Und weil mir jetzt die
Fee'sche Plotzelvariante (jambische 4-3-4-3-Heber im Reimschema A-B-C-B) nicht aus dem Kopf geht, flechte ich gerade mal einen etwas improvisierten literaturhistorischen Exkurs ein:
Als ich gerade den Klang der plotzelisierten Tulareime auf mich habe wirken lassen, ist mir nämlich aufgegangen, dass die Plotzelverse im Allgemeinen und die Feeplotzeln im ganz Besonderen nahe Verwandte der "bürgerlich-neunzehntjahrhundertigen"
Leberreime sind.
Diese humoristische Gedichtgattung wird auf wikipedia-Niveau gerne im 16. Jahrhundert verortet und als trinkliedhaftige Witzdichtung beschrieben, bei der ein Gesang aus
zwei Zeilen mit je 15 Silben mit den Worten beginnt "
Die Leber ist von einem Hecht - und nicht... ", dann wird ein (möglichst unsinniges) anderes Tier genannt und dann in einer zweiten Zeile eine irgendwie humoristische, mehr oder weniger sinnvolle Conclusio gezogen.
Ein Beispiel könnte so lauten (obiger Formvorgabe folgend, aber zu Demo-Zwecken ad hoc ausgedacht):
"Die Leber ist von einem Hecht und nicht von der Amöbe.
Und trink ich noch nen Humpen Bier, ist mir als ob ich schwebe."
Tatsächlich lassen sich solche Leberreime perfekt in die vierzeilige, oben beschriebene Fee-Plotzel-Form überführen:
"Die Leber ist von einem Hecht
und nicht von der Amöbe.
Und trink ich noch nen Humpen Bier,
ist mir als ob ich schwebe."
Hier noch ein überliefertes Beispiel von
Theodor Fontane (von diesem auch als Zweizeiler verfasst und von mir jetzt in die vierzeilige Form überführt):
"Die Leber ist von einem Hecht
und nicht von einem Schleie.
Der Fisch will trinken, gebt ihm was,
daß er vor Durst nicht schreie."
Und um nun noch mal auf meine oben angedeutete, naja, Relativierung der Infos über den Leberreim (im Hinblick auf die Entstehung im 16. Jh. und den formalen Bau) einzugehen:
Tatsächlich habe ich als früheste Manifestationsformen dieser Gattung bis dato nur Leberreime aus der Mitte des 17. Jahrhunderts gefunden, z. B. in den
Ethica Complementoria, einer Text-Sammlung unter der Herausgeberschaft des barocken Literaten
Georg Greflinger, die in vielen unterschiedlichen Varianten von Mitte des 17. bis ins 18. Jh. hinein gedruckt wurde. In dem Zusammenhang wird auch ein Heinrich oder Henrikus
Schaevius (1624-1661) erwähnt, der unter dem Pseudonym Euphrosine von Sittenbach Leberreime verfasst habe (Autorenschaft unsicher) und früher auch als "Erfinder" dieser Reimform gehandelt wurde (vermutlich ist dem nicht so).
Der Punkt dabei ist, dass die frühen Leberreim des 17. Jh. gar keine Zweizeiler sind, sich nicht an die 15 Silben pro Zeile halten und auch nicht (alle) mit dem kanonischen "Die Leber ist von einem Hecht" anfangen.
Hier mal zwei Beispiele mit Hecht (in behutsam angepasster Orthographie):
"Die Leber ist vom Hecht
und nicht von einer Ziegen,
missgönn den Bösen nicht,
dass sie so hoch gestiegen:
die Wolken, die man jetzt
so schwülstig siehet gehen,
die mag man bald hernach
in faulen Pfützen sehen. "
"Die Leber ist vom Hecht
und nicht von einem Lachse,
die Zeit, die wir begehn,
ist gleich gelindem Wachse:
Sie fließt uns gar zu schnell
bei warmem Glückesschein,
und bläst des Unfalls Nord,
so steht sie wie ein Stein."
Man sieht, diese frühen Leberreime sind mehr auf Sinnspruchhaftigkeit und eine "Moral" aus, als auf Nonsens-mäßigen Witz und bestehen aus acht Zeilen mit dreihebigen Jamben, weshalb sie (im Gegensatz zu den Beispielen aus dem 19. Jahrhundert, in dem der Leberreim offenbar seine "klassische" Form gefunden hat), nichts mit Plotzelversen zu tun haben.
Hier daher jetzt nochmal ein paar Beispiele aus dem 19. Jahrhundert, dieses mal ohne den Hecht, aber sonst recht "klassisch" gebildet. Die Beispiele sind von
Karl Simrock (1802-1876) und hier kann man durch Aufteilung der zwei Zeilen (je 15 Silben) auf vier Zeilen leicht die Fee-Plotzel-Form generieren. Ich behalte hier mal die zweizeilige Form (entsprechend der Publikation von Simrock) bei und deute die zusätzlichen Zeilenumbrüche durch ein /-Zeichen an:
"Die Leber ist vom Hirsche nicht / sie ist von einem Pudel,
wozu dich quälen, sudle doch / es liebt die Welt Gesudel."
"Die Leber hat doch auch ein Herz / und zuckt euch unterm Messer,
das Schlechtermachen stellet ein / ihr macht es ja nicht besser."
"Die Leber darf nicht trocken sein / man soll mit Wein sie tränken,
nur ihretwillen lieg ich jetzt / den ganzen Tag in Schenken."
In jedem Fall werd ich das Textstudium der Leberreime jetzt noch etwas vertiefen und womöglich wäre ja bei den Fingerübungen auch hierzu ein eigener Faden nicht ganz unergiebig (bzw. womöglich gibts ja sogar schon einen?!), wobei ich aktuell sagen muss, dass ich persönlich die alten, achtzeiligen Varianten mit der stärkeren Sinnspruch-haften Ausrichtung eigentlich interessanter finde, als die moderneren Zweizeiler.
LG!
S.
P.S.:
Jetzt hab ich hier gesucht und von Bernd gibt es in der Tat bereits hienieden sehr schöne Ausführungen zu Leberreimen.
Leseempfehlung!
junger Hecht? Die Leber ist vom alten Hecht und nicht von einem jungen, denn das sie Whiskey-würzig ist, hab`ich mir ausbedungen
www.leselupe.de
Mit dem von Bernd erwähnten Reinhard Schaevius müsste Heinrich Schaevius (s. o.) gemeint sein. Sehr schön auch, dass Bernd noch ältere Leberreime von ganz zu Beginn des 17. Jh. ausgegraben hat (was auch die von mir oben als zweifelhaft beschriebene Erfindung der Leberreime durch Schaevius widerlegt). Ob es wirklich Reime aus dem 16. Jh. (oder gar noch früher) gibt, die dieser Form zugeordnet werden können, bleibt damit aber noch weiter offen. Die Wikipedia-Aussage zum Alter dieser Reime muss als insofern (noch!) als nicht so richtig belegt angesehen werden. Vielleicht frag ich bei Gelegenheit mal eine KI, ob sie noch ältere Beispiele kennt.