III Werke
8. Caroline Peters, Ein anderes Leben*)
Das war keine geringe Überraschung, als ich auf Streifzug durch mein Lieblingsantiquariat auf dieses Buch - mit dem nicht besonders ansprechenden Cover - sah und mein Blick an dem Namen hängen blieb: Caroline Peters. Nun schätze ich sie sehr (als Schauspielerin, nicht so sehr für ihr Engagement für Annalena Baerbock, wie Wikipedia verrät) und der Klappentext machte mich neugierig. (Der reduzierte Preis tat sein Übriges.)
Ich habe es nicht bereut, sehr im Gegenteil!
Im Zentrum steht eine außergewöhnliche Patchworkfamilie; die Eltern waren noch Kinder der Nachkriegszeit, die drei Töchter profitieren vom materiellen Aufstieg. Aber darum geht es nicht. Aus der Perspektive einer Heranwachsenden, der beobachtenden und erzählenden jüngsten Tochter geht es um Annäherung an das Thema 'Familie', das Frau- und Mutter-Sein, auch das Vater-Sein. Von vergangenen Zeiten, die nachwirken, prägen, sich durch die Leben mahlen, mit den Menschen nicht vergehen. Es beginnt mit der unhinterfragten Haltung der Eltern, wie sie in Verhalten und Äußerungen sichtbar werden - oder unsichtbar bleiben - der eigenen Hinterfragung und sich entfaltenden Reife, bis dann die Eltern auch als Menschen gesehen werden können, die Protagonistin 'erwachsen' geworden ist, ihren eigenen Dämonen begegnet. Im emotionalen Zentrum steht die Mutter, von der sie am Ende weiß, dass sie in ein Leben hineingesaugt worden ist, das im Widerspruch zum Ansporn der persönlichen Entwicklung stand. Man hat es schon öfter in psychologischen Artikeln lesen können, wie sehr die Elternrolle durch die eigene Prägung der Rollenvorbilder determiniert wird, wie das Elternsein uns potentiell abtrennt von persönlichen Anlagen oder Ambitionen. Hier wird es nachvollziehbar und die vielen blinden Flecke bei uns und anderen sichtbar - und man bekommt einen Eindruck davon, wie viel Liebe notwendig ist, diese zu ertragen. Überhaupt ist die Tiefe der emotionalen Beobachtung herausragend, da dringt der Blick unter die Haut und hinter die Augen und macht sichtbar, was für fragile (und unvollkommene) Gebilde wir Menschen sind - und wie hilflos, wenn wir kein Instrumenatrium haben, uns selbst und den anderen zu verstehen.
Besonders lehrreich ist der Ansatz der familientypischen 'Erzählungen', wie Ereignisse immer wieder geschildert werden, wie diese Erzählungen kaum etwas mit Wahrheit zu tun haben, sondern einzig dem Zweck des Zusammengehörigkeitsgefühl dienen - und wie diese gemeinsamen 'Erinnerungen' nicht nur einen sozialen Zweck erfüllen, sondern auch psychologisch wirksam sind, die eigene Verortung ermöglichen, aber auch die Entwicklung behindern können.
Das Buch wird mit einer eigenen Stimme erzählt, man 'vergisst', wer sie 'ist' (auch, wenn manche Buchbesprechungen gerade den Wiedererkennungsfaktor betonen. Wie soll das gehen bei einer Schauspielerin, die fremde Texte vorträgt? Das bestärkt mich in meinem Misstrauen gegen professionelle Rezensenten ...) Es ist eine sensible Sprache, nicht kompliziert oder banal, weder detailverliebt, noch reduziert. Es entsteht der Eindruck der Angemessenheit des Tons, in dem sie diese Geschichte(n) erzählt, eigentlich eher an sie heranführt und die vielen, vielen Räume dazwischen sichtbar macht - und dass inmitten von Worten Sprachlosigkeit herrschen kann.
Am Ende wird man daran erinnert, dass 'Familie' nie einfach ist. (Und wer sie nur erlitten hat, aber nicht gestalten musste - so wie ich - der kann eigentlich gar nicht mitreden.)
*) Rowohlt, Berlin 2024