Klangkörper (Limerick)

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mondnein

Mitglied
Das scheint, James,

zunächst so aussagekräftig zu sein wie "Kreise sind rund" oder "im perspektivischen Blick laufen die Parallelen der Schienenpaare, zwischen denen ein Betrachter steht, am Horizont auf den einen Fluchtpunkt zu".
Stimmt doch immer. Wer dem widerspräche, wäre des Spott-Masochismus verdächtig.

Denn die Resonanz auf ein Gedicht steht (fast) immer in einem perspektivisch bedingten Mißverhältnis zur Selbsteinschätzung des Autors.

Jenes Selbstwertgefühls des Autors, projeziert auf sein "Werk", hat trotz der Allgemeingültigkeit dieses Mißverhältnisses den Charakter einer Krankheit, einer überaus schmerzhaften narzistischen Kränkung, einer unbelehrbaren Torheit.

So gesehen ist die Pointe des Limi schon aussagekräftig, macht einen handgreiflichen Widerspruchs-Eindruck etwa wie eine Ohrfeige.

Und betrifft in einem Dichterforum alle dort kommunizierenden Dichter.
Und mehr noch die Kommunikationsverweigerer, die beleidigten Leberwürste.

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Jou,
in der Tat ein - nicht nur in der Lyrik - weit verbreitetes Leiden, das hier thematisiert wird: Das verkannte Genie als Topos zahlreicher Komödien und Spötteleien. Ungewohnt ist hier jedoch die sanfte Ironie, mit welcher das Resultat umschrieben wird, die in einem wundervollen Gegensatz zu den lautstarken Attitüden des Autors steht. Solch ein Geniestreich gelingt eben nur den ganz Großen! ;)

Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hey James!
Ein sehr netter Spotterick! :)
Bemerkenswerterweise scheint ja die Neigung zur Grandiosität gleichmäßig über alle Talentstufen verteilt zu sein, so dass auch einige der ganz großen Nummern und Nummerinnen gut horazisch ihren Eingang ins Weltkulturerbe prognostiziert haben (und damit richtig lagen). Während wir dann heute ggf. ehrfürchtig-schaudernd vor den korrekten Werküberdauerungsprognosen der einschlägigen Heroes stehen, sieht es im Fall der vergessenen Talentunderdogs halt so aus, dass mit dem Werk auch die fehlgeleiteten Selbsteinschätzungen über Bord gegangen sind. :)
LG!
S.
P.S.
Und noch dies: Wirklich sehr nice Replik und Wekerläuterung, James! Du schwingst ja wirklich gekonnt eine dreischneidige Klinge, auf dass kein Anwesender dies- und jenseits des Hutes spottverschont bleibe. :)
 

mondnein

Mitglied
in der Tat ein - nicht nur in der Lyrik - weit verbreitetes Leiden
nein, es ist nicht "weit verbreitet", sondern eine Krankheit, die jeden Dichter betrifft.
Angenommen, es lebten zur Zeit etwa acht Literaten in einem Deutschland von 80 Millionen, deren Namen jeder kennt und wiedererkennt, d.h. daß er ein Genre, einen Werktitel oder einen spöttischen Klatsch mit diesen Namen verbindet, wäre das Verhältnis 1 : 10.000.000 -

Man nehme Köln mit seiner einen Million. Welcher dort lebende Schriftsteller, besser: Dichter, ist im deutschsprachigen Raum allen bekannt? oder gar so weltberühmt, wie er sich einschätzt? Brinkmann lebt schon lange nicht mehr, und wer kennt den überhaupt noch. Böll und Wellershoff sind nicht "Dichter" im engeren Sinne gewesen, und alle drei längst tot.
Aber gewiß gibt es dort 1000 Dichter, von denen einer einen Verlag findet; und dann 100 Freunde des Verlegers, die das Buch kaufen bzw. als Kritiker-Leseexemplar geschenkt bekommen, bevor es verramscht wird.

Dichter, die nicht an dieser Krankheit leiden, sind so selten wie Männer ohne Ypsilon-Chromosom.

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
Ich verstehe leider nicht ganz, wozu ein Lyriker zur Befreiung von den Leiden eines gekränkten Narzissmus unbedingt Millionen Menschen ein Begriff sein muss. Ich denke, in solchen Erwartungen spiegelt sich zwar manche Krankheit, nicht aber, dass sie alle Vertreter der schreibenden Kunst gleichermaßen befällt.

Ich tingele z. B. gelegentlich über die Kleinkunstbühnen der Norddeutschen Tiefebene und erwarte nicht, dass dies zum Bekanntheitsgrad oder zum Absatz eigener Büchlein wesentlich beiträgt. Darunter leide ich aber nicht. Ich vermute eher, dass die egomanischen Vertreter ihrer Zunft ein bis zwei Y-Chromosomen zuviel haben, die ihnen das Gefühl eines verkannten Genies vermitteln. ;)

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist ein schöner Limerick, be dem man zwar nicht in Gelächter ausbricht, aber doch eine Pointe hat, die wirkt.

Es ist "antiselbstbezüglich".


Man staunte um einiges schlichter.
 

James Blond

Mitglied
Danke, Bernd.
"Um einiges schlichter staunen" ist ein sehr zweifelhaftes Kompliment. "Schlichtes Erstaunen" wäre hingegen die vom Dichter erwartete Reaktion auf etwas Großartiges. Die Pointe spielt damit und wandelt es in einen ironisierenden Spott.

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es gibt eine weitere Querverbindung. Für Limericks gibt es mehrere Melodien. Die helfen beim Dichten und Lesen bei der Rhythmik. James kennt das sicher.
 



 
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