(Lese-)Tagebuch

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zeitistsein

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Wie weiss man das Verfallsdatum von Ideen?
Zugegeben: Einfach herauszufinden ist das nicht.
Und doch gibt es Indikatoren.
Hat sich zum Beispiel der Computer eingebürgert, erübrigt sich doch das Schreiben mit Schreibmaschine. Oder?
Natürlich hat die Schreibmaschine einen ganz anderen Charme als der Compi. Man spürt das Vergehen der Zeit ganz anders, muss vielleicht mal mehrere Blätter von der Walze reissen und sie zerknüllt in den Papierkorb werfen. Die dabei vorhandene Sinnlichkeit ersetzt das virtuelle Schreiben bei Weitem nicht, so viel ist klar.
Aber das sollte ja nur ein Beispiel sein, mit dem ich heute meine Bekannte S. konfrontiert habe.
Sie wollte das nicht einsehen. Sie hält sich für hartnäckig und beharrlich, ich finde sie stur und kindisch. Loslassen gehört zum Erwachsensein dazu, wollte ich ihr beibringen. Aber sie meint nein, nein und nochmal nein. Wie ein verzogenes Kind eben.
Worum es geht: Um das ganz grosse Werk. Die lange erwartete Botschaft an die Welt, die S., wie sie meint, schon längst geschrieben hätte, wären da nicht die Störfaktoren gewesen, an denen natürlich die ganze Welt, Gott inklusive, Schuld ist.
Jetzt will sie es nochmal mit dem Buch versuchen. Und sie weiss auch wie. Da ist nämlich ein Verlag...bla, bla, bla.
Ich höre regungslos zu und trauere innerlich, wie ein Mensch sich da vergeblich an etwas längst Vergangenem abarbeitet. Wie eine Maus, die aus einem Wasserkübel herauszuklettern versucht - so kommt mir S. vor. Immer wieder gleitet sie hinab, ihre Bemühungen enden im Nichts.
Ich möchte ihr sagen, dass sie es doch sein lassen soll. Dass sie sich eine erneute Enttäuschung einhandeln wird. Dass ihr Buch nicht publiziert wird.
Aber wer bin ich, ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen? Darf ich das überhaupt?
Insgeheim scheint sie am Erfolg ihres Vorhabens zu zweifeln, sonst würde sie mir nicht ständig davon erzählen, ohne es endlich in die Tat umzusetzen.
Wieso sollte man meine Sachen nicht publizieren?, fragte sie neulich.
Ja, wieso eigentlich?, habe ich daraufhin laut nachgedacht.
Die Gründe liegen eigentlich auf der Hand: Du bist raus aus dem Kuchen. Nicht mal ein Hans Saner, der von der Akademie ausgegrenzt wurde, hatte es leicht, sein Schrifttum an den Mann und die Frau zu bringen.
Es gab damals kein Selfpublishing -ja, geschenkt! -, aber mir geht's ums Prinzip.
Um in der akademischen Welt wahr-, geschweige denn ernstgenommen zu werden, muss man dazugehören. Das System zeichnet sich durch Endogamie aus.
Die Theorien und Methoden haben sich weiterentwickelt; die Gespräche sind weitergegangen, es ändern sich die ungeschriebenen Gesetze darüber, was sich gehört und was nicht. Wer aus dem Elfenbeinturm raus ist, kriegt von alledem nichts mit und tritt unweigerlich in Fettnäpfchen. Die ganze Liebesmüh, die für so eine Publikation draufgeht - alles verloren! Zurück bleibt ein gebrochenes Herz.
Aber S. will davon nichts wissen. Sie hält sich für das unerkannte Genie der Germanistik und ist fest entschlossen, einen neuen Anlauf zu starten.
Worüber willst du überhaupt schreiben?
Mir wird schon was einfallen, meinte sie und zeigte auf die Verlags-Webseite, wo an vorderster Front ein ganzer Rattenschwanz von Koryphäen aus dem Fach erscheint. Für S. sind sie ihr künftiges Publikum, dem sie zeigen will, was sie drauf hat, für mich erscheinen sie als Mauer, die Eindringlinge abwimmeln soll.
Ich wünsche S. Glück, das Glück des Loslassens und des rechtzeitigen Umkehrens, bevor sie, einmal mehr, gegen die Mauer prallt.
 
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zeitistsein

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Ich habe neuerdings viele Blackouts. Nicht weil ich an einer neurologischen Erkrankung leide (hoffe ich jedenfalls), sondern weil mich die Fragen und Anmerkungen meiner Kundinnen und Kunden einfach sprachlos zurücklassen.
Bei der Wende 1989-1990 ging es wohl wie in einem James-Bond-Film zu, musste ich mir heute anhören.
Da war ich einfach platt.
Denn der Satz kam aus dem Munde einer relativ jungen Frau (sie muss so Ende 20 sein), die offenbar keine Ahnung hat, wie sich die Angst vor einem Atomkrieg anfühlt, die die Schrecken einer Diktatur weder von nah noch von fern je am eigenen Leib erfahren hat und schlimmer noch: die sich via Sprache nicht mal die Mühe macht, sich einzufühlen. Wie ein Action-Film, sagt sie. Irgendwie Fiktion, erfunden, realitätsfern.
Das hat mich schockiert. Fiktionalisierung menschlichen Leids als Entmenschlichung der Leidenden. Furchtbar.
Des Weiteren hatte Mutter heute keinen guten Tag. Sie erging sich über alle Leute, die sie nervten, sie irgendwann mal schlecht behandelt hatten, die sie nicht mochte, die die falsche Politik betrieben sowie über Nachbarinnen, die, indem sie ihre Wäsche im Innenhof aufhängten, die Fenster des unteren Stockwerks verdeckten.
Selbstverständlich bin auch ich von Mutters Kritikwelle nicht ausgenommen. Sie macht mich indirekt herunter. Durch fiese Andeutungen, die ich natürlich inzwischen gut erkenne und immer schon kommen sehe und die deswegen nicht weniger schmerzhaft sind.
Zum Beispiel hat sie mir heute in Erinnerung gerufen, für wie unfähig mich die ganze Familie immer gehalten hatte. Dabei verdreht sie natürlich Gesprächsinhalte, gibt diese nur bruchstückhaft wieder, sodass sie zu der Botschaft passen, die sie mir übermitteln will.
Ich durchschaue ihr Spiel, versuche aber dennoch diskret mitzuspielen, in der Hoffnung, sie, die im Aufdecken des Hinterhalts so gut ist, würde meine verdeckten Botschaften wiederum erfassen.
Und sie tut das. Sie weiss sehr wohl, dass sie, indem sie ein schlechtes Vorbild für mich war, mich als Projektionsfläche für ihr eigenes Scheitern sieht, auf die sie ihren ganzen Frust abwälzt. Mutter braucht solche Symbiosen; sie sind ihr Lebenselixier. Nähe und Zerstörung gehören für sie untrennbar zusammen und ich spiele mit, weil ich um die existenzielle Bedeutung dieses Spiels für sie weiss. Jemand anderem würde ich das nicht zumuten wollen. Mit mir soll sie's machen; alle anderen soll sie bitte davon verschonen.
Ich ziehe alle Register, um sie von diesem destruktiven Beziehungsmuster abzubringen. Denn mein Vertrauen in das menschliche Erkenntnisvermögen ist noch nicht ganz erloschen. Auch nicht in Mutters Gewissen. Manchmal bezweifle ich, ob sie eins hat. Dann aber blitzen Funken von Gewissensbissen auf, die mich vermuten lassen: Doch, da ist sowas wie Selbstreflexion vorhanden. Darauf baue ich. Menschen wissen um ihre Fehler, selbst wenn sie das nie zugeben würden und die Schuld oberflächlich betrachtet immer auf andere schieben.
Heute habe ich also gedacht, ich probiere es mit Jesus. Meine Mutter hadert sowieso immer mit der Kirche, der Bibel, mit Religion überhaupt, die ihrer Meinung nach nichts als Ausbeutung im Sinn habe. Und sie stellt viele Fragen dazu. Wie kann es sein, dass ein gütiger Gott solch hässliche Kriege zulässt?, will sie wissen. Wenn Mutter solche Fragen stellt, weiss ich nie ganz genau, ob diese einer echten Bekümmernis entstammen, ja ihnen gar eine Art Weltschmerz zugrunde liegt oder ob sie mich einfach auf die Probe stellen will, nach dem Motto: So, du, die Intellektuelle: Jetzt überzeug mich mal, wenn du schon, ach, so gescheit bist.
Ja, für Mutter ist alles ein Kampf; es geht immer um Siegen und Verlieren.
Und so ist es wohl auch in dieser Sache.
Heute sprach sie nicht vom Glauben, aber sie hatte halt diese den ganzen lieben langen Tag nicht enden wollende Rage und Angriffslust auf die ganze Welt. Zwischendurch waren wir noch gemütlich spazieren - auch das hat mich Kraft gekostet, sie dazu zu bringen, nach draussen zu gehen. Der Abend war wunderbar windstill, so wie man es in diesen Breitengraden nur selten kennt, die Temperaturen frühlingshaft. Und so spazierten wir also ganz langsam. Ich hakte ihren Arm in meinem ein und streichelte sanft ihre Hand, auf dass Mutter sich nach und nach beruhigen möge, was sie dann auch tat.
Innerlich hatte es dennoch weiter in ihr gebrodelt. Denn als wir wieder zu Hause angekommen waren, ging die Lästererei wieder von vorne los.
Ich liess sie, wie immer, ausreden und brachte dann eben Jesus ins Spiel, als ich das Gefühl hatte, sie sei jetzt durch mit der Feindesliste.
Weisst du, Mama, sagte ich, Jesus ist für unsere Sünden am Kreuz gestorben.
Mutter schaute mich entgeistert an.
So. Meinte sie. Ist er das? Hakte sie mit unüberhörbarem Hohn nach.
Ja. Antwortete ich ernst.
Mit dem Kreuzestod will die Bibel uns mitteilen, dass keine Rache mehr nötig ist, weil Jesus schon alle Verfehlungen vergolten hat. Alle Verfehlungen, die vergangenen und auch alle zukünftigen, die möglichen und die unmöglichen. Du kannst deinen Zorn ablegen, Mutter. Es ist alles erledigt. Alles bezahlt. Dein Rechnungsbetrag beträgt Null Komma Null.
Ich bin selbst überrascht, dass ich das alles so in Worte fassen kann, ich, die jetzt nicht die Vorzeigegläubige bin. Aber ich merke, dass Mutters Gesichtszüge sich entspannen, während ich ihr das ganz ruhig, am Küchentisch sitzend, mitteile.
Also nutze ich die Gelegenheit um noch etwas auszuholen und zitiere das Alte Testament, weil dort das Wort "Rache" vorkommt, das Mutter gut versteht und an dem sie auch hängt.
"Die Rache ist mein, spricht der Herr", sage ich zu Mutter. Das heisst, du musst dich nicht dafür abmühen; Mutter. Gott übernimmt das für dich bzw. hat das in der Gestalt Jesu Christi bereits übernommen.
Jetzt lacht Mutter und in ihren Augen ist plötzlich ein Glanz, den ich so noch nie gesehen habe.
Dann paraphrasiert sie: Ach so! Alles beglichen. Keine Schulden mehr.
Genau, sage ich. Und lege nach: Kaution bezahlt. Von deinem Schöpfer höchstpersönlich.
Dann stehe ich auf, räume den Tisch ab und wasche ab. Mutter bleibt noch eine Weile schweigend sitzen.
Dann steht auch sie auf und nimmt einen alten Kochtopf, dessen Boden voller schwarzer Brandflecken ist.
Ich finde, dieser Topf könnte eine Tiefenreinigung vertragen, Mutter. Findest du nicht auch?
Mutter nickt und schweigt immer noch.
Dann machen wir uns ans Werk. Mutter tröpfelt ein wenig Scheuermittel auf die schwarzen Flecken und ich reibe ein bisschen mit Stahlwolle. Dann spüle ich alles mit dem Handdampfreiniger ab, der die schwarze Flüssigkeit locker flockig vom Bodenaufsatz des Topfes wegbläst.
Mutter steht währenddessen neben mir, beobachtet alles, immer noch stillschweigend.
Ist das nicht toll, Mama? Sage ich, auf den Dampfreiniger verweisend.
Mutter sagt: Ja, wirklich.
Dann wische und trockne ich den Topf noch ab.
Flecken beseitigt.
Wir dürfen uns beruhigt schlafen legen.
 
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zeitistsein

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Also, die Woche hat ja wieder mal gut angefangen!
Da versetzte mich der für heute Mittag fix eingeplante Kunde doch glatt zum zweiten Mal.
Ich schrieb ihn an, ob er gedenke, den Termin wahrzunehmen, denn ich hatte ja schon eine Viertelstunde auf ihn gewartet. Und prompt kam die Antwort, ob wir den Termin "jetzt" abhalten könnten.
Einfach so. Ohne Sorry für die Verspätung. Ohne alles.
Ja, ist es denn die Möglichkeit?, habe ich mir gedacht. Sind wir hier im Urwald oder was?
Nein, so geht das nicht.
Ich habe dem Kunden mit Kopie an meinen Vorgesetzten zurückgeschrieben, dass ich unter diesen Umständen den Kurs nicht weiterführe und darum gebeten, den Kunden abgeben zu können.
Dann auf einmal schrieb der Kunde wieder: Letzte Woche habe er absagen müssen, weil er erfahren habe, dass sein Vater nicht mehr lange leben würde.
Ach so. Um 13.35 Uhr war das letzten Montag, 5 Minuten nach dem vorgesehenen Lektionsbeginn.
Und heute? Was war der Grund für die viertelstündige Verspätung heute?
Keine Antwort.
Nun ja. Man hätte das ja letzte Woche schon erklären und eventuell um eine Auszeit bitten können, wenn man sich um den sterbenskranken Vater kümmern muss. Das wäre kein Problem gewesen.
Aber mich eine Woche arbeiten lassen und dann einfach nicht aufzutauchen - das finde ich total daneben. Sowas tut man nicht. Ausserdem ist das dem Arbeitgeber gegenüber, der den Kurs ja bezahlt, total respektlos.
Die Höhe war, dass mein Chef mich ermahnte, meine Unzufriedenheit nicht an den Kunden auszulassen, sondern professionell mit ihnen umzugehen.
Das war wirklich die Höhe!! Ich arbeite eine Woche lang gratis, werde vom Kunden versetzt und bin dann auch noch dilettantisch, weil ich Respekt für meine Arbeitszeit einfordere.
Meine Mutter fragt: Und? Wo ist denn jetzt dein Jesus mit der Vergebung aller Sünden? Nimm's locker; er hat ja alles schon bezahlt, also brauchst dich nicht weiter aufzuregen.
Sie sagt das natürlich nicht ohne Spott und ich weiss, dass die Hormone wohl mit mir durchgegangen sind; dass ich anders mit dem Kunden hätte reden müssen usf. Ich bin ja nicht blind für meine Versäumnisse. Und Jesus ist es auch nicht. Er hat mich als Mensch geschaffen, nicht als Engel. Er kennt das Warum und Wieso dieses Geschehnisses, blickt da noch tiefer durch, da er ja alles in der Hand hat und zu einem guten Ende führt.
Mutter merkt, dass mir die ganze Situation nahegeht und verzichtet gnädigerweise auf weitere Seitenhiebe. Ist schon gut, Schatz, sagt sie. Mach dir nichts draus. Und verlässt dann die Küche, um ein Nickerchen zu machen.
Wie das jetzt weitergehen soll mit der Schule, weiss ich nicht. Innerlich habe ich aber schon gekündigt. Man ist als Lehrperson einfach der Buhmann; jeder darf mit einem umspringen, wie ihm gerade danach ist.
Habe ich Alternativen?
Im Moment nicht.
 
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zeitistsein

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Schreiben scheint tatsächlich eine klärende Wirkung zu haben. Nach meinem vorherigen Tagebucheintrag erschien die Antwort glasklar vor meinem inneren Auge: Du musst kündigen. Und zwar sofort.
Das habe ich jetzt gemacht.
In freundlichem Ton habe ich alles begründet und meine Sicht der Dinge dargelegt. Das genaue Kündigungsdatum habe ich zur Diskussion gestellt - da ich keine andere Stelle in Aussicht habe, stehe ich auch nicht unter Druck - und einfach ein mögliches Enddatum vorgeschlagen.
Jetzt warte ich die Antwort ab.
 

Scal

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Ich las vor vielen Jahren, es war während einer längeren Zugfahrt, die Betrachtungen von Wolfgang Hildesheimer zur Thematik "Schreiben als Therapie" (Wolfgang Hildesheimer, Schönheit als Therapie). Daran erinnerte ich mich, als ich Deinem Erzählen, nun ja, "lauschte." Wahrlich interessant, dachte ich mir, auf welche Wege "Mutterbeziehungen" führen können.
Ich finde es schön, wie Du das stilistisch (§102) dargestellt hast.

"Ist das nicht toll, Mama? Sage ich, auf den Dampfreiniger verweisend.
Mutter sagt: Ja, wirklich.
Dann wische und trockne ich den Topf noch ab.
Flecken beseitigt."


Lieben Gruß
Scal
 

zeitistsein

Mitglied
Ich las vor vielen Jahren, es war während einer längeren Zugfahrt, die Betrachtungen von Wolfgang Hildesheimer zur Thematik "Schreiben als Therapie" (Wolfgang Hildesheimer, Schönheit als Therapie). Daran erinnerte ich mich, als ich Deinem Erzählen, nun ja, "lauschte." Wahrlich interessant, dachte ich mir, auf welche Wege "Mutterbeziehungen" führen können.
Ich finde es schön, wie Du das stilistisch (§102) dargestellt hast.

"Ist das nicht toll, Mama? Sage ich, auf den Dampfreiniger verweisend.
Mutter sagt: Ja, wirklich.
Dann wische und trockne ich den Topf noch ab.
Flecken beseitigt."


Lieben Gruß
Scal

Danke!
Ja, Schreiben hat durchaus was Therapeutisches.
Lieben Dank und viele Grüsse
Z
 

zeitistsein

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Ich unterhalte mich ja gern mit Andersdenkenden, denn die Welt ist nunmal weiter als der eigene Tellerrand und jeder - das ist meine Überzeugung - hat gute und für sich schlüssige Gründe für den eigenen Denkansatz.
Dabei geht es mir auch gar nicht darum, wer Recht hat. Der andere, mit dem ich gar nicht einig gehe, hat ja aus seiner Sicht Recht und ich kann vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte und der Lektüre, die er sich zu Gemüte führt auch nachvollziehen, warum er denkt, wie er denkt. Man kann ja einfach mal die Thesen des Anderen so stehen lassen, auch wenn sie einen anwidern, irritieren, was auch immer.
Und so bin ich neulich auf TikTok über einen Kanal gestolpert, der von einer fieberhaften AfD-Anhängerin betrieben wird. Die Dame ist schon älter und eigentlich ganz sympathisch so vom Aussehen und vom Auftreten her, also habe ich mir gedacht, ich folge ihr mal, um zu verstehen, wie eine junggebliebene, dynamische, immer noch fest im Berufsleben stehende Oma des 21. Jh. dazu kommt, eine rechtsradikale, menschenfeindliche Politik zu unterstützen.
Auf den Kopf gefallen ist die Frau auch nicht, immerhin sagt sie, sie habe zwei abgeschlossene Universitätsstudien und arbeite jetzt in einer Führungsposition.
Umso mehr überrascht mich die Naivität ihrer politischen Haltung.
Da hat sie neulich ein in Davos aufgezeichnetes Interview mit Robert Habeck gepostet, wo dieser der Presse bekanntgibt, dass der deutsche Staat - heisst: die Steuerzahler - für den Wiederaufbau der Ukraine aufgewendet werden. Ganze 400 Milliarden Euro sollen locker gemacht werden, um den in der Ukraine eingesetzten Firmen unter die Arme zu greifen.
Die TikTokerin war ganz aus dem Häuschen. Sie wetterte gegen die bestehende Regierung und meinte, mit ihrem Post eine unerhörte Enthüllung getätigt zu haben.
Dabei ist an Habecks Mitteilung gar nichts Überraschendes oder Neuartiges. 6% unserer Steuern fliessen direkt in die Rüstungsindustrie. Und das grundsätzlich, unabhängig davon, ob gerade Krieg in Europa herrscht oder nicht. In diesen Milliardentopf hat jeder deutsche - noch lebende oder längst verstorbene - Steuerzahler seine 6% eingezahlt. Ungefragt. Jeder kann sich selbst ausrechnen, wie viel das bei ihm jeweils ist.
Jetzt so zu tun, als mache die Regierung Kriegstreiberei und die AfD wäre die friedliche Alternative dazu ist blauäugig. Die AfD hat meines Wissens jedenfalls noch nicht die Abschaffung dieser unfreiwilligen 6% Kriegsfinanzierung durch jeden Einzelnen gefordert. Wenn sie das tut, kann man ja nochmal über einen Parteieintritt nachdenken.
Bis dahin ist sie mindestens genauso kriegstreiberisch wie alle anderen und von daher keine Alternative.
Als Schweizerin betrachte ich das einfach von aussen, aber dennoch mit Interesse und einer gewissen Besorgnis.
 

zeitistsein

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Jeder versucht, so gut er kann, sich einen Reim auf die aktuellen Geschehnisse zu machen. Man flüchtet sich dabei in Verschwörungstheorien und alle möglichen Weltuntergangsszenarien, auf dass man zumindest noch Kontrolle über die eigenen Ängste bewahren könnte. Wie abstrus die Dinge sind, die die Menschen dabei von sich geben, ist erschreckend.
Da ist zum Beispiel das von den USA finanzierte Militärkrankenhaus in Rammstein sowie die in der Nähe liegende Militärstation, wo die USA ebenfalls Angriffswaffen stationiert haben soll. Das sorgt für die wildesten Kriegsfantasien. Verwundete Soldaten, die die Fluren des noch im Rohbau befindlichen Krankenhauses füllen, erscheinen vor dem inneren Auge. Die Schweiz habe ihre Neutralität aufgegeben, heisst es und in Spanien wird demnächst der Madrider Flughafen erweitert. Einfach so. Ohne Vorankündigung. Der totale Krieg scheint sich anzubahnen.
Wie ist es soweit gekommen? Das fragen sich die Wenigsten, denn die Antwort ist sofort griffbereit: Die USA sind schuld, angefangen bei 9/11, was einzig die Schuld der CIA war, die die Türme zum Einstürzen gebracht habe, bis hin zu den aktuellen Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten, die auch von den USA angezettelt wurden.
Und so geht es weiter mit dem Spinnen der Erzählung, dass "da oben" eine Clique von blutrünstigen Tyrannen ist, die einfach nur unseren Untergang wollen.
Schon Ende der 80er Jahre warnte Paul Watzlawick vor der Gefahr solcher Hirngespinste, die die Verhärtung der Fronten zwischen "wir" und "den anderen" zur Folge hätten. Hier unten der kleine Mann mit seinen Alltagssorgen, dort oben die abgehobene Elite, die an diesen Sorgen vorbei regiert und agiert.
Watzlawick hat sich mit seiner These nicht nur Freunde ins Haus geholt. Man hat ihm vorgeworfen, dem amerikanischen Präsidenten nach dem Munde zu reden und die unterdrückten Völker für ihre eigene Unterdrückung verantwortlich zu machen.
Was man eben heute unterschätzt, ist die Macht des Bildschirms. Watzlawick konnte seine Thesen noch im Fernsehen äussern, als es noch kein Internet und keine sozialen Medien gab. Man hörte das und hatte Zeit zum Debattieren, bis die nächste Weltinterpretation in der Tagespresse zum Vorschein kam.
Heute aber reden die Menschen auf TikTok und überall, als wären sie im eigenen Wohnzimmer. Auf mich, die praktisch ohne Fernsehen aufgewachsen ist, macht das schon Eindruck. Bildschirm heisst für mich: Jetzt ist es besonders wichtig. Da macht jemand eine Ansprache an die Nation u.dgl.
Und da man das vertonte Bildmaterial auch noch Jahre nach dem Ableben der Autoren nachsehen und -hören kann, ist der Bildschirm fast so wie der Übermittler jenseitiger Botschaften - da richtet sich eine Stimme explizit an mich; ich bin gemeint. Das hat was Metaphysisches.
Der "Shift" zur Einstellung "Jetzt erzähle ich mal vor der Kamera, was ich zum Frühstück hatte", hat bei mir noch nicht stattgefunden. Und ich bin auch nicht sicher, ob ich das möchte.
Was ich sicher tun werde, ist diese ganzen Social-Media-Weisheiten, bei denen es letztlich nur um Klicks und Geld geht, mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis zu nehmen.
Da sprechen keine Propheten, sondern verängstigte Menschen auf der Suche nach Kleingeld und einer Prise Aufmerksamkeit.
 
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petrasmiles

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Liebe zeitistsein,

ich möchte hier auf Deinem Gedankenfaden sicher keine politische Diskussion lostreten, aber zur Ergänzung möchte ich doch in den Raum stellen, dass nicht alle Kritik gleich Verschwörungstheorien entspringt, und die fundamentale Auseinandersetzung immer zwischen oben (die die Regeln machen können) und unten (die sie zu erleben haben) stattfindet, stattgefunden hat und stattfinden wird. Egal, wie unübersichtlich der Einsatz der sozialen Medien sich auswirken mag.
Das war es aber auch schon.

Liebe Grüße
Petra
 

zeitistsein

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Liebe zeitistsein,

ich möchte hier auf Deinem Gedankenfaden sicher keine politische Diskussion lostreten, aber zur Ergänzung möchte ich doch in den Raum stellen, dass nicht alle Kritik gleich Verschwörungstheorien entspringt, und die fundamentale Auseinandersetzung immer zwischen oben (die die Regeln machen können) und unten (die sie zu erleben haben) stattfindet, stattgefunden hat und stattfinden wird. Egal, wie unübersichtlich der Einsatz der sozialen Medien sich auswirken mag.
Das war es aber auch schon.

Liebe Grüße
Petra
 

zeitistsein

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Carlsons Interview

Habe ich gesehen und gehört und kann die Schelte, die dem umstrittenen Journalisten zukommt, nicht ganz nachvollziehen. Er sei unkritisch gewesen, heisst es. Habe Putin gewähren lassen und ihm eine Bühne gegeben.
Ich finde, Carlson hat einen guten Job gemacht. Er war respektvoll, hat aber durchaus nachgehakt, z.B. was Polen und Ungarn betrifft: Wären Sie denn bereit, Mr. President, die Polen und Ungarn historisch zustehenden Teile der Ukraine ebenfalls für diese Länder "zurückzuerobern"?
Da hat sich Putin irgendwie rausgeschwurbelt.
Auch das gelegentliche Nachfragen, über welches Jahrhundert Putin gerade rede, fand ich rhetorisch geschickt. Carlson förderte damit zutage, wie realitätsfern Putin argumentierte. Er hatte die Ukraine des 21. Jh. überhaupt nicht im Blick, sondern liess sich lang und breit über historische Gefechte aus und wer wen angegriffen und verteidigt hatte.
Carlsons Frage, ob er sich denn nicht einfach mit dem US-Präsidenten an einen Tisch setzen und diese ganze Sache ein für alle Mal begleichen könne, fand ich ebenfalls berechtigt.
Und auch da hatte Putin keine überzeugende Antwort parat. Er hat den Ball einfach immer wieder an die USA zurückgespielt. Es sei deren Schuld, dass die Welt nun schon seit Jahren von einem drohenden Atomkrieg in Atem gehalten werde.
Er selbst scheint sich keiner Schuld bewusst zu sein. Das Wort "Angriffskrieg" nahm er schon gar nicht in den Mund, obwohl Carlson deutlich von "Invasion der Ukraine" sprach und Russlands territoriale Eroberungsbestrebungen auch so benannte.
Peinlich fand ich hingegen die Mappe, die sich Putin vor laufender Kamera von einem Mitarbeiter überreichen liess. Angeblich enthält diese Mappe die Beweise für Russlands historischen Anspruch auf die Ukraine. Sind wir denn im Fernsehen oder auf dem Grundbuchamt, habe ich mich gefragt. Das war also wirklich eine etwas hinterweltlerische Geste. Was soll eine solche Kartonmappe auch beweisen?
Carlson nahm sie entgegen und meinte, das werde jetzt seine Bettlektüre.
Also, insgesamt ein erhellendes Interview. Es brachte Putins O-Ton ans Licht und zeigte einen Mann, der noch im 8. Jahrhundert unterwegs ist und für den die Gegenwart keine Rolle zu spielen scheint.
Man spürt, dass er der Sowjetunion nachtrauert und fragt sich, warum das Zerfallene idealisiert werden muss und der Zerfall nicht auch als Befreiung erlebt werden kann.
Was gehört dazu, dass man die Erinnerung als zurechtgezimmerte Wirklichkeit durchschaut, die manches zulässt, anderes aber herausfiltert und sich so letztlich als Fiktion herausstellt?
Putin hat sich mit seinem Narrativ dessen, was die nahe und die ferne Vergangenheit mal waren, völlig identifiziert und von dieser Identifikation abzulassen dürfte ihm schwerfallen. Zu lange schon hält er an ihr fest.
Die Osterweiterung der NATO brachte er zur Sprache, aber mehr als Vorwand, um sich selbst als Opfer darzustellen.
Ich musste während des Interviews immer wieder an Angela Merkels Worte denken: "Wenn wir jetzt anfangen, durch die Jahrhunderte zu gehen und zu schauen, welcher Landstrich wem gehörte, haben wir in Europa nur noch Krieg und das geht auf gar keinen Fall."
Ich würde mir wünschen, der aktuelle russische Präsident sähe es genauso.
 
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zeitistsein

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Der Sonntag ist rum und wie im Flug vergangen.
Ich habe noch gearbeitet und für die Woche vorgekocht bzw. - gebacken. Wir backen das Brot ja seit ich denken kann selbst und frieren es dann für den Rest des Monats ein.
Draussen waren wir auch, wenngleich nur für eine halbe Stunde, weil dann der Nieselregen eingesetzt hat.
Immerhin. Eine kleine Runde um den Block ist immer noch besser als gar keine.
Auf den Strassen türmen sich die Abfallsäcke; es sieht hier langsam aber sicher so aus wie in einer Mülldeponie. In den Containern ist schon gar kein Platz mehr; da staut sich alles Mögliche: von Kehrichtsäcken, grossen wie kleinen, über Kartonschachteln bis hin zu Stühlen, Matratzen und zu entsorgenden Haushaltsgeräten.
Das alles wegen des Streiks der Müllabfuhr, der jetzt schon mehrere Tage anhält und der über die bevorstehenden Fastnachtstage bestimmt noch weitergezogen wird.
Das Café von gegenüber hat heute gar nicht aufgemacht, vermutlich um dem Gestank zu entgehen.
Auch sonst sieht man kaum Lichter an den Fenstern; die Leute zieht es weg von diesem Chaos; die allermeisten verfügen ja auch über ein Landhaus und haben sich wohl jetzt dorthin verzogen.
Es kann nie schaden, einen Zweitwohnsitz zu haben.
 

zeitistsein

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Schreiben als Selbstdarstellung.
Keine Kommunikation erwünscht.
Kein Zusammenprall der Sterne.
Keine neue Welt entsteht.
Alles unfruchtbar, autark,
ohne Fremdbestimmung
oder -prägung.
Keine Werte
auf dem tragenden Grund,
einzig Pfeile,
die ihn durchbohren.
 

zeitistsein

Mitglied
Pünktlich zum Valentinstag kam die Zusage für eine Stelle, wo ich weniger - eigentlich gar nicht - unterrichten muss, dafür mehr schreiben darf.
Das hat mich sehr gefreut, denn das Unterrichten, so wie ich es gelernt habe, ist heute im Zeitalter der Apps und YouTube-Tutorials nicht mehr up to date. Es sei denn ich starte selber einen YouTube-Kanal, aber vor der Kamera plappern bzw. mich bei dem filmen lassen, was ich gerade tue, ist nicht so meins.
Veränderung ist also angesagt. Wie heisst es so schön? Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.
Daraus ergibt sich die nächste Frage: Treu bleiben? Wem oder welcher Sache genau?
Einer Frau versuchte ich neulich, die Zwillingsformeln nahezubringen. Mit Ach und Krach usw. Das interessiere sie nicht, meinte sie. Das sei nicht prüfungsrelevant.
Den Einwand kann ich schon verstehen; man möchte ja in erster Linie die Arbeitsstelle behalten und benötigt dafür diesen Abschluss so, wie man erstmal den Führerschein benötigt, um sich eigenständig ans Steuer zu setzen.
Andererseits - und das habe ich der Dame auch so gesagt - ist es mit dem Sprachzertifikat noch lange nicht getan. Nach Ablegen und hoffentlich Bestehen der Prüfung geht das Leben weiter. Da geht's dann auf die Autobahn sowie über holpriges und unübersichtliches Gelände. Da sind die fiesen Arbeitskollegen, die auf jede komische Formulierung herumreiten, sich darüber lustig machen, einem ins Wort fallen und die einem immer wieder unter die Nase halten: Dein A, B, C1, 2 oder was-auch-immer-Zertifikat ist absolut nichts wert. Rausgeschmissenes Geld. Verlorene Liebesmüh. Du wirst hier mit deinem floskelhaften, auswendig gelernten Deutsch toleriert, mehr nicht.
Selbst Leuten mit exzellenten Sprachkenntnissen wird heutzutage ihre Fremdheit vorgehalten, wenn ihr Nachname nicht gerade Müller oder Meier ist. Daran ändert auch das beste Sprachdiplom nichts.
Ich versuche, meinen Kunden also die deutsche Sprache beizubringen.
Aber das wollen sie nicht.
Sie wollen einfach diesen nichtssagenden Fackel.
Daher wird es Zeit für mich, zu neuen Ufern aufzubrechen.
Führerscheinprüfungen machen können andere besser.
 
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zeitistsein

Mitglied
An den Impffolgen
sei Navalny gestorben,
nämlich an Herzversagen
und Thrombosen.
Und nirgends fühle man sich
so frei
wie in einer Diktatur.
So tickt
unsere Zeit.
 

zeitistsein

Mitglied
Zufälle bereichern das Leben und ein zweifellos glücklicher für mein eigenes Dasein war eine Arte-Doku über Jodie Foster. Darin wird der Werdegang der Schauspielerin aufgerollt und der Aufsatz "Why me?" eingeblendet, den Jodie 1982, als sie noch in Yale studierte, in der Zeitschrift Esquire veröffentlichte.
Dieser Aufsatz ist im Netz nicht in voller Länge zugänglich, aber der Titel und die Umstände der Publikation machten mich neugierig. So las ich zumindest die erste Seite davon.
Anlass zur Publikation gab das von John Hinckley verübte Attentat auf Ronald Reagan. Hinckley war ein glühender Foster-Fan, der mit dem Attentat deren Liebe für sich gewinnen wollte. Den Film "Taxi Driver" hatte er unzählige Male gesehen und sich daraufhin in die Rolle des Travis Bickle hineingesteigert, bis zur handfesten Umsetzung des Reagan-Attentats.
Foster fragt sich in ihrem Artikel "Why me?". Warum war ausgerechnet sie zur Hickles Projektionsfläche geworden? Eine Frage, die sie schon zu Beginn des Textes eindringlich wiederholt: Warum ich, warum nicht jemand wie Brooke Shields?
Obwohl ich den Artikel nicht ganz gelesen habe, kann ich mir, aufgrund von Fosters Denke, ausmalen, worauf ihr Text hinausläuft: Auf die Tatsache nämlich, dass wir alle, egal, ob Attentäter Hinckley oder der erfolgreiche Star Foster mit dieser Frage hadern. Warum widerfährt uns ausgerechnet dieses und kein anderes Leben?
Ein göttlicher Plan, eine frühere Versündigung, das abzuarbeitende Karma, der Hinterhalt der politischen Macht - alle Antworten auf diese nagende Frage fallen unbefriedigend aus. Die Frage muss offen bleiben als eine, die verbindende Kraft hat, weil jeder Mensch sie sich stellt und damit alleine auf keinen grünen Zweig kommt. Schlimmstenfalls entschliesst er sich, wie der vereinsamt-verbitterte Travis Bickle und seine realen Pendants, mangels zufrieden stellender Antworten zu Angriff und Zerstörung.
Foster betont, was sie selbst als Person ausmache: Kissenschlachten mit Freundinnen, Eis essen, eine gewisse Unreife - Dinge, die kein Aussenstehender je mitbekomme und im Grunde, so schlussfolgert sie, sei ihr Leben ganz einfach. Sie habe ein Bedürfnis nach Liebe sowie nach Akzeptanz in ihrer Peer-Group. Sie sei eine Jugendliche, ein Mensch eben.
Alles andere, Erfolg oder Misserfolg, beruhe, wie bei Hickley und "Taxi Driver", auf Projektionen, für die keiner von uns etwas kann. Was man kann, ist, das legt Fosters Text nahe, die Projektion als solche zu entlarven und sich auf das zu besinnen, wonach jedes Individuum letztlich, wenn auch zuweilen mit verkorksten Mitteln, strebe: Frieden, Liebe, Akzeptanz.
Schade, dass ich den Text nicht früher entdeckt habe, aber wie heisst es so schön: Besser spät als nie.
Ich hoffe, ihn irgendwann mal noch ganz lesen zu können.
 
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zeitistsein

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"Love is gone, my life is grey", singt der Attentäter John Hickley, 41 Jahre nachdem er auf Reagan schoss, mehrere Menschen schwer verwundete und der Schauspielerin Jodie Foster nachstellte.

Na ja, denkt man sich. Natürlich macht Liebe das Leben bunter. Selbst wenn es eine imaginierte Liebe ist. Ein Liebesgespenst, wie Benedetti es nannte. Psychopharmaka hingegen stumpfen ab. Erkrankte setzen die Medis gerne auf eigene Faust ab, denn die sich damit einstellende Eintönigkeit ist im Vergleich zur Buntheit des Wahns schwer erträglich.

Hickley ist aufgedunsen und wirkt abgeschlagen. Hört man ihm während seiner Interviews zu, wird man das Gefühl nicht los, dass er immer noch an Realitätsverlust leidet; dass er die ganze Tragweite dessen, was er angerichtet hat, nicht erfasst. Er tut es irgendwie als Vorfall ab; das war vor 41 Jahren, jetzt bin ich ein anderer Mensch; ich bitte um Vergebung. Mehr noch: Er sagte, dass es eine historische Wende gewesen wäre, hätte er beim Attentat Reagan wirklich getötet. Das klingt nach einer Heldentat. Unglaublich. Trotzdem, dass er mit Antipsychotika vollgepumpt ist, setzt sich der Wahn durch.

Immerhin macht er jetzt Musik. In einfachen Country-Akkorden besingt er "sie" als Gottesgestalt. Und viele Follower hat er auch. Man hat den Eindruck: Die Kunst hätte das ganze Unheil verhindern können.
 



 
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