Astlöcher, Holzschiefer und Feensplitter

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"Na, das hättest du aber schon besser machen können. Dir mehr Mühe geben, so, wie die anderen. Wenigstens ein bisschen!". So oder ähnlich lautete der Standardkommentar meiner Mutter zu von mir gelieferten Resultaten bei Hausaufgaben, Tests, Schularbeiten - nein, eigentlich bei so gut wie allem, was ich ihr reinen Gewissens und in dem Wissen, dass ich mein Bestes gegeben hatte, präsentierte. Egal, was ich geleistet hatte - die "Anderen", die es "sicher" mit mehr Liebe oder Gewissenhaftigkeit gemacht hätten, waren immer schon da und wurden mir als Messlatte vor- und hochgehalten.

Besonders unvergessen: der Puppenschal, den ich in der dritten Klasse Volksschule als erstes Strickwerk zustande gebracht hatte.
Ich hatte so fest gestrickt, dass ich jede Masche einzeln mit den Fingern und mit Kraftaufwand zur Spitze der Stricknadel hatte befördern müssen, um sie überhaupt abstricken zu können. Da war das Lob der Handarbeitslehrerin, dass mein Strickbild sehr ordentlich und wunderbar regelmäßig sei, letztlich nur wenig hilfreich. Es war ein Kampf und für die kleinen Mädchenhände wortwörtlich ein Krampf. Während meine Klassenkameradinnen begeistert und locker-lässig windschiefe, aber dafür herrlich bunte, lange Schals für sich oder als Geschenke für ihre Mütter strickten, hatte ich ein spezielles Lochmuster gewählt (wohl in der Hoffnung, mit den Lücken den Strickaufwand ein wenig eindämmen zu können) und dann rasch erkannt, dass ich nur in der Zeit bleiben konnte, wenn ich einen Puppenschal als Format wählte. Der Lehrerin war das recht und letztlich bekam ich für den zwar kleineren, aber dafür aufwändigeren Schal auch meine Eins.

Meine Mutter jedoch sah nur den Leistungsvergleich bezüglich der Schallänge (oder - wie ich erst heute, aus Sicht der Erwachsenen, vermute - die Tatsache, dass sie keinen Schal geschenkt bekommen hatte wie viele andere Mütter) und mockierte sich hämisch und erbost über meinen Puppenschal. Bis da hin hatte ich nicht geahnt, welch ungeheure Menge an Abwertung man in dieses an sich so putzige Wort legen konnte. Der "Puppenschal" wurde mir von da an bei vielen Gelegenheiten wie eine Eselskappe als Schandmal für einen weiteren Beweis meiner Bequemlichkeit und Faulheit um die Ohren gewickelt.

Gewärmt hat das - wie man sich wohl denken kann - nie. Und es führte auf seine Art wohl hauptverantwortlich zu einer Weihnacht (inklusive der Feier- und Ferientage danach), an die ich mich heute plötzlich erinnern musste. Was genau diese Erinnerung auslöste, kann ich gar nicht sagen. Auf einmal war sie da - mitten im Raum, laut und nicht mehr zurückdrängbar in gnädiges Vergessen.

Es war mein erstes oder vielleicht zweites Weihnachtsfest als Kunststudentin und da ich als angehende Kunst- und Werkerzieherin in meiner Ausbildung viele Handwerkstechniken erlernen und ausprobieren durfte, waren fast alle Geschenke für meine Familie mit viel Freude und Stolz selbst und von Hand gemacht. Da gab es einen neuen, selbst getöpferten Lampenfuß und einen handbemalten und glasierten Keksteller für meine Großtante, sowie ein in selbst marmoriertes Papier gebundenes Tagebuch und ein aus Holz gefertigtes Schmuckkästchen nach eigenem Entwurf für meine Schwester. Ein rohgebranntes Stövchen für die vielgenutzte Teekanne meiner Mutter hatte ich mich nicht zu verschenken getraut, weil beim Brand ein kleiner Riss in einer der Seitenöffnungen entstanden war und auch die mit einem etwas gewagten (und daher in der Ausführung windschief geratenen) Blumenmuster handbemalte Vase war mir als nicht gelungen genug für ein Geschenk erschienen. Also hatte ich meiner Mutter als Einziger etwas gekauft. Etwas, von dem ich wusste, dass sie es sich schon lange gewünscht, aber selbst nicht gegönnt hatte. Ich weiß allerdings heute nicht mehr mit Gewissheit, was ich ihr besorgt hatte. Die Erinnerung an das, was nach der Bescherung passierte, hat das wohl irgendwie ausgelöscht. Es war aber mit Sicherheit kostspielig und ihrem Geschmack entsprechend. Kostspielig zumindest gemessen an dem, was sich mir als Studentin mit ein wenig Taschengeld als teuer gestaltete.

Der Heilige Abend verlief eigentlich wie immer. Zuerst Bescherung, danach das alljährliche, traditionelle üppige Büffet mit den geliebten "Klassikern", heiterer Tratsch und natürlich wurden meine selbstgemachten Geschenke ausführlich begutachtet und gelobt. Und natürlich nahm ich die Komplimente entgegen, indem ich gewissenhaft auf jede kleinste Ungenauigkeit und Fehler hinwies.
Nichts an dieser Stelle ließ die eisige Kälte und Verachtung erahnen, die mir meine Mutter in den Tagen danach entgegenbringen würde. Ich fuhr also zufrieden heim in meine Studentenbude, in dem Glauben, wirklich jedem eine Freude gemacht zu haben.

Dass etwas nicht stimmte, zeigte sich spätestens am Fünfundzwanzigsten, wo ich zum Mittagessen und anschließenden Brettspielen erwartet wurde. Meine Mutter war mir gegenüber mehr als kurz angebunden und ihr Mund zeigte jenen verhärteten und von - wie von mir zwar damals schon intensiv gespürt, aber erst Jahrzehnte später als solche erkannt und benannt - Abscheu gezeichneten Zug, der allein schon immer genügt hatte, um mich nicht einmal auf die Idee kommen zu lassen, aufzumucken oder zu widersprechen. Ich nahm es den ersten Tag schweigend hin und auch den zweiten. Versuchte, die angespannte Stimmung mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln aufzuheitern (etwas, das schon immer meine Aufgabe in unserem Dreiergespann gewesen war), erzählte die lustigsten Anekdoten von schrägen Kunstprofessoren und -komillitonen, die mir nur einfallen wollten. Nichts half. Wenn Blicke töten hätten können...

An Tag drei hielt ich es nicht mehr aus, stumm für etwas abgestraft zu werden, von dem ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was ich schon wieder verbrochen hätte haben können. Da hatte mich das ganze Theater schon eine mehr oder minder schlaflose Nacht gekostet. Auf meine ratlose Frage hin, brach es aus meiner Mutter mit einer Heftigkeit heraus, die wohl die Tiefe ihrer Kränkung zeigte.

Sie hatte als einzige kein selbstgemachtes Geschenk bekommen! Etwas, das ja ganz offensichtlich zeigte, dass sie - im Gegensatz zu meiner Schwester und meiner Großtante - es mir nicht wert war, Zeit und Arbeit in etwas Handgefertigtes zu stecken. Und das wieder einmal zeigte, wie egozentrisch und gedankenlos ich doch war und wie ihre Erziehung da so total versagt hatte und sie letztlich selbst daran schuld war, dass ihre Tochter nun mal so missraten war, wie sie war.
Das alles und noch mehr entlud sich über mich, die ich einfach nur fassungslos da stand und versuchte, das Chaos der totalen Werteverschiebung zu entwirren und begreifen.

Das, was ihr nie gut genug gewesen war, war nun das, worauf sie neidisch und eifersüchtig sein sollte? Wie um alles in der Welt hätte ich das - als ewige Puppenschalträgerin - erahnen können? Dass ich in dieser höchst verwirrenden Situation dennoch den Kopf bewahren konnte, erscheint mir heute wie ein kleines Weihnachtswunder. Oder vielleicht als Beweis, wie gut ich zu dem Zeitpunkt schon für das Überleben in einer Welt derart widersprüchlicher Botschaften und für mich persönlich platzierter Tretminen trainiert war...

Irgendwie gelang es mir doch noch, glaubhaft darzulegen, welche Überlegungen und guten Absichten hinter dem gekauften Geschenk gesteckt hatten und wir konnten das Missverständnis aufklären. Es wurde sogar eingeräumt, dass das Geschenk eine wirklich gute Wahl gewesen war. Dass ich mich aber nicht mehr im Detail erinnere, wie wir den Konflikt genau beilegten (es gab sicher ein paar Tränen - zumindest von meiner Seite - und sicher keine Umarmung (das zu erklären, bedürte eines eigenen Textes, der wohl besser ungeschreiben bleibt)), zeigt meines Erachtens, wie anstrengend die Situation für mich gewesen sein muss. Vor den Augen meiner Mutter zu bestehen oder von ihr geliebt zu werden, war immer unser ganz persönlicher Kampf.

Der Puppenschal allerdings wurde von da an nie wieder erwähnt.
 
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petrasmiles

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Das wird einem ja schon beim Lesen mulmig, der Magen krampft sich, der Blutdruck steigt.

Man muss ja mit dem klarkommen, was man bekommt, und jeder hat so seine Päckchen ... aber die Mutter ist doch so zentral - ich weiß gar nicht, was ohne meine liebende Mutter aus mir geworden wäre ... ach Fee.
Damit kann man seinen Frieden nicht machen, weil da eben immer diese Momente sind wie Du es beschreibst, was da einen hinterrücks überfallen kann. Aber man muss es integrieren - und das ist Dir gelungen.
Ich habe ja den Verdacht, dass es keine traumafreie Kindheit gibt, weil es sehr individuell ist, was sich traumatisch auswirkt. Und darum sind diese verlogenen Werbebotschaften - erst recht durch Instagram & Co. - so schädlich, weil sie den Eindruck erwecken, 100% gut und richtig und schön gäbe es, nur man selbst sei unfähig.
Ich wundere mich auch manchmal, dass immer wieder nicht so schöne Situationen aus meinem Leben in meinem Kopf erscheinen und mich zwingen, mich mit dem Schmerz auseinanderzusetzen. Wofür soll das gut sein, frage ich mich dann. Das ist doch alles abgearbeitet, denke ich. Wohl nicht. Da müssen immer wieder Standortbestimmungen gemacht werden - vielleicht dafür, dass man dann wieder um so besser genießen kann, was man geschafft hat und was einem geschenkt wurde.
Bange machen gilt nicht! (Fühl Dich gedrückt!)
Liebe Grüße
Petra
 

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Ich habe ja den Verdacht, dass es keine traumafreie Kindheit gibt, weil es sehr individuell ist, was sich traumatisch auswirkt.
Da stimme ich dir zu, liebe Petra.

Danke fürs Drücken. Inzwischen kann ich diese Erinnerungen doch schon sehr distanziert betrachten. Vor allem deshalb, weil ich vieles aufgearbeitet habe und mit der Zeit die Puzzleteilchen an die richtigen Stellen gefallen sind, wodurch sich das Bild doch um einiges schlüssiger erklären lässt. Komplizierte Mutter-Tochter-Beziehungen gibt es, wie mir scheint, besonders in meiner Generation. Da tragen/trugen die Mütter einfach auch zu viele Kriegsnarben und Traumata aus den eigenen Kindertagen in sich, als dass das nicht in die nächsten Generationen hineinreichte. Wenn man dann noch weiß, dass der (damals einzig existierende) Erziehungsratgeber zu der Zeit als meine Mutter mit mir zum ersten Mal Mutter wurde, eine leicht abgewandelte, aber von den Grundideen her immer noch im Nationalsozialismus verortbare Methodik und Gesinnung transportierte, erklärt sich auch da nochmal Einiges.

Ich kann heute auch das würdigen, was meine Mutter wirklich gut gemacht hat. Und das war nicht gerade wenig - als alleinerziehende Witwe von zwei Mädchen, von denen das ältere sie nicht nur - vermutlich irritierend und manchmal auch quälend - an ihre eigene Mutter erinnerte, sondern auch für die Tragödie stand, den Ehemann verloren zu haben, just, als man sich endlich zusammengerauft hatte und das Wunschkind (meine Schwester) grade mal ein dreiviertel Jahr alt war. Ich muss ein wandelndes Mahnmal für sie gewesen sein. Meine kleine Schwester hatte das Glück, davon nichts mitzubekommen (mit knapp einem Jahr) - die brauchte weder Trost, noch hatte sie den Vater verloren, wie ich ihn verloren hatte.

Wofür soll das gut sein, frage ich mich dann. Das ist doch alles abgearbeitet, denke ich. Wohl nicht. Da müssen immer wieder Standortbestimmungen gemacht werden - vielleicht dafür, dass man dann wieder um so besser genießen kann, was man geschafft hat und was einem geschenkt wurde.
Ja. So empfinde ich das auch. Je älter ich werde, umso mehr werde ich mir all dessen bewusst, was ich bin und kann und erreicht habe. Und gleichzeitig werde ich "gütiger" mit meiner Mutter und nehme wahr, was sie nicht konnte und bedaure sie eigentlich dafür. Gleichzeitig kann ich auch endlich mich selbst bedauern...weil ich die Dinge beim Namen nennen kann. Dadurch wird alles viel leichter. Und das, was gut war, wird nicht länger von dem, was nicht gelang, befleckt. Es war wie es war. Und nicht alles war schlecht. Und das Überlebenstraining hat mir eben auch viele meiner Fähigkeiten und Qualitäten "beschert", für die ich besonders geschätzt werde heute.

Ich fühle mich nicht mehr als Opfer. Solche Erinnerungen kommen nur noch selten. Und wenn, dann eher in einer Form, wo wieder ein Puzzleteilchen an die richtige Stelle rutscht. Und das bedeutet immer, dass etwas "leichter" wird. Da muss ich dann auch gar nicht länger grübeln, warum und wieso jetzt. Das Unterbewusstsein kann man da einfach mal machen lassen. ;)

Ich wünsch dir was!

fee
 

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nach dem größten aller familiendebakel
wählte sie den weg der einsamkeit
verschanzte sie sich in ihrem turm
erbaut aus der kraft gekränkter seelen

von einem tag auf den anderen verloren
auch für uns kinder wie vermisste ich
den gezuckerten milchtee und die gütige
hand wurde die schuld bei mir gesucht

noch heute frage ich mich welche geister
sie einlud in ihr nun kaltes graues heim
welche sie sich vom leibe hielt und wie
sie nicht sah dass es sie zerfraß

vielleicht war es das was sie wollte
nicht mehr sein nicht mehr tragen was
keiner mitzutragen bereit gewesen war
unwissend hatte ich kind ein lügengebäude

zum einsturz gebracht zwei schwestern
auf immer entzweit den ewigen zorn meiner
mutter gegen mich nur bestärkt und keiner
sprach erklärte mir was da geschah

man ließ mich allein gemäß der tradition
wozu noch worte verlieren wenn genau
eines zuviel das große unheil gebracht
hatte nur gut dass einer die schuld trug

noch heute mache ich mich klein finde
den richtigen ton nicht wenn ich zu mir
stehen soll eine eigene meinung zu haben
fällt schwer als ewige sünderin
 

Galadriel

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"Na, das hättest du aber schon besser machen können. Dir mehr Mühe geben, so, wie die anderen.

Liebe Fee
Bin noch am Klos runter schlucken. Mir kommt nicht nur dieser Satz sowas von bekannt vor.
Liebe Grüsse
Galadriel
 

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Bin noch am Klos runter schlucken. Mir kommt nicht nur dieser Satz sowas von bekannt vor.
Ach je....ich kenne viele Frauen aus meiner Generation, die diesen und ähnliche Sätze als sehr vertraut empfinden. Lass dich mal virtuell drücken! Wir sind nicht allein und wir machen unsere Sache doch richtig gut. ;)
Danke für die sehr persönlichen Zeilen!

LG,
fee
 

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familien-sager


ich glaub ich seh gerade aus
ganz "wie eine getaufte maus"
das sagte mama immer dann
wenn's nass wem aus den haaren rann

und wenn man "hadschi loja" war
dann ging es dabei nicht um haar
man war stattdessen fußmarod
man hinkte hatschte (fuß in not)

bei andern kam der hadschi gar
ein kind zu hol'n das garstig war
ich selber hab ihn nie geseh'n

jedoch den namen fand ich schön
 

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Mitglied
Im Schreiben spüre ich mir nach,
ertaste ich meine aktuelle Position in der Welt.

Manchmal ist es, als synchronisierte ich dabei mein Inneres mit dem Außen.
Denn ich weiß: an manchen Tagen hinke ich mir, der Zeit, dem Leben oder Gedanken hinterher,
fasse ich nicht Fuß, solange ich nicht geschrieben habe. Etwas, das ich sehe.
Etwas, das mich umschleicht. Vielleicht seit Tagen schon.
Im Schreiben wird es endlich greifbar. Kann ich damit abschließen und weitergehen.

Das Schreiben als ein Mich-Erden. Ein Werden. Vielleicht manchmal auch ein Mich-Gebärden.
Atmen und Schreiben sind Geschwister. Und mir Familie.
Vielleicht mehr als mir lieb ist.

Ein Wort entweicht wie ein Ausatmen. Weht in das Draußen. Ein Hauch von Ich.
Ich atme ein. Kraft für die nächsten Worte. Als schmeckte ich sie in meiner Brust frisch aus der Luft.
Schreiben - meine Art der Photosynthese.

In meinem Herzen grünt es.
 

petrasmiles

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Ganz wunderbar, Fee ... und da werde ich nie hinkommen; für mich ist es mitnichten exitentiell - das ist eher das Lesen, dann das Erspüren und Durchdenken, und dann vielleicht, etwas darüber schreiben.
Da kannst Du Dir also Deinen eigenen Frühling machen :D

Liebe Grüße
Petra
 

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Mitglied
da werde ich nie hinkommen; für mich ist es mitnichten exitentiell - das ist eher das Lesen, dann das Erspüren und Durchdenken, und dann vielleicht, etwas darüber schreiben.
Danke, liebe Petra!
Ich kann die Existentialität deiner Art zu schreiben - und worüber - aber auch erkennen und gut verstehen.
Für mich ist das Schreiben oft auch eine Form des Ordnung-Schaffens. Im Innen wie im Außen.
 

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steh am fenster
als graupelschauer
denk mir da braut sich
einer was zusammen
hat da oben die salzmühle
auf grob gestellt und
versalzt mir nun
den eh schon grauen tag
 

Galadriel

Mitglied
Das Schreiben als ein Mich-Erden. Ein Werden. Vielleicht manchmal auch ein Mich-Gebärden.
Atmen und Schreiben sind Geschwister. Und mir Familie.
Vielleicht mehr als mir lieb ist.
Liebe Fee,
Mir gehts ähnlich. In dem, dass ich mein Inneres erspüre und in die richtigen Worte zu fassen versuche, schaffe ich Ordnung

Hab mal ein paar Sonnenstrahlen glänzend geputzt und mit einem Atemstoss nach Wien geschickt.
LG
 

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Herzlichen Dank, liebe Galadriel!

Ja. Die Sonnenstrahlen konnte ich gut gebrauchen heute ;)

Ich wünsche dir einen angenehmen Abend!
Liebe Grüße!
 

Lokterus

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steh am fenster
als graupelschauer
denk mir da braut sich
einer was zusammen
hat da oben die salzmühle
auf grob gestellt und
versalzt mir nun
den eh schon grauen tag
Vielleicht will er dem tristen grauen Tag,
aber auch nur etwas Würze hinzugeben. ^^

Liebe Grüße
loki
 

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Gestern standst du am Fenster. Sahst hinüber zum Wald.
Schon heute ist der Wald ein anderer.

Du weißt, du kannst das nicht sehen, ihm nicht ansehen, so auf den ersten oder zweiten Blick.
Auch wenn er jetzt gerade tatsächlich anders aussieht. Das Licht steht jetzt tiefer. Ist kühler.
Doch das ist nicht, was den Wald heute zu einem anderen macht. Und selbst wenn du zur exakt gleichen Tageszeit
bei exakt gleichen Wetterbedingungen zum Wald hinsähst, wäre er doch ein anderer. Er sähe gleich aus wie gestern,
aber wäre es nicht. Ein Gleichungs-Trugbild bestenfalls.

Abermillionen von Ameisen haben ihn inzwischen umgepflügt, winzige Teilchen Waldboden von A nach B befördert.
Samenkörner haben in Vogelexkrementen ihren Weg in den Wald gefunden, keimen vielleicht schon.
Es ist alles nur eine Frage der Zeit. Wo gestern noch trockenes Laub oder Tannennadeln lagen, bricht heute schon
der Bärlauch durch den Waldboden. Des nachts haben Käuze kleine Nager erbeutet. Unter der Erde wird jemand vermisst.
Über der Erde finden sich neue Häufchen Gewölle. Totengräber haben den Kadaver der zertretenen Blindschleiche weiterbewegt.
Zerlegt. Hier wird zersetzt, dort entsteht Neues. Harztropfen fließen Stämme hinab. Vielleicht wird heute einer ein Insekt
einschließen und so im Tod unsterblich machen. Doch welches wäre schon so langsam?

Du lebst in einer anderen Zeitrechnung. Siehst zweihundert Bilder langsamer als jede Fliege.
Bewegst dich so viel schneller als Gebirge. Du weißt nicht; bist du Teil des Kreislaufs allen Lebens? Oder doch das Ende?
Manchmal weißt du nicht, ob du siehst oder weißt. Ob du nur siehst, weil du weißt. Oder nicht sehen kannst, was du nicht weißt.
Oder nicht weißt, was noch keiner gesehen hat.

Du willst nicht wissen, was der Wald aus dir machen würde, wärst du ein anderer.
Du weißt, du würdest gerne irgendwie anders sein.
 
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petrasmiles

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Du lebst in einer anderen Zeitrechnung. Siehst zweihundert Bilder langsamer als jede Fliege.
Bewegst dich so viel schneller als Gebirge. Du weißt nicht; bist du Teil des Kreislaufs allen Lebens? Oder doch das Ende?
Manchmal weißt du nicht, ob du siehst oder weißt. Ob du nur siehst, weil du weißt. Oder nicht sehen kannst, was du nicht weißt.
Oder nicht weißt, was noch keiner gesehen hat.

Du willst nicht wissen, was der Wald aus dir machen würde, wärst du ein anderer.
Du weißt, du würdest gerne irgendwie anders sein.
Ganz schön starke, an der Natur festgemachte Reflexionen über das Menschsein, seine Beschränkungen, seine Konsequenzen.

Nur der letzte Satz könnte nicht meiner sein, aber sonst bin ich bei Dir!

Liebe Grüße
Petra
 



 
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