Meine Fresse

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Ofterdingen

Mitglied
Hallo Erdling,

Ich bin kein Freund von Erzählungen, die sich Richtung Stephen King bewegen, doch du schaffst es immerhin, etliche Leser zu kontroversen Reaktionen zu reizen. Positiv an deiner Geschichte ist, dass der Hund ein Hund bleibt, dass du nicht der Versuchung erliegst, das Tier zu vermenschlichen. An einigen Stellen trägst du allerdings reichlich dick auf, z.B. hier: „ sie schaut dem Tier in die tiefbraunen Brunnenaugen. Die sind so groß und tief und dunkel wie überhaupt alles an dem Vieh.“

GerRey schreibt: „Also ich weiß nicht, wo da bei den Allerweltsätzen Spannung oder gar Kunst aufkommen soll.“ Damit hat er nicht ganz Unrecht. Der Text würde auf jeden Fall gewinnen, wenn du Gemeinplätzen und Klischees aus dem Weg gingest; ein Beispiel: „eine traurige Geschichte, die Geschichte von Paco, aber so sind Tierheimgeschichten doch immer.“

Du könntest auch überhaupt mehr auf Wortwahl und Grammatik achten. Der Satz „Ungeduldig zieht sie an Pacos abgehalftertem Lederband.“ geht so sprachlich gar nicht. Es gibt abgehalfterte Pferde oder Rinder, aber keine abgehalfterten Lederbänder.

Laut Duden ist

das oder der Halfter: Zaum ohne Gebiss und Trense für Pferde und Rinder mit Riemen zum Führen oder Anbinden des Tieres

abhalftern:
einem Zugtier das Halfter abnehmen;
aus seiner Stellung entfernen, seines Postens, Einflusses berauben
BEISPIELE: man hat sie einfach abgehalftert,
ein abgehalfterter (abwertend; heruntergekommener) Rockstar

fremdwort.de definiert „abhalftern“ so:
verwahrlost, seiner Stellung beraubt; ein abgehalfterter Schauspieler, der seinem früheren Erfolg hinterhertrauert
Jugendsprache: heruntergekommen
ohne Halfter; ein abgehalftertes Pferd

„ihre weichen Bauchlappen, die von innen entgegen quillen“
Erstens ist „quillen“ unpassend, ein völlig veraltetes Verb. Heutzutage normal ist der Infinitiv „quellen“ und die 3. Person Einzahl „etwas quillt“. Zweitens ist der Satz grammatisch unvollständig, da müsste noch stehen, wem die Bauchlappen entgegen quellen.

„gefletschte Grimassen“: Ein Tier oder Mensch kann die ZÄHNE fletschen, aber nicht irgendwelche Grimassen.

Gruß,

Ofterdingen
 
Hallo Ofterdingen!


Schon interessant, wie unterschiedlich so eine Geschichte aufgenommen werden kann und womit man sie gemeinhin assoziiert.
Stephen King wäre mir selbst zum Beispiel nicht in den Sinn gekommen, aber warum nicht.

Deine Anmerkungen zeigen mir, dass du dich sehr ausgiebig mit meinem Text beschäftigt hast, das finde ich auf jeden Fall beachtlich.

Nicht jedem deiner Einwände könnte ich zustimmen, obschon ich verstehe, was du meinst.

„Abgehalftert“ habe ich z. B. genau in dem Sinn benutzt, den du aus dem Duden anführst:
Heruntergekommen, abgetragen, zerschlissen… so möchte ich das Lederband beschreiben.
Nicht neu und vielleicht sogar mit Blinkelicht wie es jetzt Mode ist beim Gassigehen; im Tierheim kommen die ganz alten Geräte zum Einsatz: Leinen, Halsbänder... denen man die Jahre deutlich ansieht. Darum ging’s.

Und selbst wenn ein Ausdruck wie „quillen“ antiquiert sein mag, hält mich das noch lang nicht davon ab, ihn zu benutzen. Ich finde, das Wort hat was und mir gefällt, wie es dasteht.

Aber sei versichert, ich nehme mir jede Kritik zu Herzen, auch wenn ich nicht direkt auf jeden Punkt eingehe.
Ich habe deine Nachricht aufmerksam gelesen.

Alles in allem freut es mich, dass du dir meinetwegen die Zeit genommen hast und was Anerkennendes habe ich aus deinen Worten ja ebenfalls rauslesen können, das freut mich natürlich auch.


Sei gegrüßt,

Erdling
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo Erdling,

Ich weiß, man hängt manchmal sehr an einem Wort, das man benutzt hat. Allerdings ist es so, dass dem Partizip "abgehalftert" immer die Bedeutung ein Halfter abnehmen zugrunde liegt, ein abgehalftertes Lederband also ein Band ist, von von dem man eine Leine oder ein Band entfernt hat. Mir erscheint das hier doppelt gemoppelt. Du kannst dir ja noch einmal überlegen, ob ein anderes Wort nicht besser passt, zum Beispiel heruntergekommen, abgetragen, zerschlissen ...

Gruß,
Ofterdingen
 
Das ist verdammt gut geschrieben. Ich musste erst einmal herausfinden, was es mit mir macht. Bin selber Hundebesitzer, aber das tut nichts zur Sache.
Der Selbstdialog, dieser Abgrund, der sich auftut, der Selbsthass, die Aussichtslosigkeit, in der sie sich befindet, das muss man erst einmal verarbeiten.
Ich habe es mir versagt, spontan emotional zu reagieren. Ich weiß noch gar nicht, ob ich mit dem Text fertig bin.
Gratuliere!
Et contra nubes
 
Hallo Dichter Erdling,

ich finde diese Geschichte wirklich toll.
Du behandelst natürlich schon sehr prekäre Themen, aber weder verherrlichend noch absolut unempathisch, daher kann ich diese Geschichte nur wärmstens empfehlen.
Meines Empfindens nach würde ich die Protagonisten tatsächlich auch als "psychisch krank" beschreiben, aber mich schreckt das nicht ab. Ich finde es sehr spannend zu lesen und durch die vielen direkten (und ja) teils auch "kranken" Gedankengänge, ist man sehr nah an der Figur dran. Das ist sehr viel "show" und weing "tell", was diese Geschichte auch so mitreißend (nicht reißerisch!) macht.
"Psychisch krank" deswegen, weil man als gesunder Mensch einige ihrer Gedankengänge zwar nachvollziehen, aber nicht nachempfinden kann.
Klar, ist unsere Welt unsere Gesellschaft irgendwo (gerade was die sexuelle Komponente betrifft) teilweise sehr entartet, da gehe ich absolut konform, aber sich dann vorzustellen, dass alles besser würde, wenn einem das Gesicht von einem Hund zerfetzt wird? Schon eher fragwürdig.
Aber wie schon gesagt: Du verherrlichst nichts. Du bist da einfaach sehr weit in einen düsteren Abgrund hinabgestiegen und aus dem heraus schilderst du das Ganze absolut treffend und auch schockierend.
Ich mag diese Geschichte sehr, hat sich in meinem Augen auch die 5 Sterne, die ich dran gemacht habe, redlich verdient ;)

Zu dem "reißerisch" möchte ich auch gerne noch ein paar Worte loswerden: Jede Geschichte braucht einen Konflikt. Ganz egal, ob das nun etwas dramtisches wie hier ist oder eine Liebesgeschichte. Natürlich sind die Settings anders, das eine gefällt dem einen mehr das andere dem anderen, aber Fakt ist nun mal, dass jede Geschichte einen Konflikt braucht, ansonsten sind es bloß leere Worte.
Das ist Fakt und ich denke in jeder gängingen Fachliteratur auch dementsprechend nachzulesen.

Liebe Grüße
Miseria Cantare
 



 
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