eufemiapursche
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Dies ist die Geschichte zum "Abschiedsbrief" in der Rubrik Herzschmerz die bisher erst zwei Menschen kennen.
Ich lege sie behutsam und sehr unsicher in eure Hände.
Es ist kein Märchen - die Geschichte ist leider wahr.
Leben - welche Freude
Seit Stundentenzeiten waren ein Kopfmann und eine Bauchfrau ein Paar, das sich wundervoll ergänzte. So beschlossen sie, für immer zusammen zu bleiben. Und wie in rosaroten Romanen heirateten sie mit allem Drum und Dran und bekamen zwei wundervolle Kinder.
Kopfmann und Bauchfrau liebten sich und stritten auch schon mal ein bisschen, aber das soll ja gut für den Kreislauf sein. Der Kopfmann unterstützte seine Bauchfrau nach bestem Wissen, ihre Bauchgefühle auszuleben, und die Bauchfrau war stolz auf ihren Kopfmann und seinen brillanten messerscharfen Geist.
Da wollte das große Schicksal über allen Menschen den Kopfmenschen prüfen und ihn zwingen, auf seinen Geist zu verzichten. Es pflanzte einen pampelmusgroßen Tumor mitten in seinen Kopf.
Die Ärzte schüttelten bedenklich den Kopf. "Wenn Sie noch ein Jahr leben möchten, müssen wir sofort operieren. Sonst haben Sie nur noch ein paar Wochen..." "Was ist der Preis?", fragte der Kopfmann. "Wir schneiden die Sprache, die Bewegung der rechten Körperseite und das Denkzentrum heraus. Keine Sorge, Sie werden nichts davon merken. Ach ja, und unterschreiben Sie hier vielleicht Ihr Einverständnis zu Forschungszwecken? Sehr seltener Fall. Höchst interessant. Wirklich." Großzügig gaben die Ärzte zwei Tage Bedenkzeit. Viel, wenn man beginnt, das Leben in Wochen zu zählen.
Der Kopfmann und seine Bauchfrau schauten einander in die Augen. Die Bauchfrau wollte im ersten Augenblick spontan einfach das längere Leben. In den Augen ihres Kopfmannes stand ein trotziges Blitzen. Da wusste die Bauchfrau: seine Entscheidung stand, und sie unterdrückte ihren Wunsch. Dieser Kampfgeist im Blick machte ihr Mut. Sie umarmte ihren Kopfmann und sagte: "Du zeigst ihnen allen, dass du dieses Jahr auch ohne OP schaffst." Der Kopfmann legte seinen Kopf auf den Bauch seiner Bauchfrau, und während sie über seine Haare strich, spürte sie, wie er die Hände zu Fäusten ballte und sagte: "Ich werde leben. Wenn vielleicht auch nur noch eine Woche. Aber diese Woche zu Hause bei dir."
Beide hielten sich umarmt und dachten an den Spruch mit den guten und schlechten Zeiten vor so langer Zeit, als sie ihm noch keine Bedeutung schenkten. Dann straffte sich der Körper des Kopfmannes. Er ging zu den Ärzten und erklärte: "Ich werde leben. Was ich unter Leben verstehe. Und wenn es nur eine Woche ist. Ich lasse niemanden an meine CPU. Fangen Sie sich für die Forschung einen neuen. Ich habe nur dieses eine Leben."
Die Bauchfrau war noch nie so stolz auf ihren Kopfmann gewesen wie in diesem Augenblick. Und auch noch nie so traurig.
Dann begann für Kopfmann, Bauchfrau und ihre Kinder eine Zeit, die der Kopfmann als "mein einziges Leben" bezeichnet hatte. Zu Beginn waren alle damit beschäftigt, sich auf die neue Situation einzustellen. Der Kopfmann telefonierte mit der Verwandtschaft, mit Freunden und Kollegen und erzählte ihnen, dass er gerade sein neues einziges Leben beginnen wolle. Er lud sie ein daran teilzunehmen solange es noch ging. Der Kopfmann wünschte sich Festgelage mit frohen Gesichtern. Die den Mut hatten zu kommen haben es nie bereut. Er machte es ihnen leicht, schien wie immer und schien die Abschiede zu genießen. Kopfmann und Bauchfrau hatten nun auf einmal so viel Zeit füreinander wie zu Beginn ihrer Partnerschaft in Studententagen. Sie nutzten die Zeit mit Gesprächen, mit Kuscheln im Bett, mit ausgiebigen Frühstücken und langen Spaziergängen. Denn der Kopfmann wusste, dass seine Beine vom Druck des wachsenden Tumors bald nicht mehr laufen würden.
Er fing an zu malen wie früher, besessen, zum Erstaunen seiner Bauchfrau mit der linken Hand. "Wenn die rechte gelähmt ist, kann ich das dann länger", erklärte er kurz und sortierte seine Bilder.
Dann drängte er, alles zu regeln für die Zeit nach seinem Leben. Die Bauchfrau fuhr ihn eine Zeitlang morgens ins Büro - nun ohne seine dichten dunklen Haare, kahlköpfig durch die Strahlen. Er wollte auch dort alles regeln, und viele Kollegen, die ihn mit Tränen in den Augen begrüßten, lud er ein, uns zu besuchen und wies sie an, auf dieses und jenes zu achten bei der Umstrukturierung.
Die Bauchfrau spürte instinktiv wie gut ihm das so normal wie möglich Leben tat und vermied die üblichen Ratschläge, sich zu schonen, viel zu ruhen. "Ruhen werde ich bald noch genug", antwortete er dann sarkastisch. Die Bauchfrau fuhr überall hin mit ihm, wo er sich an alten Stätten von Bäumen und Plätzen und Häusern und Wäldern tief einatmend verabschiedete.
Die Bauchfrau hatte zu diesem Zeitpunkt bereits wieder begonnen zeitweise zu arbeiten weil sie seine Unruhe über das Weiterkommen sah. So lächelte sie morgens ihre neuen Kollegen an und nachmittags und abends die Kinder und den Mann.
Dann begann sehr schnell die Zeit in der der Tumor wie versprochen die rechte Seite lähmte und ihm auch Stück für Stück die Sprache nahm. Aber seinen Geist, den hat er nie verloren, der war unverändert klar. Der Kopfmann reagierte sehr unwillig auf die Veränderungen, und da er ein Kopfmann war, zeigte er seine Tränen in Form von Wut und Agressivität gegen seine Bauchfrau. Die weinte alle seine Tränen und auch ihre nachts am Fenster stehend aus - drehte sich um und sah die Verzweiflung in seinem Gesicht.
Die starken Medikamente zeigten ihre Nebenwirkungen. Ursprünglich berechnet für ein paar Wochen schluckte er sie nun schon über ein Jahr. Unförmig aufgedunsen, tiefe Geschwüre an Po und Bein. Dann die Erniedrigung, Katheter und Windel zu tragen weil die Lähmung wuchs und kurze Zeit später den Schlauch in den Magen. Die Sprache aufrecht erhalten solange es geht. Das hatte ich ihm versprochen. Als die Muttersprache schwand, holten wir die Wörter über Englisch und Französisch her. Und bei jedem mühsamen Formen ging ein Leuchten über sein Gesicht. Die letzten Worte, die fast bis zum Schluss blieben: "Es ist eine Freude." Und: "Lecker, gut!" Und immer, immer blieb sein Geist nur er.
Durch den starken Druck im Kopf fingen die epileptischen Anfälle an. Grausamer Anblick für die Kinder und mich. Habe mich noch nie so hilflos gefühlt. Die ersten Male ging es mit tatütata ins Krankenhaus wo er widerwillig ein paar Tage blieb.
In dieser Zeit hielten viele den Anblick schon nicht mehr aus. Beschworen mich wie die Ärzte: "Lass ihn im Krankenhaus. Das ist nicht zu schaffen." Die Ärzte versprachen hohe Dosen Morphium, so würde er das Krankenhaus gar nicht merken. Ich schaute in seine angstvollen Augen und nahm ihn auf eigene Verantwortung, wie das so schön heißt, wieder mit nach Haus.
Musste versprechen, ihn bei jedem neuen Anfall sofort wieder einliefern zu lassen. Und davor hatte er genau so große Angst wie ich.
Zwischen Weihnachten und Neujahr, nun 1 1/2 Jahre nach der Diagnose, kündigte sich nachts der nächste Anfall an. Bevor das Beben seinen Körper durchschüttelte, beschwor ich ihn: "Du bleibst da". Er hatte seinen Blick fest auf meinen gerichtet. Ich steckte schnell die Schmalseite des Taschenbuches, aus dem ich ihm gerade vorgelesen hatte, zwischen seine Zähne. Dann nahm ich seinen nun unkontrolliert bebenden Kopf zwischen meine Hände. Meinen Blick fest auf seinen gerichtet, floss völlig angstfrei aus mir heraus: "Ich kann dir das Sterben nicht abnehmen. Aber ich werde dir die Schmerzen wegnehmen. Mach genau, was ich sage." In seinen Augen stand etwas wie "JA". Ich habe den Blick nicht von seinen Augen genommen und forderte ihn auf: "Schiebe jetzt den Druck aus deinen Augen in meine." Das Ganze mag drei oder vier Minuten gedauert haben. Irgendwann löste sich etwas in ihm, und er gab es ab. Dann flachte der Anfall ab, und er war sogar in der Lage zu lächeln als ich das zerbissene Buch aus seinem Mund nahm. Mühsam formulierte er: "Gut. Lecker." Ich habe ihn vor Erleichterung umarmt.
Seit dieser Nacht hat er keinen Anfall mehr bekommen. Ich habe die Schmerzmittel nach und nach reduziert, so dass er wieder klar, wenn auch schwach, an allem Anteil nahm. Die Sylvesternacht zu 1995 wuchtete ich sein Bett ans Fenster. Er schaute das Feuerwerk an und sagte ein letztes Mal verständlich "Welche Freude!".
Der Arzt konnte nicht erklären, wieso der Druck nicht mehr da war, weil der Tumor mittlerweile deutlich unter der Kopfhaut hervortrat. Es gibt eben Dinge, die können auch Ärzte nicht verstehen.
Am 8. Februar 1995 hat der Kopfmann gewartet, bis seine Bauchfrau mittags von der Arbeit kam. Sie schauten sich an, und wir wussten beide - der Augenblick war da. Ich nahm wieder sein Gesicht in meine Hände und flüsterte sanft: "Wenn du gehen möchtest, dann geh. Es ist gut." Er konnte nicht mehr antworten. Aber in seinen Augen stand: "Welche Freude!" Und als das Licht sich in ihnen brach, durfte ich sie ihm schließen und dachte an seinen Satz: "Ich werde leben......"
Ich lege sie behutsam und sehr unsicher in eure Hände.
Es ist kein Märchen - die Geschichte ist leider wahr.
Leben - welche Freude
Seit Stundentenzeiten waren ein Kopfmann und eine Bauchfrau ein Paar, das sich wundervoll ergänzte. So beschlossen sie, für immer zusammen zu bleiben. Und wie in rosaroten Romanen heirateten sie mit allem Drum und Dran und bekamen zwei wundervolle Kinder.
Kopfmann und Bauchfrau liebten sich und stritten auch schon mal ein bisschen, aber das soll ja gut für den Kreislauf sein. Der Kopfmann unterstützte seine Bauchfrau nach bestem Wissen, ihre Bauchgefühle auszuleben, und die Bauchfrau war stolz auf ihren Kopfmann und seinen brillanten messerscharfen Geist.
Da wollte das große Schicksal über allen Menschen den Kopfmenschen prüfen und ihn zwingen, auf seinen Geist zu verzichten. Es pflanzte einen pampelmusgroßen Tumor mitten in seinen Kopf.
Die Ärzte schüttelten bedenklich den Kopf. "Wenn Sie noch ein Jahr leben möchten, müssen wir sofort operieren. Sonst haben Sie nur noch ein paar Wochen..." "Was ist der Preis?", fragte der Kopfmann. "Wir schneiden die Sprache, die Bewegung der rechten Körperseite und das Denkzentrum heraus. Keine Sorge, Sie werden nichts davon merken. Ach ja, und unterschreiben Sie hier vielleicht Ihr Einverständnis zu Forschungszwecken? Sehr seltener Fall. Höchst interessant. Wirklich." Großzügig gaben die Ärzte zwei Tage Bedenkzeit. Viel, wenn man beginnt, das Leben in Wochen zu zählen.
Der Kopfmann und seine Bauchfrau schauten einander in die Augen. Die Bauchfrau wollte im ersten Augenblick spontan einfach das längere Leben. In den Augen ihres Kopfmannes stand ein trotziges Blitzen. Da wusste die Bauchfrau: seine Entscheidung stand, und sie unterdrückte ihren Wunsch. Dieser Kampfgeist im Blick machte ihr Mut. Sie umarmte ihren Kopfmann und sagte: "Du zeigst ihnen allen, dass du dieses Jahr auch ohne OP schaffst." Der Kopfmann legte seinen Kopf auf den Bauch seiner Bauchfrau, und während sie über seine Haare strich, spürte sie, wie er die Hände zu Fäusten ballte und sagte: "Ich werde leben. Wenn vielleicht auch nur noch eine Woche. Aber diese Woche zu Hause bei dir."
Beide hielten sich umarmt und dachten an den Spruch mit den guten und schlechten Zeiten vor so langer Zeit, als sie ihm noch keine Bedeutung schenkten. Dann straffte sich der Körper des Kopfmannes. Er ging zu den Ärzten und erklärte: "Ich werde leben. Was ich unter Leben verstehe. Und wenn es nur eine Woche ist. Ich lasse niemanden an meine CPU. Fangen Sie sich für die Forschung einen neuen. Ich habe nur dieses eine Leben."
Die Bauchfrau war noch nie so stolz auf ihren Kopfmann gewesen wie in diesem Augenblick. Und auch noch nie so traurig.
Dann begann für Kopfmann, Bauchfrau und ihre Kinder eine Zeit, die der Kopfmann als "mein einziges Leben" bezeichnet hatte. Zu Beginn waren alle damit beschäftigt, sich auf die neue Situation einzustellen. Der Kopfmann telefonierte mit der Verwandtschaft, mit Freunden und Kollegen und erzählte ihnen, dass er gerade sein neues einziges Leben beginnen wolle. Er lud sie ein daran teilzunehmen solange es noch ging. Der Kopfmann wünschte sich Festgelage mit frohen Gesichtern. Die den Mut hatten zu kommen haben es nie bereut. Er machte es ihnen leicht, schien wie immer und schien die Abschiede zu genießen. Kopfmann und Bauchfrau hatten nun auf einmal so viel Zeit füreinander wie zu Beginn ihrer Partnerschaft in Studententagen. Sie nutzten die Zeit mit Gesprächen, mit Kuscheln im Bett, mit ausgiebigen Frühstücken und langen Spaziergängen. Denn der Kopfmann wusste, dass seine Beine vom Druck des wachsenden Tumors bald nicht mehr laufen würden.
Er fing an zu malen wie früher, besessen, zum Erstaunen seiner Bauchfrau mit der linken Hand. "Wenn die rechte gelähmt ist, kann ich das dann länger", erklärte er kurz und sortierte seine Bilder.
Dann drängte er, alles zu regeln für die Zeit nach seinem Leben. Die Bauchfrau fuhr ihn eine Zeitlang morgens ins Büro - nun ohne seine dichten dunklen Haare, kahlköpfig durch die Strahlen. Er wollte auch dort alles regeln, und viele Kollegen, die ihn mit Tränen in den Augen begrüßten, lud er ein, uns zu besuchen und wies sie an, auf dieses und jenes zu achten bei der Umstrukturierung.
Die Bauchfrau spürte instinktiv wie gut ihm das so normal wie möglich Leben tat und vermied die üblichen Ratschläge, sich zu schonen, viel zu ruhen. "Ruhen werde ich bald noch genug", antwortete er dann sarkastisch. Die Bauchfrau fuhr überall hin mit ihm, wo er sich an alten Stätten von Bäumen und Plätzen und Häusern und Wäldern tief einatmend verabschiedete.
Die Bauchfrau hatte zu diesem Zeitpunkt bereits wieder begonnen zeitweise zu arbeiten weil sie seine Unruhe über das Weiterkommen sah. So lächelte sie morgens ihre neuen Kollegen an und nachmittags und abends die Kinder und den Mann.
Dann begann sehr schnell die Zeit in der der Tumor wie versprochen die rechte Seite lähmte und ihm auch Stück für Stück die Sprache nahm. Aber seinen Geist, den hat er nie verloren, der war unverändert klar. Der Kopfmann reagierte sehr unwillig auf die Veränderungen, und da er ein Kopfmann war, zeigte er seine Tränen in Form von Wut und Agressivität gegen seine Bauchfrau. Die weinte alle seine Tränen und auch ihre nachts am Fenster stehend aus - drehte sich um und sah die Verzweiflung in seinem Gesicht.
Die starken Medikamente zeigten ihre Nebenwirkungen. Ursprünglich berechnet für ein paar Wochen schluckte er sie nun schon über ein Jahr. Unförmig aufgedunsen, tiefe Geschwüre an Po und Bein. Dann die Erniedrigung, Katheter und Windel zu tragen weil die Lähmung wuchs und kurze Zeit später den Schlauch in den Magen. Die Sprache aufrecht erhalten solange es geht. Das hatte ich ihm versprochen. Als die Muttersprache schwand, holten wir die Wörter über Englisch und Französisch her. Und bei jedem mühsamen Formen ging ein Leuchten über sein Gesicht. Die letzten Worte, die fast bis zum Schluss blieben: "Es ist eine Freude." Und: "Lecker, gut!" Und immer, immer blieb sein Geist nur er.
Durch den starken Druck im Kopf fingen die epileptischen Anfälle an. Grausamer Anblick für die Kinder und mich. Habe mich noch nie so hilflos gefühlt. Die ersten Male ging es mit tatütata ins Krankenhaus wo er widerwillig ein paar Tage blieb.
In dieser Zeit hielten viele den Anblick schon nicht mehr aus. Beschworen mich wie die Ärzte: "Lass ihn im Krankenhaus. Das ist nicht zu schaffen." Die Ärzte versprachen hohe Dosen Morphium, so würde er das Krankenhaus gar nicht merken. Ich schaute in seine angstvollen Augen und nahm ihn auf eigene Verantwortung, wie das so schön heißt, wieder mit nach Haus.
Musste versprechen, ihn bei jedem neuen Anfall sofort wieder einliefern zu lassen. Und davor hatte er genau so große Angst wie ich.
Zwischen Weihnachten und Neujahr, nun 1 1/2 Jahre nach der Diagnose, kündigte sich nachts der nächste Anfall an. Bevor das Beben seinen Körper durchschüttelte, beschwor ich ihn: "Du bleibst da". Er hatte seinen Blick fest auf meinen gerichtet. Ich steckte schnell die Schmalseite des Taschenbuches, aus dem ich ihm gerade vorgelesen hatte, zwischen seine Zähne. Dann nahm ich seinen nun unkontrolliert bebenden Kopf zwischen meine Hände. Meinen Blick fest auf seinen gerichtet, floss völlig angstfrei aus mir heraus: "Ich kann dir das Sterben nicht abnehmen. Aber ich werde dir die Schmerzen wegnehmen. Mach genau, was ich sage." In seinen Augen stand etwas wie "JA". Ich habe den Blick nicht von seinen Augen genommen und forderte ihn auf: "Schiebe jetzt den Druck aus deinen Augen in meine." Das Ganze mag drei oder vier Minuten gedauert haben. Irgendwann löste sich etwas in ihm, und er gab es ab. Dann flachte der Anfall ab, und er war sogar in der Lage zu lächeln als ich das zerbissene Buch aus seinem Mund nahm. Mühsam formulierte er: "Gut. Lecker." Ich habe ihn vor Erleichterung umarmt.
Seit dieser Nacht hat er keinen Anfall mehr bekommen. Ich habe die Schmerzmittel nach und nach reduziert, so dass er wieder klar, wenn auch schwach, an allem Anteil nahm. Die Sylvesternacht zu 1995 wuchtete ich sein Bett ans Fenster. Er schaute das Feuerwerk an und sagte ein letztes Mal verständlich "Welche Freude!".
Der Arzt konnte nicht erklären, wieso der Druck nicht mehr da war, weil der Tumor mittlerweile deutlich unter der Kopfhaut hervortrat. Es gibt eben Dinge, die können auch Ärzte nicht verstehen.
Am 8. Februar 1995 hat der Kopfmann gewartet, bis seine Bauchfrau mittags von der Arbeit kam. Sie schauten sich an, und wir wussten beide - der Augenblick war da. Ich nahm wieder sein Gesicht in meine Hände und flüsterte sanft: "Wenn du gehen möchtest, dann geh. Es ist gut." Er konnte nicht mehr antworten. Aber in seinen Augen stand: "Welche Freude!" Und als das Licht sich in ihnen brach, durfte ich sie ihm schließen und dachte an seinen Satz: "Ich werde leben......"