Mann trägt Bart

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anbas

Mitglied
Mann trägt Bart

Der Siegeszug des Vollbartes hält an – den Hipstern des 21. Jahrhunderts sei Dank. Ich könnte mich freuen.

Jahrzehntelang trug ich einen Vollbart und gehörte damit zu einer eher kleinen Minderheit, die sich nicht um Mainstream oder sonstige Modetrends kümmerte. Doch diese Haltung kam nicht überall gut an. Im Gegenteil – immer wieder wurde man mit öffentlichen Vorbehalten konfrontiert. So hysterisierten selbsternannte Hygienebeauftragte offizielle Studien, wonach in Bärten wesentlich mehr Keime zu finden sind, als auf einer WC-Brille. Und in den Zeitungen wurden Sommerlöcher mit Umfrageergebnissen gefüllt, wonach die meisten Frauen keine Bärte mögen – vor allem Vollbärte schnitten stets sehr schlecht ab. Dies wiederum führte zu den gut gemeinten Ratschlägen besorgter Mitmenschen, ich solle mir meinen Bart abnehmen, da so die Chancen steigen würden, mein Dauersingle-Dasein zu beenden. Aber dieser Preis erschien mir dann doch zu hoch.
Und schließlich waren da noch jene Zeitgenossen, die eher auf der Psycho-Welle ritten. Sie erläuterten mir und allen die es hören oder auch nicht hören wollten, dass ein Bart vor allem dazu dienen würde, sich dahinter zu verstecken. Daher müsse dieser im Zuge der persönlichen Entwicklung und des inneren Wachstums unbedingt abgenommen werden.
Gut, ich muss einräumen, dass die Sache mit dem "Verstecken" zum Teil wenigstens auch auf mich zutrifft. Da gibt es nämlich ein genetisch bedingtes Doppelkinn, das durch meine nicht unerhebliche Gewichtszunahme deutlich an Präsenz gewonnen hat. Mit diesem Stück Erbgut kann ich mich einfach nicht anfreunden, so dass es durch meinen Bart wenigstens ein wenig kaschiert wird. Doch ist es mir nie in den Sinn gekommen, mich deswegen unter das Skalpell eines Schönheits-Chirurgens zu legen. Auch der Weg zu einem Therapeuten, um mit ihm daran zu arbeiten, mich selber so anzunehmen, wie ich eben bin, kommt für mich nicht in Frage. Da investiere ich lieber Geld in einen Bartschneider und Zeit in die Pflege meiner Gesichtsbehaarung.

Doch zurzeit weht uns bärtigen Männern ein anderer, freundlicherer Wind durch die Haare. Wie gesagt: Den Hipstern sei Dank – ich könnte mich freuen!

Aber meine Freude ist begrenzt. Schließlich war für mich mein Bart auch Ausdruck eines individuellen Lebensstils – wohlwissend, dass er kein Alleinstellungsmerkmal war. Doch selbst unter den Kollegen aus meinem sozialarbeiterischen Berufs-Milieu war die Quote der Bartträger in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen.

Ja, die Zeiten haben sich geändert. Früher sah ich öfters Männer, denen ein Bart gut gestanden hätte. Stattdessen waren sie aber, von Rasierwasserwolken umweht, trendig glattgeschoren, und hatten die Ausstrahlung eines mit Gleitcreme eingeschmierten Zäpfchens.
Heute dagegen tragen höchst merkwürdige Wesen einen Bart. Sie sehen aus, als wären sie ein von ihren Hubschrauber-Eltern verlassenes Muttersöhnchen, das nun endlich als erwachsener Mann wahrgenommen werden möchte. Ihnen steht ein Bart genauso gut, wie einem Elch ein Bikini.

Nein, ich bin nur bedingt glücklich über den Bart-Trend. Da ich nicht wie ein Salafist oder IS-Kämpfer aussehe, besteht nämlich nun die Gefahr, dass man mich für einen dieser Modetrend-Lemminge hält. Mit denen möchte ich genauso wenig in einen Topf geworfen werden wie mit einem radikalen Moslem. Ich muss also Wege finden, um mich von diesen Gestalten zu distanzieren, die nur Bart trage, um "In" zu sein, um dazu zu gehören oder um stromlinienförmiger die Karriereleiter hinaufzuschleimen.

Ich hoffe, dass mir möglichst bald etwas Kreatives einfällt. Vielleicht ist es nun doch an der Zeit, mir den Bart abzunehmen. Als Notwehr! Aber was mache ich dann mit diesem verdammten Doppelkinn?
 

molly

Mitglied
Lieber Andreas,

nun hast Du Dich viele Jahre hinter Deinem Vollbart wohlgefühlt, warum willst Du diesen nun loswerden, nur um Dich morgens über Dein Gen bedingtes Doppelkinn zu ärgern?

„“Und in den Zeitungen wurden Sommerlöcher mit Umfrageergebnissen gefüllt, wonach die meisten Frauen keine Bärte mögen „“–

Das ist ein Vorurteil, es kommt schließlich immer auf den Kerl hinterm Bart oder dem glatten Gesicht an.

„Da investiere ich lieber Geld in einen Bartschneider und Zeit in die Pflege meiner Gesichtsbehaarung.“

Gut so, Du hast sicher schon gehört, dass viele Männer ab einem gewissen Alter ihre Kopfhaare verlieren. Da ist es doch schön für sie, wenn sie die Haare im Gesicht pflegen können.

Mein Neffe hat mir einmal etwas über den Bart seines Vaters verraten und ich habe den Spruch in einen Vers gesteckt: (stand sogar in einer Zeitung)

„Mein Papa sagt, seine Haare, die wilden,
sind zum Kinn gewandert um einen Bart zu bilden.“

Ohne Bart müsstest Du ein neues Foto in der LL hochladen. Ich bin gespannt, wie Du Dich arrangierst: mit Bart oder mit Doppelkinn.

Das zum Inhalt.

Vielleicht kannst Du im Text noch ein paar "War" ausmerzen,
z.B in dem kleinen Abschnitt:
""Aber meine Freude ist begrenzt. Schließlich war ...

Viele Grüße

Monika
 

anbas

Mitglied
Liebe Monika,

vielen Dank für Deine Rückmeldung. Wie Du Dir sicherlich denken kannst, habe ich diesen Text mit einem zwinkernden Auge geschrieben... ...nein, ich habe ihn natürlich mit einem Stift geschrieben und später abgetippt - doch währenddessen hat meine Auge fast ununterbrochen gezwinkert ;).

´„“Und in den Zeitungen wurden Sommerlöcher mit Umfrageergebnissen gefüllt, wonach die meisten Frauen keine Bärte mögen „“–

Das ist ein Vorurteil, es kommt schließlich immer auf den Kerl hinterm Bart oder dem glatten Gesicht an.
Diese Zeitungsberichte gab es wirklich. Ich habe darüber meistens gegrinst und mich in der "Außenseiter-Rolle" recht gut aufgehoben gefühlt (das Thema "Äußerlichkeiten" habe ich auch in meinem Gedicht BBB aufgegriffen (hier, ausnahmsweise mal, die Verlinkung zu diesem Text: https://www.leselupe.de/lw/titel-BBB-83379.htm )).

Was den Vorschlag mit den zu vielen "war" angeht, werde ich mir den Text zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ansehen.

Liebe Grüße

Andreas
 

molly

Mitglied
Lieber Andreas,

natürlich habe ich Dein Augenzwinkern erkannt, Du schreibst doch humorvolle Geschichten und ich frage mich, warum Du Deinen Text dort nicht eingestellt hast.
Danke für Dein BBB. Ich habe es schon früher gelesen und es gefällt mir jedes Mal aufs Neue.

Was die Bartträger von heute angeht hat Nuhr seine ganz eigene Meinung. Kennst Du die?

Ich wünsche Dir ein sonniges Wochenende

Viele Grüße

Monika
 

anbas

Mitglied
Mann trägt Bart

Der Siegeszug des Vollbartes hält an – den Hipstern des 21. Jahrhunderts sei Dank. Ich könnte mich freuen.

Jahrzehntelang trug ich einen Vollbart und gehörte damit zu einer eher kleinen Minderheit, die sich nicht um Mainstream oder sonstige Modetrends kümmerte. Doch diese Haltung kam nicht überall gut an. Im Gegenteil – immer wieder wurde man mit öffentlichen Vorbehalten konfrontiert. So hysterisierten selbsternannte Hygienebeauftragte offizielle Studien, nach denen sich in Bärten wesentlich mehr Keime befinden, als auf einer WC-Brille. Und in den Zeitungen wurden Sommerlöcher mit Umfrageergebnissen gefüllt, wonach die meisten Frauen keine Bärte mögen – vor allem Vollbärte schnitten stets sehr schlecht ab. Dies wiederum führte zu den gut gemeinten Ratschlägen besorgter Mitmenschen, ich solle mir meinen Bart abnehmen, da so die Chancen steigen würden, mein Dauersingle-Dasein zu beenden. Aber dieser Preis erschien mir dann doch zu hoch.
Und schließlich waren da noch jene Zeitgenossen, die eher auf der Psycho-Welle ritten. Sie erläuterten mir und allen die es hören oder auch nicht hören wollten, dass ein Bart vor allem dazu dienen würde, sich dahinter zu verstecken. Deshalb müsse dieser im Zuge der persönlichen Entwicklung und des inneren Wachstums unbedingt abgenommen werden.

Gut, ich muss einräumen, dass die Sache mit dem "Verstecken" zum Teil wenigstens auch auf mich zutrifft. Da gibt es nämlich ein genetisch bedingtes Doppelkinn, das durch meine nicht unerhebliche Gewichtszunahme deutlich an Präsenz gewonnen hat. Mit diesem Stück Erbgut kann ich mich einfach nicht anfreunden, so dass es durch meinen Bart wenigstens ein wenig kaschiert wird. Doch ist es mir nie in den Sinn gekommen, mich deswegen unter das Skalpell eines Schönheits-Chirurgens zu legen. Auch der Weg zu einem Therapeuten, um mit ihm daran zu arbeiten, mich selber so anzunehmen, wie ich eben bin, kommt für mich nicht in Frage. Da investiere ich lieber Geld in einen Bartschneider und Zeit in die Pflege meiner Gesichtsbehaarung.

Doch zurzeit weht uns bärtigen Männern ein anderer, freundlicherer Wind durch die Haare. Wie gesagt: Den Hipstern sei Dank – ich könnte mich freuen!

Aber meine Freude ist begrenzt. Schließlich war für mich mein Bart auch immer schon Ausdruck eines individuellen Lebensstils gewesen – wohlwissend, dass er als Alleinstellungsmerkmal nicht ausreichte. Doch selbst unter den Kollegen aus meinem sozialarbeiterischen Berufs-Milieu ist die Quote der Bartträger in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen.

Ja, die Zeiten haben sich geändert. Früher sah ich öfters Männer, denen ein Bart gut gestanden hätte. Stattdessen waren sie aber, von Rasierwasserwolken umweht, trendig glattgeschoren, und hatten die Ausstrahlung eines mit Gleitcreme eingeschmierten Zäpfchens.
Heute dagegen tragen höchst merkwürdige Wesen einen Bart. Sie sehen aus, als wären sie ein von ihren Hubschrauber-Eltern verlassenes Muttersöhnchen, das nun endlich als erwachsener Mann wahrgenommen werden möchte. Ihnen steht der Bart genauso gut, wie einem Elch ein Bikini.

Nein, ich bin nur bedingt glücklich über diesen Bart-Trend. Da ich nicht wie ein Salafist oder IS-Kämpfer aussehe, besteht nämlich nun die Gefahr, dass man mich für einen dieser Modetrend-Lemminge hält. Mit denen möchte ich genauso wenig in einen Topf geworfen werden wie mit einem radikalen Moslem. Ich muss also Wege finden, um mich von diesen Gestalten zu distanzieren, die nur Bart tragen, um "In" zu sein, um dazu zu gehören oder um stromlinienförmiger die Karriereleiter hinaufzuschleimen.

Ich hoffe, dass mir möglichst bald etwas Kreatives einfällt. Vielleicht ist es nun doch an der Zeit, mir den Bart abzunehmen. Als Notwehr! Aber was mache ich dann mit diesem verdammten Doppelkinn?
 

anbas

Mitglied
Liebe Monika,

ich habe den Text jetzt noch einmal überarbeitet - und auch noch ein paar andere Stelklen geändert.

In die Rubrik "Humor und Satire" habe ich diesen Text nicht gestellt, da es sich nicht um eine Geschichte handelt. Ich finde, er gehört hier in diese Rubrik besser hinein.

Was Dieter Nuhr betrift, so kenne ich seine Meinung (noch) nicht.

Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Mann trägt Bart

Der Siegeszug des Vollbartes hält an – den Hipstern des 21. Jahrhunderts sei Dank. Ich könnte mich freuen.

Seit Jahrzehnten trage ich einen Vollbart. In all den Jahren gehörte ich damit zu einer eher kleinen Minderheit, die sich nicht um Mainstream oder sonstige Modetrends kümmerte.
Diese Haltung kam allerdings nicht überall gut an. So hysterisierten sich selbsternannte Hygienebeauftragte durch die Medien und verkündeten, dass sich nach offiziellen Studien in Bärten wesentlich mehr Keime befinden würden, als auf einer WC-Brille.
Anderenorts wurden ganze Sommerlöcher mit Umfrageergebnissen gefüllt, wonach die meisten Frauen keine Bärte mögen – und ich rede hier nicht vom Damenbart. Mir wurde daraufhin stets empfohlen, den Bart abzunehmen. So würden sich nämlich die Chancen erhöhen, mein Dauersingle-Dasein endlich zu beenden. Aber dieser Preis erschien mir dann doch zu hoch.
Und schließlich waren da noch jene Zeitgenossen, die eher auf der Psycho-Welle ritten. Sie erläuterten allen, die es hören oder auch nicht hören wollten, dass ein Bart vor allem dazu dienen würde, sich hinter ihm zu verstecken. Deshalb müsse dieser im Zuge der persönlichen Entwicklung und des inneren Wachstums unbedingt abgenommen werden.

Gut, ich muss einräumen, dass die Sache mit dem "Verstecken" zum Teil wenigstens auch auf mich zutrifft. Da gibt es nämlich ein genetisch bedingtes Doppelkinn, das durch meine nicht unerhebliche Gewichtszunahme deutlich an Präsenz gewonnen hat. Mit diesem Stück Erbgut kann ich mich einfach nicht anfreunden, so dass es durch meinen Bart wenigstens ein wenig kaschiert wird. Doch es ist mir nie in den Sinn gekommen, mich deswegen unter das Skalpell eines Schönheits-Chirurgens zu legen, oder mit einem Therapeuten daran zu arbeiten, mich so anzunehmen, wie ich eben bin.

Doch zurzeit weht uns bärtigen Männern ein anderer, freundlicherer Wind durch die Haare. Wie gesagt: Den Hipstern sei Dank – ich könnte mich freuen!

Aber die Freude ist begrenzt. Schließlich war für mich mein Bart auch immer schon Ausdruck eines individuellen Lebensstils. Ich war sogar froh, dass ich nicht zu jenen Männern gehörte, die von Rasierwasserwolken umweht, trendig glattgeschoren waren, und von denen manche die Ausstrahlung eines mit Gleitcreme eingeschmierten Zäpfchens hatten.
Heute dagegen tragen höchst merkwürdige Wesen einen Bart. Sie sehen aus wie unreife Muttersöhnchen, die von ihren Helikopter-Eltern verlassen wurden und nun endlich als erwachsene Männer wahrgenommen werden möchten. Dabei sehnen sie sich wahrscheinlich im Tiefsten Ihres Herzens danach, dass Mutti endlich sagt: "Junge, nu geh mal endlich wieder zum Friseur!"
Doch auch unter den einst stromlinienförmig kahlgetrimmten Herren gibt es viele, die inzwischen trendbeflissen auf das Rasieren verzichten, und damit aber weder sich selber noch ihrer Umwelt eine Freude bereiten. Diese Typen würden sich vermutlich auch Brusttoupets aufkleben, verschiedenfarbige Socken tragen oder mit Clowns-Nasen herumlaufen, wenn es gerade "Modern Style" ist oder der Karriere dient.
Ihnen allen steht der Bart genauso gut, wie Elchen ein Bikini. Die merkwürdig anmutenden Haarfetzen in ihren Gesichtern wirken wie Fremdkörper. In Kulturlandschaften würde man von einer Unkrautplage sprechen. Ihre Bärte werden Teil eines Gruppen-Erkennungsmerkmales, wie man es auch bei manchen Glaubensgemeinschaften finden kann.

Nein, ich bin nur bedingt glücklich über diese neuen Bartträger. Da ich weder wie ein orthodoxer Priester, ein Angehöriger der Amischen noch wie ein Salafist aussehe, besteht nämlich nun die Gefahr, dass man mich für einen dieser Modetrend-Lemminge hält. Mit denen möchte ich aber genauso wenig in einen Topf geworfen werden wie zum Beispiel mit einem radikalen Moslem.

Ich hoffe, dass mir möglichst bald etwas Kreatives einfällt. Vielleicht ist es nun doch an der Zeit, den Bart abzunehmen. Aus purer Notwehr! Aber was mache ich dann mit diesem verdammten Doppelkinn?
 

anbas

Mitglied
Mann trägt Bart

Der Siegeszug des Vollbartes hält an – den Hipstern des 21. Jahrhunderts sei Dank. Ich könnte mich freuen.

Seit Jahrzehnten trage ich einen Vollbart. In all den Jahren gehörte ich damit zu einer eher kleinen Minderheit, die sich nicht um Mainstream oder sonstige Modetrends kümmerte.
Diese Haltung kam allerdings nicht überall gut an. So hysterisierten sich selbsternannte Hygienebeauftragte durch die Medien und verkündeten, dass sich nach offiziellen Studien in Bärten wesentlich mehr Keime befinden würden, als auf einer WC-Brille.
Anderenorts wurden ganze Sommerlöcher mit Umfrageergebnissen gefüllt, wonach die meisten Frauen keine Bärte mögen – und ich rede hier nicht vom Damenbart. Mir wurde daraufhin stets empfohlen, den Bart abzunehmen. So würden sich nämlich die Chancen erhöhen, mein Dauersingle-Dasein endlich zu beenden. Aber dieser Preis erschien mir dann doch zu hoch.
Und schließlich waren da noch jene Zeitgenossen, die eher auf der Psycho-Welle ritten. Sie erläuterten allen, die es hören oder auch nicht hören wollten, dass ein Bart vor allem dazu dienen würde, sich hinter ihm zu verstecken. Deshalb müsse dieser im Zuge der persönlichen Entwicklung und des inneren Wachstums unbedingt abgenommen werden.

Gut, ich muss einräumen, dass die Sache mit dem "Verstecken" zum Teil wenigstens auch auf mich zutrifft. Da gibt es nämlich ein genetisch bedingtes Doppelkinn, das durch meine nicht unerhebliche Gewichtszunahme deutlich an Präsenz gewonnen hat. Mit diesem Stück Erbgut kann ich mich einfach nicht anfreunden, so dass es durch meinen Bart wenigstens ein wenig kaschiert wird. Doch es ist mir nie in den Sinn gekommen, mich deswegen unter das Skalpell eines Schönheits-Chirurgens zu legen, oder mit einem Therapeuten daran zu arbeiten, mich so anzunehmen, wie ich eben bin.

Doch zurzeit weht uns bärtigen Männern ein anderer, freundlicherer Wind durch die Haare. Wie gesagt: Den Hipstern sei Dank – ich könnte mich freuen!

Aber die Freude ist begrenzt. Schließlich war für mich mein Bart auch immer schon Ausdruck eines individuellen Lebensstils. Ich war sogar froh, dass ich nicht zu jenen Männern gehörte, die von Rasierwasserwolken umweht, trendig glattgeschoren waren, und von denen manche die Ausstrahlung eines mit Gleitcreme eingeschmierten Zäpfchens hatten.
Heute dagegen tragen höchst merkwürdige Wesen einen Bart. Sie sehen aus wie unreife Muttersöhnchen, die von ihren Helikopter-Eltern verlassen wurden und nun endlich als erwachsene Männer wahrgenommen werden möchten. Dabei sehnen sie sich wahrscheinlich im Tiefsten ihres Herzens danach, dass Mutti endlich sagt: "Junge, nu geh mal endlich wieder zum Friseur!"
Doch auch unter den einst stromlinienförmig kahlgetrimmten Herren gibt es viele, die inzwischen trendbeflissen auf das Rasieren verzichten, und damit aber weder sich selber noch ihrer Umwelt eine Freude bereiten. Diese Typen würden sich vermutlich auch Brusttoupets aufkleben, verschiedenfarbige Socken tragen oder mit Clowns-Nasen herumlaufen, wenn es gerade "Modern Style" ist oder der Karriere dient.
Ihnen allen steht der Bart genauso gut, wie Elchen ein Bikini. Die merkwürdig anmutenden Haarfetzen in ihren Gesichtern wirken wie Fremdkörper. In Kulturlandschaften würde man von einer Unkrautplage sprechen. Ihre Bärte werden Teil eines Gruppen-Erkennungsmerkmales, wie man es auch bei manchen Glaubensgemeinschaften finden kann.

Nein, ich bin nur bedingt glücklich über diese neuen Bartträger. Da ich weder wie ein orthodoxer Priester, ein Angehöriger der Amischen noch wie ein Salafist aussehe, besteht nämlich nun die Gefahr, dass man mich für einen dieser Modetrend-Lemminge hält. Mit denen möchte ich aber genauso wenig in einen Topf geworfen werden wie zum Beispiel mit einem radikalen Moslem.

Ich hoffe, dass mir möglichst bald etwas Kreatives einfällt. Vielleicht ist es nun doch an der Zeit, den Bart abzunehmen. Aus purer Notwehr! Aber was mache ich dann mit diesem verdammten Doppelkinn?
 

Stierfrau

Mitglied
Beim Stöbern in der Leselupe stolperte ich sozusagen über Deinen Bart und hörte spontan im Inneren eine Frage meiner Enkelin zu diesem Thema:"Oma, als Opa noch ein Mann war, hatte er da auch schon einen Bart?"
In diesem Sinne - gern gelesen!
Und - lass ihn einfach Bart sein, würde ich sagen, die Zeiten ändern sich, und dann biste wieder aut off Meenstriem ;-)
LG
 
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ThomasQu

Mitglied
Servus anbas,

erst jetzt hab ich deinen Text entdeckt und geb dir inhaltlich vollkommen Recht.
Diese ganze Bartproblematik, die du beschreibst, ist vergleichbar mit den Tattoos, die genauso in Mode gekommen sind. Nur, du als Bartträger kannst dich leichter ausklinken und einen Rückzieher machen als der Tattoo-Fan.

Gruß Th.
 

anbas

Mitglied
Hallo Stierfrau,

spät aber um so herzlicher mein Dank für Deine Rückmeldung. Irgendwie ist sie mir durch die Lappen gegangen.

Ich freue mich, dass Dir der Text gefällt. Nee - Bartabnehmen kommt für mich derzeit weiterhin nicht in Frage. Bin gespannt, wie lange sich dieser Trend hält.



Hallo Thomas,

auch an Dich meinen herzlichen Dank für Deine Rückmeldung (durch die ich erst auf meine "Antwort-Schuld" gegenüber Stierfrau aufmerksam wurde). Stimmt, die dauerhafte Hautbemalung ist auch so ein Modetrend. Mal sehen, was als nächstes aus der Schublade geholt wird (Perückentrend gab es vor ein paar Jahren schon, lässt sich aber eventuell noch stärker ausbauen - ansonsten vielleicht Keuschheitsgürtel, Korsetts, Pudern statt Waschen ... :D).



Liebe Grüße

Andreas
 
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G

Gelöschtes Mitglied 16867

Gast
Werter anbas,

ich lese eigentlich nie fremde Texte, da sie mich stets enttäuschen - da ich seit einem Jahr meinen Bart wachsen lasse, man mich in der Szene schon den Nachfahren Karl Marxens nennt, habe ich nun einmal fremdgelesen.

Mir fällt auf, dass Du sehr gut sammeln kannst - hier ist alles drin für und wider Bart, doch fehlt mir der Soul ... ich vermisse Dich im Text, Deine fleischliche Wahrheit, eben den Soul, der den Meister ausmacht.

Dein Aron Manfeld
 

Fred Lang

Mitglied
Lieber anbas,

ich denke, dass du auch weiterhin einen Bart tragen solltest. Er steht dir. Auf den Mainstream solltest du nicht achten. Er kommt und geht auch wieder.
Wie du übrigens an meinem Avatar unschwer erkennen kannst, gehöre ich selbst zu den Glattgesichtern, bzw. Glatzköpfen. Zumindest Letztere wird es wohl immer geben.

Herzliche Grüße
Fred
 
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Zeitloses Thema, von dir launig erörtert, anbas. Was das Doppelkinn betrifft, so kommt es nach meinen scharfen Beobachtungen recht häufig vor, dass ein solches auch durch den Vollbart hindurch mehr als nur zu erahnen ist.

Die über Generationen und Jahrhunderte wechselnden Bartmoden nachzuverfolgen, kann recht interessant sein. Ich war gerade im Bode-Museum und musste dort an deinen Beitrag, den ich schon kannte, denken, als ich mehrere Plastiken von Renaissance-Päpsten mit Vollbart sah. Allerdings für Männer wie Papst Franziskus oder seinen Vorgänger so nicht zu empfehlen, aber vielleicht gibt es Alternativen: Knebelbart z.B.

Meine Theorie: Der Bartmodenwechsel alle paar Jahrzehnte soll vor allem eine Unterscheidbarkeit in der Abfolge der Generationen herstellen. Ich fürchte nur, auch da ist mehr Schein als Sein.
 
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anbas

Mitglied
Hallo und Dankeschön für Eure Rückmeldungen!

@ Aron
Schön, dass Du Dich an meinen Text herangemacht hast.
Hm, ich denke, dass ich schon in diesem Text zu finden bin. es ist ja nicht nur ein Zusamentragen verschiedener Aspekte, sondern eben auch der Kampf des Protagonisten, also von mir, hier eine eigene Poistion zu entwickeln. Oder meinst Du etwas anderes damit, wenn Du schreibst, dass Du mich in dem Text vermisst?

@ Fred,
Danke für Deinen Zuspruch. Nee, auf den Mainstream achte ich selten bis nie. Ich fange nur an, mich unwohl zu fühlen, wenn der Mainstream mich einholt und alle Welt denkt, ich würde dazu gehören :cool:.


@ Arno
Ja, ab einer gewissen Dimension lässt sich das Doppelkinn nicht mehr verbergen - außer vielleicht bei einem extrem wuchernden Bartwuchs ;). Doch der Bart kaschiert, bedeckt das Doppelkinn zumindest ein wenig.
Bartmode (und auch das Drumherum um den Bart) kann wirklich ein sehr spannendes Thema sein - wobei mir diese Wettbewerbe um den schönsten Bart usw. dann doch wieder eher am A... vorbeigehen. Im Museum von Villeroy & Boch habe ich sogenannte Barttassen gesehen, die extra einen Steg hatten, um den (gewachsten) Bart vor Feuchtigkeit zu schützen. Von solchen Kuriositäten gibt es sicherlich noch mehr.
Vielen Dank für Deine Wertung!



Liebe Grüße in die Runde

Andreas
 
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G

Gelöschtes Mitglied 16867

Gast
Lieber Andreas,

ich habe mich an Deinen Beitrag herangewagt, ohne über Kunstverständnis zu verfügen, einfach mal frei Schnauze - mir fehlt hier sozusagen die Rattenschärfe, die Selbstbosheit, wie sie etwa Angus Young in den letzten Lebensjahren zum Geschenk bekam.

Wenn ich einen Text lese, stehe ich vor einer Bühne - hier stehe ich vor den Flippers, die genau den Ton treffen, den ich vom ersten Takt an erwarte.

Doch ich will mit dem Tod tanzen, mit der Wahrheit, auch wenn niemand ausser Gott die Wahrheit kennt.

Das ist ein hoher Anspruch, den ich selbst mit meiner literarischen Leistungsstärke kaum einhalten kann, je sais.

Dein
 
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anbas

Mitglied
Lieber Aron,

ich denke, dass man auch ohne, wie Du es sagst, "Kunstverständnis" etwas zu einem Text sagen kann - und sei es nur "gefällt/gefällt nicht". Wenn Dich dieser Text nicht komplett überzeugt, kann es ja auch an den unterschiedlichen Erwartungen und Ansprüchen liegen - oder, ganz banal, am unterschiedlichen Geschmack.

Dieser Text soll nicht böse sein - eher eine Lästerei mit Nadelstichen und einem gewissen Maß an Selbstironie. Für Dich ist er dadurch vielleicht eher ein "laues Lüftchen", für mich ist er - was die Schärfe betrifft - genau richtig gewürzt ;).

Liebe Grüße

Andreas
 
G

Gelöschtes Mitglied 16867

Gast
Hast ja Recht - ich halte die Flippers auch für Könner, die Leonhard Cohen 1:1 nachspielen könnten - alles gut!

Ich sehe schon, dass meine Kommentare nicht gut ankommen in den Foren. Sorry :(
 

anbas

Mitglied
Nun schieb Dich mal nicht in den Keller ... ;)
Ich finde jede Rückmeldung - soweit der Tonfall OK ist - berechtigt. Ob nun positiv, negativ, hinterfragend, Eindrücke nennend für wichtig und hilfreich. Ich hinterfrage durchaus meine Tetxe und meine Schreibe immer wieder mal.
Daher ist mein Dank für Deine Rückmeldung auch ehrlich gemeint.
Liebe Grüße
Andreas
 



 
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