Klangkörper (Limerick)

Es hielt sich ein lautstarker Dichter
für eines der ganz großen Lichter.
Des Werks Resonanz
entsprach dem nicht ganz:
Man staunte um einiges schlichter.

Das scheint, James,

zunächst so aussagekräftig zu sein wie "Kreise sind rund" oder "im perspektivischen Blick laufen die Parallelen der Schienenpaare, zwischen denen ein Betrachter steht, am Horizont auf den einen Fluchtpunkt zu".
Stimmt doch immer. Wer dem widerspräche, wäre des Spott-Masochismus verdächtig.

Denn die Resonanz auf ein Gedicht steht (fast) immer in einem perspektivisch bedingten Mißverhältnis zur Selbsteinschätzung des Autors.

Jenes Selbstwertgefühls des Autors, projeziert auf sein "Werk", hat trotz der Allgemeingültigkeit dieses Mißverhältnisses den Charakter einer Krankheit, einer überaus schmerzhaften narzistischen Kränkung, einer unbelehrbaren Torheit.

So gesehen ist die Pointe des Limi schon aussagekräftig, macht einen handgreiflichen Widerspruchs-Eindruck etwa wie eine Ohrfeige.

Und betrifft in einem Dichterforum alle dort kommunizierenden Dichter.
Und mehr noch die Kommunikationsverweigerer, die beleidigten Leberwürste.

grusz, hansz

Jou,
in der Tat ein - nicht nur in der Lyrik - weit verbreitetes Leiden, das hier thematisiert wird: Das verkannte Genie als Topos zahlreicher Komödien und Spötteleien. Ungewohnt ist hier jedoch die sanfte Ironie, mit welcher das Resultat umschrieben wird, die in einem wundervollen Gegensatz zu den lautstarken Attitüden des Autors steht. Solch ein Geniestreich gelingt eben nur den ganz Großen!

Grüße
JB

Hey James!
Ein sehr netter Spotterick!
Bemerkenswerterweise scheint ja die Neigung zur Grandiosität gleichmäßig über alle Talentstufen verteilt zu sein, so dass auch einige der ganz großen Nummern und Nummerinnen gut horazisch ihren Eingang ins Weltkulturerbe prognostiziert haben (und damit richtig lagen). Während wir dann heute ggf. ehrfürchtig-schaudernd vor den korrekten Werküberdauerungsprognosen der einschlägigen Heroes stehen, sieht es im Fall der vergessenen Talentunderdogs halt so aus, dass mit dem Werk auch die fehlgeleiteten Selbsteinschätzungen über Bord gegangen sind.
LG!
S.
P.S.
Und noch dies: Wirklich sehr nice Replik und Wekerläuterung, James! Du schwingst ja wirklich gekonnt eine dreischneidige Klinge, auf dass kein Anwesender dies- und jenseits des Hutes spottverschont bleibe.

James Blond schrieb:

in der Tat ein - nicht nur in der Lyrik - weit verbreitetes Leiden

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nein, es ist nicht "weit verbreitet", sondern eine Krankheit, die jeden Dichter betrifft.
Angenommen, es lebten zur Zeit etwa acht Literaten in einem Deutschland von 80 Millionen, deren Namen jeder kennt und wiedererkennt, d.h. daß er ein Genre, einen Werktitel oder einen spöttischen Klatsch mit diesen Namen verbindet, wäre das Verhältnis 1 : 10.000.000 -

Man nehme Köln mit seiner einen Million. Welcher dort lebende Schriftsteller, besser: Dichter, ist im deutschsprachigen Raum allen bekannt? oder gar so weltberühmt, wie er sich einschätzt? Brinkmann lebt schon lange nicht mehr, und wer kennt den überhaupt noch. Böll und Wellershoff sind nicht "Dichter" im engeren Sinne gewesen, und alle drei längst tot.
Aber gewiß gibt es dort 1000 Dichter, von denen einer einen Verlag findet; und dann 100 Freunde des Verlegers, die das Buch kaufen bzw. als Kritiker-Leseexemplar geschenkt bekommen, bevor es verramscht wird.

Dichter, die nicht an dieser Krankheit leiden, sind so selten wie Männer ohne Ypsilon-Chromosom.

grusz, hansz

Ich verstehe leider nicht ganz, wozu ein Lyriker zur Befreiung von den Leiden eines gekränkten Narzissmus unbedingt Millionen Menschen ein Begriff sein muss. Ich denke, in solchen Erwartungen spiegelt sich zwar manche Krankheit, nicht aber, dass sie alle Vertreter der schreibenden Kunst gleichermaßen befällt.

Ich tingele z. B. gelegentlich über die Kleinkunstbühnen der Norddeutschen Tiefebene und erwarte nicht, dass dies zum Bekanntheitsgrad oder zum Absatz eigener Büchlein wesentlich beiträgt. Darunter leide ich aber nicht. Ich vermute eher, dass die egomanischen Vertreter ihrer Zunft ein bis zwei Y-Chromosomen zuviel haben, die ihnen das Gefühl eines verkannten Genies vermitteln.

Grüße
JB

Es ist ein schöner Limerick, be dem man zwar nicht in Gelächter ausbricht, aber doch eine Pointe hat, die wirkt.

Es ist "antiselbstbezüglich".


Man staunte um einiges schlichter.

Danke, Bernd.
"Um einiges schlichter staunen" ist ein sehr zweifelhaftes Kompliment. "Schlichtes Erstaunen" wäre hingegen die vom Dichter erwartete Reaktion auf etwas Großartiges. Die Pointe spielt damit und wandelt es in einen ironisierenden Spott.

Grüße
JB

Genau. Deshalb ist es antiselbstbezüglich.

Hallo @James Blond ,
Klangkörper sagt alles!
Gernstens wiederlesend, ubertas.

Es gibt eine weitere Querverbindung. Für Limericks gibt es mehrere Melodien. Die helfen beim Dichten und Lesen bei der Rhythmik. James kennt das sicher.

Danke, liebe Ubertas!

Deine Kommentare sind wahre Klangkörper der Lupe!

Ganz genau, lieber Bernd!

Die Melodie (und damit auch die Form) eines typischen Limericks hat mir mal jemand so erklärt, bzw. vorgesungen:

daDida daDida daDida
daDida daDida daDida
daDida daDi(da)
daDida daDi(da)
daDida daDida daDida

Das ist sehr einprägsam und erspart das Erlernen komplizierter Bezeichnungen wie "katalektische Amphibrachen" , was ja nach sehr gefährlichen Dinos klingt. Dabei ist der Amphibrachys (xXx) m. E. der wesentliche Baustein eines Limericks, der ihm die typische Note verleiht. Es gibt einige Varianten mit zusätzlicher unbetonter Silbe am Versanfang (anapästisch) und/oder am Versende (daktylisch), wo auch die letzte unbetonte Silbe ganz wegfallen kann, wie hier. Wichtig erscheint mir, dass die langen Verse (1,2,5) und die kurzen (3,4) jeweils die selbe Länge aufweisen, denn ...

... entscheidend ist, dass der Text mit dem Metrum harmoniert, dass er sich - selbst mit Beugungen - leicht und flüssig liest (oder sprechen lässt). Beugungen und verbogene Reime sind hier sogar erwünscht. Wenn es demnach heißt, der Limerick "klappere" gehörig, dann ist er zumindest metrisch gelungen.

Ich weiß aber auch, dass die Ansichten hierzu divergieren ...

Grüße
JB

Lieber James,
ich bemühe mich redlich;-)
Aktuell befinde ich mich in einer idiophonen Schmunzelattacke.
Aber jetzt mal Spaß beiseite - wer braucht den schon?? Ich lese gerade gespannt deine Limerickerläuterungen. Mit vollem Ernst: das finde ich toll! Ich habe selbst noch nie versucht, ein Limerick zu verfassen, aber dieser Kommentarverlauf bringt mich auf den Geschmack.
Liebe Grüße ubertas

Liebe Ubertas,

ich kann mein Kompliment nur wiederholen!
Und wenn ich dich auf den Limerick gebracht habe, dann freut es mich ganz besonders. Nur zu!

Grüße
JB

Das hast du, lieber James.
Leuchtohrubertas dankt!!!

James Blond schrieb:

Wenn es demnach heißt, der Limerick "klappere" gehörig, dann ist er zumindest metrisch gelungen.

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Die User S. & J. wie sie einträchtig Limerickträllernd in die Abenddämmerung reiten.
Will heißen: Hier echolalliere ich gerne bei James' Einschätzung: Bei komischer Lyrik ist Klappern i. A. kein Problem, sondern Teil des Komikeffekts.
LG!
S.

James Blond schrieb:

nicht aber, dass sie alle Vertreter der schreibenden Kunst gleichermaßen befällt

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klar doch: alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher als die anderen.

Nicht alle Tiere sind gleich – und die Menschen auch nicht. Und nicht alle sind mit Humor gesegnet.

1. erkennst Du das Zitat nicht wieder, nämlich den berühmten Schlußsatz aus "Animal Farm" von Goerge Orwell?

2. natürlich ist nicht jeder in jedem Verhältnis gleich mit jedem, aber die Dichter sind alle von der gleichen Krankheit befallen, die ich oben geschrieben habe. Das liegt in der Natur der Sache, ist unabhängig von deren Begabung und stammt aus der Perspektivität der Selbst- und Welt-Wahrnehmung

ist doch eigentlich nicht so schwierig, zu erkennen, wenn einem nicht die beschriebene Krankheit im Wege steht
scheiße, sie steht allen im Weg
die Krankheit, an der alle leiden, die sich in ihrer Wertigkeit als Dichter erkennen wollen

die Perspektive ists, nichts sonst, die allen gleich ist, in der sie alle gleicher sind, und dennoch gibt es einige, die gleicher sind als die anderen, exakt im orwellschen Sinne

Lieber mondnein,

ich habe schon verstanden, was du mir klar zu machen versuchst. Ob dabei Orwell hilfreich sein könnte, lass ich mal dahingestellt ... schließlich ist sein berühmter Satz von der vergleichenden Gleichheit keine erkenntnisschwere Feststellung über die menschliche Krankheit, sondern eine sarkastische Bemerkung über das menschliche Verlangen, sich über die anderen zu stellen. Ihm ging es dabei aber nicht um die Gleichartigkeit, sondern um Gleichwertigkeit aller Menschen, die von einigen immer wieder unterlaufen wird. Er hat auch nie behauptet, dass alle "Tiere" von diesem Streben besessen sind, sondern nur die "Schweine".

Doch aus der zwangsläufigen Perspektive der Wahrnehmung folgt noch keine allgemeine Krankhaftigkeit der Selbstverliebtheit, deren Ausbrüche auch hier zuweilen zu beobachten sind, sofern lyrische Werke nicht auf die erwartete Resonanz stoßen.

Frustationsgefühle sind noch keine Krankheit. Erst die Unfähigkeit, mit ihnen umzugehen, Fremd- und Selbstwahrnehmung in einen fruchtbaren Dialog zu bringen, lässt sie zu einer "Krankheit" werden. Viele Autoren mögen narzisstisch so tief gestört sein, dass sie negative Kritik an ihren Werken lediglich mit Beißreflexen beantworten können. Aber nicht alle leiden an dieser Krankheit - das scheint nur den Kranken so.

Grüße
JB