Hi
@blackout Hanna,
sofern Du Dich nun auf den Text konkret beziehst, im Folgenden MEINE Gedanken/bzw. eher Fragen, die ich mir gestellt hatte dazu.
Was wolltest du mit dem Gedicht eigentlich ausdrücken? Ich bin nicht dahintergekommen. Was war die Botschaft, die Prämisse?
Die bildhafte Umsetzung des zunächst rein spielerischen Gedankens einer abstrakten Zeitraffung, also einer Zusammenziehung der Zeit auf "einen Punkt". Wie könnte das aussehen ? Wie könnte es sich anfühlen ? Welche Bilder steigen in mir dabei auf ? Welche weiteren Konsequenzen oder Einsichten könnten daraus abgeleitet werden. Relativieren sich vielleicht viele Dinge, die wir zur Zeit als Antagonisten begreifen ? Wäre es vielleicht möglich, dass Spiritualität in ihren vielen Ausprägungen im Grunde auch auf einen gemeinsamen Nenner zurückgeführt werden kann. Das Bild der Vorgärten symbolisiert dabei für mich Alltag, das Bild der Gräber Vergänglichkeit, das größte Drama des eigenen Lebens: der eigene Tod (Simon de Beauvoir)
Willst du mit dem Vers, dass sich die Götter da drängeln, sagen, es gibt in dieser Straße Sakralbauten mehrerer Kirchen unterschiedlicher Konfessionen, oder was wolltest du dem Leser damit sagen? D
Nun, wenn das DEINE Interpretation ist oder wäre, dann wäre für DICH das Gedicht damit bezahlt und das wäre gut so. Ein Gedicht ist für mich ein bisschen wie ein Gleichnis: Durch seine Bildhaftigkeit gibt es keinen "Letztsinn". Es ist eher wie ein Mandala, eine Meditation. WIR reichern die Gedichte ja mit eigenen Vorstellungen, Assoziationen an. Die Gedichte können insofern als Magneten für eigenes unbewußtes Material dienen, Konstellierungspunkte.
Ich persönlich meinte die oben erwähnte Vorstellung, dass durch eine kosmische Zeitraffung plötzlich alle Götter in einer Spirituatlität zusammenfallen. ihre Untesrschiede trennen sie nicht mehr. Sie drängeln sich, weil sie nun aktiv versuchen, ihren Platz zu erkämpfen, ihre Bedeutung zu erhalten. Durch die Zeitraffung und "Punktbetrachtung" verschwinden ihre Konturen, ihre Form, ihre "Persona".
Dann sag es doch so, dass der Leser das versteht.
Nun, Hanna, ich verstehe, woher Du mit dieser Aussage kommst und Dein Bemühen um Verständnis finde ich gut. Geht mir auch so bei abstrakteren Texten von anderen. Ich rätsele da auch oft herum und merke dann, wie ich Leerstellen automatisch mit "eigenem Material" fülle. Das ist ein spannender Prozess, der oft tagelang nachwirken kann. Für mich sind Gedichte anderer insofern immer auch kleine Katalysatoren, wenn sie mir helfen, Eigenes zu bergen oder kleine Wunder, die ganz viele interessante Gedanken konstellieren können, selbst, wenn man sie nicht vernunftmäßig durchdringt. Ein Schwachpunkt des rationalen Verstandes ist ja seine Notwendigkeit zur Reduktion.Um überhaupt funktionieren zu können, muss er ide Welt diskriminieren, einteilen in Gegensätze, Widersprüche (die eigentlich keine Widersprüche sind) und dabei naturgemäß beim In den Blick nehmen des einen Aspekt, den anderen verlieren (dazu hat Thomas Nagel in seinem Werk "What does it all mean" einige sehr interessante Gedanken niedergelegt) . Dieses zerstückelte Bild von Welt, das uns unsere Ratio erschafft ist natürlich nicht annähernd so reich wie die tatsächliche holistische Erfahrbarkeit von Welt, die sich in der Kunst noch am ehesten ausdrücken lässt (für Schopenhauer dann ja auch einer der Wege, um den Willen zu überwinden).
Ich glaube, es gibt in der Kunst nicht DAS Verständnis, oder DEN Letztsinn. Selbst ein Gedicht über den Weihnachtsmarkt kann in der Fantasie für den einen ein banaler (im Sinne von entspannter) Spaziergang mit Glühwein in der Hand sein, ein erfreuen an den Bildern, vielleicht den Kindheitserinnerungen. Für den anderen bekommt es gleich eine politische Dimension, hat etwas mit Verführungen, mit Betäubungen zu tun, die vom Wesentlichen abhalten. Was ich ausdrücken möchte ist, dass ich MEINE Gedichte gerne insofern begreifen möchte, dass sie sich nach der Veröffentlichung verschenken und ganz neue Sinnzusammenhänge bekommen, an die ich selber möglicherweise gar nicht gedacht hatte.
@JoteS zB erschließt sich gar nichts von diesem Gedicht. Für ihn sind es vermeintlich oder tatsächlich unverständliche, realitätsferne oder inhaltslose bzw. ideologisch überfrachtete Aussagen. Er findet das Gedicht mit dieser abwertenden, umgangssprachlichen Zuweisung bezahlt, jedenfalls dann, wenn man es "laut" liest. Er hält es sogar für "unlyrisch", spricht dem Stück also jedwede Fähigkeit ab, unmittelbar Stimmungen, Gefühle, Gedanken auszudrüclen und ein subjektiv bestimmtes Erlebnis zu vermitteln, dieses entlehnte Erlebnis zu "substantivieren".
Ich persönlich finde, es ist ein schönes, kreatives Stückchen in dem sich spielerisch die Idee des "Zeitraffens" mit einem toternsten Thema verbindet, nämlich dem Problem der Benennung der Spiritualität, der Verwässerung derseleben, der Ausdifferenzierung der Spirituatlität in Götternamen, Götterbegriffe. Mithilfe der "zusammengerafften Zeit" wird dieses Dilemma nun plötzlich dem LI nicht nur sichtbar, sondern erleidbar: ...bin an Göttern wund.. Der Schleier ist gefallen: ich bin im kosmischen Klang kein besonders wichtiger Ton, nichts besondereres als eine Fliege- ich bin nur das Träumen eines Wurms von diesem neuen Standpunkt aus betrachtet und würde mich das abwerten, wenn ich "nur das Träumen eines Wurms wäre" ? Würde es etwas an der Reichhaltigkeit meiner Erfahrungen im Augenblick verändern ? Etwas daran verändern, wer ich glaube zu sein ? Vielleicht geht es sogar so weit, dass ich feststelle, dass ich gar nicht (nur) bin, wer ich immer glaubte (nur) zu sein ? Dann hätte die Zeitraffung und der plötzliche Blick auf das "gesamte Leben" in einem Punkt etwas erschütterndes, jedenfalls etwas von der "NAturgewalt" als säße man im "Auge eines Sturms".
mes compliments
Dionysos