Dichter Erdling
Mitglied
-
Empfohlener Beitrag
- #1
Meine Fresse, jetzt bin ich also fünfunddreißig und es ist noch immer nicht anders geworden.
Paco, da schaust du.
Um sowas machen sich die Menschen einen Kopf, nicht zu fassen.
Ja, komm her, mein Guter, bist ein ganz Braver, magst ein Leckerli.
Sie kramt eine Packung Leckerli hervor, die liebt er heiß.
Nicht zu verwechseln mit dem Kotbeutel, wo sie normal die Hundekacke drin verschwinden lässt. Der bleibt vorerst leer, denn Paco ist nicht in Stimmung.
Es ist noch frisch am Morgen, der Himmel ein wolkenlos blitzender Spiegel und sie schaut dem Tier in die tiefbraunen Brunnenaugen. Die sind so groß und tief und dunkel wie überhaupt alles an dem Vieh.
Ganz nah sind sich die zwei Gesichter, und bald wird es soweit sein, sie spürt das.
Sie zieht ein wenig an diesem abgenutzten, ledernen Halsgeschirr. Grad so viel, dass es länger und brutaler als notwendig ist, mit Absicht.
Bis sich ein Gespensterschatten auf Pacos Sehschlitze legt, das ist zu erkennen.
Bei Fuß!
Meine Fresse, jetzt gehen wir schon seit Monaten miteinander spazieren, und noch nie ist was passiert.
Bist ein ganz Braver, Paco, wirklich, ein ganz Braver.
Darf nicht jeder mit dir raus, sicher nicht jeder.
Ist strenge Vorschrift.
Mein Lieber, du bist was für Profis. Kein einfacher Fall.
Muss man sich erst mal verdienen, ehe man mit dir losdarf, kannst du glauben.
Was war ich geduldig und geschickt, sehr, und habe mich bewiesen.
Da sind wir.
Fünfunddreißig und es ist noch nicht anders.
Aber mit Viechern konnte sie immer schon gut.
Das ehrenamtliche Gassigehen fürs Tierheim war eine Spitzenidee, aber echt.
So sehr sie die Menschen grundsätzlich anwidern, so sehr kann sie mit Viechern.
Sogar körperlich. Die Viecherliebe ist ja immer gleich körperlich.
Die kennen keine Distanz, keinen Anstand und drängen auf Direktkontakt, aber ist schon gut.
Die Viecher dürfen, das ist einfach was anderes.
Recht unmotiviert streichelt sie über Pacos kurzes, schlammbraunes Fell, das ist wie eine geknüpfte Haut mit abstehenden Widerborsten.
Wollen wir uns mal nix vormachen, da ist so gar nichts Reizvolles an dem Tier, oder Glanz.
Weil grad keiner hersieht, kratzt und ritzt sie außerdem wie beiläufig ein wenig in den nackten hündischen Unterbauch.
Die Nägel hat sie sich extra nicht geschnitten, aber spitzgefeilt.
Paco springt auf und knurrt, vielleicht jault er auch ein bisschen.
Aber Paco, was hast du denn?
Ganz ruhig, es tut dir ja keiner was.
Komm her, schau mal, Leckerli.
Paco weiß natürlich, dass von vorn bis hinten alles gelogen ist.
Ist ja eigentlich eine traurige Geschichte, die Geschichte von Paco, aber so sind Tierheimgeschichten doch immer.
War nicht grad feinfühlig, das Herrchen, mit dem verdreckten Zwinger im Hinterhof weit, weit draußen, und Paco hat das mit Sicherheit nicht vergessen. Auch nicht die Eisenstange.
Im Bericht steht, die war fünfzig Zentimeter lang und dem Ende zu schon ganz blutig, aber ist eh wieder Fell drüber gewachsen. Wie das so geht mit der Zeit.
Armer Paco, eigentlich ist er hier das Opfer, aber er geht bei Fuß.
Sobald Leute entgegenkommen, hält sie den Hund so kurz es geht, dabei rüttelt sie so leise wie grob am engsitzenden Halsband, dass es außer dem Tier möglichst niemand mitkriegt.
Was müssen die auch in Allerherrgottsfrühe im Weg sein, Blödies.
Haut lieber ab.
Kommt bloß nicht näher.
Paco ist kein spaßiger Hund, kein duldsames Kuscheltier für dummdreiste Patschehändchen. Der braucht gekonnte Führung, und sie führt ihn.
Schließlich kommt das Gespann an den großen Pappeln vorbei. Paco hebt wie gewohnt sein kräftig fleischiges Hundebein.
Schon klar, ist sein Lieblingsbaum, der gehört markiert.
Wenn nur endlich die vertrottelte Fragerei aufhören würde und die kaum verstellte Enttäuschung in der Stimme, wenn Mutter anruft!
Bei aller Toleranz, aber du…
Jetzt bist du schon fünfunddreißig, und es ist immer noch nicht anders mit dir.
Kannst du dir nicht vorstellen, dass vielleicht doch einmal…
Nein, kann sie nicht.
Jedes Mal, wenn sie versucht sich was in der Richtung vorzustellen, wird ihr umgehend grottenschlecht und es kommt ihr die Galle hoch.
Sie versucht es ja, sie stellt es sich vor.
Wie sie am Sonntagmorgen neben einem anderen Menschen aufwacht, so zum Beispiel. Irgendein Mensch, ausgewachsen, ein kompletter Körper. In ihrem eigenen Bett, keine Armlänge entfernt.
Nein, das kriegt sie nicht hin. Kotz.
Dabei ist das Aufwachen am Sonntagmorgen noch das Geringste.
Hat noch gar nicht unbedingt was Sexuelles, kein Begehren; nur zwei Leiber nebeneinander, und dann macht einer Frühstück und trägt es auf dem Tablett herein, das hat zwei geflochtene Henkel und es stehen kitschig verbrüderte Kaffeegedecke drauf und vielleicht ein gekochtes labbriges Ei.
Oder der eine Mensch steigt sorgfältig über den anderen drüber, weil der andere länger schlafen mag.
Man wacht auf und riecht den fremden modrigen Mundgeruch, die salzig stechenden Ausdünstungen - und dann soll man selig grinsen, weil man nur ja nicht allein ist.
Für die Vollhonks da draußen ist das scheinbar das Schlimmste überhaupt, das Alleinsein, die sind ja vielleicht hinüber.
Sie stellt sich oft vor, wie die Leute am Sonntagmorgen miteinander tun, das kann sie gut, aber für sich selbst kann sie sich das partout nicht vorstellen. Absolut nicht.
Ist an sich nix Schlimmes.
Sie mag einfach Menschen nicht in ihrer Nähe haben, und nicht am Sonntagmorgen.
Hat sie nun mal so gar kein brennendes Bedürfnis, jemanden anzutatschen und noch weniger mag sie berührt werden und da unten lässt sie ganz sicher keinen ran.
Nur Paco drängt sich manchmal an ihre Beine, gut, manchmal auch dazwischen, ist okay.
Geht auch gar nicht anders, wenn doch dauernd wer entgegenkommt und sie den Hund kurzhalten muss, das ist Vorschrift. Ist so.
Gleich, gleich, sind wir für uns.
Wirst sehen, nur wir zwei.
Paco.
In die Fresse, Paco, ins Gesicht.
Meine Fresse, jetzt hat sie schon alles Mögliche probiert, aber es fallen ihr langsam echt keine Sprüche mehr ein.
Sie geben ja doch keine Ruhe und stochern und piesacken ohne Pause, und so wird sie dasselbe mit Paco machen.
Vielleicht wird er sie totbeißen, gut, das ist Risiko und ist dann auch schon egal.
Gewiss, Absicht wär‘s nicht gerade, das Ziel ist ein anderes.
Nur obenrum soll er sie beißen, mittenrein. Mittenrein in die Fresse.
Ob er das verstanden hat?
Sie wird sich nicht wehren.
Paco, hörst du, oder doch.
Damit er nicht gleich wieder lockerlässt.
Schön fest verbeißen, dass man die beiden Schädel gar nicht so leicht wieder auseinanderkriegt mit einer Brechstange.
Soll schon nachhaltige Effekte haben, das Ganze; bleibend und effektiv. Nur so eine zierlich genähte Zickzacknarbe wie ein hübsches Lochmuster auf einer Tischdecke hilft nicht viel.
Ob sie das Viech am Ende danach einschläfern werden, wer weiß das schon.
Kann sie sich nicht um alles kümmern.
Sie will, sie braucht nur eines, und das sind Pacos scharfe Zähne in ihrem Fleisch, in ihren Knochen, wie sie sich reinbohren und alles umrühren wie Salat bis ein Auge runterhängt vielleicht.
Ein Auge würde sie schon gern behalten, sonst wäre sie ja künftig erst recht auf jemand angewiesen, der ihr über die Straße hilft und all sowas und das Leben wäre dahin, dann erst recht.
Nein, keinesfalls hilflos, nur hässlich will sie sein, unendlich hässlich – und allein.
Endgültig eine geheiligte Ruhe haben, das wär‘s.
Dass sich schlussendlich niemand mehr fragt, warum sich keiner nach ihr umdreht am Sonntagmorgen; kein Schwein, das neben ihr aufwacht und selig grinst.
Das wär’s doch.
Hässlich sein wie jemand, mit dem man nur dann ins Bett geht, wenn man ihm vorher einen Papiersack übern Kopf stülpt, was doch auch unhöflich wäre irgendwie.
Ich hab mir das gut überlegt, Paco, und tut mir leid, wenn mit dir dann was schiefgeht.
Ehrlich, ich bin dann raus.
Kannst ja nix dafür, bist ja ein Braver, nicht wahr.
Magst ein Leckerli?
Wieder raschelt sie mit der Packung vor Pacos Nase herum, ohne ihm auch nur ein einziges abzugeben, das wird ihn herrlich frustrieren.
Sowas kann sie gut, ist sie sich sicher.
Und den Schmerz kann sie aushalten, das wird schon gehen, muss halt.
Pacos Kiefer ist mächtig und groß wie der ganze Hund.
Es reicht vermutlich ein Happ, also hey, es wird fix gehen.
Und sie geht, geht, geht, quer übern Rasen, der ist noch gar nicht hochgewachsen, aber taunass und kaltsumpfig.
Es flatscht schon richtig sabschig in ihre Sneakers rein und sie weiß, Paco mag das gar nicht, nasskalte Pfoten.
Bei jedem Schritt quietschen ihre Schuhe, diese vollgesogenen Plastikbehälter für Füße, und quiieek-flatsch macht es bei jedem Schritt, ganz nah an Pacos Ohren.
Klingt fast wie das nervige rote Gummispielzeug, das Paco so hasst, dieses blassrosa verblichene. Die anderen Hunde im Heim fahren voll drauf ab, nur Paco ist anders.
Paco ist nun schon prima aus dem Tritt.
Sicherheitshalber steigt sie ihm auch noch mit vollem Gewicht auf die Pfoten und spielt, dass es ein Versehen ist, obwohl weit und breit keiner da ist, um möglicherweise einen Verdacht zu schöpfen.
Will ja keiner, dass ein Unbeteiligter dazu kommt; einer, den das alles überhaupt nichts angeht.
Für den Fall, dass unerwartet einer auftaucht, Paco, du weißt ja.
Glaub mir, ich schau schon drauf, dass wir allein sind, versprochen.
Ist allerdings gar nicht so einfach, die Deppen sind ja überall.
Sie geht, geht, weiter, weiter.
Das könnte sie freilich gar nicht brauchen, dass ihr noch einer zu Hilfe kommt, der dann auch noch was abkriegt und dann sind sie eine Schicksalsgemeinschaft. Müssen sich Genesungskarten schreiben und später mal was trinken gehen.
Stell dir vor, zwei total kaputte Visagen stoßen in der Krankenhauskantine mit schaler Limo ausm Automaten auf das Massaker an, das sie gemeinschaftlich überlebt haben.
Würg.
Wer will das schon.
Aha, jetzt also doch. Paco.
Mach nur.
Na geht doch.
Launisches Vieh, und wie erbärmlich.
Wirklich; wenn das jetzt jemand sehen könnte, wie es jämmerlich dahockt das bedauernswerte Wesen und sich die hinfällige Seele ausm Leib kotet, wirklich, ohne jede Anmut, ohne Würde.
Wie kann man das einer Kreatur antun.
Als Mensch mit Feingefühl sollte man da echt nicht hinschauen, aus Rücksicht auf das Tier.
Noch nicht mal heute.
Als Paco endlich fertig ist, hebt sie wie gewohnt die dampfenden Exkremente mit dem Kotbeutel auf.
Braver Hund.
Schöner großer Haufen, ganz kompakt.
Keiner, der fast durch die Finger rinnt wie letztes Mal, das war echt die Härte.
Dafür schuldest du mir was, hörst du.
Weißt du, ich verlange ja nicht viel, und tut mir leid, dass ich dich so benutzen muss, aber du benutzt mich ja auch.
Und seien wir uns ehrlich, dein Leben ist noch viel mehr am Arsch als meins, das rechnet sich irgendwie.
Ist eine Erlösung für uns beide.
Jaja, bist ein ganz Braver.
Ein bisschen müssen wir noch, komm weiter.
Ungeduldig zieht sie an Pacos abgehalftertem Lederband.
Dabei gehört das diesem Hund noch nicht mal richtig. Gar nix gehört ihm.
Alles nur geliehen, das Geschirr, hat schon so viele Hundehälse umklammert gehalten, auch die Leine gehört dann doch nur dem Tierheim.
Vermutlich wird das Zubehör bald schon wieder frei für den nächsten elenden Kandidaten, denkt sie sich und schämt sich dann doch.
Wenn sie nur ein bisschen hässlich wäre!
Aber so…
Ist alles nicht so einfach.
Es fragt sich natürlich ein jeder, warum sie am Sonntagmorgen so gar niemals jemanden hat.
Wenn sie nur wollte, sie könnte doch jeden haben, hat man ihr wiederholt gesagt, oder auch jede, zwinker zwinker. Man ist ja offen heutzutage.
Die zwanzig Kilo, die sie sich draufhin angefressen hat, haben dann aber auch nicht geholfen. Wenn es wenigstens geschmeckt hätte, das öltriefend frittierte Zeug und Sahnepudding so viel reingeht und extra aufgezuckert.
Jetzt steigen ihr auch noch die Fetten nach, das kann sie gar nicht brauchen.
Trotzig steckt sie die eine Hand in die Jackentasche und fühlt ihre weichen Bauchlappen, die von innen entgegen quillen; die andere Hand hält die Leine straff im Griff.
Sie klimpert ein wenig mit dem Werkzeug in ihrem Parka, das hat sie mitgebracht.
Paco kann sich schon mal drauf einstellen.
Die Eisenstange ist gar nicht so lang, sonst hätte sie nicht so unauffällig in die Jackentasche reingepasst.
Beim Gehen spielen ihre Finger lustig mit dem metallgespickten Lederriemen, den hat sie eigenhändig präpariert.
Ganz spitz, man muss aufpassen.
Jetzt ist allerdings Ernst, Paco weiß es.
Der Probelauf ist vorbei.
Schon vorgestern und letzte Woche hat sie es versucht, hat ein bisschen angefangen, aber noch nicht wirklich und ohne Werkzeug. Sie wird sich ordentlich steigern müssen.
Heute muss es klappen.
Letztens war der Hund schon kurz davor, aber beißen wollte er noch nicht.
Ganz nah waren sich die Schädel; entschlossene Sehschlitze und dunkle Gespensterschatten, sooo finster.
Dröhnendes Knurren und gefletschte Grimassen, wildsabbernde Lefzen wie direkt aus der Hölle.
Na sieh mal an.
Braver Paco, da vorne.
Kein Mensch weit und breit.
Paco.
Paco, da schaust du.
Um sowas machen sich die Menschen einen Kopf, nicht zu fassen.
Ja, komm her, mein Guter, bist ein ganz Braver, magst ein Leckerli.
Sie kramt eine Packung Leckerli hervor, die liebt er heiß.
Nicht zu verwechseln mit dem Kotbeutel, wo sie normal die Hundekacke drin verschwinden lässt. Der bleibt vorerst leer, denn Paco ist nicht in Stimmung.
Es ist noch frisch am Morgen, der Himmel ein wolkenlos blitzender Spiegel und sie schaut dem Tier in die tiefbraunen Brunnenaugen. Die sind so groß und tief und dunkel wie überhaupt alles an dem Vieh.
Ganz nah sind sich die zwei Gesichter, und bald wird es soweit sein, sie spürt das.
Sie zieht ein wenig an diesem abgenutzten, ledernen Halsgeschirr. Grad so viel, dass es länger und brutaler als notwendig ist, mit Absicht.
Bis sich ein Gespensterschatten auf Pacos Sehschlitze legt, das ist zu erkennen.
Bei Fuß!
Meine Fresse, jetzt gehen wir schon seit Monaten miteinander spazieren, und noch nie ist was passiert.
Bist ein ganz Braver, Paco, wirklich, ein ganz Braver.
Darf nicht jeder mit dir raus, sicher nicht jeder.
Ist strenge Vorschrift.
Mein Lieber, du bist was für Profis. Kein einfacher Fall.
Muss man sich erst mal verdienen, ehe man mit dir losdarf, kannst du glauben.
Was war ich geduldig und geschickt, sehr, und habe mich bewiesen.
Da sind wir.
Fünfunddreißig und es ist noch nicht anders.
Aber mit Viechern konnte sie immer schon gut.
Das ehrenamtliche Gassigehen fürs Tierheim war eine Spitzenidee, aber echt.
So sehr sie die Menschen grundsätzlich anwidern, so sehr kann sie mit Viechern.
Sogar körperlich. Die Viecherliebe ist ja immer gleich körperlich.
Die kennen keine Distanz, keinen Anstand und drängen auf Direktkontakt, aber ist schon gut.
Die Viecher dürfen, das ist einfach was anderes.
Recht unmotiviert streichelt sie über Pacos kurzes, schlammbraunes Fell, das ist wie eine geknüpfte Haut mit abstehenden Widerborsten.
Wollen wir uns mal nix vormachen, da ist so gar nichts Reizvolles an dem Tier, oder Glanz.
Weil grad keiner hersieht, kratzt und ritzt sie außerdem wie beiläufig ein wenig in den nackten hündischen Unterbauch.
Die Nägel hat sie sich extra nicht geschnitten, aber spitzgefeilt.
Paco springt auf und knurrt, vielleicht jault er auch ein bisschen.
Aber Paco, was hast du denn?
Ganz ruhig, es tut dir ja keiner was.
Komm her, schau mal, Leckerli.
Paco weiß natürlich, dass von vorn bis hinten alles gelogen ist.
Ist ja eigentlich eine traurige Geschichte, die Geschichte von Paco, aber so sind Tierheimgeschichten doch immer.
War nicht grad feinfühlig, das Herrchen, mit dem verdreckten Zwinger im Hinterhof weit, weit draußen, und Paco hat das mit Sicherheit nicht vergessen. Auch nicht die Eisenstange.
Im Bericht steht, die war fünfzig Zentimeter lang und dem Ende zu schon ganz blutig, aber ist eh wieder Fell drüber gewachsen. Wie das so geht mit der Zeit.
Armer Paco, eigentlich ist er hier das Opfer, aber er geht bei Fuß.
Sobald Leute entgegenkommen, hält sie den Hund so kurz es geht, dabei rüttelt sie so leise wie grob am engsitzenden Halsband, dass es außer dem Tier möglichst niemand mitkriegt.
Was müssen die auch in Allerherrgottsfrühe im Weg sein, Blödies.
Haut lieber ab.
Kommt bloß nicht näher.
Paco ist kein spaßiger Hund, kein duldsames Kuscheltier für dummdreiste Patschehändchen. Der braucht gekonnte Führung, und sie führt ihn.
Schließlich kommt das Gespann an den großen Pappeln vorbei. Paco hebt wie gewohnt sein kräftig fleischiges Hundebein.
Schon klar, ist sein Lieblingsbaum, der gehört markiert.
Wenn nur endlich die vertrottelte Fragerei aufhören würde und die kaum verstellte Enttäuschung in der Stimme, wenn Mutter anruft!
Bei aller Toleranz, aber du…
Jetzt bist du schon fünfunddreißig, und es ist immer noch nicht anders mit dir.
Kannst du dir nicht vorstellen, dass vielleicht doch einmal…
Nein, kann sie nicht.
Jedes Mal, wenn sie versucht sich was in der Richtung vorzustellen, wird ihr umgehend grottenschlecht und es kommt ihr die Galle hoch.
Sie versucht es ja, sie stellt es sich vor.
Wie sie am Sonntagmorgen neben einem anderen Menschen aufwacht, so zum Beispiel. Irgendein Mensch, ausgewachsen, ein kompletter Körper. In ihrem eigenen Bett, keine Armlänge entfernt.
Nein, das kriegt sie nicht hin. Kotz.
Dabei ist das Aufwachen am Sonntagmorgen noch das Geringste.
Hat noch gar nicht unbedingt was Sexuelles, kein Begehren; nur zwei Leiber nebeneinander, und dann macht einer Frühstück und trägt es auf dem Tablett herein, das hat zwei geflochtene Henkel und es stehen kitschig verbrüderte Kaffeegedecke drauf und vielleicht ein gekochtes labbriges Ei.
Oder der eine Mensch steigt sorgfältig über den anderen drüber, weil der andere länger schlafen mag.
Man wacht auf und riecht den fremden modrigen Mundgeruch, die salzig stechenden Ausdünstungen - und dann soll man selig grinsen, weil man nur ja nicht allein ist.
Für die Vollhonks da draußen ist das scheinbar das Schlimmste überhaupt, das Alleinsein, die sind ja vielleicht hinüber.
Sie stellt sich oft vor, wie die Leute am Sonntagmorgen miteinander tun, das kann sie gut, aber für sich selbst kann sie sich das partout nicht vorstellen. Absolut nicht.
Ist an sich nix Schlimmes.
Sie mag einfach Menschen nicht in ihrer Nähe haben, und nicht am Sonntagmorgen.
Hat sie nun mal so gar kein brennendes Bedürfnis, jemanden anzutatschen und noch weniger mag sie berührt werden und da unten lässt sie ganz sicher keinen ran.
Nur Paco drängt sich manchmal an ihre Beine, gut, manchmal auch dazwischen, ist okay.
Geht auch gar nicht anders, wenn doch dauernd wer entgegenkommt und sie den Hund kurzhalten muss, das ist Vorschrift. Ist so.
Gleich, gleich, sind wir für uns.
Wirst sehen, nur wir zwei.
Paco.
In die Fresse, Paco, ins Gesicht.
Meine Fresse, jetzt hat sie schon alles Mögliche probiert, aber es fallen ihr langsam echt keine Sprüche mehr ein.
Sie geben ja doch keine Ruhe und stochern und piesacken ohne Pause, und so wird sie dasselbe mit Paco machen.
Vielleicht wird er sie totbeißen, gut, das ist Risiko und ist dann auch schon egal.
Gewiss, Absicht wär‘s nicht gerade, das Ziel ist ein anderes.
Nur obenrum soll er sie beißen, mittenrein. Mittenrein in die Fresse.
Ob er das verstanden hat?
Sie wird sich nicht wehren.
Paco, hörst du, oder doch.
Damit er nicht gleich wieder lockerlässt.
Schön fest verbeißen, dass man die beiden Schädel gar nicht so leicht wieder auseinanderkriegt mit einer Brechstange.
Soll schon nachhaltige Effekte haben, das Ganze; bleibend und effektiv. Nur so eine zierlich genähte Zickzacknarbe wie ein hübsches Lochmuster auf einer Tischdecke hilft nicht viel.
Ob sie das Viech am Ende danach einschläfern werden, wer weiß das schon.
Kann sie sich nicht um alles kümmern.
Sie will, sie braucht nur eines, und das sind Pacos scharfe Zähne in ihrem Fleisch, in ihren Knochen, wie sie sich reinbohren und alles umrühren wie Salat bis ein Auge runterhängt vielleicht.
Ein Auge würde sie schon gern behalten, sonst wäre sie ja künftig erst recht auf jemand angewiesen, der ihr über die Straße hilft und all sowas und das Leben wäre dahin, dann erst recht.
Nein, keinesfalls hilflos, nur hässlich will sie sein, unendlich hässlich – und allein.
Endgültig eine geheiligte Ruhe haben, das wär‘s.
Dass sich schlussendlich niemand mehr fragt, warum sich keiner nach ihr umdreht am Sonntagmorgen; kein Schwein, das neben ihr aufwacht und selig grinst.
Das wär’s doch.
Hässlich sein wie jemand, mit dem man nur dann ins Bett geht, wenn man ihm vorher einen Papiersack übern Kopf stülpt, was doch auch unhöflich wäre irgendwie.
Ich hab mir das gut überlegt, Paco, und tut mir leid, wenn mit dir dann was schiefgeht.
Ehrlich, ich bin dann raus.
Kannst ja nix dafür, bist ja ein Braver, nicht wahr.
Magst ein Leckerli?
Wieder raschelt sie mit der Packung vor Pacos Nase herum, ohne ihm auch nur ein einziges abzugeben, das wird ihn herrlich frustrieren.
Sowas kann sie gut, ist sie sich sicher.
Und den Schmerz kann sie aushalten, das wird schon gehen, muss halt.
Pacos Kiefer ist mächtig und groß wie der ganze Hund.
Es reicht vermutlich ein Happ, also hey, es wird fix gehen.
Und sie geht, geht, geht, quer übern Rasen, der ist noch gar nicht hochgewachsen, aber taunass und kaltsumpfig.
Es flatscht schon richtig sabschig in ihre Sneakers rein und sie weiß, Paco mag das gar nicht, nasskalte Pfoten.
Bei jedem Schritt quietschen ihre Schuhe, diese vollgesogenen Plastikbehälter für Füße, und quiieek-flatsch macht es bei jedem Schritt, ganz nah an Pacos Ohren.
Klingt fast wie das nervige rote Gummispielzeug, das Paco so hasst, dieses blassrosa verblichene. Die anderen Hunde im Heim fahren voll drauf ab, nur Paco ist anders.
Paco ist nun schon prima aus dem Tritt.
Sicherheitshalber steigt sie ihm auch noch mit vollem Gewicht auf die Pfoten und spielt, dass es ein Versehen ist, obwohl weit und breit keiner da ist, um möglicherweise einen Verdacht zu schöpfen.
Will ja keiner, dass ein Unbeteiligter dazu kommt; einer, den das alles überhaupt nichts angeht.
Für den Fall, dass unerwartet einer auftaucht, Paco, du weißt ja.
Glaub mir, ich schau schon drauf, dass wir allein sind, versprochen.
Ist allerdings gar nicht so einfach, die Deppen sind ja überall.
Sie geht, geht, weiter, weiter.
Das könnte sie freilich gar nicht brauchen, dass ihr noch einer zu Hilfe kommt, der dann auch noch was abkriegt und dann sind sie eine Schicksalsgemeinschaft. Müssen sich Genesungskarten schreiben und später mal was trinken gehen.
Stell dir vor, zwei total kaputte Visagen stoßen in der Krankenhauskantine mit schaler Limo ausm Automaten auf das Massaker an, das sie gemeinschaftlich überlebt haben.
Würg.
Wer will das schon.
Aha, jetzt also doch. Paco.
Mach nur.
Na geht doch.
Launisches Vieh, und wie erbärmlich.
Wirklich; wenn das jetzt jemand sehen könnte, wie es jämmerlich dahockt das bedauernswerte Wesen und sich die hinfällige Seele ausm Leib kotet, wirklich, ohne jede Anmut, ohne Würde.
Wie kann man das einer Kreatur antun.
Als Mensch mit Feingefühl sollte man da echt nicht hinschauen, aus Rücksicht auf das Tier.
Noch nicht mal heute.
Als Paco endlich fertig ist, hebt sie wie gewohnt die dampfenden Exkremente mit dem Kotbeutel auf.
Braver Hund.
Schöner großer Haufen, ganz kompakt.
Keiner, der fast durch die Finger rinnt wie letztes Mal, das war echt die Härte.
Dafür schuldest du mir was, hörst du.
Weißt du, ich verlange ja nicht viel, und tut mir leid, dass ich dich so benutzen muss, aber du benutzt mich ja auch.
Und seien wir uns ehrlich, dein Leben ist noch viel mehr am Arsch als meins, das rechnet sich irgendwie.
Ist eine Erlösung für uns beide.
Jaja, bist ein ganz Braver.
Ein bisschen müssen wir noch, komm weiter.
Ungeduldig zieht sie an Pacos abgehalftertem Lederband.
Dabei gehört das diesem Hund noch nicht mal richtig. Gar nix gehört ihm.
Alles nur geliehen, das Geschirr, hat schon so viele Hundehälse umklammert gehalten, auch die Leine gehört dann doch nur dem Tierheim.
Vermutlich wird das Zubehör bald schon wieder frei für den nächsten elenden Kandidaten, denkt sie sich und schämt sich dann doch.
Wenn sie nur ein bisschen hässlich wäre!
Aber so…
Ist alles nicht so einfach.
Es fragt sich natürlich ein jeder, warum sie am Sonntagmorgen so gar niemals jemanden hat.
Wenn sie nur wollte, sie könnte doch jeden haben, hat man ihr wiederholt gesagt, oder auch jede, zwinker zwinker. Man ist ja offen heutzutage.
Die zwanzig Kilo, die sie sich draufhin angefressen hat, haben dann aber auch nicht geholfen. Wenn es wenigstens geschmeckt hätte, das öltriefend frittierte Zeug und Sahnepudding so viel reingeht und extra aufgezuckert.
Jetzt steigen ihr auch noch die Fetten nach, das kann sie gar nicht brauchen.
Trotzig steckt sie die eine Hand in die Jackentasche und fühlt ihre weichen Bauchlappen, die von innen entgegen quillen; die andere Hand hält die Leine straff im Griff.
Sie klimpert ein wenig mit dem Werkzeug in ihrem Parka, das hat sie mitgebracht.
Paco kann sich schon mal drauf einstellen.
Die Eisenstange ist gar nicht so lang, sonst hätte sie nicht so unauffällig in die Jackentasche reingepasst.
Beim Gehen spielen ihre Finger lustig mit dem metallgespickten Lederriemen, den hat sie eigenhändig präpariert.
Ganz spitz, man muss aufpassen.
Jetzt ist allerdings Ernst, Paco weiß es.
Der Probelauf ist vorbei.
Schon vorgestern und letzte Woche hat sie es versucht, hat ein bisschen angefangen, aber noch nicht wirklich und ohne Werkzeug. Sie wird sich ordentlich steigern müssen.
Heute muss es klappen.
Letztens war der Hund schon kurz davor, aber beißen wollte er noch nicht.
Ganz nah waren sich die Schädel; entschlossene Sehschlitze und dunkle Gespensterschatten, sooo finster.
Dröhnendes Knurren und gefletschte Grimassen, wildsabbernde Lefzen wie direkt aus der Hölle.
Na sieh mal an.
Braver Paco, da vorne.
Kein Mensch weit und breit.
Paco.