zeitistsein
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Heute trafen wir Christine beim Spazierengehen an. Sie kam vom Abendessen mit Verwandten, war schön frisiert und irgendwie aufgedreht.
Normalerweise spricht sie nicht so lange mit uns, aber heute war sie in Plauderstimmung. Sie wollte vieles loswerden, was sie belastete. Und das tat sie auch ausgiebig.
Ich mag ihre Pädagogik. Sie hat sie sich vermutlich in ihrer Lebensarbeit in ihrem kleinen Gemischtwarenladen angeeignet. Ein gewisses Talent gehört dazu, so mit Menschen umzugehen.
Wenn sie jemanden kritisiert, dann tut sie das nicht direkt, sondern indem sie demjenigen die Eigenschaften zuschreibt, die er nicht hat. Diese Taktik hat mit der magischen Funktion zu tun, die hierzulande allgemein der Sprache zugeschrieben wird. Worte bezeichnen nicht die Realität, sondern den Wunsch. Sie haben performative Kraft.
Das ist geschickt. Denn Menschen glauben Menschen. Beschimpft man jemanden als Nichtsnutz, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er sich fortan wie ein Nichtsnutz verhält. Lobt man ihn hingegen, stehen die Chancen gut, dass er sich aufschwingt, um diesem Lob gerecht zu werden. Viktor Frankl sagte es schon: Man sollte die Menschen nicht nach dem beurteilen, was sie sind, sondern nach dem, wer sie sein sollten. Das Wort ist wie ein Same, der in der Regel auf fruchtbaren Boden fällt, leider öfter im Schlechten als im Guten.
Deshalb sind die Leute so gern bei Christine. Sie fühlen sich von ihr geadelt und auf ein Podest gestellt.
Ich glaube, ich habe das früher auch gemacht. Das Gute im Menschen gesehen und das auch gesagt. Irgendwann habe ich es aufgegeben, weil ich gemerkt habe: Es ist nicht erwünscht. Die Leute missverstehen es als Manipulation. Sie denken, ich komplimentiere sie, um sie für mich einzunehmen. Eine Schleimerin bin ich dann. Dass mir daran gelegen sein könnte, andere zu heilen und ihnen Gutes zu tun - das kommt schon gar nicht in den Sinn.
Ich glaube, das war der Anfang vom Ende für mich. Wenn das Gute, das ich zu geben habe, als Bosheit interpretiert wird, steht mein ganzes Weltbild Kopf. Dann bin ich zum Schweigen verdammt. Denn eigentlich sehe ich die Sprache als Mittel zum Trost, zur Erhöhung des Lebens, das in jedem Menschen schlummert und darauf wartet, endlich zu erblühen.
Nächstes Mal, wenn ich Christine wieder treffe, muss ich ihr sagen, was für ein gutes Vorbild sie mir ist. Ich denke, das wird sie freuen.
Normalerweise spricht sie nicht so lange mit uns, aber heute war sie in Plauderstimmung. Sie wollte vieles loswerden, was sie belastete. Und das tat sie auch ausgiebig.
Ich mag ihre Pädagogik. Sie hat sie sich vermutlich in ihrer Lebensarbeit in ihrem kleinen Gemischtwarenladen angeeignet. Ein gewisses Talent gehört dazu, so mit Menschen umzugehen.
Wenn sie jemanden kritisiert, dann tut sie das nicht direkt, sondern indem sie demjenigen die Eigenschaften zuschreibt, die er nicht hat. Diese Taktik hat mit der magischen Funktion zu tun, die hierzulande allgemein der Sprache zugeschrieben wird. Worte bezeichnen nicht die Realität, sondern den Wunsch. Sie haben performative Kraft.
Das ist geschickt. Denn Menschen glauben Menschen. Beschimpft man jemanden als Nichtsnutz, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er sich fortan wie ein Nichtsnutz verhält. Lobt man ihn hingegen, stehen die Chancen gut, dass er sich aufschwingt, um diesem Lob gerecht zu werden. Viktor Frankl sagte es schon: Man sollte die Menschen nicht nach dem beurteilen, was sie sind, sondern nach dem, wer sie sein sollten. Das Wort ist wie ein Same, der in der Regel auf fruchtbaren Boden fällt, leider öfter im Schlechten als im Guten.
Deshalb sind die Leute so gern bei Christine. Sie fühlen sich von ihr geadelt und auf ein Podest gestellt.
Ich glaube, ich habe das früher auch gemacht. Das Gute im Menschen gesehen und das auch gesagt. Irgendwann habe ich es aufgegeben, weil ich gemerkt habe: Es ist nicht erwünscht. Die Leute missverstehen es als Manipulation. Sie denken, ich komplimentiere sie, um sie für mich einzunehmen. Eine Schleimerin bin ich dann. Dass mir daran gelegen sein könnte, andere zu heilen und ihnen Gutes zu tun - das kommt schon gar nicht in den Sinn.
Ich glaube, das war der Anfang vom Ende für mich. Wenn das Gute, das ich zu geben habe, als Bosheit interpretiert wird, steht mein ganzes Weltbild Kopf. Dann bin ich zum Schweigen verdammt. Denn eigentlich sehe ich die Sprache als Mittel zum Trost, zur Erhöhung des Lebens, das in jedem Menschen schlummert und darauf wartet, endlich zu erblühen.
Nächstes Mal, wenn ich Christine wieder treffe, muss ich ihr sagen, was für ein gutes Vorbild sie mir ist. Ich denke, das wird sie freuen.