Herzliches Dankeschön für die genaue Information!
Das war also falsch, die Verse als Hexameter zu lesen.
Aber es erklärt sich leicht: die Länge von der Zäsur läßt sich im Deutschen leicht als unbetonte Silbe lesen, und schon hat man Hexameter. Das ist besonders passend in dem Rückert-Beispiel der von Dir angelinkten Wikipedia-Seite, denn Rückert hat in allen vier Versen anfangsbetonte dreililbige Wörter, nach denen es mit einer betonten Silbe so flüssig weiterläuft, als wäre da keine Zäsur, sondern eben der Daktylus, der in einem Hexameter den dritten Versfuß füllte.
Und so ist es auch bei Dir, dachte ich, weil ich das an den ersten beiden Verszeilen so gelesen hatte, und es "paßt" auch noch beim dritten so hexametrisch wie bei Rückert. Hätte ich besser aufgepasst, wäre ich bei den letzten beiden Versen rausgeschleudert worden, bei "rot wie Blut" und "schöner Mann", denn "Blut" und "Mann" lassen sich kaum als Unbetonte lesen.
Das liegt natürlich schlicht und einfach daran, daß wir im Deutschen nicht Längen und Kürzen lesen, sondern Betonte und Unbetonte, Hebungen und Senkungen. Endsilben eines dreisilbigen Wortes tragen im Deutschen gelegentlich die Betonung, z.B. "überhaupt" oder auch - wie ich beim Vergleichen dreisilbiger Beispiele finde - bei anderen Fügungen aus einer zweisilbigen Präposition mit der dann folgenden Hauptsilbe des Wortes. Aber sonst wohl kaum.
Ich vergleiche noch das Wort "Reißverschluss" mit dem hineinprojizierten Hexameter: das "ver" ist zwar unbetont, aber im Deutschen kann eine Senkung von einer Unbetonten gefüllt werden, die man mit dem Längengewicht einer Betonten breitmacht. Im Unterschied zu lateinischen Kürzen, die keine Längen ersetzen können (außer in der "weiblich" abfallenden Schlußsilbe), können iktisch gelesene (z.B. deutsche) "Hexameter" langgelesene Unbetonte zwischen die Betonten schieben, wie es ihnen paßt.
Eigentlich wird das metrische Schema völlig klar und leicht zu lesen, mit der Zäsur zwischen den beiden Betonten in der Mitte des Verses, wenn man die beiden Hälften untereinander setzt:
Weiß wie Schnee und so rot wie Blut,
schwarzes Haar, das wie Seide
Schimmert. Zier dich nicht, schöner Mann!
Komm und mach mir die Freude!
So gehe ich regelmäßig bei Distichen vor: den Pentameter, also den jeweils zweiten der beiden Verse mit der Zäsur in der Mitte, halbiere ich, so daß da ein Hexameter steht, dem zwei dreifüßige Verse folgen.
(nicht zwei dreifersige Füße)
grusz, hansz