Astlöcher, Holzschiefer und Feensplitter

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So. Nun wage ich mich auch an ein lyrisches (vielleicht auch kurzprosaisches) Auffangbecken für Waldiges, Verwildertes und Unterholziges....kurz: persönlichere Inhalte. Und steig auch direkt ein.





das vielgerühmte chanel-kostüm
in das du nach meiner geburt
nie wieder gepasst hast
ich konnte nie verstehen
was du an rosa hahnentritt
fandest in mir aber nicht

so nebenbei erwähnt
hat es doch sein ziel nie
verfehlt den stein gehöhlt
von kindesbeinen an und
auf den dreigenerationenfotos
strahlen nur oma und ich

dein stirnrunzeln und die
schmalen lippen noch heute
gebannt auf zelluloid
schwarz auf weiß oder auch
andersrum den gewellten
rand fand ich immer toll

nur heute täuscht er nicht
mehr über das hinweg
was fehlt
 
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Windspiel

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Hallo fee,

was für ein schwieriger Text, mutig und berührend.
Beengte Kinderseelen, verunsichert und verletzt und überrollte Elternseelen denen es nie gelungen ist über Belastung, Enttäuschung und Ängste, die hart gemacht haben, zu sprechen. Ein sehr sensibles Thema über das ich sehr viel nachdenke.

Liebe Grüße
Windspiel
 

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Recht herzlichen Dank, Windspiel!

Ich auch. Vor allem auch, weil mir scheint, dass meine Generation an Töchtern mit ihren Müttern sehr verbreitet ein schwieriges Verhältnis hat. Dass die Mütter im oder kurz nach dem Krieg geboren sind, spielt da m. E. eine große Rolle.

Danke auch dir und Chandrian für die Sternchen!

LG,
fee
 

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da ist er
dieser funke albernheit
ein lang vermisster gast
schon seltsam
wie am absoluten tiefpunkt
die lebendigkeit auf einmal
anklopft als hättest du
nicht die letzten monate
versucht sie zu erzwingen
aller erschöpfung zum trotz
du musstest wohl am
grund aufschlagen den
nullpunkt spüren
um zu dir zu kommen
 

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Beißhemmung



Ich bin nicht mehr die junge Zornig-Wilde.
Nimmt man's genau, dann war ich das noch nie.
Die Male, als ich Zornesworte spie,
verbannten sie mich vom Familienbilde.

Als führte Bitterböses ich im Schilde,
kam's so, dass man den Lapsus nie verzieh.
Man hielt ihn hoch, mir vor und er gedieh.
Vergebens hoffte ich auf Mutters Milde.

Noch heute macht Mich-Wehren mir Beschwerden:
die Stimme dazu fehlt und auch der Mut.
Ein Knebel - unsichtbar - beengt die Kehle.

Ganz tief hinunter in die Schwärze meiner Seele
schluck ich - auch wenn ich's besser weiß - die Wut.
So groß die Angst, ich könnt' verstoßen werden!
 
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Manchmal greifst du dir echt an den Kopf.

Weil du einfach nicht mehr mitkommst mit der Gleichgültigkeit des Lebens gegenüber den Lebewesen.

Der große Bruder meines ältesten Schulfreundes war, solange ich ihn kannte, ein unglücklicher Mensch, unbeholfen, wenn es darum ging, sich einzugliedern. Zu laut, mit Pointen, die oft unangenehm berührt zurückließen. Doch man verzieh ihm das, denn man spürte, er trug sein Herz am rechten Fleck. "Er kann's halt nicht anders", sagte man sich und hatte ein bisschen Mitleid. Man sah, wie er sich bemühte, abrackerte, und doch wuchs gefühlt mit jedem Versuch, der natürlich zum Scheitern verurteilt war, seine Unsicherheit.

Er hatte starke Neurodermitis, kratzte sich oft blutig und es gab Tage, da konnte er seine geschundene Haut nicht mehr ausreichend unter Kleidung verbergen. Es war, als wäre er dazu verdammt, ein Außenseiter zu sein. Einer, der nie und nirgends dazupasste. Er fing mehrere Ausbildungen an, brachte aber keine zu Ende. Man hatte immer das Gefühl, er suchte verzweifelt seinen Platz in der Welt, konnte ihn aber nirgends finden. Seine Krankheit machte ihn sensibel für die Sorgen anderer und er konnte gut zuhören. Für seine eigenen Befindlichkeiten fand er bestenfalls ein Schulterzucken oder einen derben Scherz.

Ich bin jetzt Mitte fünfzig und er war zwei Jahre älter als wir. Als wir schon längst Erwachsenenleben führten, war er noch immer das Sorgenkind der Familie und wurde auch so behandelt. Ab irgendeinem Punkt konnte ich nicht mehr sagen, welche Menge an Sorgen von außen in ihn hineinbeschworen wurden und welche tatsächlich noch seine eigenen waren. Und er konnte es vermutlich auch nicht. Erst spät entschloss er sich, zu einem Therapeuten zu gehen. Bis dahin waren etliche Jahre mit mal mehr meist aber weniger seriösen Sinn-Suchen in den Gefilden der Esoterik ins Leere gelaufen. Wir verloren uns mit den Jahren ein wenig aus den Augen, ganz spätestens, als sein Bruder, mein guter und langjähriger Schulfreund, und meine beste Freundin sich scheiden ließen. Ich hörte danach noch ab und zu über meine Freundin, wie es ihm gerade ging. Wo er wieder aus der Rolle gefallen war oder wie seine Anstrengungen wieder einmal und wie immer bedauerlicherweise ins Leere gelaufen waren.

Dann, vor einigen Monaten die Nachricht, dass er eine Geschlechtsumwandlung in Angriff genommen hätte, bereits alle psychologischen Hürden genommen und begonnen hatte, Hormone zu nehmen. Die operative Angleichung stünde als nächster, großer Schritt auf dem Programm. Endlich - endlich! - sei er, nein- sie, bei sich angekommen! Er wäre wie ausgewechselt, die Haut viel viel besser geworden und wolle von nun an mit Sylvia angesprochen werden.

Plötzlich war klar, warum er sein ganzes Leben lang wortwörtlich am liebsten aus seiner kranken Haut gefahren wäre. Warum diese rebellierte - denn sie war die falsche gewesen. Von Anfang an. Ich verstand, warum er nie seinen Weg gefunden hatte. Wie kannst du das, wenn du dich selbst einfach nur als unerklärlich und grundfalsch empfindest. Ich freute mich sehr für ihn, denn nun konnte sein Leben endlich, endlich beginnen. Wenn du herausgefunden hast, wovon du bei dir ausgehen kannst, kannst du auch rausgehen und deinen Weg machen! Ich bewunderte seinen Mut und es tat mir leid, wie viele Jahre er sich als Geist seiner selbst gefühlt haben musste. Ich schickte begeisterte Grüße und die besten Wünsche und übte mich darin, von nun an als Sylvia von ihr zu sprechen und zu denken.

Dann, vor wenigen Wochen, die Nachricht meiner Freundin, man habe bei den nötigen Voruntersuchungen für die Angleichung bösartiges Gewebe gefunden. Der Tumor hätte schon weit gestreut und außer einer Palliativbehandlung könne man nichts mehr für Sylvia tun. Vor ein paar Tagen dann die Parte mit der Verabschiedung von Sylvia. Die Bitte, nicht in Trauerkleidung zum Begräbnis zu kommen, sondern so, wie sich jeder in seiner Haut am wohlsten fühle, zog mir schließlich den Boden unter den Füßen weg und ich konnte nicht weiterlesen. So groß der Zorn und die Bestürzung!

Ich kann nicht sagen, mir fehlten die Worte. Sie stehen nun hier. Dennoch weiß ich nicht, ob Worte je genügen werden, um die Unfassbarkeit eines solchen Schicksals auch nur ansatzweise zum Ausdruck bringen zu können. Welcher Schlusssatz wäre dem auch nur irgendwie angemessen?

Ich bleibe schweigend zurück. Und unendlich traurig.
 
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revilo

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Eine sehr berührende Geschichte, die offensichtlich einen kleinen Tippfehler enthält. Es muss sehr wahrscheinlich Karte und nicht Parte heißen. Es ist schlimm, wenn ein Mensch nicht so leben kann wie er will. Ich glaube, dass Dein Freund von Anfang an wusste, dass er in einem falschen Körper lebt, dies aber vermutlich zu spät umgesetzt hat. Wenn ein Mensch im falschen Körper lebt, dann hat er das Recht, den „richtigen“ zu bekommen.
 

revilo

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Ein wenig erinnert mich diese Geschichte an meinen Patenonkel, der gestorben ist, als ich 6 oder 7 Jahre alt war. Ich habe nur noch sehr verschwommene Erinnerungen an ihn. Seine Mutter hat ihm ein Bild von mir in den Sarg legen lassen. Das war wohl sein letzter Wunsch. Erst Jahre später erfuhr ich, dass er Selbstmord begangen hatte und schwul war. Zu der damaligen Zeit gab es noch den 185 er-Paragrafen, der Liebe unter Männern unter Strafe stellt. Sie wurden deswegen auch die 185 er genannt. Mein Vater erzählte mir, er habe ihn in einer Straßenbahn kennengelernt, als er gerade dabei war, einen jungen Mann anzumachen. Da homosexuelle Beziehungen damals strafbar waren, hat er ihn angesprochen und ihm geraten, das nicht in der Öffentlichkeit zu tun. Daraus ist offensichtlich eine Freundschaft erwachsen, die so groß war, dass er mein Patenonkel wurde. Meine mittlerweile 94-jährige Mutter hat mir vor Jahren noch erzählt, dass ich seinem Leben wieder einen Sinn gegeben habe. Ich war – wie sie sagte – sein Ein und Alles. Ich habe lange nicht mehr an ihn gedacht und tue es jetzt. Dank dieser wunderbaren Geschichte. Vielen Dank
 

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Ein wenig erinnert mich diese Geschichte an meinen Patenonkel, der gestorben ist, als ich 6 oder 7 Jahre alt war. Ich habe nur noch sehr verschwommene Erinnerungen an ihn. Seine Mutter hat ihm ein Bild von mir in den Sarg legen lassen. Das war wohl sein letzter Wunsch. Erst Jahre später erfuhr ich, dass er Selbstmord begangen hatte und schwul war. Zu der damaligen Zeit gab es noch den 185 er-Paragrafen, der Liebe unter Männern unter Strafe stellt. Sie wurden deswegen auch die 185 er genannt. Mein Vater erzählte mir, er habe ihn in einer Straßenbahn kennengelernt, als er gerade dabei war, einen jungen Mann anzumachen. Da homosexuelle Beziehungen damals strafbar waren, hat er ihn angesprochen und ihm geraten, das nicht in der Öffentlichkeit zu tun. Daraus ist offensichtlich eine Freundschaft erwachsen, die so groß war, dass er mein Patenonkel wurde. Meine mittlerweile 94-jährige Mutter hat mir vor Jahren noch erzählt, dass ich seinem Leben wieder einen Sinn gegeben habe. Ich war – wie sie sagte – sein Ein und Alles. Ich habe lange nicht mehr an ihn gedacht und tue es jetzt. Dank dieser wunderbaren Geschichte. Vielen Dank

Wie berührend! Gerne geschehen, Oliver.

Es heißt schon "Parte". Ist anscheinend ein österreichischer Begriff für die Mitteilung eines Familienereignisses. Ich kenne es eigentlich nur in Verbindung mit Todesfällen. Das Wort kommt vom Französischen - "faire part" - mitteilen.

Ich bin mir nicht sicher, ob sie schon lange wusste, was es war, das da immer so unüberwindlich im Weg stand. So oder so - es ist furchtbar traurig. Und es macht mich unheimlich zornig zugleich.
 

revilo

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O. k., das wusste ich nicht. Wieder was dazugelernt. Ja, es ist eine traurige Geschichte. Mir fällt gerade ein, dass ich heute mit meiner Mutter telefoniert habe. Wie es der Zufall wollte, haben wir über meinen Patenonkel gesprochen. Meine Mutter beschrieb mir ein Foto von ihm und mir. Da war ich 3 oder 4 Jahre und habe keine direkte Erinnerung. Auf dem Foto sieht man uns gemeinsam lachen. Ich zeige auf einen Gegenstand. Meine Mutter erklärte mir, dass dies ein Spiegel gewesen sei. Ich habe auf den Spiegel gezeigt und sinn gemäß gesagt, das sein ein Ich. Oder so ähnlich. Und darüber mussten alle lachen, vor allem mein Patenonkel. Schöne Erinnerung.
 
G

Gelöschtes Mitglied 23910

Gast
Der Patenonkel ist eine ganz schwierige Kiste, Oliver, da er sozusagen der Weihnachtsmann im christlichen Glauben ist.
 

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Mitglied
Auf dem Foto sieht man uns gemeinsam lachen. Ich zeige auf einen Gegenstand. Meine Mutter erklärte mir, dass dies ein Spiegel gewesen sei. Ich habe auf den Spiegel gezeigt und sinn gemäß gesagt, das sein ein Ich. Oder so ähnlich. Und darüber mussten alle lachen, vor allem mein Patenonkel. Schöne Erinnerung.
Das klingt sehr innig und schön.
 

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Jetzt ganz ohne Schmäh - eine meiner besten Freundinnen geht vor meinen Augen kaputt. Körperlich. Und, auch, wenn sie das nicht zugibt, sicherlich auch seelisch.
Da sind die harten Zeiten, die mir meine Autoimmunerkrankung ab und zu beschert, ein Lercherlschas dagegen, wie man bei uns so schön sagt.

Sie ist vier Jahre älter als ich (also Ende fünfzig) und der Typ Mensch, der nur schwer akzeptieren kann, wenn einem das Leben - ganz zu schweigen vom eigenen Körper - Grenzen setzt. "Die Regeln in deinem Leben bestimmst ausschließlich und immer nur du" ist ihr Motto - geerbt von ihrer Mutter. Ich bin mir nur nicht sicher, ob sie den Sinn dahinter richtig interpretiert.

Ich jedenfalls sehe ihr jetzt seit ein paar Jahren zu, wie sie sich von einer ohnehin nicht schönen gesundheitlichen Schieflage aktiv langsam aber sicher in Richtung Horizontale bugsiert. Angefangen hat es mit einer schweren Sportverletzung am Knie in jungen Jahren. Das ganze Knie unrettbar im Eimer, die sportlichen Zeiten mit einem Schlag vorbei. Mit einem übermütigen Sprung und der missglückten Landung danach in Sekundenschnelle erledigt. Dann verloren wir uns für ein paar Jahre aus den Augen und als wir später - ich war inzwischen in ihre Nähe gezogen mit meinem Mann - wieder trafen, hatte sie gut und gerne dreißig Kilo oder mehr zugelegt. Ich nahm damals an, das käme von starken Schmerzmitteln, aber nachdem wir uns so richtig eng befreundet hatten, erzählte sie mir die ganze Krankengeschichte - Lipödem! Sie hatte die Diagnose auch erst vor kurzem erhalten und sich die Jahre davor beim kontinuierlichen Zunehmen selbst zugesehen und die Welt nicht mehr verstanden. Das konnte ich gut nachvollziehen, war es mir mit meiner Schilddrüse doch sehr ähnlich gegangen, bis sie als Ursache hinter fünfzehn Kilo plus in nur sechs Monaten und trotz Diät diagnostiziert worden war. Wir hatten also eine gemeinsame Basis und das verbindet, denn kaum jemand, der nicht selbst von Stoffwechselerkrankungen betroffen ist, kann nachvollziehen, dass man die Kilos nicht einfach wieder mit den normalen Mitteln los wird.

Lipödem ist ja an sich schon eine schlimme Sache. Fett wird in Gewebe an den eigenartigsten Stellen eingelagert, wo es gar nicht hingehört, und zieht dort wie ein Magnet weiteres Fett an. Das macht nicht nur dick, sondern gemeinerweise auch unförmig. Und - das will meine Freundin aber nicht wahrhaben - es geht auf die Gelenke. Jetzt nicht nur des Übergewichts wegen, sondern es greift die Gelenke auch über den Stoffwechsel an und sie verlieren an Stabilität.

Dann kam die unvermeidliche Knie-OP. Nicht am bereits kaputten Knie. Nein - das andere hatte durch Überbelastung den Geist aufgegeben und konnte nur mittels OP wieder stabilisiert werden.
Wenn du jetzt aber am zweiten Knie ohnehin schon von Haus aus eingeschränkt bist und das operierte entlastet werden muss, sind Krücken angesagt anstelle eines Gehstocks. Das ging so lange gut, bis sie sich in der Arbeit das Handgelenk brach.

Wenn aber jetzt noch dazu kommt, dass jemand, der sich verletzt, eine sehr hohe Schmerzschwelle hat und außerdem Beschwerden lieber ignoriert als sich einzugestehen, dass etwas wirklich kaputt ist, dann wird es wirklich heftig. Wenn DANN noch dazu kommt, dass der Röntgenarzt im Unfallkrankenhaus offensichtlich seinen Job nicht beherrscht und dich mit der Diagnose "nur verstaucht - ein paar Wochen bandagieren und schonen" heimschickt, wird es gradezu grotesk. Tatsächlich entdeckt wurde der Bruch im Handgelenk (ein komplizierter übrigens) bei der Nachkontrolle des Knies beim orthopädischen Chirurgen. So nach dem Motto "Ich seh sie jetzt schon seit zwei Monaten mit der Bandage am Handgelenk. Wollen wir uns das einmal genauer ansehen?". Fazit: nächste schwierige OP am Handgelenk, inklusive Schraube rein, Gips drauf, mindestens acht Wochen lang ruhig halten.

Inzwischen war aber auch das zweite Knie operiert worden - es hatte der Überbelastung als "einziges Arbeitsknie" nicht standgehalten. Meine Freundin musste also weiterhin und noch für längere Zeit an Krücken gehen. Zwischenbilanz: zwei kaputte Knie, frisch operiert, eine operierte Hand plus Krücken. Nicht solche, die man sich unter die Achseln klemmt. Nein - die, die man mit den Händen hält und wo das Hauptgewicht auf den Händen lastet beim Gehen oder Aufstehen.

Es kam, wie es kommen musste. Nach kurzer Zeit klagte sie über fiese Schmerzen im anderen Handgelenk. Sie hatte sich mit dieser Hand regelmäßig an der Tischkante abgestützt, um beim Aufstehen vom Stuhl die Knie zu entlasten. Die Untersuchung im Krankenhaus (selbes Krankenhaus, selbe Röntgenabteilung) ergab: "vermutlich verstaucht. Bandagieren und eine Weile schonen". Haha - sehr lustig. Ich frage mich bis heute, ob die Ärzte ihre PatientInnen überhaupt ansehen und als Ganzes wahrnehmen, wenn sie ihren Job machen. Da steht, nein, krümmt sich eine offensichtlich krankhaft übergewichtige Frau vor Schmerzen mit einer Gipshand und zwei Knien mit unübersehbaren Schienen vor dir an ihren Krücken und du sagst ihr, sie soll die einzig übrige Hand schonen und nicht belasten? Ehrlich? Ich habe den letzten Rest an Glauben in unser Gesundheitssystem spätestens da verloren.

Klar, hab ich meine Freundin gefragt, warum sie nichts entgegnet hat. Warum sie nicht den Mund aufgemacht und diesen Deppen gefragt hat, ob er ihr erklären könne, wie sie die nächsten Wochen bestreiten solle mit quasi null Gliedmaßen, die noch einsatzfähig gewesen wären. Sie konnte mir das nicht beantworten. Meine Vermutung: sie hat sich wohl so daran geklammert, dass es wohl doch nicht alles so schlimm sein könne, wenn ihr ein Arzt NICHT sagt, dass sie eigentlich momentan Vollinvalide sei und zumindest Pflegestufe eins beantragen solle. Es ist wohl kaum eine Überraschung, wenn ich erzähle, dass natürlich auch das zweite Handgelenk kompliziert gebrochen war. Der Knie-Chirurg hat's entdeckt. Diesmal wenigstens kam sie ohne OP davon - Spezialschiene für acht Wochen. Und...die Krücken waren immer noch notwendig. Diesbezüglich auch von diesem Arzt kein Mucks. Zwei kaputte Hände, zwei kaputte Knie - alles sollte so lange wie möglich geschont werden.

Jetzt ist meine Freundin keine Meisterin darin, sich in Geduld zu üben. Auch nicht darin, zu akzeptieren, dass ihr Körper momentan wirklich nicht mehr funktioniert und sie besser für die nächsten drei, vier Wochen wenigstens, komplett stillhalten sollte. Es kam wie es kommen musste - das Aufstehen vom Tisch oder vom Sofa wurde zum Gesamtkunstwerk bestehend aus lauter unnatürlichen Bewegungen, die zwar die Gliedmaßen etwas entlasteten, nicht aber den Rücken, der für diese Form der Belastung nicht konstruiert ist. Zunächst wochenlang stärker werdende Rückenschmerzen, dann eines Morgens war das rechte Bein taub und wollte nicht gehorchen. Ab ins Krankenhaus (ja, wieder dasselbe), Röntgen gemacht - nichts Auffälliges gesehen, und weil das Bein nun wieder beweglich und "nur noch taub" war, schickte man meine Freundin zu Fuß nach Hause. Zweihundert Meter vom Krankenhaus Totalausfall des Beins. Sie stürzte und Passanten halfen ihr auf und wollten sie zurück ins Krankenhaus bringen. Doch genug war genug!

Sie rief ihren Mann an und der brachte sie in ein etwas entfernter liegendes Spital. Dort wurde sofort eine ernster Bandscheibenvorfall diagnostiziert und man nahm sie auf. Das ist jetzt schon wieder zwei Monate her und man wartet jetzt ab, bis Hände und Knie vollständig ausgeheilt sind und ob die Taubheit noch von allein verschwindet, bevor man eine OP in Betracht zieht. Seit der ersten Knie-OP sind gerade mal acht Monate vergangen. Acht Monate voller Schmerzen. Acht Monate voller Quälerei, Stress und Einschränkungen. Acht Monate, in denen man gelernt hat, dass einem nicht geholfen wird, egal, wie kaputt man schon ist.

Gestern waren wir bei ihr und ihrem Mann zu Besuch. Die Krücken sind wenigstens inzwischen Geschichte, aber die Rückenschmerzen unverändert stark, das Bein nach wie vor taub und beim Aufstehen vom Stuhl stützt sie sich inzwischen knapp hinter dem Handgelenk am Unterarm auf. Sie meinte gestern, Elle und Speiche dort würden sich irgendwie eigenartig bewegen und stark schmerzen...
 

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Schluss erst mal mit Düsterem und Traurigem. Es ist ohnehin schon finster genug draußen.....


Den Text hatte ich vor einiger Zeit hier im Forum anonym eingestellt. Ich bin mir heute nicht mehr ganz sicher, warum. Ich denke, ich hatte da eher einen eigenen inneren Konflikt , wo sich das körperlich gefühlte Alter mit dem geistigen Alter nicht mal ansatzweise deckte. Die zwei bewegten sich schon eher in völlig entgegengesetzte Richtungen genau genommen. Gesundheitlich im Augenblick reiß ich gefühlt die Hundert bzw. hab ich Hundertjährige gesehen, die fitter sind als ich momentan. Geistig bin ich irgendwo in den späten Zwanzigern stehengeblieben - nicht intellektuell (na, hoffentlich), aber was Vorlieben angeht und so eine gewisse Denkweise. Wenn das so gar nicht zusammengeht, kann man schon mal unsicher werden. Aber egal - ich hab beschlossen, den Text jetzt hier ins Tagebuch aufzunehmen. Da passt er gut hin, weil er ein ganz persönliches Gefühl widerspiegelt. Sprachlich gemeint.




Manchmal musst du einfach rumrotzen,
alles auskotzen, was Sache ist,
Denn sonst zerfrisst es dich von innen.
Mit allen Sinnen hältst du dagegen.
Okay? Von wegen! Nichts ist grad gut.
Dem, der so tut, als wär die Welt,
wie sie gefällt, hat nicht geschnallt,
dass sie eiskalt, ohne Gefühl
und ohne viel Gewissensbisse
dein Rumgedisse kein bisschen juckt.

Wer jetzt doof kuckt, hat nicht gerafft;
das, was da klafft, ist jener Spalt,
der mit Gewalt die Hoffnung trennt
vom Firmament der Wirklichkeit.
Dein Weg soweit: bloß Illusion.
Wer bist du schon, dass so ein Gott
dir was gewährt (schon längst verjährt
ist deine Spur)? Ein Sandkorn. Klein.
Mehr Schein als Sein. Wenn das erst sackt,
hast du's gepackt. Dann geht's erst los,
du Trauerkloß! Dein Weg zu dir.
Dort ist die Tür.


Okay...ist jetzt auch nicht viel fröhlicher, wenn ich ehrlich bin. Aber es klingt wenigstens schwungvoller. :cool:
 
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der wind und die ameisenstraßen
des sommers durchziehn meine
wohnung nicht mehr
aus den boxen weint sinead
zu trip hop vom feinsten und
der riese vorm fenster aus grauem
beton schluckt die sonne weg
reckt sich genüsslich
ins letzte licht
 

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heut
heut mag
heut mag mich
heut mag mich keiner
heut mag mich keiner und
heut mag mich keiner und ich
heut mag mich keiner und ich mich
heut mag mich keiner und ich mich vielleicht
noch weniger
 



 
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