Manche Menschen sind offensichtlich erstaunlich gut darin - und vermutlich geübt -, sich den Hass (oder den Kampf), den sie überall da draußen in der harten Welt verorten, selbst zu erschaffen.
Beispiel:
ich hatte gestern einen harten Vormittag.
Ein anstrengender Arzttermin, der mir naheging und meine Nerven blanklegte.
Ich beschloss, mich mit einem neuen Buch (vielleicht auch mehreren) zu trösten und mich in einem meiner Lieblingskaffeehäuser auf andere - bessere - Gedanken zu bringen. Das gelang ganz gut - nicht zuletzt der äußerst leckeren Kürbiscremesuppe wegen, die ich zu dem kleinen, wundervollen Gedichtbändchen genoss, das ich mir davor im Buchgeschäft meines Vertrauens gegönnt hatte.
Ich las, aß, schmeckte, atmete, ließ mich in das beruhigende Stimmenwirrwarr der anderen Kaffeehausbesucher sinken und fühlte mich schließlich so weit bei mir angekommen, dass ich entspannt, wenn auch in Gedanken versunken, den Heimweg antrat.
Das war um die spätere Mittagszeit und die U-Bahn war dementsprechend überfüllt. Ich musste ein wenig kämpfen, um im Gedränge endlich einen brauchbaren Stehplatz zu finden - direkt neben einem Zweiersitz, auf dem ein älteres Ehepaar - beide deutlich fülliger als ich selbst - sich niedergelassen hatte. Der Mann saß auf dem Sitz am Gang bzw. ragte in denselben hinein aufgrund seines Leibesumfangs und ich war wegen der vielen Fahrgäste im Abteil gezwungen, näher an ihm zu stehen als mir angenehm war.
Es war viel zu heiß, ich war erschöpft und immer noch in Gedanken mit den Nachwehen des Arztbesuchs beschäftigt. So ruckelte ich gemeinsam mit all den anderen Fahrgästen mühsam meinem Ziel Station für Station näher. Hinter mir wurde ein- und ausgestiegen. Manchmal wurde ich dabei angestuppst oder leicht -gerempelt. Ich registrierte das - wenn überhaupt - nur am Rande. Nichts Ungewöhnliches um diese Uhrzeit in den Wiener Öffis.
Als wir uns endlich meiner Haltestelle näherten, kam auch in das Paar auf der Sitzbank Bewegung und ich kam nicht umhin zu hören, wie er zu seiner Gattin in erbost aufgebrachtemTonfall meinte "Die hat mich jetzt die ganze Fahrt über angerempelt mit ihrer Tasche. So eine Frechheit. Dabei hab ich eh vorhin extra noch mit dem Arm gegen ihre Tasche gestoßen. Aber die hat das einfach ignoriert! Die ist sicher grantig, weil sie den Sitzplatz nicht bekommen hat." Das riss mich dann endgültig aus meinen Gedanken und als ich Blickkontakt aufnahm, stand er schon vor mir und meinte ziemlich unfreundlich "Ja, genau! Sie meine ich! Haben Sie nicht gemerkt, dass sie mich dauernd mit der Tasche angestoßen haben? Die ganze Fahrt lang! Einfach unmöglich, sowas!"
An einem andren Tag hätte ich wohl auch eher unfreundlich versucht, mich zu verteidigen, doch an diesem war ich irgendwie nicht Willens (oder aber es fehlte mir die Kraft), mich zu streiten. Noch dazu wegen etwas so Unsinnigem und Unnötigem.
Ich meinte also - aufrichtig überrascht - "Oh, das tut mir leid. Ich habe das wirklich nicht bemerkt." Er setzte an, mir ins Wort zu fallen, um weiter seinen Unmut an mir abzureagieren. Doch da hatte ich schon gefragt "Warum haben Sie denn nichts gesagt?" Er darauf (schon etwas weniger aggressiv): "Ich hab ja eh mit meinem Arm absichtlich gegen Ihre Tasche gestoßen. Das müssen Sie doch bemerkt haben!"
"Wissen Sie; ich war so in Gedanken. Ich habe das wirklich einfach nicht bemerkt" war meine spontane und ehrlich gemeinte Antwort darauf. Denn so war es ja auch gewesen. Nicht nötig, mich da irgendwie zu verteidigen oder rauszureden. Und mit dem abschließenden Satz "Und es war sicher keine böse Absicht" hatte ich ihm dann endgültig den Wind aus den Segeln genommen. Sein Zorn wich einem etwas hilflosen Lächeln und er meinte abwehrend "Das haben wir auch nicht angenommen".
Da schob uns der Pulk schon aus dem Zug und damit war der Dialog beendet.
Erst im Weitergehen überlegte ich, was da eben passiert war.
Dass er natürlich genau das angenommen hatte und dass meine offensichtlich unerwartete (weil freundliche) Reaktion ihm vielleicht die Unsinnigkeit einer solchen Annahme vor Augen geführt hatte. Etwas, das mir an diesem Tag vermutlich nur gelungen war, weil ich nicht ganz "da" gewesen war und ein Teil von mir einfach keine Energie für das dumme Ellenbogenspiel gehabt hatte oder aufwenden hatte wollen.
Oder ich war an diesem Tag ganz im Gegenteil besonders "da" gewesen.
Ja. Eigentlich möchte ich lieber glauben, dass es das war. Ich war ganz bei mir gewesen.
Schön eigentlich.