Zwei Hände sind eine zu viel

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N. Valen

Mitglied
Ich hab dir die eine gereicht,
damit du sie nimmst.
Nicht drückst.
Nicht hältst.
Nur:
damit du weißt,
sie ist da.

Aber du wolltest zwei.
Beide.
Die ganze Ladung Griff.

Und plötzlich war ich
nicht mehr zum Berühren da,
sondern zum Festhalten.
Zum Tragen.
Zum Funktionieren.

Zwei Hände
können sich falten.
Oder klammern.
Oder fesseln.

Manchmal ist Nähe
nur der Moment,
in dem man eine Hand
wieder loslässt,
weil man merkt:
Zwei waren zu viel.
 

petrasmiles

Mitglied
Gefällt mir sehr gut! Diese Metapher der Hände als Bild für Nähe, zu viel oder zu wenig, da hat was.
Überzeugt mich auch sprachlich!

Liebe Grüße
Petra
 

N. Valen

Mitglied
Lieber @mondnein,
danke dir für deinen Blick. Genau das war mein Anliegen: eine kleine Beobachtung konsequent durchzuhalten, ohne sie zu zerreden.

Liebe @Petra,
danke dir! Es freut mich sehr, dass die Hände-Metapher für dich funktioniert hat. Gerade in diesem Spannungsfeld zwischen Nähe und Übergriff steckt für mich viel.

Herzliche Grüße
N. Valen
 

Vasco

Mitglied
Ganz ehrlich,
eine Hand, die weder gehalten, noch gedrückt werden darf, ist eine sehr schwierige Hand. Wenn diese nur signalisiert, dasein zu wollen, dann würde ich ihr ganz herzlich viel Glück dabei wünschen - aber woanders.
 

N. Valen

Mitglied
Lieber Vasco,

ich glaube, wir haben an der Stelle zwei verschiedene Ebenen im Blick.
Deine Lesart ist konsequent: eine Hand, die nur da sein will, ohne gehalten oder gedrückt zu werden, taugt nichts. Das klingt klar, entschlossen – und sehr nach einem „Ganz oder gar nicht“.

Mein Gedicht wollte aber genau den Zwischenraum aufspüren.
Manchmal ist eine Hand nicht dazu da, festgehalten oder gedrückt zu werden, sondern nur als Zeichen: Ich bin da, ohne Anspruch.
Das ist keine Schwäche oder Nutzlosigkeit, sondern ein leiser Moment von Nähe, bevor er kippt in Klammern, Fesseln oder Funktionieren.

Es geht mir weniger um das „Was fange ich mit dieser Hand an?“ – und mehr um das „Wie schnell wird Nähe zu viel?“.
Manchmal genügt die eine – und das Loslassen ist der eigentliche Akt von Nähe.

Herzliche Grüße
Nova
 

Vasco

Mitglied
Liebe Nova,

da ist mir als Typ Handkante zunächst ja nur das Handgemenge einer klassischen Beziehung in den Sinn gekommen.

Aber mit etwas Nachdenken fallen mir doch zahlreiche weitere Verbindungen ein, die es Wert sind, die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. Sei es für die Kinder, die aus dem Haus sind, für Freunde, zu denen der Kontakt etwas abgerissen ist, selbst für die Schwiegermutter hätte ich eine helfende Hand übrig.

Tatsächlich gibt es so zahlreiche gegenseitiger Handreichungen, derer man sich kaum bewusst ist.

In Deinem Fall eben eine Nichtreihung, jedenfalls solange da noch wer anders seine Hände im Spiel hat.

In der Hoffnung, der Sache näher gekommen zu sein grüßt Dich

Vasco
 
Also ich sehe das so: Die erste Strophe beschreibt eine Annäherung zwischen zwei Personen, zaghaft doch empathisch . Die Hand wird zum nehmen (wahrnehmen?) gereicht. Ein Zeichen, ein Symbol für Aufmerksamkeit, Möglicherweise Trost, ohne Hintergedanken. Eine Hand (ein Freund) ist nicht nur zum Drücken da, oder Halten. Manchmal ist die Anwesenheit genug. Wichtig ist, dass das lyrische Ich sich nicht über das Drücken oder Halten beschwert, sondern seine Intention offenlegt. Vielleich ging alles einfach zu schnell und man war sich unsicher wie die Handreichung wahrgenommen werden würde.

Und in der zweiten Strophe wird klar, dass das lyrische Ich einfach nicht (noch nicht?) bereit war, so viel Verantwortung zu übernehmen. Eine Beziehung zu anderen ist immer ein Ringen um Grenzen, ein Tanzen; ein Willkommen heißen, ein Umpositionieren, ein Freiraumgeben, ein Freiraumnehmen. Ganz ohne Wertung.
Die andere Person hat das fehleingeschätzt und hat beide Hände genommen. Das kann passieren.

3. Strophe: Das lyrische Ich, was bei einer schon zaghaft war, ist bei zwei Händen überfordert und fühlt sich dadurch ausgenutzt, wie ein Werkzeug. Es ist aber kein Vorwurf. Jemand kann sich ausgenutzt fühlen, selbst wenn der andere das nicht bewusst macht. Manchmal überschreitet man unwissentlich die Grenzen des anderen.

Die vierte Strophe vertieft das Bild nochmals. Was für den einen ein Symbol für tiefe Freundschaft ist, kann für den anderen ein Symbol für Festsetzung sein. Zwei Hände zum halten, zwei Hände zum Würgen.

Und in der letzten Strophe führt der Tanz, das Ringen (Grenzen aufzeigen, kommunizieren, verstehen) zur Kompromisslösung. Und zwar wird nur eine Hand zurückgezogen, nicht beide. Und das "Ich" wechselt zum "man", was auf eine gemeinsame Entscheidung hindeutet. Der eine ist zaghaft mit der einen Hand und der andere möchte zwei. Der Kompromiss ist eine Hand zum Drücken und Halten. Manchmal ist wahre Nähe das Hinhören, das Finden von Kompromissen, das Nehmen und Geben von Freiraum, das Geben und Nehmen einer Hand und manchmal eben auch das Loslassen einer Hand.


Alles in allem sehr, sehr gelungen. Vor allem, wenn man schon auf beiden Seiten war. Der, der zwei Hände nimmt. Der, dem zwei Hände genommen werden. In beiden Fällen kann es zum Bruch kommen. Wenn man die Beziehung retten will, muss man entweder Grenzen ziehen oder aufgezeigt bekommen, um Kompromisse finden zu können

Das ist jedenfalls, was ich aus dem Gedicht mitnehme.

MfG Benjamin
 

N. Valen

Mitglied
Lieber @Vasco ,

jetzt hast du mir wirklich ein Lächeln entlockt.
Deine Bilder – die helfende Hand für Kinder, Freunde oder sogar die Schwiegermutter – öffnen den Blick und zeigen, wie vielfältig dieses kleine Symbol sein kann.
Genau darum ging es mir: Nähe ist nicht nur das große Festhalten, sondern oft etwas Leises, manchmal auch eine Geste im Vorübergehen.
Deine „Nichtreichung“ trifft es gut – ein offener Raum, der nicht gleich zugreift.

Danke dir für dein Mitgehen und das Weiterspinnen – so wird das Gedicht lebendig.

Herzlich
Nova
 

N. Valen

Mitglied
Lieber @Benjamin Gerdes ,

wow – deine ausführliche und differenzierte Lesart hat mich sehr beeindruckt.
Du hast jede Strophe sorgfältig durchleuchtet und gezeigt, wie viel an Zwischentönen und Möglichkeiten darin steckt.
Manches war so nicht geplant, aber gerade das macht Poesie lebendig: dass die Lesenden eigene Räume öffnen und Bedeutungen finden.
Besonders dein Bild vom „Tanzen“ zwischen Nähe und Grenzen gefällt mir – es fängt genau das Spannungsfeld ein, das mich bewegt hat.
Und ja, manchmal ist das Loslassen genauso Nähe wie das Festhalten.

Herzlichen Dank für deine Zeit und deine Aufmerksamkeit – das ist ein Geschenk für jedes Gedicht.

Viele Grüße
Nova
 



 
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