Neulich, neben der Spur

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H

Hakan Tezkan

Gast
hallo elke,

melancholische worte, nicht zu negativ, daher schön authentisch, besonders schön fand ich die libelle. hoffe, es gibt noch forsetzungen!

lg,
hakan
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Hakan,
danke für Deine Resonanz auf mein Tagebuch! Klar, dass Dir die Libelle am besten gefällt; Schweigen und Stille ganz vorne weg, :)

Gruß von Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Zungenbrand

Verflucht - manchmal werfen sich Gedanken
in mondäne Wortschlitten Geben Vollgas
Sämtliche unausgesprochenen Äußerungsregeln
missachtend lassen sie den perplexen Denker
mit von Rauchschwaden geschwängertem
offenen Schlund links liegen inmitten seiner
Pfütze lauffeuerartig sich ausbreitender Pein
-lichkeit frühreif entfesselter animalischer
Triebkraft unausgegorener Geistesblitze
zucken die Synapsen ein Zielfahnen-Karomuster
in schwarz-weiß Hoffentlich ist niemand

verunglückt
 

nachts

Mitglied
mein erster blick ins tagebuch - ich les das hier alles - und les es staunend, muss lachen, den Kopf schütteln und nicken und möcht mir wünschen dass es gleich schneit damit dein Wortschlitten weiter jagen kann
LG Nachts
 

ENachtigall

Mitglied
Danke, nachts, dass es Dich so gut unterhalten hat!

Im Moment werfe ich eher mit alten Möbeln und Ausrangiertem nur so um mich. Aber nach dem Umzug jage ich wortgewaltig weiter, wer weiß wohin.

Lieben Gruß, Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Kuckucksnest

Vintery, mintery, cutery, corn,
Apple seed and apple thorn;
Wire, briar, limber lock,
Three geese in a flock.
One flew east,
And one flew west,
And one flew over the cuckoo's nest.


englischer Kinderreim​


Als ich übers Kuckucksnest flog, warf ich einen kurzen Blick hinein; da saßen meine Eltern, die bis April noch auf Weltreise gewesen waren. Aus überdimensionalen Schnäbeln spuckten sie alles, was ich je im Leben kaputt gemacht habe:

- den abgebissenen Daumen von Gummipuppe Gertrud
- Mamas Lieblingspuppe aus Porzellan
- eine Unmenge an Gläsern
- Kleinmobiliar
- Fensterscheiben
- Stapel von beschriftetem Papier
- Fahrzeuge
- Kleidungsstücke
- Versprechen
- Vertrauen
- Hoffnungen
- Ehen
- Nervenknäuele ohne Ende
und zum Schluss den geliehenen Schwingschleifer von Klaus.

Unten auf der Erde, wo einmal mein Zuhause gewesen war, türmte sich alles zu einer kleinen Müllhalde.
Sie winkten mir mit ihren winzigen gelben Füßen.
"Wir sind müde. Flieg endlich. Es ist fast August", war das letzte, was mir der Wind vom Ruf ihrer dünnen Stimmchen zutrug.

In Feuerland angekommen, fand ich mich in einen Speichelfaden verheddert.
 
P

penelope

Gast
liebe elke,

barba non facit philosophum... aber den eigenen bart überqueren ist poetische genialität... aber um diese qualitäten weißt du ja schon längst... bisher mein lieblingstagebuch...

lg penelope
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo penelope,

ich freue mich, dass Dir mein bärtiges Tagebuch gefallen hat.

Ich mag dieses Unterforum besonders, weil die Texte (ähnlich wie Kinder) näher an den Autoren "sitzen dürfen" - auch aus der Leser- und Kritikerperspektive.

Lieben Gruß, Elke
 
T

Thys

Gast
Da dachte ich, Mensch Thys, jetzt hast Du von der Elke
bisher nur immer Gedichte gelesen. Guck doch mal, was sie
für Tagebuchtexte verfasst. So richtig lange Dinger... und
was seh ich? Da steht ja kaum was drin! :eek:
Dann les ich mir das Bisschen durch und denke :eek:
Dann les ich mir das Bisschen noch mal durch und :)
Dann les ich mir das Bisschen noch mal durch und :cool:

Mensch Elke, ich glaub, da steht einer neben der Spur...
ziemlich schräg.
 

ENachtigall

Mitglied
Mensch Elke, ich glaub, da steht einer neben der Spur...
ziemlich schräg.
Hallo lieber Thys,

manchmal muss ich halt in die Schräglage gehen, um mir das Leben halbwegs wieder gerade zu biegen. So gesehen bin ich natürlich verrückt, im wahrsten Sinne und Gott sei Dank.

Vielen Dank für den ausgiebigen Besuch! Schönes Wochenende wünscht Dir Elke.
 

ENachtigall

Mitglied
juckpulver


schweig du nur
mein papperlapapp
in grund und boden
zwischen die stuhlbeine
wo sich zappelfüße
erinnern einmal gefoxt
gewalzt und oft schon
getrottelt zu haben
denn das gezwitscher
der vögel ist unverschämt
vor einbruch der dunkelheit
und du pickst die besten
kerne aus meinen
sonnenblumenworten
und bespuckst mich frech
mit den schalen
dass es kitzelt
wie juckpulver
 

ENachtigall

Mitglied
42

Es ist spät geworden und du allmählich eine dritte Person Singular, deren post mortem Alter mir zu errechnen von Jahr zu Jahr schwerer fällt. Als würden die Zahlen nicht haften an dem Häufchen Elend in der Erde und die Kette der Geburtstagsgeschenke verhakt sich dauernd beim chronologischen Aufsagen.
Ich erinnere mich noch genau an den Vorvorletzten, als es Blumen vom Selbstpflückerfeld des Bauern gab, wo so ein hölzerner Briefkasten mit Münzen gefüttert werden durfte – ob die je ankamen - und ich rückwärts mit dem Coupé im Ackergraben versank bis ein Traktor mich wieder raus zog.
Das waren vielleicht schöne Unmengen von Levkojen und Löwenmäulchen! Wir aber zankten darum, wer welche Bettwäsche mit aus der Ehe nehmen sollte. Kleingeistig geht die Welt zugrunde.
Immer noch stilvoller als der, der das Letzte war: mit der Kontaktanzeige in unser Flitterhotel! Da war die Fantasie schon vor dir gegangen.
Ich aber humple immer noch über den Acker und lasse Drachen steigen mit den Kindern und pfeife was auf Kontaktanzeigen und die Liebe schreibe ich ab aus Poesiealben.
Weißt du noch wie Levkojen duften?
 

ENachtigall

Mitglied
John Peel

Die Adoleszenz hatte Zapfen aus Eis in die kardiale Zerbrechlichkeit der Mädchenträume getrieben * In Schuhkartons, beklebt mit Bonbonpapier, zuckten enthauptete Zöpfe wie Schlangen im Schlaf * Dünne Lügen kamen gekrochen; fraßen sich fett an abgelegenen Schwüren in Sepia, der verratenen Farbe zwischen Schwarz und Weiß * Nur das grünäugige Radio infusionierte immer gerade noch rechtzeitig die rettende Dosis Velvet Underground und unverkennbar die Multiresistenz einer einzigartigen Stimme.
 

ENachtigall

Mitglied
Literarisches Tagebuch, dubios fragmentarisch

Schnittpunkt

Da steht einer
vor dem Spiegel
der Straße
und versucht
mit riesiger Schere
in der Hand
seinen verwilderten Bart
zu überqueren
 

ENachtigall

Mitglied
Ach nachts, du machst mir Mut; dein Name ist meine Hoch-Zeit und das Tagebuch mein Spielplatz zum Austoben. Ich bau dir eine Zaungastloge!

Lieben Gruß, Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Maniac

Ich fand dich
Im Chefsessel posierend
Die Beine übereinander
Geschlagen die Fußspitzen
Wippten einen imaginären
Fußball hin und her
Zwischen lackierten Zehnägeln
Und Himmelstor mit Nichts an
Als dem grellbunten Tattoo
eines Spaghettiträger-Minikleidchens
Den Kopf in den maskulinen
Nacken ein schallendes Lachen
Mir in die unbedarften Ohren geworfen
Toooooooooooooooooooooooooooooooooor!!!
 

ENachtigall

Mitglied
Und dann: Stille

kalt wie das schwarze Öl
aus Kernen der unzähmbaren Idiotie
schildbürgerlicher Lichtschlepperei
ins Innere der unbewohnbaren Tage

Öl schwimmt immer obenauf
wie Kummer
sagt Irving der Hund
der es wissen muss was es heißt
Namen zu tragen wie von Sinnen
donnert die Underground durch
die Eustachische Röhre
als gäbe es keine Gleise
zum Bahnhof Ohr und dann
ganz leise immer der Nase nach

und nach und nach wird es Nacht
im Augenwald knipsen die Bäume
die Stäbchen aus
verzapfen Stille wie Öl
so schwarz des Schmierens müde
lassen Worte das Denken sein
machen geräuschlos
einen Satz
über die Himmelsschnur
 

ENachtigall

Mitglied
Wo der Himmel ein goldenes Loch bemondet

hat sein Netz einen Riss, dadurch die kleinen flinken Blicke schlüpfen wie glückliche Fische in die, ja, Freilichtkeit.
Und manchmal macht er sich selbst zum Mond und kreist konzentrisch um den heißen Brei, den sie unendlich nennen.
Vielleicht aber täusche ich mich und er lupft nur leicht unzüchtig den Rock und raunt leck mich am Mond, Marie.
 



 
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