Bruchstücke

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Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Monsieur Vermisseau

Es war einmal ein wunderschöner roter Apfel. Er wusste, bald schon würde er gepflückt, um seiner Bestimmung übergeben zu werden. Ein Mensch würde ihn sehen, sich über seine Schönheit freuen, ihn kaufen und sich ihn wohl schmecken lassen. Als er nun so da hing und auf seine Bestimmung wartete, sein Rund immer schön in die Sonne streckend, kam auf einmal, mir nichts – dir nichts, ein Wurm des Astweges daher gekrochen.
Monsieur Vermisseau, seine Vorfahren stammten aus den Cidre-Anbaugebieten der Normandie, der Pays d`Auge, um genau zu sein, war ein Kenner, seinem gourmetischen Auge entging nicht die kleinste Missbildung der Natur. Und hier war er. Der vollkommene Apfel, der nur darauf wartete, von ihm verköstigt zu werden.
„Mon Dieu, welch ein Naturereignis. Wenn das mein Vetter Jacques, Gott hab´ ihn selig, noch hätte sehen können. Ein Apfel, nicht von dieser Welt. Wie aus einem Stilleben Monet´s. Das musste Fügung sein. Seine Suche war nicht umsonst gewesen. Jetzt, da er am Ende seines Weges war, dass spürte Monsieur Vermisseau schon seit geraumer Zeit, hatte er ihn gefunden. Den Paradiesapfel…dafür hatte sich alle Mühe gelohnt. Dieses, sich durch halbverfaultes, geschmacklich unbestimmtes Fruchtfleisch kauen, hatte einen größeren Sinn gehabt. Nun, vor der Vollendung seines Lebens sitzend, sich auf seine fünf Sterne Mahlzeit freuend, blickte er den Apfel freundlich an und sprach:
„Bonjour, mon Pomme. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Monsieur Vermisseau, zu ihren Diensten! Ist das nicht ein wundervoller Tag um aufgegessen zu werden?“
Dem Apfel, der die Ankunft des Wurmes schon seit geraumer Zeit mit Argwohn verfolgt hatte, schwante Böses. Das konnte doch nicht sein Ziel sein. Von einem daher gekrochenen Wurm durchlöchert zu werden.
„Damit wir uns richtig verstehen, du Wurm, ich bin für ein höheres Ziel gedacht. Es ist keineswegs meine Aufgabe von einem elenden Wurm angeknabbert zu werden. Ein Mensch wartet auf mich, einer, der meine Schönheit und meinen erlesenen Geschmack zu schätzen weiß.“
„Mon Dieu, welch ein loses Mundwerk du hast. Von erlesener Schönheit bist du, oh ja, doch scheint mir dein Hirn ein wenig, sagen wir mal ~wurmstichig~ zu sein. Von einem Menschen willst du verzehrt werden – wohlan…lass uns überlegen! Das menschliche Gebiss, besitzt zwischen 28 und 32 Zähne. Bei einem normalen Beiß- und Kauvolumen gehe ich davon aus, dass du innerhalb von sagen wir mal zwei Minuten aufgegessen bist. Deine zerbissenen, durchkauten Einzelteile werden sich dann auf den Weg in den Magen-Darm Trakt dieses wundervollen Menschen machen. Solltest du nach den unsäglichen Schmerzen des Zerkauens noch bei Bewusstsein sein, was durchaus denkbar ist, werden deine Reste in einem Säurebad landen und dort langsam aufgelöst werden. Ja…wenn ich recht bedenke, ist das schon ein wünschenswertes Schicksal, mon Pomme!“
Plötzlich waren die Geschichten der Alten in weite Ferne gerückt. Der Apfel dachte so vor sich hin und war sich seiner erwünschten Zukunft plötzlich nicht mehr so sicher. Das, was der Wurm erzählt hatte, war stichhaltig und klang so gar nicht nach Freude und Bestimmung, Himmel und Erlösung. Der Zweifel nagte und es war ihm nicht wohl in seiner Haut.
„Welche Alternativen hätten sie denn anzubieten, Monsieur Vermisseau? Nicht dass ich mein Ziel etwa bezweifle, nur so, um des Gespräches willen.“
„Nun, mon Pomme! Die Alternative…ich habe keine Zähne. Beiße sanft mit meinen, sagen wir Lippen, zu…und bediene mich nur eines kleinen Teils deines wundervollen Körpers. Du wirst es kaum spüren. Und während ich esse, werde ich Lieder singen über deinen Wohlgeschmack und deine Schönheit in Gedichten preisen. Ich werde einen Weg durch dich fressen. Einen von Süden nach Norden und einen von Westen nach Osten. So wird immer Licht in dir sein. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Die Menschen werden dich am Baum hängen lassen. Sie meiden uns Würmer. Vielleicht werden andere Würmer kommen. Angezogen von den Sagen, die sich um dich ranken. Und Vögel werden von dir hören und dich kosten wollen. Ein ehrenvoller Apfel wirst du sein, bis zu deinem Ende.“
„Das klingt wundervoll, Monsieur Vermisseau. Es wäre mir eine Ehre, wenn sie von mir kosten wollten.“
„Aber gerne, mon Pomme! Wenn sie möchten, erzähle ich Ihnen von meinen Verwandten in der Normandie. Sie glauben nicht, was es dort für Möchte-gern-Äpfel gibt. In keinster Weise mit Ihnen vergleichbar, sie Unvergleichliche.“
„Sie scheinen mir ein Schwerenöter, Monsieur Vermisseau…ja, das sind sie.“
„Aber, aber, mon Pomme! Also…meine Verwandten in der Normandie sind natürlich alle adliger Herkunft und sie werden es nicht für möglich halten.
Damals auf meinem Weg...
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du!
Am Anfang hat der liebe Gott den Urknall gemacht.
Anschließend ganz viele Galaxien gebaut, mit Sternen, kannste gar nicht zählen.
War ihm aber nicht genug.
Dacht er sich: Ein paar Planeten wären auch ganz nett.
Als er mit den Planeten fertig war und alles sah, fehlte ihm immer noch was…
…und haste nicht gesehen, waren wir Menschen da.
Na ja!
Nobody is perfect.
 
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Scal

Mitglied
Ja, du, da hast uns wieder was zum Grübeln hergeleert!

Weißt, in der Schule haben wir nämlich schon bald gelernt, dass der liebe No Body ganz plötzlich etwas gemacht hat und da hab ich mir gedacht: "Peng, auf einmal ist da was gewesen, oh!"
Ja, und daheim hat die Mama mit uns gesungen: "Weißt du wieviel Sternlein stehen, an dem großen Himmelszelt", aber noch bevor ich sagen konnte "nein, leider", ging's schon weiter mit "Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet". "Ach, der gute Hirte, schön ist das, und zählen kann er auch", hab ich mir gedacht. Nein, aber damit hat sich's nicht, hab ich in der Schule erfahren! Der No Body hat sich auch die Sonne ausgedacht und sie dabei zugleich gemacht und den Mond und den Morgenstern und einen, den die Leute Jupiter nennen und einen anderen, einen rötlichen, zu dem sie Mars sagen. Alle da droben, irgendwie ordentlich ausgestreut.
Weil der No Body immer alles sieht, weil sonst würden ihm ja seine Schäflein verlorengehen, hat er auch gesehen, was noch zu tun wäre, damit die ganze große Herde nicht auf die Dauer irgendwie zu inzüchtig wird. Und dann, noch einmal "Peng!", hat er mich und den Rudi und die Sonja und den Religionslehrer und überhaupt die ganzen Kinder und die vergangenen und die jetztigen Leute geplant und gemacht, oh ... oh ...oh ... ! Na ja!
Der ist wirklich perfect, der No Body!
Aber ein bisschen später dann, wie der Lehrer gefragt hat: "Wer kann mir sagen, was das Wort "perfekt" auf Deutsch bedeutet?", da hat sofort der Hans aufgezeigt und gesagt: "Tempus praeteritum perfektum, völlig vergangene Zeit"! Peng, da hab ich zwar nur die deutschen Worte davon richtig verstanden, aber die haben gewirkt. Ja, und seitdem bin ich ein bisserl verwirrt und fühle mich so wie ein ganz ein winzig winzig winzig kleines verirrtes Fragezeichensternlein im galaktischen Bauwerk, wenn jemand sagt: "Nobody ist perfect."
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Nachgedacht.

Ich stehe in einem fensterlosen Raum ohne Tür und betrachte fragend den Schlüssel in meiner Hand.
 

Scal

Mitglied
Auch nachgedacht.
Über den Raum ohne Fenster und Türen und den Schlüssel und über den kindlichen Redemörtler in mir, den ziemlich unperfekten Maurer.

Aber das Werkzeug zum Mauern und zum Zimmern, das ist, wie die Natur, irgendwie schon ziemlich perfekt gedrechselt worden vom Urknallmacher, und wenn ich da draußen jetzt seh wie das Eichhörnchen im Vorfrühling durch die Blätter vom Herbst huscht, dann muss ich schon sagen: Hut ab, was der für Gedichte mit Hilfe der quantenmechanischen Neothrönchen und Atomkernlein veranstaltet, das ist ja wirklich sagenhaft! Aber wenn ich was Genaueres vom Urknallmacher reden will, dann werde ich zu einem Fragezeichensternchen.

Da hilft es mir, dass ich ihn in das ES umbenenne, das jetzt und genau hier - droben, drunten und rundherum - jederzeit irgendwie da ist und außerdem grad in die Möglichkeit hineinatmet, dass ich rednermörtlerisch in diesem Moment davon sprechen und von ihm stammeln kann. Aber was ich Unperfektler da hochziegle, sei's eine Kirche oder eine Cruise Missile, das kümmert das gute Urknall-ES nicht, ihm ist ja schon immer ganz wichtig gewesen, dass Freiheit nicht nur ein Gerede bleibt. Vermutlich denkt ES nur: mal schauen, ob sie das nach und nach lernen können: menschlicher Mensch, ich bin da.
 

John Wein

Mitglied
Du,
Ich hab' mal wieder reingeschaut in das Kabinett deiner bruchstückhaften Texte und kleckse eine kleine Notiz hierhin. Nicht das du noch meinst, ich sei ein treuloser Fahrensmann auf diesem Schiff.
LG, John
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Entschuldigt meine Verschwiegenheit. Die Gicht plagt mich. Hurra, wir sind da. Das Kosmoversum lebt. Merci!
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
du!
gerade kam der erste frühlingsduft in meiner nase an.
ich glaube, der flügelschlag der kraniche über mir brachte ihn mit.
da war so was meerisch zederisches, so was erdisches, aufgewühltes,
so was lebendig buntes drinnen. so was jungbrunnenhaftes,
das erinnerungen weckt.
kaum waren die kraniche mit einem gruß vorübergezogen,
hörte ich auch schon das gras wachsen, hörte, wie sich die wurzeln
der pflanzen und bäume reckten und streckten, wie sie ihr lied vom licht
und der wärme sangen. ein zimtbär raupte vorüber,
erzählte mir seinen traum vom fliegen.
und dann fing auch noch das schneeglöckchen an zu reimen:

dufte, bunte, ling ling ling.
wärme, lichte, mich.
recken, strecken, lieben,
dich, ja dich, nur dich.
träumen, schäumen, übermütig
knospen, werden, sein.
 
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Scal

Mitglied
O ja, da liegt etwas,
das ist zum Einrahmen da, Morgendliches,
häng mir's in der Küche über das Glas mit den Schneeglöckchen,
es ist ein Text.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
The only love affair I have ever had was with music.

Maurice Ravel


Also…mein lieber Maurice.
Ich darf doch Maurice sagen?
Darfst mich auch Otti nennen.
Hmm…sagen wir mal so.
Bolero iss schon ein tolles Stück Musik.
Mehr schon Musikgeschichte.
Also…schon geil.
Aber geiler wär´s schon gewesen,
hättest du die Liebe bei einem Menschen gefunden.
Haste echt was versäumt.
Ei die weil es nix schöneres gibt,
als wie (so geil dieses als wie) wenn aus Zwei Eins wird.
Ich hatte schon gedacht, dass du deinen Bolero bei der Zweisamkeit erdacht.
So schmusen im Gleichklang.
Bam, Bababa Bam, Bam..Bam, Bababa Bam.
Der Klang der Flöte…ersten flüchtigen Berührungen gleich.
Und mit jeder Berührung, mit jeder Erkundung, ein neues Instrument.
Die Grundmelodie bleibt. Der Herzschlag sozusagen.
Bam, Bababa, Bam!
Jedes Instrument eine Gänsehaut, eine Erkenntnis.
Und immer mehr wird aus Zwei Eins.
Bam, Bababa, Bam.
EinswerdenEinswerdenEinswerden.
Am Ende Crescendo der Lust, des Gebens und Erhaltens.
Sagen wir mal so, mein lieber Maurice.
Vielleicht haste ja, als du dir die Musik erdachtest, jemanden im Sinn gehabt.
Und all dies gefühlt.
Ich wünsche es dir…denn ansonsten wäre es ein unerfülltes Leben gewesen.


By the way...Happy Birthday nachträglich, Maurice!
 
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Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Getrocknete Scheiße hängt an seinem viel zu langen Unterhemd.
Die Storchenbeine darunter können das Gewicht kaum noch tragen.
Seine Versuche mit dem Gehfrei hat er längst wegen dem Unverständnis der Bremsfunktion aufgegeben.
Die Augen ruiniert durch das ständige Tragen einer Leselupenbrille.
Riesige groteske Augen im Totenkopfschädel.
Durch ihre Größe wird seine Taubheit noch deutlicher.
Fragend blicken gigantische schwarze Löcher in den Raum.
Dali, schreie ich in mich hinein, sag mir,
dass das alles ein Bild ist, dass die Realität dahinter surreal ist.
Dass dies alles kein Leben sein kann.
Bitte schreie, Dali!
Nur ein Traum.
Alles nur ein böser Traum, der meine Wirklichkeit rahmt.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Vor ein paar Minuten auf der Autobahn.
Vor mir ein alter BMW. Baujahr ‘69.
Und schon öffnet sich das Zeitfenster.
Stehe mit den Jungs an unserem Treffpunkt...
Unsere Wiese.
Links das Rollkontor, rechts das Lager der Zigeuner,
in der Mitte wir.
Feste Grenze zu den Zigeunern.
Dazwischen ein Weg. Pufferzone – Niemandsland.
Oma faselte immer von Dieben. Von Zauberei.
Von Messern und Gewalt.
Ich sah von meiner Seite aus die Lagerfeuer.
Hörte die Musik, träumte vom Zauber.

...Quartett.
Ich voll am angeben.
Von wegen dass keiner meine 115PS schlagen kann.
Und dann der Peter, der alte Sack.
Zeigt mir seine Karte.
Jaguar E-Typ. 269 PS.
Sein gewinnendes Lächeln eine Demütigung.
‚Her mit den Karten, Jungs‘
Irgendwann kam Monika dazu.
Sie kam immer dazu.
Herz….Bummdidibumm.
Drei Kerle verliebt in dieses süße Ding.
Und natürlich wusste sie darum.
Spielte mit uns.
Aber nicht um unserer Willen.
Nein, nein.
Ihr Blick ging immer hinüber zu den Zigeunern.
Zu dem Jungen mit dem langen schwarzen Haar.
Wir wussten es alle, taten so, als wolle sie uns eifersüchtig machen.
Später winkte sie immer zu uns hinüber.
Und wir hassten diesen Typ mit seinen schwarzen langen Haaren.
Dieses Gesicht, aus dem so viel Anarchie sprach.
So erwachsen, so selbstbewusst.
Wir wären alle gerne so wie er gewesen.
Irgendwann wurden die Zigeuner vertrieben.
Monika war noch da.
Aber sie kam nicht mehr zu uns.
Der Rollkontor brannte ab.
Aus unserer Wiese wurde das Finanzamt.
Peter ist im Himmel.
Was aus den anderen Beiden wurde, weiß ich nicht.
Sie sind weg. Ihre Gesichter…alles.
Selbst ihre Namen.
Moni ging später mit mir in eine Klasse.
Irgendwie verloren wir uns aus den Augen.
Jahrzehnte später sahen wir uns bei einem Klassentreffen wieder.
Ich fragte sie nach dem Jungen mit den langen schwarzen Haaren.
Sie schwieg, aber ihr Lächeln erzählte mir alles.
 

Scal

Mitglied
Apropos Zeit:
"Aus unserer Wiese wurde das Finanzamt"

Erleichterst mich mit einem Satz. Etliche kluge Abhandlungen über die Zeitgeschichte der letzten Jahrzehnte in der ZEIT sind damit für mich hin-
fällig.
 

John Wein

Mitglied
Tja, so ist es, das Leben! Ein Wimpernschlag des Universums! Die eigene Vergangenheit ein riesiger Berg Gedanken mit dem Verfallsdatum im Hinterkopf vor Augen. Ich habe am Montag in Antwerpen einen Freund zur letzten Ruhe begleitet. Alles Asche, was einmal Mensch war und nun scheissen die Raben von oben drauf.
LG, John
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Tja, so ist es, das Leben! Ein Wimpernschlag des Universums! Die eigene Vergangenheit ein riesiger Berg Gedanken mit dem Verfallsdatum im Hinterkopf vor Augen. Ich habe am Montag in Antwerpen einen Freund zur letzten Ruhe begleitet. Alles Asche, was einmal Mensch war und nun scheissen die Raben von oben drauf.
LG, John

Scheiß auf die Raben. Was bleibt sind die Erinnerungen an einen Freund. Darauf ist nicht geschissen.
 



 
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