Balladen und Moritaten - Kritiken und Wertungen

5,00 Stern(e) 1 Stimme

James Blond

Mitglied
anbas - Ratte auf Reise (Ballade)

Uff!
Eine ganze schöne Portion Text hat uns anbas hier mit seiner "Roadratten-Ballade" zugemutet und ich fühle mich dabei sprachlich an eine Büttenrede erinnert, deren Redner es darauf anlegt, mit reichlich Unmut "jeletscht" (herausgeworfen) zu werden. Oder auch an einen Guiness-Rekordversuch "wer schreibt das längste Gedicht in kürzester Zeit?" Mit 208 Versen (falls ich richtig gezählt habe) wäre es dafür ein echter Favorit.

Damit wir uns nicht missverstehen: Balladen können lang sein, müssen es zumeist auch, denn wie lässt sich sonst ein dramatischer Spannungsbogen aufbauen und wirkungsvoll zum Abschluss führen? Hier allerdings kann von einem Spannungsbogen kaum die Rede sein, dafür witzelt die Handlung zu sehr durch zahllose Aufs und Abs, ohne einen entscheidenden Höhepunkt anzusteuern. Dabei ist die Ausgangsidee einer Streicheleinheiten suchenden Ratte, die sich dazu als Meerschweinchen ausgibt, gut und gehaltvoll, verliert aber durch zahllose angestrickte Fortsetzungen und Spiegelungen des Themas Partnersuche an Substanz.

Bemerkenswert bleibt die Schlusssequenz "Wär ich nicht tot, würd' ich mich killen!", die sich trefflich auch auf das Gedicht beziehen lässt, handelt es sich dabei doch um eine Art poetischen Suizidversuchs.

Formtreue: 1,5
Originalität und Kreativität: 1,7
Sprachliche Gestaltung: 0,9
 

James Blond

Mitglied
Joe Fliederstein - Kleine Rotlicht-Moritat hessisch (Moritat)

Um gleich mit der Tür ins Haus zu poltern: Eine Moritat (oder Ballade) ist das nicht, dazu fehlt den Strophen eine aufbauende Handlung - und rotlichtig? Vielleicht leicht morgenrötlich, diese stimmungsvolle Betrachtung amtsungebundener Existenz, die nur den Spatzen vorbehalten bleibt. Doch auch wenn hier nachbarsaftlich (sic!) hessisch-dialektisch gevögelt wird, macht der Eros sich rar, selbst noch im Jenseits droht uns übermenschliches Federlesen, wenn auch auf Hessisch.

Obwohl die Verse recht luftig-leicht daher kommen, tue ich mich an ihren phonetisch-metrischen Aufgaben schwer, wenn etwa "Is doch ’s Edstle so’n Schpatz," ohne Hebeprall und Zungenbrechern gewältigt (sic!) werden soll. Insgesamt überzeugt mich die Melange aus Hochsprache und Dialekt nicht so ganz, eine Einheit stellt sich auch bei wiederholtem Lesen nicht ein, die finale Einsicht erschließt sich nicht direkt aus dem Text.

Formtreue: 1,0
Originalität und Kreativität: 1,8
Sprachliche Gestaltung: 2,3
 
Zuletzt bearbeitet:
Badewannentraumballade (Joe Fliederstein)

Diese Ballade hebt sich wohltuend ab von vorherigen, eher blutrünstigen Plots, ist voller kreativer Einfälle und in einem charmanten, leichtfüßigen Plauderton verfasst, der seine Stärken - aber auch Schwächen hat. Es ist halt ein wenig beliebig und harmlos, gerade auch, wie die Frauennamen aneinandergereiht werden ...

Formtreue: 2,5
Originalität und Kreativität: 2,5
Sprachliche Gestaltung: 2
 
die sturmfreie Ballade (Tula)

Eine gelunge , kreative Persiflage des "Zauberlehrlings", humorvolles und sprachlich überzeugendes "Kopfkino": flott, salopp und wirklich lustig, wie ich finde! Wenn die Geister erst einmal gerufen wurden .... übertragen in einen modernen Kontext. Das kristallisiert sich auch als eine von vielen Stärken in Tulas Balladenoeuvre heraus, nämlich scheinbar Verstaubtes in die moderne Lebenswelt beamen zu können.

Anregend auch - man könnte das Thema in vielen Variationen weiterspinnen ... Jugendliche Gastgeber, die via Facebook zur öffentlichen Party im Elternhaus einladen.

Warum nicht mal wieder das Notenspektrum auschöpfen? Also volle Punktzahl!

Formtreue: 3
Originalität und Kreativität: 3
Sprachliche Gestaltung: 3
 
Novembernebelgrauen - ein herbstliches Fernsehspiel (Moritat, Didi Costaire)

Hier wird ein klares Statement gesetzt. Werbung (optisch in Rot hervorgehoben) zertrampelt wie der Elefant im Porzellanladen Stimmungen und Handlungsfäden im gemütlichen Fernsehabend. Deswegen "primen und flixen" ja viele alternativ im Netz. Jugendliche hätten den Plot eher ins youtube gehievt, auch da werden sie schwer von Werbung genervt.

Ein bisschen schade an dieser eigentlich guten Idee finde ich, dass die balladesken Passagen quasi nur als Transmitter dieser Idee gelten, als Mittel zum Zweck der Botschaftsvermittlung - somit hält sich mein subjektiver Elan, die Passagen en detail zu lesen, in Grenzen. Ich skippe sozusagen durch den Text, der wohlgemerkt, sehr detailreich und szenisch gut strukturiert ist.

Formtreue: 2
Originalität und Kreativität: 2
Sprachliche Gestaltung: 2,5
 
Gladiatoren der Moderne (Moritat, Tula)

An dieser Stelle möchte ich im Wesentlichen das anfügen, was ich auch schon zur "Sturmfreien Ballade" geschrieben habe. Bestechend das Sujet im modernen Gewand! Sehr anschaulich auch die fantasievoll-heftig-deftigen Vergleiche in der dramatischen Eskalation der Ereignisse, wie z. B. Argumente, "so wuchtig wie ein Morgenstern", das Entlassen von Mitarbeitern wird mit Hieben des Lieblingsschwertes verglichen und ... und ... und. Wirklich "Excel-lent" :)

Am Schluss der Boss dann als Imperator, der die Daumen im Gnadenakt nach oben ruckt, damit der Laden nicht menschlich und wirtschaftlich noch mehr kollabiert. Hier, aber das nur am Rande, hätte ich mir eher eine größenwahnsinnige Nero-Entsprechung gewünscht und die Passage "Die Gewalten,/die er hier rief ..." gestrichen, weil sie sich doch recht dicht (wieder) am "Zauberlehrling" anlehnt. Ansonsten klasse!

Formtreue: 3
Originalität und Kreativität: 2,8
Sprachliche Gestaltung: 3
 
Im Totengrund (Moritat, Anbas)

Um es vorweg zu nehmen: Dieser Text gefällt mir im wahrsten Sinne unheimlich gut. Die düstere Stimmung, die hier gemalt wird, hat auch etwas Romantisch-Märchenhaftes - eine Szenerie, wie ich sie mir auch filmisch sehr gut vorstellen kann. Es würde der Ballade, die sie ja sein soll, aber gut tun, wenn es einen roten Handlungsstrang gäbe und nicht eine etwas diffuse Aufsplitterung in mehreren Aktionen, die sich im Einzelnen auch als Spin-offs eigenen würden. Was passiert denn jetzt mit den Akteuren? -ist man geneigt zu fragen. Das Entwickeln einer stringenten Handlung würde sich wirklich lohnen, wie ich meine.

Formtreue: 2
Originalität und Kreativität: 2,5
Sprachliche Gestaltung: 2,5
 
Morgenrot (Ballade, Didi Costaire)

Vom Tonfall her erinnert mich der Text an Hans Albers alten Gassenhauer "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins ...". Die sich wiederholende Struktur in dem jeweiligen ersten Vers aller Strophen ("An den roten Ampeln ...") lullt m. E. ein wenig ein und was sich da handlungstechnisch vor der roten Ampel abspielt, klingt doch recht gemütlich: Da wird müde gemäkelt, eingeschlafen, es gähnt die Leere , dann folgt ein bisschen Gehupe und am Schluss wird noch einmal gegammelt. Insgesamt sicherlich als lustige und satirische Posse gemeint, dafür aber kommt es für meinen Geschmack ein wenig zu harmlos daher und könnte mehr Biss gebrauchen.

Formtreue: 1,5
Originalität und Kreativität: 1,5
Sprachliche Gestaltung: 2
 
Die Hütte (Ballade, Walther)

Interessant, wie sich der Protagonist seinen inneren Dämonen, sprich der Verarbeitung seines Traumas stellt (Selbstmord der Liebsten), indem er die Hütte wieder aufsucht und renoviert, obwohl oder gerade weil dieser Ort so viele schmerzhafte Erinnerungen bereithält - der Held muss diesen Kraftakt vollziehen, weil er sonst unter der Last zerbricht und die Dämonen nie abschütteln wird.

Atmosphärisch dicht und eindringlich formuliert (u. a. durch Figuren der Wiederholung, Anaphern), wird gerade so viel über das Schicksal des Helden verraten, dass man mit ihm fühlt, aber nicht so viel preisgegeben, dass es die Fantasie der Leserinnen und Leser in zu enge Bahnen lenkt.

Ich persönlich höre Alpenwind und Murmeltiere pfeifen, so bildlich kann ich es mir vorstellen.


Formtreue: 3
Originalität und Kreativität: 3
Sprachliche Gestaltung: 3
 
Nich ganz geklappt (Moritat, Marie-Luise Wendland)

Ja, die Ehe kommt, wie in so einigen Balladen und in dem Folgegedicht, recht schlecht weg - da kann einem ja angst und bange werden:).

Es ist inhaltlich ein wenig karg, was uns hier an Lesestoff geboten wird. Gerne wüsste man mehr über die Gründe des abgrundtiefen Hasses - so ist gleich alles in medias res und es baut sich m. E. nicht genug Spannung auf.

Formtreue: 1
Originalität und Kreativität: 1
Sprachliche Gestaltung: 1,5
 
Ein Schneemann namens Lehmann (Ballade, James Blond)

In dieser Ballade sind die Gattungen Lyrik, Epik und Dramatik gut ausbalanciert und sie korrelieren auch harmonisch miteinander.

Hiermit meine ich, dass der trist-traurige (aber realistische und erzählenswerte) Plot durch sehr lyrische Bilder, vornehmlich Personifikationen ("die Stille baut ihr großes Haus"), hervorragend ergänzt und ein Gefühl der Würde evoziert wird. Dass die Dramatik "leise" ist, heißt nicht, dass es ihr an Wucht fehlt, passt sie doch sehr gut zur nur scheinbar sanften, von Schnee und Kälte geprägten Szenerie. Insgesamt gewinnt so die Schilderung eines an sich leider banalen Vorgangs des Erfrierens viel an Tiefe.

Damit wir nicht zu sehr frösteln, verleiht Humorvolles ("zu Jonny Walkers letztem Gang", "Zum Schneemann wurde er erkoren") dem Ganzen zusätzlich eine menschliche Dimension. Dies appeliert, ebenso wie in der Schlusszeile, an unser Mitgefühl.

Formtreue: 3
Originalität und Kreativität: 3
Sprachliche Gestaltung: 3
 
Ratte auf Reise (Ballade, anbas)

Schon einfallsreich, diese menschelnde Ratten-Odyssee durch die Republik - mit vielen Wendungen und Überraschungen! Besonderes Highlight ist sicherlich die Schlusspointe in der letzten Strophe. Manche Passagen sind für Dramatik und Spannung aber nicht so entscheidend - und könnten meiner Meinung nach gekürzt oder gestrichen werden, zum Beispiel die langen Auto- und Bundesstraßen-Verse (Stau, Geisterfahrt, Unfall etc.).

Mit der Bewertung tue ich mich allerdings schwer. Irgendwie schwankt der Text zwischen Kinderballaden (was er natürlich nicht ist!), 68er-Lifestyle-Anklängen und Himmelswitzen.

Formtreue: 2
Originalität und Kreativität: 2,5
Sprachliche Gestaltung: 2
 
Kleine Rotlicht-Moritat hessisch (Joe Fliederstein)

So ganz erschließt sich mir der Text inhaltlich nicht - es liegt aber wohl nicht am Hessischen, das ich hier ganz ansprechend und nicht ohne Charme finde (-eine Vertonung vom Autor wäre an dieser Stelle eine spannende Sache-). Was das Rotlicht betrifft, so finde ich hier auch keine Spur von Giesken Georgs Schweinelampen, mit denen er in seinem Kotten die dösenden Sauen und ihre Ferkelchen zu wärmen pflegt.

Bei diesem Text bräuchte ich noch etwas Imput vom Autor.

Formtreue: 1,5
Originalität und Kreativität: 1,5
Sprachliche Gestaltung: 3
 
Ballade von der Freiheit (Oscarchen)

Es ist eine sehr gute Themenwahl und ein wirklich erzählenswerter Balladenstoff - Mitmenschen auf der Flucht vor der Unmenschlichkeit!

Das Wechselbad der Gefühle, welches der Protagonist durchleidet, wird sehr anschaulich und Empathie erweckend dargestellt. Alle Kriterien, die eine Ballade haben sollte, werden erfüllt. Es bleibt lediglich zu diskutieren, ob die Schilderung der Rückkehr des Flüchtlings in sein Heimatland der Realität standhält. Dies ist natürlich von der Schwere einer möglichen (jedoch häufigen) Traumatisierung im Heimatland und während der Flucht sowie von den Fluchtmotiven abhängig.

Vielleicht bietet es sich an, das Ende der Ballade offener zu gestalten bzw. die Fluchtmotive erzählerisch auszubauen.


Formtreue: 3
Originalität und Kreativität: 2
Sprachliche Gestaltung: 3
 
die Ballade vom gutgesinnten Hermann (Tula)

Ja, diese Ballade hinterlässt beim Lesen einen schalen Beigeschmack, was ja auch beabsichtigt ist. So mag es sich in der einen oder anderen Form durchaus abspielen. Die absurde Beflissenheit und groteske Loyalität, die Hermann gegenüber seinem Vorgesetzten zeigt, wird in den satirischen Zeilen effektiv vermittelt. Ein bisschen fühle ich mich auch an den "Untertan" erinnert. Gut gemacht, ein typischer Tula, würde ich sagen.

Formtreue: 2,5
Originalität und Kreativität: 2,5
Sprachliche Gestaltung: 2,5

Nun habe auch ich alle Bewertungen abgeschlossen und hoffe, keinen Text übersehen zu haben. Vielen Dank an James Blond für das Initiieren dieses lehrreichen und unterhaltsamen Wettbewerbs sowie an alle Mitstreiter für ihre Fairness!

Viele Grüße,
Artbeck
 



 
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