Klappern und seine Funktion

James Blond

Mitglied
Lieber hansz,

wir sollte hier besser nicht über asklepiadeische Strophen sprechen, denn das führt uns in eine vergangene Welt jenseits altgermanischer Betonungen. Ich denke zwar, dass auch der antike Humus zur Düngung (bzw. Auffrischung) unserer Sprachböden geeignet sein kann, möchte aber hier - Ode wem Ode gebührt - nicht den Kontakt zum Umgangssprachlichen ganz verlieren.

Doch was das "Leiern" anbelangt, so denke ich auch, dass es der metrischen Lyrik immanent ist, ungeachtet, welche Wörter man zu welchem Metrum zusammenfügt. Die etymologische Herkunft der "Leier" zur "Lyra" ist wohl unbestritten, doch erfolgte recht bald die Übertragung vom gezupften (also nicht leiernden) Saiteninstrument zum gedrehten: Die Leier wurde zur Kurbel und damit zum Sinnbild einer monotonen Singsangbegleitung.

Merkwürdigerweise wird ein ostinater Beat in der Populärmusik, sei es nun Rock, Pop, Metal, HipHop, etc. geschätzt - mehr noch: er ist geradezu stilbildend für viele Richtungen, wohingegen "nervöses" (weil triolisches) Jazzschlagzeug nur von sehr wenigen Liebhabern goutiert wird. Auch hier könnte man erwarten, dass derart stumpfsinniges Gestampfe auf die Dauer den Hörer und auch die Tänzer langweilt. Dem ist aber nicht so und so zeigen sich in Nordeuropa und Nordamerika die wenigsten den lateinamerikanischen Rhythmen gewachsen.

Es sind eben unsere Hörgewohnheiten, deren Missachtung einen Ausdruckstransport blockieren kann. Die Lyrik "erreicht" uns am ehesten, wenn ein vorhandenes Sprachgefühl angesprochen wird. Emotionen, Subjektivität, Individualität und Lebendigkeit sollten innerhalb unserer gewohnten Sprachwelt formuliert und vorgetragen werden. Sprachlich Befremdendes schafft eine Kluft, die nur ein geschulter Hörer zu überbrücken versteht.

Grüße
JB
 

mondnein

Mitglied
Ja, James,

Doch was das "Leiern" anbelangt, so denke ich auch, dass es der metrischen Lyrik immanent ist, ungeachtet, welche Wörter man zu welchem Metrum zusammenfügt.
das trifft genau ins Schwarze, in den Mittelpunkt der Zielscheibe, in die ich meine Pfeile geschossen habe. Ich wollte nur weg von dem Peiorativ des aller metrischen Lyrik vorzuwerfenden "Leierns" und "Klapperns".
Soweit genug, landet wohl in der Übereinstimmung aller hier Mitlesenden. (Was will man mehr?)

Sprachlich Befremdendes schafft eine Kluft, die nur ein geschulter Hörer zu überbrücken versteht.
Ja, lieber James, das trifft natürlich mich mit meinen Befremdungs-Spielen. Hast Du schon meinen "puruscha tausendmundig" gelesen? Ich vermute, Du wirst entsetzt sein.

grusz, hansz
 

sufnus

Mitglied
Wir brauchen einen gesonderten Klapper-und-Leier-Thread! (aufmerksames Lauschen, ob nun wohl ein vielstimmiges Aufstöhnen ertönt)
...
Hier trau ich mich jedenfalls nicht mehr so recht, das diskursive Imkreisdrehspiel noch weiter anzukurbeln (-leiern?). Man könnte sich dem Vorwurf der fortgesetzten Offtopiziosität ausgesetzt sehen. ;)
LG!
S.
 

sufnus

Mitglied
Jetzt trau ich mich wieder! :)
Ganz lieben Dank an James für die Weitverfolgung der Abtrennungsidee und Bernd für die minimalinvasive Thread-Spaltung. :)

Nach meiner Wahrnehmung haben wir jetzt unterschiedliche Bedeutungsangebote für die Bezeichung "Klappern" und/oder "Leiern".

Ich finde dabei Deinen Hinweis James, dass das "Leiern" ja etymologisch mit der Lyra zusammenhängt und somit dem Gedicht eigentlich qua Benamsung schon immer innewohnen müsste, wirklich verblüffend - das ist eine coole Beobachtung! :)

… ich sortiere den Wortstammbaum von der Lyra über die Leier zum Leiern für mich persönlich aber nichtsdestotrotz als (weitgehend ;) ) puren Zufall ein, weil die von mir präferierte Definition von "Leiern" tatsächlich rein pejorativ ist und sich auf einen monotonen oder ggf. auch mal übertrieben skandierenden Vortragsstil bezieht. Hingegen ist meine Lieblings-Definition von "Klappern" unabhängig vom Vortragsstil und bezieht sich nur auf den geschriebenen Text und da auf die Versfuß-Struktur.
Was ich wiederum weder mit Leiern noch mit Klappern bezeichne, das ist das Vorhandensein eines gleichmäßigen Metrums. Dieses kann durchaus gegeben sein, ohne dass es beim Vortrag leiert oder im geschriebenen Text klappert.

Wenn man aber für diese beiden Begriffe des Leierns oder Klapperns eine ganz andere Definition benutzt, dann gilt oben von mir Gesagtes nicht unbedingt.
Ich kenn allerdings keine Expert*innen im Feld der Lyrik, die Klappern oder Leiern als neutrale Begriffe benutzen; ich kenne es immer nur als etwas Negatives.

Irgendwo (ich müsste jetzt ganz schön suchen, um eine Quelle herbeizuzitieren) hatte ich mal etwas gelesen, wonach die Verwendung eines nicht völlig regelmäßigen Metrums dabei helfen könnte, einen "klappernden Rhythmus" zu vermeiden. Das wäre so ein Angebot für eine alternative Benutzung des Wortes "Klappern" (allerdings immer noch in einem abwertenden Sinn), die mit meinen bisherigen Ausführungen kollidieren würde. Allerdings würde eine solche Definition zumindest in Verbindung mit einem negativen Einfärbung des Wortes "Klappern" bedeuten, dass alle metrisch regelmäßigen Gedichte immer auch "klapprig" sind. Und ich finde, eine solche Abwertung metrisch gleichmäßiger Dichtung schon ein starkes Stück. Davon würde ich mich wirklich stark distanzieren wollen. Ich mag (auch) metrisch gleichmäßig gestaltete Gedichte sehr und zwar nicht nur im Bereich der komischen Lyrik sondern auch bei ernsten Themen. :)

LG!

S.
 

seefeldmaren

Mitglied
ich würde ja gerne was dazu schreiben, aber ich muss mir eingestehen, dass ich keine ahnung habe, wenn ich so in die runde blicke.
so viel bildung und ich stehe da wie eine nacktschnecke.

mit klappern verbinde ich eine kleine metallkugel in einer holzspielzeugdose, durch diese wasser fließt und das wasser schmeckt nach nacht.
geld in einer dose ist zu grell.
aber was war die ausgangsfrage? achja, poetische kategorie. ich hab da mal eben gegoogelt und da kommen begriffe wie konsonanz und ideophon

wenn die frage sich danach richtet die lyrische qualität eines wortes einzuordnen, so gibt es sicherlich bessere worte als klappern selbst - wobei der kunstauftrag dahinter
ja noch entscheidend ist, ein

"klappern" gedicht klap
per re palk a pplapper
pp
per
klapp
klaer
klapp"

funktioniert aus sprachartistischer sicht wohl besser als das wort "klappern" selbst.
in der poesie verprügelt man niemanden mit umgedrehten bratpfannen "pp".
 

James Blond

Mitglied
Hingegen ist meine Lieblings-Definition von "Klappern" unabhängig vom Vortragsstil und bezieht sich nur auf den geschriebenen Text und da auf die Versfuß-Struktur.
Tja, lieber sufnus,

ich fürchte beinah, du stehst mit deiner lyrischen Klapperschlange nun ziemlich allein und auch heineverlassen auf poetischer Flur. ;)

Da allen übrigen Beteiligten zu "Klappern" nur phonetische Bezüge (eines Vortrags) einfallen (incl. @seefedmaren, die sich nun dankenswerter Weise beteiligt), du aber die geschriebene Versfuß-Struktur im Blick hast, auf die sich Wortkoinzidenzen negativ auswirken, würde ich zunächst vorschlagen, den offensichtlich irreführenden (weil übertragenen) Begriff gegen einen treffenderen auszutauschen.

Mir fällt zudem auf, dass du mit ausschließenden Aussagen, was Klappern alles nicht bedeutet oder was alles nicht klappert, recht schnell bei der Hand bist, wohingegen du eine eingehendere Beschreibung, worin sich das Störende (bzw. das Negative) einer solchen Wort-Metrums-Koinzidenz bereits beim Lesen äußert, bisher schuldig bleibst. Lass uns doch bitte teilhaben an deinem ästhetischen Empfinden. :)

Auch gehst du nicht auf die genannten Argumente ein, welche diese Koinzidenztheorie ins Klappern, sorry: ins Wackeln bringen:
  • metrische Willkür: Auftaktige Silben am Versbeginn konkurrieren mit unbetont ansetzenden Versfüßen und setzen dadurch Wortkoinzidenzen in/außer Kraft
  • orthografische Regeln: fügen Worte zusammen oder trennen sie auf und setzen dadurch Wortkoinzidenzen in/außer Kraft
  • Verse aus einsilbigen Worte wären danach grundsätzlich zu vermeiden

Ich hab hier mal ein Wort,
das klappt wie ich beim Sport:
zusammen!

Das Mahl war stets mein Ziel
Zu viel von dem Zuviel.


Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hey James!
Ich geh ja noch ein! Keine Sorge!
Aber ich muss noch ein bisschen Anlauf nehmen - in meinen Telegramm-artig kurzen Bisherbeiträgen konnt ich die Klappertheorie natürlich noch nicht in der nötigen Breite entfalten.
Scherz.
Mir fehlte vorhin etwas die Zeit und der Zugriff auf mein Bücherregal. Kommt also noch! :)
LG!
S.
 

sufnus

Mitglied
Hey & Hah!

Jetzt versuche ich also, nach und nach mit einer Klapperaufdröselung anzufangen und dabei eine basslinienhafte Selbstironiebegletung beizubehalten, soweit das nicht völlig auf Kosten der Verständlichkeit geht. :)

Ausgangspunkt:
Ich habe also (irgendwo weiter oben) erkärt, es gebe bei traditionellen deutschsprachigen Gedichten manchmal ein formales Phänomen, welches sich Klappern nennt und welches (außer beispielsweise bei komischer Lyrik und verwandten Genres) eher als fehlerhaft einzustufen ist.
Als Erklärbär, was ich wohl unter Klappern verstehe, habe ich Heinrich Heine bemüht, der einmal im Zusammenhang mit trochäischen Versen eines Kollegen darüber klagte, dass in manchem Gedicht regelmäßig Vers- und Wortfuß zusammenklappen (sic!).
Sodann habe ich (eben auf der Linie von Heine) dieses ominöse Klappern als etwas bezeichnet, das nicht durch ungeschicktes Rezitieren (ich habe das "Vortragsstil" genannt) zustande kommt, sondern als etwas, das beim Lesen des Textes negativ auffällt.

Kritik:
Es wurde nun von James darauf hingewiesen, dass klappen (Heine) und klappern (sufnus) doch zwei verschiedene Wörter sind, dass Heine außerdem nur was von Trochäen schreibt, der Sufnus den Begriff aber offensichtlich weiter ausdehnt.
Zudem ließen sich doch Beispiele von z. B. Goethe finden, die meiner Klapperdefinition zu entsprechen scheinen; ob ich also wohl auch den Dichterfürsten kritisieren wolle, ich Wurm? (kein Wortlaut von James sondern ein möglicher Anflug von Selbsterkenntnis beim sauberen Herrn S.).
Desweiteren könne man bei einem Klappertext nach Suf-Definition durch einen zusätzlich eingeschobenen Auftakt leicht erreichen, dass alle nachfolgenden Versfüße aus den Worfüßen herauspurzeln (das berührt jetzt "meine" heineanische Klapperdefinition mehr im Detail - sehr viel weiter unten mehr dazu), womit folglich durch eine unscheinbare Auftaktsilbe völlige Klapperfreiheit (wenn man denn meiner Definition folgen wolle) hergestellt wäre, obwohl sich das hierbei herbeigefrickelte Resultat doch immer noch mehr oder weniger gleich wie die unaufgetaktete Ausgangsversion anhöre.
Sodann bliebe ich (immer noch ein ziemlich tief im Definitorischen verwurzelter Einwand) eine Erklärung schuldig, wie orthographisch relativ willkürliche Wortzusammen- oder -Getrenntschreibungen sich auf das Klappern auswirken und wie einsilbige Wörter im Klapperkontext einzuschätzen sind.
Schließlich ginge lt. James die Mehrzahl der hier im Faden zugeschalteten Diskurspartner nicht konform mit einer Klapperbetrachtung, die sich auf eine Textstruktur beziehe, welche unabhängig von phonetischen Aspekten (Textvortrag) sei (nur kurz vorausgeschickt: Dieser letzte Einwand beruht in Teilen womöglich auf einem Missverständnis meiner Einlassungen - auch hierzu später mehr).
Summasummarum stünde ich doch wohl mit meinem definitorischen Angang erstens auf ziemlich klapprigen Beinen und zweitens ganz schön alleine auf weiter Flur.
In Betrachtung all dieser Punkte hat James den Vorschlag zur Güte gemacht, vielleicht den Begriff des Klapperns durch eine passenderen Bezeichnung zu ersetzen.

Und jetzt?
Ich möchte zunächst mal mit dem Allein-auf-weiter-Flur-Aspekt anfangen. Es scheint ja angesichts der Einwände im Raum zu stehen, dass der Begriff des Klapperns entweder gar keinen etablierter Terminus für eine "metrische Fehlfunktion" darstellt oder aber sich zumindest nicht auf geschriebene Texte bezieht, sondern nur auf deren gesprochene "Aufführung" und dabei etwas Ähnliches meint wie: leiernd / langweilig / "schlecht" vorgetragen.
Erst nach Abhakung das Alleindasteh-Aspekts werde ich mich langsam zu einer Definition i. e. S. vorarbeiten und dabei insbesondere zeigen, warum ein Auftakt das Klapperproblem nicht befriedigend löst, obwohl er doch zu einer Wort/Versfuß-Dissoziation führt und warum das von James zitierte Goethegedicht gerade nicht klappert.
Ich werde, wenn ich dieses ganze Programm abgeklappert habe, vermutlich nicht mehr als der total-isolierte Klapperdissident dastehen.
Allerdings habe ich mich dann so lang und breit über das Klappern ausgelassen, dass der Eindruck entstehen könnte ich sei ein bisschen klapperfixiert, womöglich schon reif für die Klappse. Daher werde ich zum Schluss noch einen kurzen Exkurs anhängen, der zeigen soll, dass es außer dem Klappern auch andere Formbesonderheiten (um es mal neutral auszudrücken) gibt, die einem Gedicht ein irgendwie altmodisch-sperrig-monoton-künstliches Gepräge verleihen.
Von diesen vielen Vorhaben, wird in diesem Beitrag aber nur das erste realisiert werden: die Einsames-Reh-auf-der-Flur-Problematik bei Verwendung des Begriffs "klappern". Das Definitorische und der Exkurs kommen in weiteren Beiträgen.

Gewährsleute für den Klapperbegriff (allgemeine Vorrede):
Wenn ich im Folgenden meine Nicht-Alleinheit beim Gebrauch des K-Worts belegen werde, gehts natürlich nicht ohne Name-Dropping, irgendwie muss ich ja ein unterstützendes Zitat beim Belegstellenlieferanden anflanschen. Leider hab ich nicht für alle Klapperzeugen Internet-Belegstellen gefunden, in Teilen müsst Ihr mirs dann glauben oder es sein lassen. :)
Unter ersterer Prämisse bzw. auf Basis google-barer Belege werden wir dabei dreierlei (hoffentlich) erkennen können:
Erstens: Ja, es gibt tatsächlich "Autoritäten" (tief durchatmen James, Du musst nicht Ihrer Meinung sein ;) ) auf dem Gebiet der Versanalyse oder des Versbaus, die den Begriff des Klapperns gebrauchen und
zweitens: sie gebrauchen den Begriff so, dass er sich auf die Textstruktur bezieht und nicht auf einen individuellen, "falschen" Vortragsstil und
drittens: Bei den Belegstellen deuten sich durchaus definitorische Akzentunterschiede an, so dass für die sufnotische Definition des Klapperns nochmal gesondert zu klären sein wird, ob sich denn auch für diese Definition Kronzeugen finden lassen.
Achja und die Hervorhebungen in den folgenden Textpassagen sind auf meinem Mist gewachsen.

Gewährsleute für den Klapperbegriff (spezieller Teil):
Ich fange mal mit einem eher geläufigen Namen aus der Lyrik an, mit dem gar nicht so armen BB, also dem Herrn Brecht. Der hat recht häufig auch Schreibkunst-theoretische Überlegungen angestellt und sich unter anderem über Fragen des Rhythmus in der Lyrik Gedanken gemacht. In diesem Zusammenhang konzipierte er eine sogenannte gestische Lyrik und bei deren Beschreibung entfiel seiner Schreibmaschine mit einem abwertenden Blick auf alternierende Metriken (Trochäus oder Jambus) das Statement, er brauche "Rhythmus, aber nicht das übliche Klappern". Offensichtlich stoßen wir also beim BB anders als beim klappenden Heine tatsächlich auf das Wortfeld "Klappern" und er gebrauchte den Begriff im Zusammenhang mit geschriebenen Texten, bei denen er, wenn sie sich der gebundenen Metrik bedienen, die Gefahr des Klapperns erkannte, die man durch eine versfußfreie, aber dennoch rhythmische Dichtung, bannen könne (dummerweise find ich den alten Rundschau-Artikel, in dem er das verzapft hat, in meinem Bücherchaos nicht mehr und kann daher nicht wörtlich zitieren). Soweit mir das erinnerlich ist, schrieb der Bert aber leider nichts darüber, was nun unter dem Klappern genau zu verstehen ist, insofern ist er erstmal nicht viel mehr (aber auch nicht viel weniger) als ein möglicher Stichwortexistenzbestätiger.
Darüber hinaus klang das bei ihm ein bisschen nach einem Generalverdacht, dem sich jede metrisch definierte Lyrik ausgesetzt sehen muss. Wenn er das von ihm benutzte Wort "übliche" wirklich so meinte, dass es kaum klapperfreie Ausnahmen in der alternierenden Metrik gebe, dann bin ich da keinesfalls im Team Brecht unterwegs. Allerdings sei zur Beruhigung der Gemüter (inkl. meines eigenen) darauf hingewiesen, dass BB trotz seines Beitrags weiterhin durchaus auch streng gefügte jambische und trochäische Gedicht verfasst hat - offenkundig hat ihn dann entweder das Klappern nicht gestört oder er hat es trotz der festen Metrik durch andere Maßnahmen vermeiden können.

Ein deutlich weniger bekannter, aber doch einschlägig "eingelesener" Klapper-Gewährsmann ist Friedrich Albert Lange (1828-1875), seines Zeichens Philosophie- und Pädagogik-Dozent an diversen Unis. Er äußerte sich in einem posthum erschienenen Beitrag zu einem ganz speziellen Fall metrisch gebundener Dichtung, nämlich dem "typischen" deutschen Alexandriner des 18. Jh. Wir sind also bei Langes Betrachtung in der Dicht-Epoche der Herren Gleim, Uz und Gottsched unterwegs und nicht etwa in der uns heute vielleicht eher als typisch "alexandrinisch" in den Sinn kommenden Zeit der Barockdichter des 17. Jh.
Jedenfalls meint dieser Herr Lange "Die deutsche Verskunst der damaligen Zeit besaß nämlich zwei Hauptmittel, die Gedichte unausstehlich langweilig zu machen: das Verbot dichterischer Umstellungen in der Wortfolge und das Verbot eines jeden Gegensatzes von Wortaccent und Versaccent", weshalb z. B ein "französischer Alexandriner [...] ganz etwas Andres sei, als ein deutscher Alexandriner" [gemeint ist: dieser Zeit] "mit seinem regelmäßigen Geklapper gleichförmiger Hebungen und Senkungen".
Tja. Also da könnte man erstmal sagen, nochmal ein Punkt für mich, es gibt Belegstellen für das Verdikt des Klapperns und sie beziehen sich auf Grundsätzlicheres als nur die Vortragsweise eines Gedichts. Aber. Aber, aber, aber: Es klingt irgendwie auch bei Fr. A. Lange, vielleicht sogar noch mehr als bei Brecht, fast nach einem gewissen Generalverdacht gegenüber gleichmäßigen Metren. Oder wie hat er das mit dem unglücklichen Verbot eines "Gegensatzes von Wortaccent und Versaccent" gemeint? Kann man auch metrisch gleichmäßig dichten und dabei Gegensätze von Wort- und Versaccent zulassen? Und liegt das auf der Linie meiner von Heine ausgeborgten Vorstellung, dass Wort- und Versfüße bei unklappriger (unklappender) Metrik nicht zusammenfallen dürfen? Ja und nein und dazu weiter unten mehr. Das Feindefinitorische kommt ja erst noch, wie bereits anmoderiert. Wir sind noch in der Phase, wo zu klären ist, ob es überhaupt Traditionslinien für den Terminus des Klapperns gibt.

Machen wir mal weiter. Ich hab hier noch August v. Platen, um mal nach dem reinen Theoretiker Lange nochmal einen Praktiker der Dichtkunst ins Feld zu führen. Von dem finden wir ein Epigramm mit dem Titel "Rhythmische Metamorphose", das da lautet:

Episch erscheint in italischer Sprache der Ton der Oktave;
doch in der deutschen, O Freund, athmet sie lyrischen Ton.
Glaubst du es nicht, so versuch's! Der italische wogende Rhythmus
Wird jenseits des Gebürgs, klappernde Monotonie.


Mit "Oktave" ist übrigens die Stanze gemeint, die im Deutschen üblicherweise als fünfhebiger Jambus realisiert wird.
Man beachte nun bei Platens Polemik das durchgängig sehr klassisch gefügte Metrum, das bei "Wird jenseits des Gebürgs" unter schlimmem Geholper in einen Jambus wechselt, um dann ausgerechnet beim Stichwort der "klappernde[n] Monotonie" wieder ins daktylische Versfußbett zurückzufinden.
Und was lernen wir daraus? Nichts wirklich definitorisch Brauchbares, aber immerhin eine erneute Belegstelle für den Gebrauch des "Klapperns" im Kontext von metrischen Fragen.

Je nun, also auf zum nächsten Klapper-Stichwortgeber. Und passenderweise hat der sich ein Heine-Gedicht vorgeknöpft, wobei die Vorknöpfung im Großen und Ganzen dann doch auf eine astreine Belobigung hinausläuft. Der leider dieses Jahr verstorbene Peter von Matt, seinerzeit Lehrstuhlinhaber für neuere deutsche Literatur an der ETH Zürich, schreibt über Heines "Belsatzar": "Heine hat bessere Gedichte geschrieben, raffiniertere nur wenige. Er operiert wie ein Postmoderner mit allen Spielformen der Trivialität. Das Metrum lässt er klappern, die Reime schnappen, die Wortwahl ist grell [...] Aber gleichzeitig gibt er ständig zu verstehen, daß er diese Effekte sehr überlegt setzt. [...] Insbesondere die delikaten Rhythmuswechsel lassen das Klappern und die Sprachschminke als Zitat eines naiven Redens erscheinen.".
Also auch hier: Wir finden den Verweis auf Klappern als einer mit dem Metrum assoziierten Texteigenschaft, die Augenkontakt zur (lyrischen) Trivialliteratur aufnimmt. Und auch hier haben wir es mit einem Jambus zu tun, mithin wird das Klappern also mitnichten nur bei Trochäen diagnostiziert. Desweiteren wird auf "Rhythmuswechsel" verwiesen (gemeint sind damit Zeilen, die das metrische Schema des Jambus völlig verlassen), welche nach Peter v. Matt aufzeigten, dass der Herr Heine doch kein Klapperdichter aus Unvermögen sei. Insofern steht auch hier die Frage im Raum: Gibt es denn dann auch klapperfreie Verse, die dennoch einem festen Metrum unterliegen?

Bei Brecht klappern Jamben und Trochäen zumindest "üblich[erweise]", bei Lange in alexandrinischer Darreichungsform in der postbarocken Zeit, die zwischen den lyrischen Eckpfeilern von Rokkoko und Aufklärung unterwegs war, bei v. Platen grundsätzlich (?) bei cisalpinen (aus teutonischer Sicht betrachtet) Versen in der (jambischen) Stanzenform und bei Peter v. Matt klappert es im Heine-Gedicht offenbar auch vor allem in den regelmäßigen Passagen (leider wird v. Matt hier auch nicht konkreter).
Hm und nunja: Die Vorstellung hier würde von den zitierten Experten ein generelles Klapperproblem in regelmäßiger Metrik gesehen ist damit nicht belegt, sondern nur ein Verdacht. Natürlich sind die oben zitierten Passagen immer noch interpretationsbedürftig.
Also setzen wir da mal ein Fragezeichen und sehen weiter. :)

Damit gehe ich zu guter (?) letzt in diesem Kapitel zu einem der vielleicht spannendsten Zeugen über. Spannend, weil dessen Darlegung prima vista so klingt, als ob das Klappern eben doch was mit einem (falschen) Vortrag zu tun hat und (noch wichtiger) weil dieser Zeuge andeutet, es könne sozusagen auch ein Art Gegenteil von Klappern geben, das ebenfalls problematisch sei (oder sein könne). Donnerwetter.
Ich rufe also Hermann Burger auf. Der schon seit über dreieinhalb Jahrzehnten verstorbene Herr Burger zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen schweizer Lyrikern der zweiten Letztjahrhunderthälfte und war als habilitierter Germanist mit dem theoretischen Rüstzeug wohlvertraut.
In einer Gedichtanalyse zu Celans Lyrikband Atemwende widmete er sich u. a, dessen Gedicht "WEGGEBEIZT".
Hier mal die ersten Zeilen des Celan-Gedichts:

WEGGEBEIZT vom
Strahlenwind deiner Sprache
das bunte Gerede des An-
erlebten – das hundert-
züngige Mein-
gedicht, das Genicht.


Dazu schreibt Burger jetzt (das ist google-findbar):
" 'Weggebeizt…' und ähnliche Beispiele aus der Atemwende heben sich von der elegisch getönten Lyrik der Frühzeit ab und rücken, was die sprachliche Struktur betriff, in die Nähe der Prosadichtung 'Gespräch im Gebirg'. [...] Die daktylisch gegliederten Langzeilen sind gänzlich verschwunden, an ihre Stelle ist der Kurzvers getreten und das Prinzip der übertriebenen Segmentation, welches den Prosastil Celans im 'Gespräch im Gebirg' kennzeichnet. [...] Erstaunlicherweise bleibt das metrische Schema trotz des Verzichtes auf Langzeilen in vielen Gedichten unzerstört. 'Weggebeizt…' läßt sich ohne weiteres in Daktylen und Trochäen aufgliedern [...] Zwar wird das metrische Schema der Langzeilen aufrechterhalten, doch richtet es sich weder nach den Fugen der Syntax noch nach denjenigen der Verse, sondern legt sich als willkürlicher Raster über das Gedicht. Die schwerfälligen Komposita mit ihren doppelten Wortakzenten lassen sich scheinbar leicht dem trochäischen und daktylischen Muster unterordnen. Beim Vortrag aber zeigt sich, daß die Hebungen sehr kräftig, die unbetonten Silben dagegen meistens zu schwach ausfallen oder ihrerseits zu Hebungen umfunktioniert werden. Das Partizip 'weggebeizt' wird natürlich nicht alternierend gelesen, sondern der Tonfall bleibt über drei Silben hinweg gehoben, so daß vor der Präposition 'vom' eine starke Zäsur entsteht. Eine gewisse Spannung zwischen Takt und Rhythmus ist vonnöten, damit das Klappern der Verse vermieden wird. Doch hier fällt der Unterschied zu groß aus. Der gesamte Rhythmus stellt das Metrum in Frage."

Hier ist natürlich zunächst mal vor allem die Wendung Burgers mit dem Vortrag (oben sicherheitshalber noch unterstrichen) relevant, weil sie ja meiner These, das Klappern sei eine textstrukturelle Eigenschaft zu widersprechen scheint. Ich habe aber oben hofentlich bereits deutlich genug anmoderiert, dass ich damit meinte, dass ein Gedicht auch dann klappern kann, wenn man es nicht fehlerhaft, sondern durchaus ganz ordentlich vorträgt. Da wäre nun wohl Burger mitgegangen, denn das für ein übliches Gedicht bereits provozierende "Anti-Klappern", das man nach seiner Ansicht beim Vortrag von "Weggebeizt" bemerken kann, lässt sich eben auch beim gelungenen Vortragen feststellen, es hat eben etwas mit der Art zu tun, wie der Text geschrieben ist und nicht mit einer nachlässigen mündlichen Interpretation. Und auf die Frage, ob ein Gedicht also nicht nur zu stark sondern auch "zu wenig" klappern kann, sollten wir im Definitionsteil sicher nochmal eingehen. :)

Puh.

Jetzt mal Durchschnaufpause bzw. Gelegenheit für Gegenfeuer.
Heißt: Bevor ich also definitorisch weitermache, können wir uns darauf einigen, dass es den Begriff des Klapperns als terminus technicus grundsätzlich gibt und dass er sich (zumindest bei den hier aufgeführten Beispielen) im weitesten Sinn irgendwie auf den ins Gedicht eingeschriebenen Rhythmus bezieht?

LG!

S.
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
Danke für deine große Mühe, lieber sufnus.
Ich sehe zwar, dass du dir viel Arbeit machst, deine Klappertheorie anhand lyrischer Autoritäten zu untermauern, allerdings bleibt fraglich, was sie genau dazu etwas beitragen. Ich versuch es kurz zu machen:

  • Brecht im abwertenden Blick auf alternierende Metriken (Trochäus oder Jambus): er brauche "Rhythmus, aber nicht das übliche Klappern".

Danach scheinen Brecht solche Metren grundsätzlich zu klappern, aber kein Hinweis auf "klappernde" Wort-Metrum-Koinzidenzen. Wie schön Brechts beste Gedichte Metrum-Wort-Koinzidenzen aufweisen, dazu hier nur ein kurzes Beispiel:

Brecht: Erinnerung an die Marie A.:

Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer
da


  • Friedrich Albert Lange: "zwei Hauptmittel, die Gedichte unausstehlich langweilig zu machen: das Verbot dichterischer Umstellungen in der Wortfolge und das Verbot eines jeden Gegensatzes von Wortaccent und Versaccent"

Mein Kommentar: Den Gegensatz von Wortakzent und Versakzent nennen wir heute "Beugung", nicht aber Klappern. In den meisten Fällen sind solche Beugungen unschön, klappern aber nicht unbedingt.

  • F. A. Lange: "deutscher Alexandriner mit seinem regelmäßigen Geklapper gleichförmiger Hebungen und Senkungen".

sufnus: "Es klingt irgendwie auch bei Fr. A. Lange, vielleicht sogar noch mehr als bei Brecht, fast nach einem gewissen Generalverdacht gegenüber gleichmäßigen Metren."

Mein Kommentar: Genau.

August v. Platen: "klappernde Monotonie."

sufnus: Nichts wirklich definitorisch Brauchbares aber immerhin ...

Mein Kommentar: ok

  • Hermann Burger, Analyse eines Celan-Gedichts: Eine gewisse Spannung zwischen Takt und Rhythmus ist vonnöten, damit das Klappern der Verse vermieden wird. Doch hier fällt der Unterschied zu groß aus.

Mein Kommentar: Interessanter Hinweis auf eine Spannung von Takt & Rhythmus. Doch was ist hier das Metrum: Der Takt oder der Rhythmus.

[...] dass es den Begriff des Klapperns als terminus technicus grundsätzlich gibt und dass er sich (zumindest bei den hier aufgeführten Beispielen) im weitesten Sinn irgendwie auf den ins Gedicht eingeschriebenen Rhythmus bezieht?
Lieber sufnus, du rennst
a) offene Türen ein: Den Terminus gibt es unbestritten

und

b) worauf er sich aber genau bezieht, ist weiterhin unklar.

Mir scheint Brechts Hinweis auf die alternierenden Metren vielversprechend: Es geht um die stereotype Wiederholung des gleichen Versfußes, der zum vortragenden Klappern (alias: Leiern) führt, sofern ihm im Vortrag nicht das Gegenmittel der Geschwindigkeits- und/oder Akzentvariation verabreicht wird. Dafür sind natürlich Wortfolgen unterschiedlicher Länge wie auch längere Worte mit frei schwebender Betonung geeigneter, als Zweisilber, die über einen Jambus oder Trochäus laufen, ganz gleich, ob deren Grenzen überbrückt werden oder nicht. Unbestritten. Allerdings ist das eine ganz andere Aussage, als deine Theorie von der Wort-Metrums-Koinzidenz, die schlechthin (d.h. auch ohne jeden Vortrag) klappert.

Du kannst dir viel Arbeit ersparen, wenn du dich auf diesen Punkt konzentrierst.

Danke für deinen (etwas ausgeuferten) Beitrag

Grüße
JB
 



 
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