Mirandoa

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G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Ja, reif für die Insel, Joe. Manchmal wünsche ich sie mir, das Paradies, wenigstens den Traum davon. Aber zu deinem Text:

Ein seltsames Museum, das Träume verkauft. Nun gut, im Traum ist alles möglich. Adam und Eva im Paradies, bereits überzivilisiert, sie finden sich wieder ohne Auto, Flugzeug und wohl auch ohne Zigaretten. Und was dann geschieht, zieht sich für meine Vorstellungen etwas zu sehr in die Breite und Länge.
Hier hätte ich mir einiges wegdenken können. Stellenweise war ich versucht, ein paar Sprünge zu machen, machte ich dann auch. Vielleicht ist mir dadurch Wesentliches entgangen, wer weiß. Ein Zeichen dafür, dass es an Handlungen fehlte.

Zur Charakterisierung: Die Personen Adam und Eva kann ich mir ganz gut vorstellen, sie stammen aus dem oberen Mittelbürgertum und partizipieren von den gegenwärtigen sozialen Verhältnissen. Eva, die Gescheite, Adam, der Zeit braucht, sich zurechtzufinden. Es ist nicht nötig, dass du ihr Äußeres beschreibst, ein paar typische Merkmale können wie nebenbei eingeflochten werden.

Zum Dialog: Du benutzt einen eher etwas sterilen Sprachstil, grammatikalisch korrekt. Aber sprechen Menschen so? Diese Geschichte würde von einem Dialog leben können, der den ganzen Witz von der Insel auf den Kopf stellt. Tut er aber nicht. Und noch was: Dialog hat die Aufgabe, die Handlung weiterzutreiben. Überprüf deine Dialoge mal daraufhin.

Insgesamt finde ich die Idee des Rückzugs aus der Gegenwart vom Ansatz her ganz gut angepackt. Meiner Ansicht nach wird aber zuviel erzählt. Ich hätte mir die Erzählung auch als Satire denken können, mit satirischen Handlungen und, was sich direkt anbietet, mit einer lockeren, humorvollen Sprache, die du beherrschst, hast du ja in deinen Gedichten bewiesen. Hier stimmen für mich Sujet und Vorliegendes noch nicht überein. Alles viel zu ernsthaft, viel zu "normal". Mir scheint, Joe, du als Autor sehnst dich viel zu sehr nach dem Inselparadies und bist noch nicht in der Lage, dich darüber lustig zu machen. Ich weiß, Sachen, über die man lachen kann, werden nicht ernstgenommen, pfeif drauf. Sie sind das Schwerste. Mach daraus eine Satire, die sich gewaschen hat. Der Stoff bietet sich geradezu an.

Ehe ich es vergesse: Ich würde mir den ganzen einleitenden Absatz sparen. Steig doch gleich ein mit "Freitag, der 13." Oder bau es in Handlung oder Dialog ein.

Vielleicht aber liege ich mit meiner ganzen Einschätzung schief, auch das passiert, Bitte in vorauseilendem Gehorsam um Entschuldigung.

Gruß, blackout
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

hein

Mitglied
Hallo Joe,

deiner Einleitung stimme ich uneingeschränkt zu. Ich muss allerdings zugeben, das auch ich lieber schnell einen Vierzeiler konsumiere und bei Gefallen ein paar Sterne hinterlasse, als das ich einem langen Text überhaupt anfange, geschweige denn bis zum Ende lese.

Deinen Text habe ich durchgehend gelesen und es bis zum Ende nicht bereut: übersichtliche Absätze, gut strukturierte und nachvollziehbare Gedankengänge, starke Formulierungen (Sommerkleidzipfel !), und nicht viel was man vielleicht weglassen könnte.

Der phantastische Inhalt hat mich so gefesselt das ich immer mehr auf ein Ende im Paradies ohne Nachwuchs hoffte (die geplagte Erde wäre ohne weiteres Zutun der Menschheit doch wohl besser dran). Insofern war das reale Ende doch ein klein wenig enttäuschend.

LG
hein
 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Mit Absicht habe ich zwei Nächte gewartet mit einer Antwort auf erhoffte Kommentare, die, so hatte ich es mir vorgestellt, in überschaubarer Menge, aber immerhin in Menge zu meiner Mirandoa-Geschichte eintrudeln würden. Zwei Kommentare sind gekommen, für die ich mich bedanke, als zählten sie für zwanzig. Es sind zwei ganz und gar gegensätzliche Kommentare, und das, denke ich, spricht für die Geschichte. blackout kann sich die Geschichte als Satire vorstellen, «die sich gewaschen hat» – hein bekennt, dass er «immer mehr auf ein Ende im Paradies ohne Nachwuchs hoffte», und dass ihn die Rückkehr in die abendliche Alltäglichkeit enttäuschte. Und also stecke ich jetzt im Dilemma. heins Perspektive: das langsame, unmerkliche Abgleiten in die Selbstaufgabe, aus der er nicht mehr heraus will – das war beim Schreiben meine Intention. Genau dahinein wollte ich den Leser ziehen, der sich auf die Geschichte einzulassen bereit war; hein ist gewissermaßen mein idealer Leser. Und sein Wunsch, die desillusionierende Realität am Ende zu streichen, ist eine wunderbare Anregung. Ich werde beim Korrigieren versuchen, das paradiesische Weiterspinnen mit dem realen Hereinbrechen wie übereinanderliegende Spiegelbilder zusammenfallen zu lassen. Wenn mir das gelungen ist, guck ich mir die Geschichte als «Satire, die sich gewaschen hat» an. Der Gedanke, die Situation «Paradies» als Satire zu betrachten, hat etwas von einer «Hoffmannschen Erzählung» neueren Kalibers. Ungeheuer reizvoll.
Und so hätte ich vielleicht irgendwann zu meinem einzigen Einfall zwei total kontrastierende Erzählungen.

Joe Fliederstein
 

Vagant

Mitglied
Hallo Fliederstein,

ich will - allerdings nicht als offizieller Vertreter der "Abteilung Erzählung" - hier mal versuchen, meine Leseeindrücke wiederzugeben.
Erstmal: Chapeau zum Umfang des Textes; wobei ich damit auch deine Fantasie hinsichtlich der Plotentwicklung erwähnen möchte. Ich weiß, sowas macht erstmal viel Arbeit - genau so, wie du es in deinen vorangestellten Zeilen erwähnt hast -, und allein deshalb, weil du diese Arbeit auf dich nimmst, während man in den Unterforen immer mehr Texte findet, denen anzusehen ist, dass sie kaum länger als eine Tasse Kaffee und zwei Zigaretten in Anspruch genommen haben, allein deshalb ist es der Text wert, gelesen zu werden; und wenn man ihn dann schon gelesen hat, kann man ja auch einen Leseeindrück hier lassen.

Den Spur, der Text tauge zur Satire, hast du meines Erachtens selbst gelegt. Auch wenn es sicher nicht deine Intention war hier in Richtung Satire zu gehen, hinterlässt allein die Figurenzeichnung des Museumsmitarbeiters dicke, fette Abdrücke im Erzählsand, die allesamt in Richtung Satire führen. Sein etwas penetrant flötendes "Gnädige Frau" und "mein lieber Herr Adam" klingen wie eine Persiflage auf einen irgendeinen alten Theo-Lingen-Film und damit doch arg aus der Zeit gefallen.
Apropo aus-der-Zeit-gefallen: Die Dialogsituationen - auch das wurde hier schon erwähnt - klingen doch recht gestelzt. Ständig spricht man sich gegenseitig mit dem Namen an. Ich meine, wenn du das in einem persönlichen Gespräch tust, dann hebt dein Gesprächspartner spätestens beim dritten Mal abwehrend die Hände und sagt dir, er wisse schon selbst, wie er heiße und man brauche diese hier nun auch nicht immer wieder zu erwähnen.
Die Dialogzeilen sind teilweise zu lang, manchmal wird in ihnen Information transportiert, die dort gar nicht reingehört, und es fehlt ihnen an einer dramatischen Struktur, bzw. die Struktur wird durch das "Plappern" verwässert.
Problematisch finde ich an dieser Stelle auch die hier vorliegende Formatierung und die Absatzaufteilung. Das ist nun erstmal ein rein formelles Problem und hat sicher auch etwas mit Lesevorlieben zu tun, aber allein in den Dialogen empfinde ich diese Luftigkeit in deinem Text als extrem störend und leseunfreundlich. Durch die vielen Leerzeilen geht bei mir da der gesamte Lesefluss den Bach runter; da lobe ich mir doch den kompakten Blocksatz, der eher mal auf einen Absatz verzichtet, als einen zu viel bringt. Ein Absatz macht bei mir ohnehin nur Sinn, wenn die Szene wechselt, wenn ein zeitlicher oder räumlicher Sprung den Erzählfluss unterbricht.
Anders verhält es sich da beim Zeilensprung. Es ist dem Lesefluss zuträglich, wenn sich beim Wechsel der Reflektorfigur auch in einem neuen Zeilenanfang kenntlich macht. Sicher, der auktoriale Erzähler kann zu jeder Zeit seinen Fokus wechseln und unmittelbar von der Totalen in den Kopf seiner Figuren springen, und nicht nur das, er kann mit dem nächsten Halbsatz dann auch schon wieder aus dem Bewusstsein des Nächsten berichten; die Frage ist nur: Muss er, nur weil er es kann, es denn dann auch tun?
Ich denke, nein. Gerade bei kürzeren Texten wie Kurzgeschichten und Erzählungen die einem Handlungsstrang folgen, ist der Erzähler gut beraten, ein bisschen abzurüsten und nicht gleich wild mit allen Pfeilen aus seinem Köcher zu hantieren. Da ist es Für das Aufrechterhalten des Spannungsbogen manchmal sinnvoller, den Sprung von einer zur nächsten Refektorfigur erst beim Wechsel einer Szene zu machen. Ausgenommen Erzählpassagen zeitleicher Gleichheit, wie zum Beispiel "Frank brüht den Kaffee, während Kerstin den Bienenstich aufschneidet"; aber so ein Satz ist ohnehin nur narratives Beiwerk und birgt für den Spannungsbogen kaum einen nennenswerten Mehrwert.

Nun muss ich sagen: Ich habe die Geschichte gestern Nachmittag gelesen und mir gesagt: Wenn Du hier was dazu schreibst, dann bringst Du hier und da ein Zitat, damit deutlich wird, auf welche Textpassage sich das alles bezieht. Heute Vormittag ist es mir ohne längeren Zeitaufwand kaum möglich, diese Stellen nun im Text ausfindig zu machen, weswegen ich nun gar nicht mehr den Versuch unternehmen werde, diese Stellen im Text zu finden.

Zwei kleine sprachliche Dinge noch; und dafür möchte ich meinen kurzen Beispielsatz von weiter oben nochmals strapazieren.
"Frank brüht Kaffee, während Kerstin den Bienenstich aufschneidet", wobei ich hier aufs "Brühen" und den "Bienenstich" hinaus will, also auf die Wahl der Verben und das Umschiffen von Oberbegriffen.
Ich habe irgendwo im Text gelesen "Frank guckte" und habe diese Verb an dieser Stelle als extrem störend empfunden. Das Verb stimmt dort nicht, und ich denke, das weißt du auch. Ich weiß selbst, dass es manchmal sehr schwierig ist, immer das richtige Verb zu finden, aber gerade das macht ja den Charme beim Schreiben aus. Wenn einer langsam geht, dann schleicht er, schlendert oder flaniert, und redet er leise, dann flüstert er oder raunt etwas; was uns zeigt: Es gibt für jede Situation das passende Verb. Dieses "gucken" war dort halt nicht Das-gerade-passende-Verb.
Den Bienenstich habe ich hier am Start, weil er da mal so als Beispielhappen für ein oft gelesenes Problem steht. Man hätte auch einfach "Kuchen" schreiben können und gut wär's gewesen, aber das Problem des Kuchens ist, dass ich das zwar lese und im Gehirn aufnehme, sich da aber außer "Ja, kenn' ich" nichts weiter regt. Bei "Bienenstich" merke ich da ja fast schon Speichelfluss, also scheinen beim konkreten Benennen der Dinge noch ganz andere Hirnregionen involviert zu sein. Da werden Verknüpfungen aktiviert, die den Text am Ende fast schon schmeckbar werden lassen.
Ich bringe das an, weil mir im Text doch viele Oberberiffe aufgefallen sind. "Kleidung" möchte ich nur mal als Beispiel nennen.
Ich denke, alle Wörter wie Pflanzen, Vegetation, Einrichtung, Nutztiere, Wildtiere, Nahrung, etc. pp. haben in prosaischen Texten nichts zu suchen. Man will ja die Sinne ansprechen, aber dies tun diese Wörter nun mal nicht. Das sind Worte für Ämter und Bürokraten, nicht für Literaten.
Hier ist es für Geschichtenerzähler allemal besser, die Dinge beim Namen zu nennen; aber dann als Ersatz für "Geschirr" nicht die gesamte Kücheneinrichtung auszählen, sonder es bei zwei, drei Dingen belassen, so als Pars-pro-Toto, und damit eine greifbare Dinglichkeit herstellen.

So, das soll's erstmal gewesen sein, Vagant.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Hallo Vagant,

danke. Auch für den Theo Lingen, an den sich vermutlich nur wenige noch erinnern werden (ich habe ihn in der Rolle des Malvolio in Shakespeares «Was ihr wollt» auf der Bühne bei den Bad-Hersfelder-Festspielen gesehen, er war unnachahmlich «aus der Zeit gefallen» und wunderbar). Sollten die Figuren des Museumsdirektors und seines Assistenten mit Theo-Lingen-Schrägheiten dem Mirandoa-Text einen etwas altertümelnden Rahmen geben, so hielte ich das für einen erwünschten Glücksfall. Diese beiden Figuren sehe ich in der Tat «aus der Zeit gefallen», oder genauer «in keiner Zeit zu Hause», sie könnten auch in der Muppet-Show untergebracht sein oder in einer Aristophanes-Komödie, sie sind der unwirkliche Rahmen für das Zusammenspiel zweier ganz normaler Leute in einer Albtraumsituation (Weltuntergang anfangs), die sich mit fortlaufender Handlung in eine Wunschtraumsituation wandelt.

Zur Formatierung. Zwischen zwei Absätzen schaltet die Leselupen-Technik bei der Übertragung aus einem Textprogramm (copy-and-paste) eine Leerzeile. Sieh dir – um ein weiteres Beispiel zu nennen – die Formatierung von blackouts «Kindheiterinnerungen» an. blackout arbeitet viel mit Dialogen. Beim Übertragen aus ihrem Textprogramm zwingt ihr die Formatierungstechnik zwischen Dialogzeile-eins und Dialogzeile-zwei diese «gähnenden» Leerzeilen auf. Die könnte man zwar «per Hand» herauslöschen – bei langen Texten eine Fließbandquälerei.
Für mich viel irritierender noch: Die Leselupe bietet in der Formatierungsleiste nicht die Möglichkeit an, die erste Zeile eines Absatzes einzurücken – zur Strukturierung längerer Texte ist das aber ein unverzichtbares Gestaltungsmittel. (Vielleicht liest einer der Moderatoren diesen Hinweis und denkt über Abhilfe nach.)

Den Mirandoa-Text werde ich mir noch einmal vornehmen. Am Sprachlichen arbeiten. Vergleiche überprüfen. Dialoge abklopfen.
Danke, Vagant, für die Kommentierung.

Joe Fliederstein
 
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Vagant

Mitglied
Ok. Und danke für die Ausführungen zur Formatierung, Das erklärt so einiges. Ich werde das mal mir einer Datei aus meinem Schreibprogramm versuchen. Ich denke aber, irgendwie sollte das doch machbar sein.
 



 
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