Ich habe mich dazu entschlossen die überarbeitete Geschichte weiter unten neu einzufügen.
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Michael wusch seine Hände.
In dem blanken, von scharfem-LED Licht bestrahlten weißen Waschbecken wusch er sie mit viel Wasser und Seife.
Routiniert und gründlich.
Es schäumte bis zu seinem Handgelenk.
Die eine Hand wusch die andere, auch zwischen den Fingern.
Das Lied, welches Schulkindes zur Einhaltung der Waschdauer eingeübt hatten, summte er tonlos in sich hinein.
Er trocknete seine Hände anstandslos.
Das Waschbecken links von ihm war mit einem Absperrband beklebt.
Er schaute hoch in den Spiegel vor ihm.
„Bin das ich? Bin das noch ich?“, fragte er sich stumm.
Die untere Hälfte seines Gesichts bedeckt eine weiße FFP-Maske.
Er sah noch blasser aus wie sonst. Mit seiner glatten Haut, den akkurat frisierten dunklen Haaren wirkte er auf sich selbst erschreckend künstlich, die Augen ausdruckslos.
Um so kontaktlos wie möglich herauszukommen, nahm Michael für die Klinke ein frisches Papiertuch in die Hand.
Berührungslos hatte er schon bezahlt und ging wortlos an der Bedienung vorbei.
Die ging mit gesenktem Kopf ihrer Tätigkeit hinter der Theke nach.
So verließ Michael das Café, schuldlos.
Draußen im kalten Wind fühlte er das Echo des Impfnadeleinstichs vor ein paar Tagen. Ein seltsam taubes Gefühl, als hafte endlos ein Cent Stück am Oberarm.
Der Piekser verlieh ihm den Status, den er benötigte, um widerspruchslos öffentliche Bereiche zu betreten.
Social Distancing war die alternativlose Verhaltensweise, bis sich die Todeszahlen, R-Werte und Bettenbelegungsraten reduzierten.
Es müsste doch eigentlich nur wichtig sein, sich physisch zu distanzieren und nicht sozial, fragte sich Michael.
Draußen auf der Straße nahm er seinen gewohnten Weg Richtung Rathausplatz.
Dort nahm er deutlich wahr, welchen heillosen Erfolg „Social Distancing“ hatte.
Auf der weiten freien Fläche, die sonst von vielen Touristen wie Einheimischen zum Essen, Flanieren und Verweilen genutzt wurde, eilte kaum eine Handvoll Menschen rastlos ihrem Ziel entgegen.
Michael hatte seine Hände tief in den Hosentaschen, den Blick mehr auf den Boden als nach vorne gerichtet,
die Kapuze seines schwarzen Mantels hing ihm halb über das Gesicht.
Eine Frau im blauem Businesskleid, die in seiner Richtung an ihm vorbei lief, fing grundlos an zischende Laute auszustoßen, welche sich in wildes, gestikulierendes und lautes Rufen von verständnislosen Worten in einer fremden Sprache steigerten.
Er reagierte entschlusslos.
Die anderen Personen gingen reaktionslos wie stumme Figuren weiter einem unbekannten Ziel entgegen.
Er war froh darüber, dass niemand ihn grundlos anstarrte, froh darüber, dass er sich nicht kümmern musste und einfach ebenso weitergehen konnte.
Zu Hause fühlte er sich wieder sicherer, obwohl er gleich wieder einen Drang nach draußen, zur Freiheit verspürte.
Die erstickende Stille mitten in der Stadt am Morgen oder auch am Abend empfand er als gespenstisch in der sonst so aktiven großen Stadt.
Aus seinem schmalen Schlafzimmerfenster schaute er am Abend gerne rüber den begrünten Hof in die beleuchteten Fenster des Nebengebäudes.
Dort wohnten die meisten alleine in Einzimmerappartements. Neulich beobachtete er zwei Personen gegenüber auf dem Nachbarbalkon. Ganz in Weiß verhüllt und mit großen durchsichtigen Visieren vor dem Gesicht hantierten sie wie choreografiert mit irgendetwas herum, was die Balkonbrüstung verbarg.
War überhaupt alles real was er erlebte?
Manchmal hatte er wirklich Sorge, hemmungslos durchzudrehen: Oder war er schon bewusstlos dem Wahnsinn verfallen?
Hatte er doch neulich ein Film geschaut, der eine Pandemie zum Inhalt hatte. In seiner Erinnerung an den Film konnte der durch das fiktionale Ereignis auf dem Bildschirm, den Arm hindurchstrecken und die Realität dahinter mit der Hand greifen.
Mit einer Tasse Tee auf der Couch liegend, noch unschlüssig, ob er das vor ihm liegende Buch weiterlesen sollte, erinnerte sich Michael an den Tag zuvor. Als er die Einkäufe auf das Kassenband legte. Neben den Lebensmitteln gingen auch problemlos die Farbdose und Pinsel durch. Eigentlich war der Baumarktbereich abgesperrt.
Nicht grundlos.
Wegen Umbau, hieß es.
Supermärkte, Cafés, Modegeschäfte, Friseure. Hatten wieder auf. Die Baumärkte waren kompromisslos auf professionelle Handwerker beschränkt.
Warum gerade diese riesigen Regalhallen, wo schon im Normalfall fraglos jeder den größtmöglichen Abstand hat, fragte sich Michael. Sind in der Ethikkommission zu wenig am Handwerk Interessierte?
Der Alarm seines iPhones riss ihn aus den Tagträumen. Da war noch das Team-Meeting, fiel ihm ein.
Sein Office zu Hause war nichts weiter als der vom Laptop belegte Bereich des Esstischs. Er setzte sich davor.
Dahinter wohlbedacht sein Bücherregal.
Erlebten Bücherregale nicht tadellos eine Renaissance?
Die Gesichter der Kollegen fand er gekachelt auf dem Bildschirm wieder. Kleine quadratische Boxen. Blau-grünlich und blass wirkten die meisten Gesichter. Umrahmt von
deren matten oder pittoresken Hintergründen ordnete Michael seine Kollegen zwischen gequältem Lachen und gespielter Freude ein.
Er selbst freute sich, alle Anwesenden wiederzusehen.
„Thomas und Ella haben sich für den Rest der Woche krank gemeldet“, vermeldete emotionslos Sebastian, der Teamleiter.
Ella hat kein Corona, fügte er schnell zur Entwarnung hinzu, aber Thomas hatte einen positiven Schnelltest:" Ich hoffe, Euch geht es allen gut.“
Die erste Viertelstunde berichtete jeder von seinen Problemen mit den Kindern, kolportierte Nachrichten bedenkenlos garniert mit Meinungen am Rande des politisch Sagbaren. Schließlich über Kunden zu Hause am Telefon mit „Mami, ich bin fertig“ rufenden Kindern im Hintergrund und Kartoffelbrei an den Fingern.
Jene, die bis zum Schluss tadellos ihre Aufmerksamkeit heucheln konnten, waren offenbar froh, bis zum Ende nichts sagen zu müssen. Ein anderer überspielte seine Disziplinlosigkeit mit zügellosen Berichten über Belanglosigkeiten. Wie Schulkinder ohne erledigte Hausaufgaben
Plötzlich war die Zeit um, die zu Anfang der Telco wie kalter Honig floss.
Wie platzende Seifenblasen schlossen sich die Kacheln, bis der Bildschirm schwarz war.
Verschwindet nicht jeder so aus dem Leben? Jede Seele wie eine platzende Seifenblase?
Alleine am Laptop rechnete Michael aus fraglosem Interesse Logarithmen und Exponentialfunktionen durch.
Seine ruhelosen Augen schauten noch ein Beitrag über Zero Covid Strategie und an diesem Tag zum fünften Mal die Statistiken auf der Johns Hopkins University.
R-Wert, Inzidenz, Impfrate, Todesrate. Auf der Seite des Gesundheitsministeriums fehlt im Diagramm für Todesursachen die Todesursache Altersschwäche.
Flatten the curve! ist das Gebot der Stunde. Das Sterben muss verhindert werden. Kein Preis ist zu hoch. Der Staat darf sich nicht an dem Tod der Bürger schuldig machen.
Niemals mehr!
Für morgen nahm er sich hemmungslos viel vor. Jetzt fühlte er sich für den Rest seiner Arbeit verantwortungslos zu antriebslos.
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