„Steppenbraaand!“ oder: Als der Namenlose mein silbernes Feuerzeug nahm

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Namenloser: Einen Namen hast du dir nicht verdient.
Ganz ehrlich, ich erinnere mich nicht. Keine Ahnung, wie deine Mutter dich rief, als du noch in Windeln lagst. Und wenn man mich polizeilich verhören oder foltern würde, ich wüsste deinen Namen nicht zu sagen. Er ist mir zwischenzeitlich entfallen, wenngleich du ihn mir damals, als wir uns kannten, sicherlich genannt hast.
Namenloser, du warst nicht mehr unerfahren, soviel steht fest. Du warst kein Baby mehr. Kein Richter würde dich noch wegen jugendlichem Leichtsinn freisprechen von irgendwas. Du wusstest, was du tatst, als du mir unten beim Fluss zwischen die Beine gegriffen und mir die Jeans aufgemacht hast. Du wolltest alles und alles war nur ein Spiel für dich.
Wir lagen am Ufer auf Steinen, welche die Strömung in jahrtausendealter Kleinarbeit glattgeschliffen hatte. Dort, wo der Fluss seicht war, gingen wir mit aufgekrempelten Hosenbeinen ins Wasser. Wo kaum Bewegung war, hatte etwas Grünes den Mut gefunden, sich auf dem Kiesbett auszuwachsen. Es war Sommer, es war heiß und wir rutschten barfuß auf dem glitschigen Gestein umher, bis wir ins Wasser fielen.
Von meinem aufgeschlagenen Knie hast du zärtlich das Blut abgeleckt und ich meine, du hättest gern höher geleckt, aber das ließ ich nicht zu. Nicht sofort, nicht so schnell.
Ich sah den Schalk in deinen Augen und wusste augenblicklich, dass du ein Spieler bist.
Wie ein Spielzeug betrachtest du die Welt, wie ein Spielzeug hast du auch mich angeschaut. Vielleicht schon morgen würdest du mich wegwerfen, so warst du nun mal. Sowas ist auch gar keine kindliche Art, keine Frage des Alters. Das ist eine Frage des Charakters – und dein Charakter, soviel wusste ich gleich, war der eines Spielers, dem man Einhalt gebieten muss.
Ich habe dich freundlich angelächelt, hab dich ein bisschen zurückgeküsst und hab mich dann aber in den Schatten der Weiden verkrümelt, um eine zu rauchen und in Ruhe über dich nachzudenken.
Deine Zunge in meinem Mund war mir ein wenig zu forsch. Wie ein Krieger auf Beutezug, ein Krieger im hochgemuten Größenwahn.
Natürlich bist du mir nachgekommen. Hast deine nackten Füße neben mir im Kies vergraben, darunter feuchtes Erdreich und kühler Sand, was sich beides sogleich unter deinen Zehennägeln festsetzte. Du könntest später nicht leugnen, hier gewesen zu sein, wenn sie dich forensisch untersuchen würden. Du, Namenloser, hättest einen Namen bekommen und ein Aktenzeichen und vermutlich eine fette Schlagzeile.
Du weißt, dass es anders gekommen ist. Niemand wird sich an dich erinnern.

Es war unbequem, wie du fordernd auf mir drauf hingst und unter mir die Steine, da hast du mich an der Hand genommen und bist mit mir die Böschung hinauf. Hinauf auf die weite Wiese, eingefasst von Büschen und Bäumen und rechts der Fluss. Dort hast du mich zwischen die Büsche ins Gras gelegt.
Der Sommer war fast schon zu Ende, die Erde war trocken und hart. Schon länger hatte es nicht geregnet. Es roch nach Heu und Staub und irgendwie nach Honig.
Meine Jeans, mein schwarzes Tanktop, beides noch leidlich klamm vom Flusswasser, malten sich im schmierigen Verbund mit dem Boden ein erdiges Batikmuster auf.
Ich spürte struppige Halme, die sich mir in den Hintern bohrten. Meinen Slip hattest du gekonnt zur Seite geschoben. Deine Finger, Namenloser, waren nicht minder forsch wie deine Zunge, nur zahlreicher. Meine eigene Hand wiederum hattest du dir mal so in die deine Hose gesteckt. Ich tat darin, was ich konnte, auch wenn ich gewiss nicht so erfahren war wie du.
Aber da war er wieder, der Schalk in deinen Augen und ich wusste, jetzt kann dich keiner mehr bändigen. Das Ding in deiner Hose war schon bemerkenswert übermütig.
Zur Seite hast du mich gedreht, um mich in meiner schutzlosen Nacktheit von hinten zu betrachten. Ausgiebig, so wie man ein neues Spielgerät mustert, von dem man noch nicht weiß, wie man es benutzen soll. Hose und Slip hingen mir mittlerweile unter den Knien. Nur schlecht bekam ich die Beine auseinander, aber du hast es geschafft, von hinten in mich reinzukommen.
Erst habe ich dich noch spucken gehört und ich meine, du hast auf diese Weise deine Finger benetzt, um mich anzufeuchten und vorsichtshalber nochmal ein bisschen zu dehnen, aber du weißt ja, dass jedenfalls das mit dem Anfeuchten gar nicht nötig war. Du, Namenloser, weißt, dass ich an diesem Punkt nur allzu bereit war, dein Spiel mitzuspielen.
Namenloser, was soll ich sagen, du warst nicht mein Erster, aber du warst schon anders als das, was ich bislang gekannt hatte. Diese eine Sache hast du nicht schlecht gemacht, das muss man dir lassen. Du wusstest, was du tatst und hast es geschafft, dass mir das Blut in den Ohren rauschte. Mehrfach musstest du nachstoßen, bis du endlich voll in mir drin warst, so verharrtest du für eine Minute, mich pfählend, bis ich einigermaßen mit dir klarkam und du dich nochmal steigern konntest. Du warst gut. Von daher hättest du dir wohl einen Namen verdient; allein, er ist mir zwischenzeitlich wirklich entfallen, auch wenn ich alles andere noch weiß.
Damals auf der Wiese unten am Fluss hast du mich ausgiebig kommen lassen und hast mich sicherlich dabei beobachtet. War auch ein Spiel für dich, wie mir die Gesichtszüge entglitten, wie es mir egal wurde, ob uns jemand beobachtet und ob mich die Ameisen auffressen, nicht wahr?
Erst später wieder fühlte ich die Insektenfüße auf mir krabbeln. Noch Tage danach sollte ich rote, juckende Punkte auf meiner Haut haben, überall, am ganzen Körper, aber das war bei weitem nicht die schlimmste Konsequenz dieses Nachmittags.
Nachdem auch du fertig warst, und du warst erstaunlich ausdauernd, trotz meiner Enge, fast wäre es mir nochmal gekommen, fast wärst du mir zu viel geworden, haben wir uns die Hosen wieder hochgezogen und sind noch eine Weile sitzen geblieben.

Wir waren ganz unter uns. Sehr abgeschieden. Kein Spaziergänger, kein Gassigeher störte uns. Es war ein Dienstag.
Ich spürte, wie in meinem Slip die meinen und die deinen Säfte zusammenliefen und wie es in meinem Unten immer noch pulsierte. Ein wenig hatte ich Angst, du hättest mir innen drin etwas angetan, was nun blutete, du warst schon heftig, aber ich wagte es nicht, Nachschau zu halten.
Schweigend haben wir in die flirrende Stille geraucht.
Einfach so hast du dir eine Zigarette von mir gegriffen, ohne zu fragen. Mein Feuerzeug. Du weißt schon, das silberne mit der Perlmuttblume vorne drauf. Du, Namenloser, du, der Spieler, hast auch damit gespielt. Am Rädchen gedreht, kleine Flamme, große Flamme, sieh doch nur.
Ich war müde und mein lädiertes Knie fing jetzt doch an, weh zu tun.
Du dagegen schienst jetzt erst recht munter und voller Tatendrang. Du fingst an, dürre Grasbüschel auszureißen und anzuzünden, dabei hast du gelacht.
Sowie du meine Angst bemerkt hast, lachtest du lauter. Ein größeres Büschel hieltst du mir vor die Augen. Ein Zisch, ein Klick, ein Funke. Feuer. Lachend hast du die Flammen wieder ausgetreten. Und nochmal. Du ließest dich nicht bändigen. Du warst ein Spieler.
Plötzlich wollte ich nur noch weg, weg von dir. Ich hatte meinen Kram schon gepackt und war drauf und dran, nun wirklich zu gehen: „Gib mir mein Feuerzeug, bitte!“ Ernsthaft habe ich „bitte“ gesagt, aber du…
„Schau mal!“ hast du geantwortet, aber ich hab nicht mehr hingeschaut.
Ich hörte nur das neuerliche Zischen, Klicken. Wuuuschschsch. Da entschied ich mich zu gehen, Feuerzeug hin oder her. Ich klopfte mir den Staub aus den Kleidern, die fast schon wieder trocken waren.
„Steppenbraaand!“ hast du daraufhin gerufen, und zwar in einer recht kindischen Tonlage und mit diesem lachhaft langgezogenen A, das hat mir endgültig gereicht.
Erst als du „Scheiße, scheiße, scheiße!“ geflucht hast, hab ich mich nochmal umgedreht. Ich war noch nicht weit, nur ein, zwei Schritte von dir weg.
Mein silbernes Feuerzeug lag in der Wiese und du, Namenloser, bist wie Rumpelstilzchen drumherum getanzt, gestampft. „Komm her, hilf mit!“ hast du geschrien und wolltest, dass auch ich diese Flammen austrete, die du verursacht hast.
Es waren bald schon zu viele Flammen für deine beiden Füße, die immer noch verzweifelt versuchten, den Schaden und das Feuer zu begrenzen. „Komm schon!“ hast du mich angebrüllt, mit einem Schimpfwort hintennach.
Bloß ich konnte nicht, selbst wenn ich gewollt hätte. Konnte mich nicht bewegen. Mit jeder Sekunde schien es mir undenkbarer, mich diesen Flammen zu nähern, die sich mit jeder Sekunde weiter ausbreiteten.
Dort, wo unsere Körper eben noch ineinander verkeilt gelegen hatten, war nun eine matratzengroße Feuersbrunst. Kingsize-Größe. Ein Doppelbett, Matratzenlager. Und weiter fraßen sich die Flammen vor, Richtung Bäume, Büsche. Es ging alles so rasend schnell. Ein einziges Glimmen, Glühen, Glosen, das sich nicht mehr aufhalten ließ.
„Okay: Lauf!“ belltest du mir schließlich zu, da bin ich gelaufen.
Du, Namenloser, hast dich um mich nicht mehr gekümmert. Du bist einfach losgerannt, diesmal ohne meine Hand zu nehmen und hast noch nicht mal geschaut, was mit mir ist.
Ich hetzte dir nach und wagte es meinerseits nicht, mich umzudrehen. Vergessen war mein angeschlagenes Knie. Ich rannte, als ob der Teufel hinter mir her wäre, dabei lief der doch vorneweg.

So liefen, liefen wir, bis wir die Lichtung, den Wald, den Fluss weit, weit hinter uns gelassen hatten.
Irgendwann hast du, Namenloser, gesagt, jetzt ist gut, und dass wir uns ab da möglichst unauffällig verhalten sollen. Wir haben uns dann auf eine Parkbank gesetzt und haben ganz schockiert getan, als in der Ferne diese Rauchsäule aufstieg. Feuerwehrsirenen hoben an, wir zuckten irritiert die Schultern. Ganz so, als wüssten wir von nichts, so taten wir.
„Was da wohl los ist?“ hast du die Passanten sogar direkt gefragt und abermals merkte ich: Du, Namenloser spieltest schon wieder. Du hast selbst noch dieses Spiel genossen.
Ich hatte begriffen. Spieler wie du würden, wenn sie es könnten, auch die ganze Welt anzünden und dann würden sie sich hinsetzen und den Guten mimen. Den Besorgten. Und sich dabei auch noch gut vorkommen.
Mir dagegen war übel und ich zitterte. Ich musste daran denken, was dort hinten unter der Rauchsäule nun vor sich ging. Dort, wo mein silbernes Feuerzeug immer noch lag. Was dort nun alles verbrannte, verglühte, verkohlte! Pflanzen, Natur, Tiere. Und wenn es nur Ameisen waren: Niemand hat den schrecklichen Feuertod verdient! Was, wenn Hasen, Rehe…? Was, wenn Menschen…?
Ich konnte es kaum in Worten denken, geschweige denn aussprechen.
Zu mir hast du, Namenloser, auch nicht mehr viel gesagt. Mit mir warst du fertig.
Nach einer Weile, die du für angemessen hieltst, hast du mich noch einmal zum Abschied geküsst.
Ich habe dir ins Gesicht geschaut und habe da schon gewusst: Das ist jetzt das letzte Mal.
Zum Fluss hinunter bin ich auch lange Zeit nicht mehr gegangen.
 
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Hallo Dichter Erdling,

als reine Erzählung - ohne den moralischen Unterton - hätte mir die Geschichte besser gefallen.

. Spieler wie du würden, wenn sie es könnten, auch die ganze Welt anzünden und dann würden sie sich hinsetzen und den Guten mimen. Den Besorgten. Und sich dabei auch noch gut vorkommen.
Solche Schlussfolgerungen (oder andere) sollte der Leser selbst aus einer Geschichte ziehen.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 
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Bo-ehd

Mitglied
Hallo Dichter Erdling,
schön erzählt, vor allem die Erotikszene. Zwei Dinge sind mir aufgefallen: Du springst ständig zwischen Imperfekt und Perfekt hin und her, wobei das Imperfekt zeitweise sehr hölzern wirkt.
Warum hat der Prota keinen Namen? Der fehlende Name trägt doch nichts zur Story bei, oder hab ich da was übersehen?
Gruß Bo-ehd
 
Hallo SilberneDelfine!

Hab vielen Dank für deine Rückmeldung & Bewertung.
Interessant, dass du dich genau an diesem Satz störst, welcher für mich zentral ist, weil er der Geschichte nochmal eine andere Tiefe gibt und gleichnishaft auf eine brandgefährliche Gegenwart anspielt. Ich bin mir nicht sicher, ob das ohne diese Passagen beim Leser angekommen wäre.

Liebe Grüße auch dir,

Erdling
 
Hallo Bo-ehd!

Bedenke: Das Abfackeln einer Wiese, Feuerwehreinsatz inklusive, ist immerhin eine Straftat und kann für die Täter teuer werden.
Vielleicht möchte die die Protagonistin den Namen des Namenlosen von daher nicht nennen, ihn nicht verpfeifen? Hinweise darauf finden sich gleich zu Beginn („…und wenn man mich polizeilich verhören oder foltern würde, ich wüsste deinen Namen nicht zu sagen…)
So ist auch die Geschichte insgesamt auch ein bisschen wie ein Geständnis geschrieben. Mag sein, dass die Ich-Erzählerin das Ganze amtlich zu Protokoll gibt (Stichwort: stellenweise hölzern); mag sein, dass sie sich alles nur privat von der Seele schreibt. Mag sein, dass sie den Namen des Namenlosen verdrängt hat, wie sie auch das Geschehene am liebsten verdrängen würde.
Am Ende deutet etwas darauf hin, dass die Protagonistin daran gehindert wurde, erneut zum Fluss hinunterzugehen – eine Festnahme, eine Haftstrafe vielleicht? Nicht zu vergessen: Ihr silbernes Feuerzeug als Beweisstück lag immer noch am Tatort. Oder war es doch nur das schlechte Gewissen/Trauma, das sie gehindert hat, jenen Ort erneut aufzusuchen?

Mit diesen Aspekten überlasse ich dich meiner Geschichte erneut, mit liebem Gruß,

Erdling
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo Dichter Erdling,
danke für die Erklärung. Ich habe die Sache mit dem Namen vielleicht etwas zu pingelig gesehen. Als ich den ersten Satz gelesen habe, bin ich spontan davon ausgegangen, dass es sich um einen Findel, einen einsam Aufgewachsenen oder einen seit früher Jugend Verschollenen handelt. Einen Cspar Hauser. Denn das würde die Bezeichnung "Namenloser" rechtfertigen. Dein Prota besitzt ja einen Namen, nur soll er nicht verraten werden. Das ist okay, aber eben nicht sofort erkennbar. (Ich hätte deswegen die Geschichte so angefangen: Nennen wir ihn einfach Bert. Das wäre zudem ein schöner erster Satz. Oder: Ich nenne ihn einfach Bert; der richtige Name tut nichts zu Sache).
Gruß Bo-ehd
 
@SilberneDelfine!
Und politische Meinung des Autors soll nicht sein?
Finde ich erstens nicht. (Fällt mir auch schwer, reine Unterhaltungsliteratur zu schreiben, derweil ich aus den Augenwinkeln die Welt fast schon komplett in Flammen aufgehen sehe.)
Zweitens ist es ja nur eine subtile Nebenbei-Andeutung, die die Geschichte, wenn man so will, auf eine politische Ebene hievt.
Und drittens: Da der „Namenlose“ in jeder Hinsicht namenlos bleibt, lässt sich auch das Politische bis zu einem gewissen Grad beliebig interpretieren.
 
Und politische Meinung des Autors soll nicht sein?
Nicht in einer Geschichte. Da kann man einen Essay schreiben oder eine journalistische Abhandlung, wo man seine Meinung darlegen und begründen kann.

In einer Geschichte dem Leser seine eigene politische Meinung zu überbringen finde ich nicht gut, egal, welche Meinung man hat.
Dazu ist (Unterhaltungs-)Literatur nun mal eben nicht da.
 
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petrasmiles

Mitglied
Liebe Dichter Erdling,

eine schön geschriebene Kurzgeschichte.

So manche Irritationen hier kann ich nicht verstehen. Da werden doch sehr schön die persönliche Ebene mit der darüber hinaus weisenden verwoben.

Der 'Namenlose' steht für mich für den Versuch der Distanzierung einer Person, die einem weh getan hat, wo man etwas lernen musste, was man noch nicht (?) wissen wollte, aber auch die Verdrängung der eigenen Ambivalenz in der konkreten Situation. Daher finde ich den 'Namenlosen' vollkommen richtig - ich finde nur, er wird in der 'Stellungnahme' der Protagonistin ein bissschen häufig genannt.

Und Silberne Delfine - Deinen Einwand kann ich gar nicht nachvollziehen. Wieso ist das politisch? Erst einmal sind das so Begegnungen, wo man begreift, dass ein Mensch, der sich 'im Kleinen' so verhalten hat, sich 'im Großen' genau so verhalten wird. Das ist eine fundamentale Erkenntnis und erst einmal nicht politisch.
Dass dieser Aspekt durchaus politisch von der Autorin verstanden werden soll - wozu sie dann auch Stellung nimmt - ist ihr unbenommen, schadet aber der Geschichte keineswegs.
Deine dogmatische Bannung jeder in die Zukunft und unsere Verhältnisse weisenden 'Hinweise' aus der 'Literatur' halte ich für unrealistisch und qualitativ abträglich. Aber eigentlich verstehe ich sie gar nicht.

Liebe Grüße
Petra
 
Es geht mir darum, dass man einem Protagonisten in einer Geschichte keine Worte in den Mund legen sollte, die nur die eigene politische Meinung widergeben. Und das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Ich habe es in einem meiner Bücher übers Schreiben gelesen.
Aber ich gehe durchaus damit konform.

Wenn man seine politische Meinung kundgeben möchte, hat man, davon abgesehen, genug Gelegenheiten, das zu tun.

Deine dogmatische Bannung jeder in die Zukunft und unsere Verhältnisse weisenden 'Hinweise' aus der 'Literatur' halte ich für unrealistisch und qualitativ abträglich. Aber eigentlich verstehe ich sie gar nicht.
Ich diesen verquirlten Satz auch nicht. Es sei denn, du meinst damit, der Satz in der Geschichte:

.Spieler wie du würden, wenn sie es könnten, auch die ganze Welt anzünden und dann würden sie sich hinsetzen und den Guten mimen. Den Besorgten. Und sich dabei auch noch gut vorkommen. .
ist vollkommen richtig und kann auf unsere eigene Gegenwart angewendet werden.
Und falls das so ist, dann ist es genau ein solcher Aspekt, der meiner Meinung nach eine Geschichte nicht beherrschen darf.
 
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petrasmiles

Mitglied
Liebe SilberneDelfine,

lassen wir die Lehrbücher mal beiseite. (Ich habe es nicht so mit Bibeln.)

Warum setzt sich jemand hin und schreibt eine Geschichte? Warum nimmt sich jemand die Zeit und liest sie?
Das hat etwas mit 'Erheblichkeit' zu tun.
Der Autor hat etwas Erhebliches zu erzählen und genau das kommt bei dem einen oder anderen Leser an.
Und lassen wir mal Erdlings Bekenntnis, diese Stelle sei politisch gemeint gewesen, außen vor.

Ich bleibe bei meinem Argument, dass es ein Erkenntnisgewinn ist, der im Vordergrund steht - und nicht zuletzt die Geschichte 'erheblich' macht:
dass ein Mensch, der sich 'im Kleinen' so verhalten hat, sich 'im Großen' genau so verhalten wird: " .Spieler wie du würden, wenn sie es könnten, auch die ganze Welt anzünden und dann würden sie sich hinsetzen und den Guten mimen. Den Besorgten. Und sich dabei auch noch gut vorkommen.
Und als eine solche Erfahrung habe ich diesen Satz verstanden, noch bevor Du oder Erdling diesen Disput hatten.
Egal, ob der eine es politisch meinte und der andere es politisch auffasste, man darf einer Geschichte nicht solche starren Kriterien anlegen - und schon einmal gar nicht, um etwas 'Literisches' 'sauber' zu halten.
Würde dieser Satz entfernt, käme das einer Kastration gleich - des Textes und der Autorin.
Schon allein aus diesen Gründen können mir Lehrbücher gestohlen bleiben. Wie könnten Sie auf alle Spielformen eine passende Antwort haben? Hat sich denn jemand überhaupt die Mühe gemacht, zu definieren, was politisch sei?
Wenn dieser Satz 'politisch' ist, dann sollte sich jemand mal die Mühe machen, wie viel Prozent der Weltliteratur dann politisch sind.

Liebe Grüße
Petra
 

Mimi

Mitglied
Liebe Dichter Erdling,
vorab, ich kann mich noch an Deine Geschichte "Meine Fresse" erinnern, die ebenfalls einen ähnlichen Eindruck wie beim Lesen dieser Geschichte bei mir hinterlassen hatte.
Dein Schreibstil gefällt mir hierbei nach wie vor. Allerdings finde ich, hätten einige Stellen ruhig etwas "kompakter" gestaltet werden können. Die häufige Wiederholung des Wortes
"Namenloser" wurde, glaube ich, bereits angesprochen. Das ist für mein Empfinden auch zu viel. Aber ich kann auch verstehen, wenn diese Wiederholungen zum (sprachlichen) Charakter der Protagonistin passen würden.
Nur den Titel, finde ich nicht gut gewählt.
Ich hätte mir da etwas Kurzes, Prägnantes besser vorgestellt.

Die angesprochene Passage hat mich persönlich nicht gestört. Ich denke, jeder Leser kann sich daraus seine eigenen Rückschlüsse ziehen.

Gruß
Mimi
 
Hallo Mimi!

Dass du dich noch an „Meine Fresse“ erinnerst, empfinde ich als großen Zuspruch und großes Kompliment. Ist ja schon einige Zeit her, dass ich diese Geschichte hier eingestellt hatte.

Es freut mich auch deine Bewertung.
Deine Anmerkungen in puncto kurz und kompakt behalte ich im Hinterkopf, vielleicht für meine nächste Geschichte.

Zum überlangen Titel muss ich gestehen, dass ich mich derzeit auch als Leser eher von wortreichen Überschriften angesprochen fühle. Also von Titeln, die schon mal möglichst viel Vorschau auf den nachfolgenden Inhalt gewähren. Das spielt hier herein und ist vielleicht auch nur eine vorübergehende Marotte von mir.
(Andererseits leben wir in einer Zeit, in der oft nur noch Überschriften gelesen werden und die Menschen keinen Nerv mehr für ausführliche Texte haben. Erzählender Titel und hintennach knapper Ergänzungstext könnte demnach ein Erfolgsmodell für die Zukunft werden.)

Übrigens habe ich nachgezählt: Das Wort „Namenloser“ kommt im Text genau 13-mal vor. Die sogenannte Unglückszahl ist hier ein schöner, passender Zufall, finde ich. Okay, einmal könnte ich streichen und es wären immer noch 13, wenn man den Titel mitzählt… mal schauen.
(…)
Okay, einmal ist gestrichen.

Liebe Grüße und danke fürs Lesen,

Erdling
 
Zum seltsamen Vorwurf des Politischen, das angeblich in der Literatur nichts zu suchen hätte, ist mir spontan Salman Rushdie und „Harun und das Meer der Geschichten“ in den Kopf geschossen (gibt gewiss viele und bessere Beispiele, aber das Buch hatte ich gelesen und es ist mir kürzlich wieder in die Hände gefallen).
Auch hier haben wir eine Schrift, die politische Zustände verklausuliert anprangert. Eine einzige Parabel, sehr politisch, getarnt als Märchen – und durfte sein (erhielt eine Auszeichnung).
Dagegen ist mein kleiner sinnbildlicher Nebensatz ausgesprochen dezent, um en passant ein Nicht-Einverstanden-Sein mit den politischen Umständen, um Kritik an einer politischen Macht anklingen zu lassen.

Kritik an den Mächtigen ist ja irgendwo auch Aufgabe aller Schreiberlinge.
Es wird aber auch bei uns zunehmend schwieriger, dieser Aufgabe nachzukommen, das merke ich am eigenen Leib.
Direkter Widerspruch zum Regierungshandeln wird zunehmend ungern gesehen, da bleiben fast nur literarische Seitenhiebe und Anspielungen.

Grundsätzlich:
Für mich geht das Politische und das Literarische nur dann schlecht zusammen, wenn sich die Literatur zuungunsten von universeller Menschen- und Friedensliebe aufstellt und ihrerseits kriegerisch-parteiisch wird.
Das sehen wir derzeit leider sehr oft. Schriften, die das Gute hier, das Böse dort sehen und Kriege als unausweichlich, notwendig und/oder zielführend betrachten, werden heutzutage sogar wieder gefeiert.
Wenn ich beim Schreiben politisch werde, dann meist nur, um diesen schändlichen Zeiterscheinungen etwas entgegenzusetzen.
 
Hallo Dichter Erdling,

um mal einen anscheinend grundsätzlichen Irrtum aufzuklären: Mir geht es nicht darum, generell politische Texte abzulehnen, sondern darum,
abzulehnen, dass der Protagonist in einer Geschichte zum Sprachrohr der eigenen Meinung des Autors wird.

Noch öfter wiederhole ich es jetzt nicht.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 



 
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