Spiritus Rector

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen
Spiritus Rector

Ich spürte seine Knarre im Nacken. Mein verkokstes Herz pochte noch stärker.
„Am liebsten würd’ ich dich abknallen, du Schwein!“, schrie der Bulle und drückte das bedrohliche Eisen noch fester in mein Genick. Angstschweiß durchtränkte mein T-Shirt.
René und die anderen beiden Glatzen — deren Namen ich längst vergessen hatte — wurden brutal auf die Motorhaube meines noch nicht abbezahlten BMW gedrückt.
Das Getümmel und die aufzuckenden Blaulichter hatten die düstere Nacht in eine bizarre Freilichtdisco verwandelt. Nur, dass ich nicht wie sonst von den dumpfen Bässen getrieben wurde. Andere hätten jetzt verdammt noch mal aufpassen müssen, nicht wie ein ängstlicher Idiot in die Hose zu pissen.
Unser Trip war beendet.

Der Spiritus Rector, wie mich später die Mitteldeutsche Zeitung nennen sollte, war nach einer wilden Verfolgungsfahrt durch Magdeburg geschnappt worden.
Mit ihm seine Helfer, drei polizeibekannte, arbeitslose Skinheads. Raub, räuberische Erpressung, Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung sowie Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Zehn Stunden zuvor war ich in unserem Büro eingetroffen, das aus zwei Schreibtischen, zwei Telefonen, einem Faxgerät und einem Klo mit kaputter Spülung bestand.
Später Nachmittag, die richtige Zeit, um unsere Zielgruppe am Telefon zu ergattern: Selbständige Handwerksmeister, die von ihren Baustellen zu Hause eintrudelten.
Nachdem wir in den Wendejahren halb Sachsen-Anhalt mit Versicherungen aller Art überschwemmt hatten und nichts weiter zu holen war, kamen wir auf unsere neue Geschäftsidee: Handwerkern Dübel, Schrauben und sonstiges Material aufzuschwatzen. An und für sich ein lohnendes Geschäft, bloß dass die Zahlungsmoral immer schlechter wurde.
Ich schlug die Gelben Seiten von Magdeburg an der Stelle auf, wo ich tags zuvor aufgehört hatte, steckte mir ‘ne Kippe an und schaute aus dem Fenster. Matze, mein alter Schulfreund aus dem Westen und jetziger Kompagnon, traf ein und parkte sein Auto neben meins.
Wie sehr liebte ich diesen Kontrast, wie unsere beiden protzigen, tiefschwarzen und stets gewienerten BMW 735i wie eineiige Zwillinge vor dem schäbigen Haus standen, an dem der weiße Anstrich abblätterte.
Matze grüßte mich, reichte mir die BILD-Zeitung, die er am Kiosk geholt hatte und zog ein frisches Branchenbuch aus dem Stapel heraus.

Als ich vom Klo zurückkam, wo ich das Revolverblatt überflogen hatte, schnüffelte ich noch verträumt an der Druckerschwärze. Ich schnüffelte schon immer gerne. An allem. Egal ob an Klebern, Farben, Lösungsmitteln oder Muschis. Dann warf ich noch einen letzten Blick auf die Liebe ist …-Karikatur in der BILD. Wer hätte gedacht, dass zwei Tage später neben dem süßen Komik-Pärchen in fetter Aufmachung von der Entlarvung eines ehrbaren Unternehmers als Räuber berichtet werden sollte?
Ich schaute auf die Uhr, kramte noch einen kleinen Wachmacher aus der Schublade und wunderte mich über Matze, der auf den Tasten seines Telefons herumhämmerte. „Was ist los?“, fragte ich ihn.
„Geht dein Telefon auch nicht?“
Rasch kippte ich den Schnaps hinunter und lauschte am Hörer. „Verdammt! Die haben uns die Leitung stillgelegt!“ Zuletzt hatte es mehrere Tage gedauert, bis wir wieder telefonieren konnten, und Handys waren zu dieser Zeit nicht verbreitet.
Drei Straßen weiter in unserer Garage lagerten unzählige Kartons, Wie für fünftausend Mark, aus der wir ein Vielfaches machen wollten. Außerdem schob jeder von uns noch knapp Hunderttausend Miese vor sich her. Wir lebten gut. Heute würde ich sagen, über unsere Verhältnisse.
Mein Bruder hatte sich erst kürzlich geweigert, auf eine Bürgschaft über Zehntausend einzugehen. Er hatte eine Familie gegründet, studierte nebenbei, das zweite Kind war unterwegs. Kein Verlass auf den Versager. Und meine Eltern wollte ich nicht weiter anpumpen; viel zu holen war da eh nicht. Außerdem passte das so gar nicht zum Bild des erfolgreichen Geschäftsmannes. Sie sollten stolz auf mich sein.
Voller Wut schmiss ich den Hörer auf den Schreibtisch und traf den Aschenbecher, der im hohen Bogen auf den Boden flog. Die in ihm liegende, noch glimmende Kippe verursachte ein weiteres Brandloch im Teppich. „Wie viel Kohle hast du noch, Matze?“
„Ich hab den Rest gestern für den Shit ausgegeben.“ Matze deutete auf seinen Joint und das kleine Tütchen. „Das reicht noch für ein paar Tage.“ Er grinste und inhalierte einen kräftigen Zug.
Ich liebte diesen süßlichen Duft, der mich daran erinnerte, noch etwas Cannabis für unsere Bong besorgen zu müssen. Dann kam mir die Idee. „Wir sollten unsere Kunden einfach mal besuchen. Vielleicht können die Anzahlungen machen oder wir bieten ihnen Ratenzahlungen an.“
„Meinste? Wir sollten dann aber den René mitnehmen, so zum Einschüchtern.“
„Hm. Kann nicht schaden“, stimmte ich zu.
René kannten wir vom Bahnhof. Ein doofer, muskelbepackter Skin, der als Schläger bekannt war und uns ab und an Shit besorgte. Ein ganz netter Kerl.

Am nächsten Morgen hatte ich eine Route geplant, um möglichst viele Kunden auf einmal abzugrasen. Nicht so, wie man das heute kennt, mit Navi, Google Maps oder so. Nein, damals musste man noch Karten lesen können und mit einem bunten Textmarker die Strecke kennzeichnen. In Linienziehen war ich ein As. Der Filzstift roch gut.
Matze kam nicht. Er musste kurzfristig auf seine kleine Göre aufpassen. Aber René war zur verabredeten Zeit im Büro und brachte zur Verstärkung zwei weitere Glatzen mit. Ich versprach ihnen Freibier und einen Anteil.
Bevor sich die Drei nach hinten setzen durften, mussten sie sich noch die Springerstiefel abklopfen und ihren dickflüssigen Raucherhusten ausspucken. Ich schmiss den Dreien ein paar Sixpacks auf die Rückbank und gab Gas.

Nach einer halben Stunde hielt ich vor einem runtergekommenen Haus in einer ruhigen Seitenstraße an. Einer der Glatzen döste vor sich hin, zwei Sixpacks waren leer.
Ich schaute auf das verblasste Schild an der Tür, hinter dem sich das Büro befand. Mein erster Kunde für heute.
Das kleine Firmengebäude, bestehend aus einer Werkstatt und dem Büro, grenzte an einem schmucken, scheinbar frisch renovierten Häuschen an. Offenbar das private Anwesen meines Schuldners, der mit siebenhundertneunzig Mark bei uns in der Kreide stand.
Im Garten sah ich einen älteren Mann in Hosenträgern, der neugierig dreinschaute.
„Bleibt ihr im Auto“, sagte ich. „Und macht das Fenster auf, das stinkt ja erbärmlich!“ Die eingedöste Glatze wurde durch mein Türschlagen wach, eine andere ließ die Scheibe herunter.
„Guten Tag. Ich suche Herrn Fiebig. Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?“, rief ich über den Gartenzaun.
Der Alte wirkte nervös. „Nein. Keine Ahnung“, sagte er kleinlaut, drehte sich um und verzog sich mit immer schneller werdenden Schritten in sein schickes Häuschen.
Der verpisst sich.
Ich deutete den Glatzen mit einem kurzen Wink, auszusteigen.
Die Tür des Büros war nicht abgeschlossen. Ich ging als erstes rein, die drei Grinsebacken im Schlepptau. Kein Schwein da. Alle waren ausgeflogen.
Ich durchwühlte Schubladen nach Geld und Wertgegenständen. Dann fand ich Goldschmuck und steckte ihn heimlich ein. Mehr war nicht zu holen.
Wir dampften ab.

Bei den nächsten drei oder vier Kunden rückte keiner Asche raus. Sie sprachen von schlechter Auftragslage und beteuerten, kein Bargeld oder sonstiges bei sich zu tragen. Und das, obwohl die Glatzen immer ein paar Meter hinter mir standen und grimmige Visagen machten.
Alles entpuppte sich als eine große Pleite.
Es war eine Scheißidee.

Draußen wurde es immer dunkler und wir trafen an den beiden letzten Adressen niemanden mehr an. Wir machten uns auf den Heimweg.
Das Bier war alle. Da wir noch genug Hasch hatten, war die Stimmung im Auto nicht gänzlich schlecht.
„Wir müssen bald tanken“, rief ich den dreien zu, die sich einen nächsten Joint teilten. „Hat einer von euch Kohle?“
„Ey, sachma, spinnste?“ René blickte sauer drein. „Wir ham nix.“
An der nächsten Straßenecke sah ich einen Geldautomaten. Ich hielt an. „Wartet kurz.“
Kurz darauf kam ich zurück. „Der scheiß Automat spuckt nichts aus!“ Ich haute auf das Lenkrad. „Mistdreck!“
„Ey. Alder. Lass uns das Geld auf der Straße holen“, schlug René vor. Er schaute seine beiden Glatzenbrüder an. „Das haben wir schon öfters gemacht.“ Die Drei freuten sich wie die Schneekönige.
Warum nicht?, dachte ich. Irgendwie mussten wir ja heil nach Hause kommen.
Im gemäßigten Tempo fuhr ich weiter und warf dabei immer wieder einen prüfenden Blick auf die Tanknadel. Schließlich erreichten wir den Stadtrand Magdeburgs. Wir schauten uns um. Abbruchreife Häuser, kaputte Straßen, die Schaufensterscheiben eines HO-Ladens waren zugenagelt. Opfer der freien Marktwirtschaft. In dieser abgefuckten Gegend wollte ich nicht tot im Graben liegen.
„Da! Den krallen wir uns!“ René zeigte auf einen jungen Hänfling, der ahnungslos den Bürgersteig entlang ging.
René hatte einen geübten Blick für Opfer.
Ich hielt an, die drei Glatzen sprangen raus. Einer stieß sich dabei noch die Birne am Türrahmen.
Als die Springerstiefel aufstampften, drehte sich der Jugendliche erschrocken um. Er versuchte noch wegzulaufen, wurde aber schnell gestellt.
Zwei Glatzen hielten ihn fest, eine andere bedrohte ihn erst mit Schlägen und schlug dann zu. Ich blieb schön brav im BMW sitzen und könnte nicht sagen, wer was gemacht hatte. Von hinten sahen die Skins alle gleich aus.
Dreißig Mark. Zum Tanken hatte das fürs erste gereicht.

Diese simple Art der Geldbeschaffung wiederholten wir ein paar Straßen weiter. Diesmal stiegen die Drei nicht so martialisch aus dem BMW und sprachen die zwei Männer unter einem Vorwand an.
Einer der beiden Männer roch beim Anblick der Glatzen Lunte und gab Fersengeld. Den anderen drückten die Skins gegen einen Brückenpfeiler und forderten ihn auf, die Brieftasche rauszurücken.

Abenddämmerung, einsame Gegend. Die Bösen nahmen es sich von den Guten — eine filmreife Szene wie aus einem Mafiastreifen, an der ich Gefallen fand. Ich legte mein Jackett auf den Beifahrersitz ab und stieg aus, um mich einzubringen.
Mit einem Kopfstoß bekräftigte ich Renés Aufforderung, bis er ihm die Geldbörse aus der Tasche zog. Der Bursche fuchtelte noch immer wild herum. Ich bekam selber ein Hörnchen. Scheißegal — ich spürte keinen Schmerz. Shit sei Dank.
Wieso stellte sich der Bursche so an? Die Welt ist ungerecht. Mich hat das Leben auch gefickt.
Von der Kohle tankte ich voll und besorgte uns Hasseröder.
Das erfolglose Geldeintreiben bei den Handwerkern war längst vergessen und die Stimmung im süßlich duftenden Auto wieder vergnüglich.

Nach ein paar Minuten fanden wir unsere nächsten Opfer.
Während die Glatzen die beiden Memmen festhielten, forderte ich sie auf, uns ihr Geld zu geben. Einer kam unserer Bitte nach. Er durfte anschließend verschwinden.
Der andere weigerte sich. Wir zerrten ihn in eine Einfahrt, schlugen ihn und traten ihm in die Fresse, als er schon am Boden lag. Mit den Rissen um sein linkes Auge war der Bundeswehrsoldat wochenlang dienstuntauglich, wie die Zeitung später schrieb. Warum musste er auch versuchen, den Helden zu spielen?
Insgesamt hatten wir uns in einer dreiviertel Stunde vierhundert Mark auf der Straße besorgt und konnten wenigstens mit einem Teilerfolg Richtung Heimat abdampfen.
Gar kein so schlechter Stundenlohn.

Wir waren noch nicht ganz aus Magdeburg raus und hatten keine vierzig Kilometer mehr vor der Brust, da kam uns auf der Straße ein Bullenwagen entgegen.
Ich hielt das Lenkrad fester und prüfte den Tacho, um bloß nicht wegen überhöhter Geschwindigkeit aufzufallen.
„Mist!“, schrie ich, als ich im Rückspiegel sah, dass der VW Passat gewendet hatte und uns folgte. Ich gab Gas und bog in die nächste Seitenstraße ab. Die Bullen blieben uns auf den Fersen. Die Glatzen hatten ihren Spaß, als sich noch eine weitere Bullenkutsche an uns hängte.
Ich hatte meinen Kick, fühlte mich an Formel Eins `98 auf meiner Playstation erinnert. Nur, dass nicht ich Schumi jagte, sondern die anderen mich.
„Mal sehen, was der Wagen hergibt!“ Ich gab Vollgas. Der bajuwarische Motor machte sich gut auf den Straßen Sachsen-Anhalts. Hundertfünfzig Sachen in der Stadt, Hundertzwanzig in den Kurven. Wir konnten den Bullen entfliehen.

Etwa eine Stunde lang blieben wir mit dem Wagen in einer kleinen Straße auf einem Hügel stehen. Von dort oben hatten wir einen wunderschönen Ausblick auf die Stadt. Über uns der stille, sanftmütige Mond, unten Blaulicht, das kreuz und quer durch die Straßen jagte.
Ganz großes Kino. Das Leben war schön. Ich genoss diesen Augenblick bei Dosenbier und Joint und wünschte mir, er würde nie zu Ende gehen.
Dann kippten wir unser letztes Bier runter, rülpsten laut auf und schmissen die leeren Dosen aus dem Fenster. Jetzt fühlten wir uns sicher genug und fuhren weiter.

Nach einigen Kilometern Fahrt auf einer öden Landstraße sah ich die Straßensperre. Überall Blaulicht.
Ich konnte nicht rechtzeitig wenden und wurde schließlich von sechs Autos umzingelt.
Wir wurden aus den Autos gezerrt. Mein Jackett wurde in Mitleidenschaft gezogen. Ich würde mir ein neues besorgen müssen.

Die Nacht verbrachten wir im Knast. Am nächsten Morgen kamen wir zum Richter. Da keine Fluchtgefahr bestand, setzte man uns wieder auf freien Fuß. Matze holte uns ab.
Ich sah meinen BMW nie wieder.
Zwei Jahre später kam es zur Verhandlung. Ich hatte Glück im Unglück. Da wir vier vor Gericht einen recht reuigen Eindruck machten, alles gestanden und betonten, wie sehr uns das alles leid tat, kamen wir recht glimpflich davon.
Ich bekam ein Jahr und zehn Monate auf drei Jahre Bewährung. Die Glatzen noch weniger. Schadensersatz für die Prügel musste ich aber auch zahlen.

Heute halte ich die beiden Zeitungsausschnitte in der Hand. „29-jähriger Geschäftsmann als Spiritus Rector berief sich auf Drogensucht zum Tatzeitpunkt“, steht in der Mitteldeutschen Zeitung.
Ich rieche an dem Papier. Es riecht muffig, nach Vergangenem. „Jener K. Darf durchaus als Spiritus Rector der brutalen Aktion gelten“, schreiben sie. Spiritus Rector, der führende Geist.
Irgendwie bin ich stolz darauf. Wenigstens war ich mal in der Zeitung. Kann schließlich nicht jeder von sich behaupten ...
Ich stecke die Papierschnipsel zurück in die Hülle und hefte sie im Order ab. Mit Tränen in den Augen stelle ich ihn wieder zurück auf das Regal, direkt neben der Bibel, die ich vom Pfarrer aus meinem ersten Entziehungsheim bekommen habe.

(Achtung: Diese Geschichte enthält Produktplatzierungen.)
 
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Mit Tränen in den Augen stelle ich ihn wieder zurück auf das Regal, direkt neben der Bibel, die ich vom Pfarrer aus meinem ersten Entziehungsheim bekommen habe.
Diesem Protagonisten, der mir so ausführlich sich selbst im Text als süchtig, kriminell, menschenverachtend in seinen Handlungen beschreibt und fast soziopathisch ohne jede Regung für seine Opfer ist, dem nehme ich die Tränchen am Schluss nicht als Reue ab, sondern als sich selbst bemitleidende Krokodilstränen: Och nö, kein BMW mehr! Fehlt nur noch seine schlechte Kindheit ...
@Franklyn Francis, da ich Deine Intention nicht kenne, einen Text über einen scheinbar skrupellosen, eiskalten, andere zu Straftaten "einsetzenden" Geist zu schreiben, halte ich mich erst einmal mit wertenden Kommentaren zurück. Meine Protas sind mir zwar auch nicht immer sympathisch - haben aber zumindest eine liebenswerte Eigenschaft - Du hast hier (bewusst?) drauf verzichtet, dadurch sind mir die handelnden Personen (für meinen Geschmack: zu) eindimensional gut/böse. Ist aber nur mein subjektiver Eindruck, geschrieben ist der Text durchaus glaubwürdig im Tonfall des Protas.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hallo Isbahan,

da hast du mich erwischt.
Erstmal vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

Das Ende habe ich irgendwann mal mit drangepappt, als ich die Idee hatte, daraus eine Art Serie über den Prota zu machen, wo er immer Erinnerungsstücke wir hier den Zeitungsartikel heraus kramt und dazu eine Geschichte, ein Erlebnis erzählt. Die allererste Version hörte vorher auf. Und ja, die Tränen sind eher aus Selbstmitleid geflossen. Gefallen tut mir das Ende so auch nicht so recht. Ich kann darauf verzichten.

Eindimensional, ja, hast recht. Der Text entstand nach mehreren Interviews mit dem Prota, hinzugefügt oder geändert wurde nichts, außer abschließend halt unabgesprochen das Ende. Ich weiß, dass muss ich gar nicht sagen, ch tue es aber mal einfach, dass es eine wahre Geschichte ist.
Schön, dass du es glaubwürdig findest und der Prota so rüberkommt wie in real.
Ich hatte einfach mal Lust, einen solchen Text zu schreiben, Stil Hard Boiled, ohne zu verschönern.
Geplant war auch, am Ende der Serie so etwas wie eine Veränderung beim Prota zu zeigen. Drei Texte gibt es insgesamt.
Und erst am Ende der Serie kommt Einsicht. Aber es ist schon zu spät für den Prota. Ein dramatisches Ende ….

Ja, mehr kann Ich dazu gar nicht sagen, mich nur freuen, dass das süchtig, kriminell und menschenverachtend rüber kam.
Ich bin offen für Kommentare, hänge da nicht emotional drin. Stilistisch usw. kann ich immer Tipps gebrauchen.

LG, Franklyn
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Der Text entstand nach mehreren Interviews mit dem Prota, hinzugefügt oder geändert wurde nichts, außer abschließend halt unabgesprochen das Ende. Ich weiß, dass muss ich gar nicht sagen, ch tue es aber mal einfach, dass es eine wahre Geschichte ist.
Verstehe. Das erhellt mir einiges @Franklyn Francis - danke für Deine Offenheit, denn natürlich muss niemand erklären, warum er einen Text schreibt. Als Leserin habe ich mich nur gefragt: Warum sollte ich mir das antun, mich mit diesem Prota zu beschäftigen, der emotional so kalt rüberkommt, dass er mich, würde er mir abends in einer dunklen Gegend begegnen, ebenso kalt "abzocken" würde wie seine anderen Opfer.

Ich hatte einfach mal Lust, einen solchen Text zu schreiben, Stil Hard Boiled, ohne zu verschönern
Das ist Dir gelungen. Das Du da nicht emotional drinhängst, finde ich beruhigend. Stilistisch ist mir nur das Eindimensionale dieses Protas aufgefallen - und durch Deine Erklärung weiß ich nun, dass das kein stilistischer Fehler ist, sondern die Figur eindimensional IST, denkt, handelt - zumindest in diesem Teil.
Bin also gespannt, auf die anderen Teile ...
 
Hallo Isbahan,

danke für deine Rückmeldung.

der emotional so kalt rüberkommt, dass er mich, würde er mir abends in einer dunklen Gegend begegnen, ebenso kalt "abzocken" würde wie seine anderen Opfer.
Das hört sich für mich so an, dass der Charakter so rüberkam, wie ich es mir vorgenommen hatte.

Bin also gespannt, auf die anderen Teile ...
Einen Teil muss ich noch ein wenig überarbeiten, der andere hat es bisher noch nicht durch meine harte Qualitätsprüfung geschafft. Da fehlen noch ein paar szenische Elemente. Ob Ich den überhaupt hier poste, muss ich mal sehen.
Emotional hänge ich da nicht drin, geht ja nicht um meine eigenen Erlebnisse, so wie ich es hier im Forum oft vorfinde. Ich bin für reine Textarbeit hier, ist ja keine Selbsthilfegruppe für irgendwelche persönlichen Probleme hier. Ich sag nur Trennung Autor und Prota.

Wünsche dir einen schönen Tag.
LG, Franklyn
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Ich bin für reine Textarbeit hier, ist ja keine Selbsthilfegruppe für irgendwelche persönlichen Probleme hier. Ich sag nur Trennung Autor und Prota.
Nun ja, @Franklyn Francis: Auch unsere Fantasien und Fantasiegestalten haben etwas mit uns selbst zu tun. Irgendjemand hat sogar behauptet: Wir heiraten immer unsere Probleme.
Wir gestalten Probleme, wir fantasieren Probleme ... oder die Flucht heraus. Ob das unsere eigenen sind oder erfundene, von anderen "geborgte" ist unsere Sache. Das ist ja das Schöne am Schreiben/ am Schauspielern: So dürfen wir jede Rolle annehmen, die wir annehmen wollen. Ich kenne keine größere Freiheit, nichts Kreativeres, als mir Charaktere "anzuziehen" und in fremder Gestalt in fremden Gefilden eine Art "Zwischenexistenz" anzunehmen. Früher haben wir das "spielen" genannt ...;)
Aber da hat eben jeder Autor/In ganz eigene Intentionen. Dem einen geht es rein um sprachlichen Ausdruck, einer anderen um "Verarbeitung", dem dritten um reines Spiel mit Fantasien ... für mich ist das alles gleich wertig.
 
Hallo Isbahan,

interessantes Thema, das Spiel mit Fantasien, die Intentionen des Schreibens.

Auch unsere Fantasien und Fantasiegestalten haben etwas mit uns selbst zu tun. Irgendjemand hat sogar behauptet: Wir heiraten immer unsere Probleme
Ja, das habe ich auch gehört. Könnte Freud gesagt habe.

So dürfen wir jede Rolle annehmen, die wir annehmen wollen. Ich kenne keine größere Freiheit, nichts Kreativeres, als mir Charaktere "anzuziehen" und in fremder Gestalt in fremden Gefilden eine Art "Zwischenexistenz" anzunehmen.
Bei Kreativität und Freiheit stimme ich dir voll zu. Anziehen oder Ausleben kann ich mir aber nur bei Schauspielern vorstellen. Nicht bei Autoren und ihren Charakteren.

Aber da hat eben jeder Autor/In ganz eigene Intentionen.
Genau. Und das ist gut so.

Dem einen geht es rein um sprachlichen Ausdruck, einer anderen um "Verarbeitung", dem dritten um reines Spiel mit Fantasien ... für mich ist das alles gleich wertig.
Stimme dir zu, aber bei Verarbeitung sehe ich es anders.
Ich finde, eine Verarbeitung sollte nach dem Schreiben abgeschlossen sein. Es gibt ja extra Ratgeber, wie man sich Frust, Schmerz etc. vom Leib schreibt. Das ist m.E. aber nicht immer die Art an Geschichten, die für die Öffentlichkeit in Literaturforen wie hier bestimmt ist.

Man sollte sich davon lösen können, sonst ist man bei Kommentaren von Lesern voreingenommen, teilweise sogar gekränkt. Auch, was ich oft gesehen habe, völlig stur und beratungsresistent nach dem Motto „Nein, das ändere ich nicht, auch wenn es unrealistisch oder unlogisch ist, denn ich habe es genauso selbst erlebt“. Da ist es mit konstruktiver Kritik vorbei. Da sollte man am besten sofort Biografie dran schreiben und gut.

Also „alle drei gleichwertig“ in meinen Augen auch, aber in unterschiedlichen Art des Auslebens.

So, jetzt bin ich ganz schön ins Offtopic rausgerutscht, weg vom Text selbst

LG, Franklyn
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Man sollte sich davon lösen können, sonst ist man bei Kommentaren von Lesern voreingenommen, teilweise sogar gekränkt. Auch, was ich oft gesehen habe, völlig stur und beratungsresistent nach dem Motto „Nein, das ändere ich nicht, auch wenn es unrealistisch oder unlogisch ist, denn ich habe es genauso selbst erlebt“
Vielleicht sind das Stufen, die man betritt? Bei mir war es jedenfalls anfangs so, dass ich öffentlich (zu viel) biografisches "bearbeitet" habe und mich ebenso vehement wie Du es beschreibst, schützend über meinen Text geworfen habe. Inzwischen habe ich gelernt, über persönliches zu schreiben, jedoch nicht mehr über privates. Auch aus diesem Grund schreibe ich öffentlich überwiegend nur noch Heiteres oder Satiren.
So. Zum Text, zum Text ... ähm:

Zwei Jahre später kam es zur Verhandlung. Ich hatte Glück im Unglück. Da wir vier vor Gericht einen recht reuigen Eindruck machten, alles gestanden und betonten, wie sehr uns das alles leid tat, kamen wir recht glimpflich davon.
Ich bekam ein Jahr und zehn Monate auf drei Jahre Bewährung. Die Glatzen noch weniger. Schadensersatz für die Prügel musste ich aber auch zahlen.
An dieser Stelle sagt der Prota ganz klar: Alles nur Show, um die drohende Strafe abzumildern. Kein Bedauern, keine echte Reue.

[/QUOTE] Heute halte ich die beiden Zeitungsausschnitte in der Hand. „27-jähriger Geschäftsmann als Spiritus Rector berief sich auf Drogensucht zum Tatzeitpunkt“, steht in großen Buchstaben in der BILD.
Ich rieche an dem Papier. Es riecht muffig, nach Vergangenem.
Spiritus Rector, den führenden Geist haben sie mich genannt.
Ich bin nicht stolz darauf, weiß bis heute nicht, warum ich den ganzen Scheiß überhaupt ausgeschnitten und behalten habe.[/QUOTE]

Doch, er scheint sogar mächtig stolz darauf zu sein. Daher hier mein Vorschlag: "... irgendwie bin ich stolz darauf. Wenigstens war ich mal in der Zeitung. Kann schließlich nicht jeder von sich sagen ..."
Ich stecke die Papierschnipsel zurück in die Hülle und hefte sie im Order ab. Mit Tränen in den Augen stelle ich ihn wieder zurück auf das Regal, direkt neben der Bibel, die ich vom Pfarrer aus meinem ersten Entziehungsheim bekommen habe.

So hätten die Tränen in den Augen einen Sinn: Selbstmitleid. Nun sitzt er drei Jahre im Knast, hat kein dickes Auto, keine Kohle, keine Drogen mehr ...

Vielleicht kannst Du damit was anfangen. Lieben gruß
Isbahan
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Franklyn,

mir gefällt der Text im Großen und Ganzen, flott geschrieben, lebensnah, Bilder entstehen und glaubwürdig ist er auch.

Mein Lieblingssatz:

René kannten wir vom Bahnhof. Ein doofer, muskelbepackter Skin, der als Schläger bekannt war und uns ab und an Shit besorgte. Ein ganz netter Kerl.
Genau, so sehen nette Kerle aus! :)

Aber ich hätte den Text bei "Gar kein schlechter Stundenlohn" enden lassen.

So wäre alles offen geblieben.

Ansonsten - nur weiter so!

:)

Gruß DS
 
Hallo Isbahan,

Bei mir war es jedenfalls anfangs so, dass ich öffentlich (zu viel) biografisches "bearbeitet" habe und mich ebenso vehement wie Du es beschreibst, schützend über meinen Text geworfen habe. Inzwischen habe ich gelernt, über persönliches zu schreiben, jedoch nicht mehr über privates. Auch aus diesem Grund schreibe ich öffentlich überwiegend nur noch Heiteres oder Satiren.
Ein Lernprozess, ist doch toll. Wenn ich über Privates schreibe (Was eigentlich gar nicht vorkommt oder nur etwas Harmloses ist), ändere ich es so ab, dass ich es selbst nicht mehr wiedererkenne und bei Kommentaren ganz kühl mit umgehen kann
Aber Ich schreibe ja eigentlich sowieso nur Fiktion. Dieser Text hier ist eine Ausnahme. Manchmal ist ein Zeitungsartikel der Auslöser.

Deinen Vorschlag für das geänderte Ende finde ich gut. Habe ich übernommen.

LG, Franklyn
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Franklyn,
der Text gefällt mir richtig gut. Die Charakter sind alle wandelnde Klischees, aber sie sind zumindest in sich stimmig. Vor allem hat der Text eine dichte Atmosphäre. Wenn die düsteren Ecken von Sachsen-Anhalt ausgeleuchtet werden, bin ich gerne dabei :)

Zu den Tränen am Ende hatte Isbahan ja schon etwas geschrieben. Eine andere Stelle wo ich noch etwas nachpolieren würde, wäre der Spiritus Rector. Es bleibt vage, warum der Prot so genannt wurde. Für die Bild dürfte das doch ein eher ungewöhnlicher Begriff sein. Wenn sowohl die MZ als auch die Bild ihn so nennen, scheint der Name auf etwas Konkretem zu beruhen. Es liegt nahe, die Begebenheit direkt zu schildern. Wahrscheinlich hat einer ihrer Opfer ihm den Spitznamen verpasst. Vielleicht treten sie statt des Soldaten irgend einen Intelektuellen zusammen, der dann diesen Namen prägt.


Ein paar Kleinigkeiten:

Anfang warst du für meinen Geschmack etwas zu freigiebig mit Adjektiven:
das bedrohliche Eisen
hektische Getümmel
Kalter Angstschweiß

wie ein ängstlicher Idiot in die Hose zu pissen
Das passt nicht so zu seinem Charakter, oder? Später wirkt er doch recht abgebrüht.


Drei Straßen weiter in unserer Garage lagerten unzählige Kartons, fünftausend Mark,
Das verstehe ich nicht. Das Geld lag in den Kartons?


Viele Grüße
lietzensee
 
Hallo DocSchneider,

Danke für deinen tollen Kommentar.

mir gefällt der Text im Großen und Ganzen, flott geschrieben, lebensnah, Bilder entstehen und glaubwürdig ist er auch.
Das freut mich sehr.

Genau, so sehen nette Kerle aus! :)
Hehe

Aber ich hätte den Text bei "Gar kein schlechter Stundenlohn" enden lassen.
Ups, dann wäre ja ein großer Teil weg

Am Ende arbeite ich sowieso noch, damit das mit dem nächsten Teil der kleinen Serie besser passt.

Ansonsten - nur weiter so!
Vielen Dank noch mal.

Wünsche dir einen schönen Start ins Wochenende.
LG, Franklyn
 
Hallo lietzensee,

danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar, der mir sehr weitergeholfen hat.
Nun bin ich wieder zurück aus dem Urlaub und habe noch mal die beiden Zeitungsartikel herausgeholt ...

der Text gefällt mir richtig gut.
Danke dafür!

Die Charakter sind alle wandelnde Klischees, aber sie sind zumindest in sich stimmig. Vor allem hat der Text eine dichte Atmosphäre. Wenn die düsteren Ecken von Sachsen-Anhalt ausgeleuchtet werden, bin ich gerne dabei :)
Prima!

Es bleibt vage, warum der Prot so genannt wurde. Für die Bild dürfte das doch ein eher ungewöhnlicher Begriff sein. Wenn sowohl die MZ als auch die Bild ihn so nennen, scheint der Name auf etwas Konkretem zu beruhen. Es liegt nahe, die Begebenheit direkt zu schildern. Wahrscheinlich hat einer ihrer Opfer ihm den Spitznamen verpasst. Vielleicht treten sie statt des Soldaten irgend einen Intelektuellen zusammen, der dann diesen Namen prägt.
Ich habe das nach der Durchsicht der Zeitungsartikel nochmal angepasst, detaillierter gemacht. Tatsächlich stand das nicht in der BILD, sondern die MZ hat diesen ungewöhnlichen Begriff "Spiritus Rector" geprägt. Allerdings ohne nähere Erläuterung. Dies wurde nun in der Geschichte übernommen.

Anfang warst du für meinen Geschmack etwas zu freigiebig mit Adjektiven:
Ich habe einige gestrichen.

Das passt nicht so zu seinem Charakter, oder? Später wirkt er doch recht abgebrüht.
Hast recht. Habe das geändert.

Das verstehe ich nicht. Das Geld lag in den Kartons?
Ist nun genauer beschrieben.

Vielen Dank nochmals und einen tollen Samstag.
LG, Franklyn
 



 
Oben Unten