedene Art - aber in der Regel eben nicht mehr klassisch bzw. romantisch - zu verarbeiten versuchen. Es gab ja diesbezüglich vor einigen Jahren die Sammlung "Lyrik im Anthropozän", in der man auch zahlreiche in der Lyrikwelt bekanntere Autoren findet und sogut wie keiner davon markiert noch eine irgendwie geartete Natur als Sehnsuchtsort außerhalb der Gesellschaft.
Was wir verlieren wollen ist Form, sind sprachlich veraltete Gefühlsausdrucksformen, jetzt magert man Sprache ab, so sehr, dass manchmal die Grenzen zwischen einfach geschriebene Prosa und "hochdichte" Lyrik zu verschmelzen scheinen.
Darf ich fragen, ob du einem Künstlerkollektiv angehörst oder einer bestimmten Kunstrichtung, oder worauf bezieht sich das
wir? Naja, jedenfalls fällt mir hier das Verständnis schwerer, denn es ist ja nicht so, dass diese Forderungen irgendwie neu wären, sondern sie sind doch bereits seit langem beinahe Standard. Das klingt ja so, als hätte es die postmodernen und dekonstruktivistischen Strömungen nicht gegeben und als müsste man sich nun noch immer von den Fesseln der Idyllenlyrik der Romantik bis hin zu den 50er Jahren befreien. In der Gegenwartslyrik, zumindest in der "anerkannten", gibt es doch eigentlich schon längst kaum noch
sprachlich veraltete Gefühlsausdrucksformen. Insofern wäre dein obiges Gedicht fast schon wieder ein rebellischer Akt.
Dieses romantische Gefüge von Emotionalität, die vor 100 oder 200 Jahren herrschte, auch als Resultat aus der Industrialisierung heraus und diese nostalgische Sehnsucht einer sanften und singenden Sprache, verkommt zunehmend zu einem missratenen Idyll(ä). Trügerisch, distanziert - auf Fotos aber familiär wirkend.
Wie gesagt, das passiert nicht jetzt, sondern es ist doch schon eine längst abgeschlossene Entwicklung. Nur noch Hobbydichter und einige wenige Ausnahmen schreiben Idyllengedichte. Spätesten mit der ökologischen Naturlyrik ab den 1960er Jahren war das Idyll bedroht, mit der Erkenntnis, dass es eigentlich keine wirklichen Naturräume ohne menschliche Besatzung oder Beeinflussung gibt, war das Idyll abgeschafft und die Natur kein eigener Raum mehr.
Falls es den geneigten Leser dieser Konversation interessiert, kann man dies übrigens durchaus kritisch und als Verlust betrachten. Möglicherweise steckt darin auch ein wie auch immer gearteter Freiheitsgewinn, aber ungefähr in den 1990er Jahren, als der Geisteswissenschaft diese enorme Bedeutungsveränderung des Naturbegriffs vollends bewusst wurde, gab es gewiss nicht nur Stimmen, die darin einen Fortschritt sahen.
Mich persönlich haben am meisten die Schriften von Gernot Böhme ergriffen, welcher wie kein anderer begreiflich machte, welch entscheidender Wandel in unserer Zeit stattgefunden hat. Der Mensch, der sich seit jeher in Relation zur Natur begriffen hat, ja, die Natur als Gabe, also nicht von ihm selbst erschaffen wahrnehmen konnte, muss sich nun damit auseinandersetzen, diese Gabe im erheblichen Maße zerstört zu haben und damit auch ihren Begriff, an dem man sich definieren konnte. Die Lektüre Böhmes kann ich nur empfehlen, wenn es jemanden interessiert.
Würde ich ein Gedicht wie dieses woanders veröffentlichen, gliche das einer Hinrichtung, käme es in die falschen Hände.
Ja, ein Akt der Rebellion wäre das.
Da bin ich mir fast sicher und ich kann es auch nachvollziehen: Immer die gleiche lyrische Sprache, blubb, blubb, blugger, einfacher satzbau, kleiner wortschatz, nichts interessantes zu sagen; haben wir seit tausenden Jahren immer wieder erlebt. Und jetzt sagt man: Es reicht.
Ich will nicht nochmal den historischen Kontext bemühen. Aber auf etwas anderes will ich eingehen. Zum einen kann man ja erstmal festhalten, dass dein Gedicht bei vielen Lesern hier im Forum sehr gut ankam. Sie fanden es interessant, sie fanden es schön, es hat sie berührt. Das ist doch eine ganze Menge wert, finde ich.
Und eine andere Art von Dichtung, vers libre mindestens, Syntaxbrüche noch und nöcher, Entsprachlichung bis zur Unkenntlichkeit - all das kann doch ohne Probleme auch existieren. Und es existiert zumindest meinem Empfinden und meiner Beobachtung nach doch schon lange und ausgesprochen prominent und stark repräsentiert. Wenn ich mich, um das zu vergleichen, z.B. der bildenden Kunst zuwenden will, und ich besuche die Kunstakademie, um mir eine Diplomausstellung anzuschauen - da gibt es weder Idyll noch Gegenständliches. Ähnlich sieht es im elaborierten Lyrikdiskurs aus. Eine Eva Strittmatter z.B. hätte dort heute keine Chance mehr. Ich persönlich finde das schade, weil ich diesbezüglich die Vielfalt vermisse.
Mich betrifft das nicht. Ich mag Gedichte wie diese (Hinter den Feldern), sonst würde ich sie nicht schreiben. Die andere Seite der Lyrik mag ich aber auch.
Mir geht es auch so, in beiden Richtungen aber mit Abstrichen. Die neoromantischen Gedichte von Hermann Hesse zum Beispiel überschreiten für mich oft genug die Schwelle zum Kitsch und ich könnte sie nicht jeden Tag lesen. Aber die völlige Absage an den Sinn empfinde ich als Beliebigkeit, mit der ich auch nichts anfangen kann.
Sowas hier mag ich:
diesen hochbegabten durst habend
als fluss zu etwas höherem aufzusteigen
du meintest, blumenberg habe recht:
wir brächten das Unklare,
damit der blick nicht stürbe am klaren licht.
also hielten wir fest, was sich nicht halten ließ,
und nannten es: anwesenheit auf zeit.
Gedichte wie mein obiges, können sowas nicht leisten.
So.
Nein, das könnten sie nicht - und müssen sie auch nicht, weil wir gottseidank beides bedienen können.
Meine Antwort war jetzt sehr komprimiert und vielleicht etwas Wirr, aber mehr fällt mir im Moment dazu nicht ein.
Ich danke Dir!
Ich dir auch. Machs gut und viele Grüße
Frodomir