Hallo in die Runde
Wenn ich etwas dazu sagen darf:
Mondneins Kommentar unter deinem Gedicht, blackout, zielte in gewissem Sinne ins Leere. Ihr habt einfach aneinander vorbeigeredet. Mondnein hat den Begriff "Wahrheit" sehr anders gefasst, als es in deinem Gedicht intendiert ist.
Fassen wir "Wahrheit" zb. als mathematischen Beweis, hat Mondnein mit seiner Kritik recht. Fassen wir "Wahrheit" als einen zwischenmenschlichen Prozess hast du natürlich recht. Oder als das äußern politischer Meinungen (ja, Probleme kann man auch haben, wenn man nicht um Leib und Leben fürchten muss), oder als Streiterein zwischen verschiedenen Weltanschauungen, bei denen es in bestimmten Punkten nicht mehr um Objektivität geht.
Das ist ein seltsames Missverständniss, weil es so häufig vorkommt und irgendwie jeder dem immer wieder aufliegt.
So du! Denn hier in mondneins Text geht es nicht wirklich um deine Auffasung vom "Lügen". Der "Die Dichter Lügen zuviel" Gedanke, ist uralt. (Schon konkret bei Plato zu finden)
Mondnein wies bei seinem Kommentar unter deinem Gedicht allerdings explizit auf Nietzsche hin, der den Gedanken immer wieder variiert hat. Ich bin in dem Punkt nicht wirklich bei mondnein, weil er sich immer wieder (ist glaub ich ein Dichter-Problem) zu sehr auf den frühen Nietzsche bezieht und die Gedanken irgendwie...zu radikal nimmt. Aber das wäre einen eigenen Faden wert.
Um ein paar bsp. zu bringen, damit sich das hier nicht bloß auf abstrakter Ebene abspielt, möchte ich zuerst ein Gedicht Nietzsches vorstellen und dann auf die Geschichte der Dichtung hinweisen. Ich würde gerne Prosa Texte Nietzsches posten, aber da ich gerade bei meiner Freundin wohne, habe ich keinen Zugang zu meinen Büchern... und Harry Potter ist hier keine gute Referenz
(Ich zitierte aus dem Kopf, hoffe ich gebe es richtig wieder)
Nietzsche: An Goethe
Das Unvergängliche
ist nur dein Gleichnis.
Gott der Verfängliche
ist Dichter Erschleichnis.
Welt-Rad, das Rollende
Streift Ziel auf Ziel,
Not - nennt's der Grollende
Der Narr nennt's - Spiel.
Welt-Spiel, das Herrische
mischt Schein und Sein,
das ewig Närrische
mischt uns - hinein.
Es ist unschwer zu erkennen, dass Nietzsche im ersten Vers Goethes Satz: das Vergängliche ist nur ein Gleichnis aufgreift.
Während Goethe diesen Satz sehr objektiv formuliert hat, mit einem gewissem Schwung in eine bestimmte Richtung, dreht N. den Satz um. Aber er dreht in eben nicht einfach um im Sinne von: das Unvergängliche ist nur
ein Gleichnis, sonder er fügt hinzu: es ist
dein Gleichnis! Die ganze Zentralisation des Gedankens, findet sich in der Behauptung, der Dichter, G. in dem Fall, biegt sich die
Wirklichkeit nach
seinem Bedürfniss zurecht. Eine objektive Aussage ist nicht getroffen wurden, im Gegenteil - das Leiden (nicht nur) des Dichters
an der Wirklichkeit ist der Urgrund dieser Zeile, dieses Leiden eben führt dazu, dass sich der Dichter die Wirklichkeit so zurechtbiegen muss, (durch das Gedicht) dass die Wirklichkeit im Gedicht nicht vorkommt.
Ähnlich hat N. (nur schärfer) den Philosophen angegriffen...der auch eine Art Dichter ist. Greift er Schopenhauer zb. an, indem er den Titel seines Hauptwerkes "Die Welt als Wille und Vorstellung" pyschologisch umdreht in "Die Welt als Geschlechtstrieb und Beschaulichkeit" ist das alles andere als bloße Ironie. Woran hat Schopenhauer konkret gelitten? An seiner scheinbar starken Libido, die er kaum ausleben konnte. Wie hat er diesen Willenstrudel konkret zu entfliehen versucht? In einer äußerst geordneten Lebensführung. Diese Ganze konkret nachzuweisende Biographisch-Persönliche Komponente in S. Leben bestimmt sein gesammtes Hauptwerk, mit dem Ziel dem Willensstrudel zu entfliehen durch Willensverzicht, Ordnung, Beschaulichkeit eben. So der Dichter nach Nietzsche. Selbst Gott, in jeglicher Form, ist Dichter-Produkt, d.h. das Bedürfnis des Menschen die Wirklichkeit so "um-zu-Dichten", das sie erträglicher wird. Alles ist das aber nicht...das Interpretieren der Realität zugunsten der ästhetischen Anschauung, ist auch Übermut, Spiel. Die Lust zu gestalten, in Kleinem wie in Großem Stile. "Der Narr" ist der Dichter. Und niemand sonst...
Im ständigen Wi(e)derspiel der Wirklichleit, die eben weder einfach kalt und objektiv zu beschreiben ist (nach N.) und der menschlichen Existenz (die irgendwie abgesondert existiert, weil sie interpretiert) ist es die Lust und das Bedürfnis zu gestalten, diese Gestaltung ist "die Dichtung"
Die Obkektive Wirklichkeit kommt darin nicht wirklich vor.
Kling alles noch sehr abstrakt, daher mal ein ganz konkretes Beispiel:
Nach dem "Desaster" (man bräuchte ein krasseres Wort) des 2. Weltkrieges, war es für viele Dichter nicht länger mehr möglich, an der Dichtung der vorhergegangenen Zeit festzuhalten.
Rilke war zum Lügner geworden, nicht weil er nichts psychologisch Wahres zu sagen hätte, nicht weil er nicht einmal etwas Wahres über ihn als Person geschrieben hätte, sondern weil der absurde Verklärungscharakter seiner Dichtung, seine weiche stromlinienförmige "Weisheit" seine "Gottesgedanken", der "Frühlingstaumel" das "alles ist eins" und so weiter, auf eine Generation traf, die durch den Krieg eine völlig andere Realität erlebt hat. Rilke war Unanständig. Hölderlin war Unanständig. Goethe ein Schwätzer, der nie erfahren hat, das die Welt aus mehr als Liebe und ästhetischer Mephisto-Verführung besteht. Die Realität dieser Generation, kam bei ihnen allen nicht vor.
Also wurde die Dichtung beschreibender. Sie wollte nicht mehr die Welt erklären,
das ist schiefgegangen, sie wollte das Kleine in den Vordergrund rücken. Sie wollte das Leid beschreiben, ohne es ästhetisch zu beschönigen mit O-Dyonisos Gesängen.
Dasselbe passierte schon früher mit dem Expressionismus. Ließ mal die Tagebücher Georg Heyms, das ständige Warten, herbeischwören des Blitzes, des Erbebens, der unendlichen Erschütterung des menschlichen Daseins, und sei es durch einen Krieg um die entfemdete Natur aus der Langeweile, der schnöden Ödnis der Großstadt und Belanglosigkeit der Natur in das Maß der menschlichen Wirklich zurückzuführen, ist grotesk. Ja, das Erdbeben kam, und Heym war abgeschrieben, ein Schwätzer, der die Wirklichkeit, die grausame Realität nicht begriffen hat.
Die Skepsis saß so tief, das einige Dichter (Jandl zb.) der Sprache selber zu misstrauen begannen. (Wittgenstein spielt eine Rolle). Entweder man beschreibt die Welt schnörkellos, naturwissenschaftlich klar, dann dichtet man nicht, oder man dichtet, dann beschreibt man die Welt nicht klar. Die Sprache wurde auf ihre eigene, ihr inhärente Wahrheit zurückgeführt. Bei Jandl, spiegelt das Gedicht oft nichts weiter wider, als das Gedicht. Die Konkrete Poesie stellt die Frage nach der Wahrheit der Sprache: es ist nicht mehr von Bedeutung, dass Welt-Ganze, den Menschen, das Tier, das Ding zu erfassen, sondern was zählt ist, was sagt die Sprache über die Sprache.
Zuletzt, dass der Dichter "über sich Wahrheit" sage ist ebenso schwierig, "Ich" "Bewusstsein" "Person" ist nur ein kleiner, sehr kleiner Teil dessen was "Mensch" ist. Die wahren Motive unseres Denken, Fühlen und Handelns liegen nicht im Bewusstsein, sie werden ihm nicht einmal zugespielt. Sicher, der Mensch kann sie zutage fördern, aber er hat keinen direkten Zugriff auf den zugrundeliegenden Prozess, er kann ihn nur im nachhinein interpretieren. "Wissen" tun wir gar nicht über uns, wir können bloß Vermuten. Liest man jetzt aber Gedichte, sind die meisten, sprachlich, bildlich, inhaltlich ein Verkünpen von unterschiedlichen Komponenten: der Mensch spricht sich über die Natur aus, den Mitmenschen, das Tranzendentale usw... Wie viel Wahrheit kann dann noch vorhanden sein?
Und diese Sprach-Skepsis wird in Hansz Gedicht behandelt, großartig behandelt! Dialektisch, wenn man so will, hegelianisch.
L.G in die Runde
Patrick