Hi Anni,
Dein schönes, zartes (Liebes)Lied hat mich gleich umgehauen!
Ich las und etwas trug mich sofort in eine laue Sommernacht auf ein Ensemble von Maljis und Jalsas. Überall dunkles Königsrot und warmes Gold. Unter der Sternennacht löst Samira („der Gesang“!) das erste Mal den Schleier ihres Schweigens und WIRD für ihren Geliebten am Ende ZU SICH SELBST („vielleicht auch mich“) . Dabei kämpft sie sich für ihn aus der tagesmüden Wortlosigkeit (der alltäglichen Entfremdung "wenn meine Sprache"), aus dem Dunkel („Das Dunkle, das stets wieder übergeht ins Morgenlicht“) hinein in das Morgen.
Ihr Liebeslied behält seine feminine Zartheit, seine zeitlose Aufrichtigkeit durchweg durch alle Strophen, obwohl es in seinen Bildern Widersprüche einfängt, mit ihnen spielt, sie verschnörkelt ineinander webt, Lautbild, Sprachbild, Klangbild vereint sich zu einer gewaltigen Anbetung und Liebeserklärung. Und bei alle dem bleibt mir der Eindruck, sie traue sich, traue sich erstmals ihm ihre wahren Gefühle zu offenbaren. Am Ende gelingt es ihr ganz sicher „sich“ zu beschreiben, sich nackt und zart und so liebevoll zu zeigen in der poetischen Erhebung seiner wüstenhaften Rauheit, seiner schönen geschwungenen Augen, seiner tiefen Denkerstirn, der Unbarmherzigkeit seiner Liebkosungen, seiner festen Griffe. Seinen wilden, weiten Wüstenstolz überwindet sie mit der Liebkosung ihrer sich stetig steigernden Darbietung von Gleichnissen in denen sie ihn und seine manchmal naturhafte Unbeholfenheit und raue Erotik preist und endlich wird er so weich in ihrer Hand, wie die Mondseide ihres Kleides und wird aus dem Gedanken, der immer Gefühl sein sollte- Poesie!
Das ist so wunderbar angedeutet, gleichzeitig so tief angelegt im harmonischen Sing-Sang der Nachtigallenstimme, der weichen Rhythmen der Wörter und Wortstellungen, der zärtlichen, sinnlichen Endungen mit denen du hier so unverstellt spielst („münden“, bögen, zöge, einen“) dass es mir vor Lust den Atem verschlägt! Du webst die harten, scharfe Widersprüche so non chalant ein, dass die feine Blutspur auf der Zunge, die nach dem Ritt über die Gegensätzlichkeiten bleibt, der Geschmack der Worte ganz nach dunklem Wein schmeckt, mit einem Hauch von kaltem Eisen.
Ja, natürlich finde ich noch eine weitere Ebene. Die hat mit der Sängerin allein zu tun. Hat damit zu tun, wie sie zu sich selber singt, ohne es am Anfang auch nur zu ahnen. Und doch wird es ihr am Ende bewußt („vielleicht auch mich“) Das ist doch die Alchemie mit den Mitteln der Schönheit! Das ist sie doch: Albedo, die Weißung, die erste Stufe des Steins!
Übrigens: Der Begriff „Ballade“ kann im modernen Sprachgebrauch auch für Lieder oder lyrische Reflexionen mit musikalischem Klang stehen. Da das Gedicht einen sehr rhythmischen, melodischen Fluss hat, könnte der Begriff bewusst anders verwendet worden sein– nicht im narrativen, sondern im musikalischen Sinne! Das Arabische hat bekanntlich auch eine starke mündliche Dichtungstradition, in der Gedichte oft gesungen oder in rhythmischer Weise vorgetragen werden. Die „Ballade“ im Titel könnte also auf diesen musikalischen Aspekt arabischer Poesie anspielen.
Vielleicht soll die Bezeichnung „Ballade“ sogar provozieren und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass sprachliche Kategorien oft nicht exakt passen – ähnlich wie sich die arabische Sprache nicht vollständig in westliche Denkmuster fügen lässt.
Ich hätte das Gedicht, Lied, Ballade, Ode, Zungenkuss der Worte, empfohlen,. Es ist großartig !
mes compliments
dio