Old School Haiku. Open door that looks shut.

3,70 Stern(e) 3 Bewertungen

Willibald

Mitglied
Old School Haiku. Open door that looks shut.

„Zum Thema Tiere. In vier Minuten aufs Papier hingeworfen. Ich habe das schon richtig verstanden, wir sollen so schreiben, was uns einfällt. Und es soll Old School sein? Heftige? Wann können wir unsere Texte präsentieren?” Die Stimme war ein wenig zittrig, ein wenig flach. „Jetzt”, sagte Friedrich Melzer und fuhr sich über sein kurzes, graues Haar, das danach, wusste er, wieder senkrecht vom Kopfe abstand. Er hatte ihnen gesagt, Akustik, Blickkontakt, sollte schon sein. Konrad Miltenberger nahm Blickkontakt auf zu ihm, zu den anderen, tippte kurz an die große Brille, schob sie hoch, schaute in die Runde: Windschutzscheibe bei Regen mit langsam rudernden Scheibenwischern, so etwa.

"Der Katzenfürst hat nichts zu tun,
maunzt gar sehr und kann nicht ruhn.
Horcht gar bang zum Gang hinaus,
endlich kommt Sie.- Ei, der Daus!
Schlank und biegsam, wunderbar,
braune Augen, schwarz das Haar."

„Ein bisschen Eugen Roth”, murmelte Friedrich Melzer, er hatte sechs Semester Germanistik in München studiert. Dann Literaturinstitut in Leipzig. Austausch, Inspiration, Kritik. Aber vor allem war da der Großvater, fünf Bücherschränke im Wohnzimmer, drei im Flur, Eduard Engel Deutsche Stilkunst, Thomas Mann Zauberberg, Heinrich Seidel Leberecht Hühnchen. war schon was. Dann hatten sie W.A. Auden entdeckt und Thomas Kling. „Ja! Old School. Das ist Old School.“
Melzer blickte zu Thomas Anderson.

"Habe einen Haiku notiert:

Der Kranich schreitet
Im Sonnenschein sich plusternd,
Das dünne Eis ab."

Konrad Miltenberger sagte nichts. Georg Mallon gegenüber fummelte einen Zettel vom Tisch hoch, hatte vorhin neugierig Andersons Haikuschreibe seitwärts mitverfolgt, wach, ein Mix aus Waschbär, Snoopy und Schroeder:

"Es hat mich erblickt
Und macht ein saures Gesicht
Der alte Kranich."

„Kurzer Austausch untereinander“, Friedrich Melzer lehnte sich zurück, „plaudern sie los.“

„Ho, dein Haiku war gut, der schreitende Kranich.”
„Deiner auch.“
„Aha?”
„Wenn wir uns von Tieren irgendwie unterscheiden, dann durch unsere Fähigkeit, Haikus zu schreiben.”
„Hehe."
"Und darüber zu lachen.”

Mallon tippte mit dem Zeigefinger viermal gegen die Brust von Anderson.
„Du-Stelz-vo-gel!”
„Inkorrekt. Ich gleiche dem Adler.”
„Aha. Droben kreist in höchsten Höhen der Herrscher der Vögel, des Sturmes gewaltiger Aar.”
„Drunten aber im Sande buddelt die Milbe.”

Sie hoben ihre Schreibstifte, kreuzten sie wie Klingen, verneigten sich voreinander. Friedrich Melzer dachte, das wird gut.
 
A

aligaga

Gast
Lieber, hochgeschätzter Sir @Willibald,

böhs, wie er ist, erinnert sich @ali an eine Debatte, wo es um's Huhn und um's Ei ging, et vice versa.

@Ali sieht nach vor Schreiben ab einem gewissen Level nicht mehr als Handwerk, sondern als Kunscht, bei der das Handwerk nicht mehr ist als eines von vielen Mitteln zum Zweck.

Zu allen Zeiten gab's Goldmacher, die ihren Auftraggebern weismachten, jene Formel zu wissen, die aus Dreck Goldklümpchen zu formen imstand sei. Für gewöhnlich endeten sie auf dem Schafott, bei einigem Glück woanders, wenn sie beim Herumrühren in der Ursuppe etwas Adäquates entdeckten - den Reißverschluss etwa, die Glühbirne oder die Atombombe.

@Ali glaubt, echte Kunscht sei nicht vorauszuberechnen, sondern Ergebnis eines Schöpfungsaktes. Eine Art Urknall, der sich weder vorausbestimmen ließe noch nachzurechnen wäre. Die Musi, die Bilderln und die G'schichterln sind, wenn's nicht bloß Reproduktionen sein sollen, etwas dergestalt Eigenes, dass sie mit Zirkel, Lineal und der Logarithmentafel allein nicht zur Welt zu bringen und dieser danach auch nicht wirklich zu erklären sind.

Kunscht, halt. Wär's anders, könnz jeder Depp. So aber ...

Heiter, sehr heiter

aligaga
 

Willibald

Mitglied
Also spricht aligaga:

§1 Ein Mensch sollte in der Lage sein, eine Windel zu wechseln, eine Invasion zu planen, ein Schwein zu schlachten, ein Schiff zu vertäuen, ein Gebäude zu entwerfen, ein Sonett zu schreiben, Konten zu bilanzieren, eine Mauer zu bauen, einen Knochen zu schienen, den Traurigen zu trösten, Befehle anzunehmen, Befehle zu erteilen, zusammenzuarbeiten, allein zu handeln, Gleichungen zu lösen, ein neues Problem zu analysieren, einen Computer zu programmieren, eine leckere Mahlzeit zu kochen, effizient zu kämpfen, tapfer zu sterben. Und jeder halbwegs begabte Schüler sollte in der Lage sein, deutsche Texte zu schreiben. Dafür haben wir ja Leerer.

§2 Hirnforscher schätzen, dass unsere unbewusste Datenbank das Bewusste in einer Größenordnung von mehr als zehn Millionen zu eins überwiegt. Diese Datenbank ist die Quelle des verborgenen, natürlichen Genies. Mit anderen Worten, ein Teil von dir ist viel klüger als du selbst. Die Weisen konsultieren regelmäßig diesen intelligenteren Teil. Und sie hüten sich deshalb davor mit Menschen wie Willibald in einen Dialog oder ein Zwiegespräch einzutreten. Aligaga ist sich selber Dialogpartner genug.

§3 Nichts Großartiges entsteht plötzlich, ebenso wenig wie eine Rebe von Traube oder eine Feige. Wenn du mir nun aber sagst, dass du eine Feige willst, antworte ich dir, dass es die Zeit dafür geben muss. Lass es erst blühen, dann Früchte tragen, dann reifen. So mache es auch mit Texten. Das Handwerk des Schreibens lernen wollen nur die Tauben und die Feigen.

§4 Denke nicht nach. Denken ist der Feind der Kreativität. Denken ist selbstbewusst, und alles Selbstbewusste ist lausig. Du kannst nicht versuchen, Dinge zu tun. Du musst einfach Dinge tun. Schau aligaga an. Er hobelt seren,an Texten rum, bis sie passen. Da braucht man keine Schreinerleere. Freilich bedenke: aligaga ist aligaga.

§5 Man mag einwenden, dass es gut für den Musiker ist, ein Instrument zu lernen, für den Komponisten, das Komponieren zu lernen, für den Schachspieler das Schachspielen zu lernen. Für den Maler, das Malen zu lernen. Aber was nützt das alles, wenn man nicht die Begabung hat? Aligaga hat die Begabung.

Vvoll der Heiterkeit,
denn der Heitere
hat die Wahrheit
in Wahrheit:

aligaga
 
A

aligaga

Gast
Nichts Großartiges entsteht plötzlich, ebenso wenig wie eine Rebe von Traube oder eine Feige.
Jaja, das hört man oft und immer wieder.

@Ali glaubt nicht, dass in der Kunscht viel viel hülfe und sieht sich dabei, wie schon mal gesagt, dabei mit dem Spinner Matthew Barney auf einer Stufe, der bemüht war und ist, zu zeigen, dass zuviel Konstrukt und zu große Geste zum tödlichen Hindernis werden. Am End' schnitt der, auch das hatte der böhse @ali schon mal bemerkt, in "Restraint #9" sich und seiner Kirschblütenfrau die Beine ab, um nach einer entsetzlich verschwurbelten, nicht enden wollenden Teezermonie (wieder) leichter voranzukommen.

Der Urknall war nur ein Moment. Auf den aber kam's an, meint @ali. Alles andere danach, der ganze Kreationismus, Darwinismus und Kretinismus, ist im Vergleich dazu nur Tüpfligeschiss. In @alis "Häusern am Fluss" wird das immer wieder gezeigt. Es sind die Momente, die das Werk bestimmen und antreiben, nicht die Routinen.

Nichts gegen die eingeübten Routinen. @Ali hält sie für die Stromlinienform, ohne die ein Schiff seinen Fahrplan nicht einhalten könnte.

Die Kunscht braucht den aber nicht, geliebeter @Willibald. Die schreibt ihr ganz eig'nes Kursbuch und kommt damit an ein neues Ufer. Oder sie geht daran zugrunde.

Heiter wie je

aligaga

p. s.: Im Vorposting sollte es heißen:
@Ali sieht nach wie vor Schreiben ab einem gewissen Level nicht mehr als Handwerk, sondern als Kunscht, bei der das Handwerk nicht mehr ist als eines von vielen Mitteln zum Zweck.
 

Willibald

Mitglied
Und Willibald glaubt auch an die Momente.

Denn die Leere- und leererorientierte Seele ist wie ein Vogel, der in der Dunkelheit herumflattert und gegen die Fenster schlägt, wenn die Türen die ganze Zeit für Luft und Sonne offen sind. Den Moment und die Türe muss man finden.

Übrigens: Sollte es den BigBang gegeben haben und von einem Kreator ausgelöst worden sein, so hat er uns gewiss beides gegeben, den zündenden Moment und die spontane Fahrt in planbaren Routen mit aller Varianten Genuss.
 

Willibald

Mitglied
Es schreitet der Kranich. Old School mit 17 Silben.

„Zum Thema Tiere. In vier Minuten aufs Papier hingeworfen. Ich habe das schon richtig verstanden, wir sollen so schreiben, was uns einfällt. Und es soll Old School sein? Heftige? Wann können wir unsere Texte präsentieren, Herr Melzer?” Die Stimme hörte sich ein wenig zittrig an, ein wenig flach.

„Jetzt”, sagte Friedrich Melzer und fuhr sich über sein kurzes, graues Haar, das danach, war halt so, sicher wieder senkrecht vom Kopfe abstand. Er hatte ihnen gesagt, das sollte schon sein: Akustik, Blickkontakt. Einfach auf das Umfeld achten. Konrad Miltenberger nahm Blickkontakt auf, zu ihm, zu den anderen Tippte nun kurz an die große Brille, schob sie hoch, schaute in die Runde durch das Glas: Windschutzscheibe bei Regen mit mühsam rudernden Scheibenwischern.

"Der Katzenfürst hat nichts zu tun,
maunzt gar sehr und kann nicht ruhn.
Horcht gar bang zum Gang hinaus,
endlich kommt Sie.- Ei, der Daus!
Schlank und biegsam, wunderbar,
braune Augen, schwarz das Haar."

„Ein bisschen Eugen Roth”, murmelte Friedrich Melzer. Da hatte man sechs Semester Germanistik in München studiert, Biliothek, Seminar, Seminararbeit. Dann Literaturinstitut in Leipzig. Austausch, Inspiration, Kritik. War besser, praktischer und kognitiver. Sehr gut für das hier jetzt. Aber am besten war der Großvater gewesen: Fünf Bücherschränke im Wohnzimmer, drei im Flur, Eduard Engel Deutsche Stilkunst, Thomas Mann Zauberberg, Heinrich Seidel Leberecht Hühnchen. Konnte man tagelang drin stecken. Dann hatten sie W.A. Auden entdeckt und Thomas Kling.
„Ja! Old School. Das ist Old School. Das war Old School, Herr Miltenberger.“
Pause. Dann blickte Melzer zu Thomas Anderson: "Herr Anderson?"

"Habe einen Haiku notiert:

Der Kranich schreitet
Im Sonnenschein sich plusternd,
hier auf dünnem Eis."

Konrad Miltenberger sagte nichts. Georg Mallon gegenüber fummelte einen Zettel vom Tisch hoch. Hatte vorhin neugierig Andersons Haikuschreibe seitwärts mitverfolgt. Wacher Student, kein Hans Castorp. So auf den ersten Blick ein Mix aus Waschbär, Snoopy, Schroeder und Leberecht Hühnchen.

"Es hat mich erblickt
Und macht ein saures Gesicht
Der alte Kranich."

„Kurzer Austausch untereinander“, Friedrich Melzer lehnte sich zurück, „plaudern sie los.“

„Ho, dein Haiku war gut, der schreitende Kranich.”
„Deiner auch.“
„Aha?”
„Wenn wir uns von Tieren irgendwie unterscheiden, dann durch unsere Fähigkeit, Haikus zu schreiben.”
„Hehe."
"Und darüber zu lachen.”

Mallon tippte mit dem Zeigefinger viermal gegen die Brust von Anderson.
„Du-Stelz-vo-gel!”
„In-kor-rekt. Ich gleiche dem Adler.”
„Aha. Droben kreist in höchsten Höhen der Herrscher der Vögel, des Sturmes gewaltiger Aar.”
„Drunten aber im Sande buddelt die Milbe.”

Die beiden hoben ihre Schreibstifte, kreuzten sie wie Klingen, verneigten sich voreinander. Friedrich Melzer dachte, das wird gut.
 
A

aligaga

Gast
Mein liebster @Willibald,

das schlampige Genie wurde und wird zu allen Zeiten geliebt. Es konnte und kann sich überall frei bewegen.

Der Alleskönner wurde und wird gehasst. Das feige Publikum hofft stets, es käme einer daher und schlüge ihn tot, derweil es ihm heimlich die Luft aus dem Fahrradreifen lässt.

Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sich selbst kreuzigt. Er stirbt oft sehr jung ...

Heiter

aligaga
 

Willibald

Mitglied
Na, dann muss Willibald auch noch Aphorismen drechseln, damit der aligaga ...

Jedes Kind ist ein Künstler. Doch. Ja.Das Problem ist, wie man ein Künstler bleibt, wenn man erwachsen ist. Wenn der Künstler sehr jung stirbt, ja, das ist bitter, auch wenn er als Kind und Künstler stirbt.

greetse

ww
 
A

aligaga

Gast
Das mit dem Kreuzigen sollte man als Metapher erkennen können, mein lieber Sir @Willibald.

Schon der olle Göthe hat seinen Herrn Doktor doch "zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen" sagen lassen und uns gezeigt, wo sowas hinführen kann. Besser also, man wird kein Schachgenie, sondern bleibt ein Stümper wie @ali.

Irgendwo in den "Häusern am Fluss" versucht dieser doofe Kipper doch glatt, der kleinen Sandra begreiflich zu machen, dass ihm das Verlierenkönnen ungleich wichtiger erscheint als das Sieger sein, weil's den ohne die Verlierer gar nicht geben kann. Und wo anders steht noch:
Heile Welt war vor dem Urknall.
Ihre Scherben zu kitten,
bleibt uns nur
Fantasie.​
Heiter immer weiter

aligaga
 

Willibald

Mitglied
Es schreitet der Kranich. Old School mit 17 Silben.

Seminarraum R 205, Wacherstraße. Fünf Tische, an jedem zwei Studenten, „Literarisches Schreiben“, Eingangsstunde. Vorne links der junge Mann, Konrad Miltenberger - kurzer Blick in die Anmeldungsliste - im 7. Semester Germanistik, ist fertig mit Schreiben, die anderen auch, er beginnt: „Zum Thema Tiere“ sagt er, „in vier Minuten aufs Papier hingeworfen." Und dann: "Ich habe Sie schon richtig verstanden, Herr Melzer? Wir sollten so schreiben, was uns einfällt. Und es soll Old School sein? Heftige Old School. Jetzt gleich unseren Text präsentieren, Herr Melzer?”

Hm, die Stimme hörte sich ein wenig zittrig an, ein wenig flach. "Ja, jetzt”, sagte Friedrich Melzer und fuhr sich über sein kurzes, graues Haar, das danach, (war halt so) sicher wieder senkrecht vom Kopfe abstehen würde. Er hatte ihnen gesagt, das hier sollte schon sein, beim Vorlesen: Akustik, Blickkontakt. Einfach auf das Umfeld achten. Ein aufmunterndes Lächeln für Konrad Miltenberger. Der nahm Blickkontakt auf, zu ihm, zu den anderen. Tippte nun aber kurz an die metallgefasste Brille, schob sie hoch, rückte sie zurecht, schaute in die Runde: Augen hinter einer Windschutzscheibe bei Regen in der Nacht. Konzentriertes Fahren hinter dem Scheinwerfer her.

"Der Katzenfürst hat nichts zu tun,
maunzt gar sehr und kann nicht ruhn.
Horcht gar bang zum Gang hinaus,
endlich kommt Sie.- Ei, der Daus!
Schlank und biegsam, wunderbar,
braune Augen, schwarz das Haar."

„Ein bisschen Eugen Roth”, murmelte Friedrich Melzer. Dafür auch hatte man sechs Semester Germanistik in München studiert. Bibliothek, Seminar, Seminararbeit, Seminararbeit. Noch eine. Dann Literaturinstitut in Leipzig. Austausch, Inspiration, Kritik. War besser, praktischer und kognitiver und weniger splendid isolation. Sehr gut für das hier jetzt. Aber am besten war doch der Großvater gewesen: Fünf Bücherschränke im Wohnzimmer, drei im Flur, Eduard Engel Deutsche Stilkunst, Thomas Mann Zauberberg, Heinrich Seidel Leberecht Hühnchen. Camping auf dem Sofa. Konnte man tagelang. Manchmal in der Küche ein Butterbrot holen. Kirschen aus dem Garten Dann hatten sie zusammen Neues entdeckt, Wystan Hugh Auden - Funeral Blues , Thomas Kling - 5 tage und nächte, schwimmend, in brüllender see. Glück und Freude.

„Ja, Herr Miltenberger. Old School. Das ist Old School. Das war Old School.“
Pause. Dann blickte Melzer zu Thomas Anderson: "Herr Anderson?"
"Habe einen Haiku notiert:
Der Kranich schreitet
Im Sonnenschein sich plusternd,
hier auf dünnem Eis."

Konrad Miltenberger, der Katzenfürstendichter, zeigte keine Regung, die Hand lag auf seinem Blatt von vorhin. Georg Mallon drüben fummelte einen Zettel vom Tisch hoch. Hatte vor fünf Minuten neugierig Andersons Haikuschreibe seitwärts mitverfolgt, was der an Wörtern da in drei Zeilen verteilte. Wacher Student,, kein Hans Castorp. So auf den ersten Blick eher ein Mix aus Waschbär, Snoopy, Schroeder und Leberecht Hühnchen.

"Es hat mich erblickt
Und macht ein saures Gesicht
Der alte Kranich."

Wow. Wow. Zwei schöne Kurztexte. Nehmen die Vorgabe „altes Schreiben“ auf, spielen damit. Jetzt besser nicht herumdozieren, lass die Leute selber sprechen. Also: „Zwischenstop. Kurzer Austausch untereinander“, Friedrich Melzer lehnte sich zurück, „ die anderen Texte kommen später, plaudern sie los.“ Zuhören, was sie sagen.
„Ho, dein Haiku war gut, der schreitende Kranich auf dünnem Eis.”
„Deiner auch: der alte, saure Kranich.“
„Aha?”
„Wenn wir uns von Tieren irgendwie unterscheiden, dann durch unsere Fähigkeit, Haikus zu schreiben.”
„Hehe."
"Und darüber zu lachen.”
Sieh da: Mallon tippt mit dem Zeigefinger viermal gegen die Brust von Anderson.
„Du-Stelz-vo-gel!”
„In-kor-rekt. Ich gleiche nämlich dem Adler.”
„Aha. Droben kreist in höchsten Höhen der Herrscher der Vögel, des Sturmes gewaltiger Aar.”
„Drunten aber im Sande buddelt die Milbe.”

Die beiden hoben ihre Schreibstifte, kreuzten sie über den Tisch hin wie klirrende Klingen - Gawain von Orkney, Parzival, Lancelot, Prinz Malagant, Feirefiz - die zwei verneigten sich spielerisch voreinander. Friedrich Melzer dachte, das wird gut.
 

Willibald

Mitglied
Es schreitet der Kranich. Old School mit 17 Silben.

Seminarraum R 205, Wacherstraße. Fünf Tische, an jedem zwei Studenten, „Literarisches Schreiben“, Eingangsstunde. Vorne links der junge Mann, Konrad Miltenberger - kurzer Blick in die Anmeldungsliste - im 7. Semester Germanistik, ist fertig mit Schreiben, die anderen auch, er beginnt vorsichtig: „Zum Thema Tiere, in vier Minuten aufs Papier hingeworfen." Und dann: "Ich habe Sie schon richtig verstanden, Herr Melzer? Wir sollten so schreiben, was uns einfällt. Und es soll Old School sein? Heftige Old School. Jetzt gleich unseren Text präsentieren, Herr Melzer?”

Hm, die Stimme hörte sich ein wenig zittrig an, ein wenig flach. "Ja, jetzt”, sagte Friedrich Melzer und fuhr sich über sein kurzes, graues Haar, das danach (war halt so) sicher wieder senkrecht vom Kopfe abstehen würde. Er hatte ihnen gesagt, das hier sollte schon sein, beim Vorlesen: Akustik, Blickkontakt. Einfach auf das Umfeld achten. Ein aufmunterndes Lächeln für Konrad Miltenberger. Der nahm Blickkontakt auf, zu ihm, zu den anderen. Tippte nun aber kurz an den Nasenbügel der metallgefassten Brille, schob sie dort hoch, rückte die Seitenbügel zurecht, schaute in die Runde: Augen hinter einer Windschutzscheibe bei Regen in der Nacht. Vornübergebeugt konzentriertes Fahren hinter den vorausleuchtenden Scheinwerfern her:

"Der Katzenfürst hat nichts zu tun,
maunzt gar sehr und kann nicht ruhn.
Horcht gar bang zum Gang hinaus,
endlich kommt Sie.- Ei, der Daus!
Schlank und biegsam, wunderbar,
braune Augen, schwarz das Haar."

„Ein bisschen Eugen Roth”, murmelte Friedrich Melzer. Dafür auch hatte man sechs Semester Germanistik in München studiert. Bibliothek, Seminar, Seminararbeit, Seminararbeit. Noch eine Seminararbeit. Dann Literaturinstitut in Leipzig. Austausch, Inspiration, Kritik. War besser, praktischer und kognitiver und weniger „splendid isolation“ in der Kammer. Sehr gut für das hier jetzt. Aber am besten war doch der Großvater gewesen: Fünf Bücherschränke im Wohnzimmer, drei im Flur, Eduard Engel Deutsche Stilkunst, Thomas Mann Zauberberg, Heinrich Seidel Leberecht Hühnchen. Camping auf dem Sofa. Konnte man tagelang. Manchmal in der Küche ein Butterbrot holen. Kirschen aus dem Garten. Dann hatten sie zusammen Neues entdeckt, W.A. Auden und Thomas Kling. Glück und Freude. Dann wieder der Griff zu den Alten („die Geister längst verrauchter Ahnen wachrufen“, „meine hürnene Brille, ihr Macher hat sie Drachenblut getaucht, wo ist sie denn?“ „Ach, Großvater“).

„Ja, Herr Miltenberger. Old School. Das ist Old School. Das war Old School.“
Pause. Dann blickte Melzer zu Thomas Anderson: "Herr Anderson?"

"Habe einen Haiku notiert:

Der Kranich schreitet
Im Sonnenschein sich plusternd,
hier auf dünnem Eis."

Konrad Miltenberger, der Katzenfürstendichter, zeigte keine Regung, die Hand lag auf seinem Blatt von vorhin. Georg Mallon drüben fummelte einen Zettel vom Tisch hoch. Hatte vor fünf Minuten neugierig Andersons Haikuschreibe seitwärts mitverfolgt, was der da an Wörtern in drei Zeilen verteilte. Wacher Student, dachte Melzer, kein Hans Castorp. So auf den ersten Blick eher ein Mix aus Waschbär, Snoopy, Schroeder und Leberecht Hühnchen.

"Es hat mich erblickt
Und macht ein saures Gesicht
Der alte Kranich."

Wow. Wow. Zwei schöne Kurztexte. Nehmen die Vorgabe „altes Schreiben“ auf, spielen damit. Jetzt besser nicht herumdozieren, lass die Leute sprechen. Also: „Zwischenstopp. Kurzer Austausch untereinander“, Friedrich Melzer lehnte sich zurück, „ die anderen Texte kommen später, plaudern sie los.“ Zuhören, was sie sagen.

Mallon: „Ho, dein Haiku war gut, der schreitende Kranich auf dünnem Eis.”
Anderson: „Deiner auch: der alte, saure Kranich.“
Mallon:„Aha?”
Anderson:„Wenn wir uns von Tieren irgendwie unterscheiden, dann durch unsere Fähigkeit, Haikus zu schreiben.”
Mallon (lachend): „Hoho.“
Anderson: „Und darüber zu lachen.”
Sieh da: Mallon tippt mit dem Zeigefinger viermal gegen die Brust von Anderson, betont jede einzelne Silbe, ein Massivrhythmus rabiat fern vom Akzent der Prosa: „Du-Stelz-vo-gel!”
Anderson: „In-kor-rekt. Ich gleiche nämlich dem Adler.”
Mallon (blickt zuerst Anderson an, dann zur Decke hinauf): „Aha. Droben kreist in höchsten Höhen der Herrscher der Vögel, des Sturmes gewaltiger Aar.”
Mallon (deutet auf den braunen Laminat-Boden): „Drunten aber im Sande buddelt die Milbe.”

Die beiden heben ihre Schreibstifte, kreuzen sie über den Tisch hin wie klirrende Klingen - Gawain von Orkney, Parzival, Lancelot, Prinz Malagant, Feirefiz - die zwei verneigen sich spielerisch voreinander.

Friedrich Melzer dachte, das wird gut.
 

Willibald

Mitglied
Es schreitet der Kranich. Old School mit 17 Silben.

https://up.picr.de/34917934md.jpg

Seminarraum R 205, Wacherstraße. Fünf Tische, an jedem zwei Studenten, „Literarisches Schreiben“, Eingangsstunde. Vorne links der junge Mann, Konrad Miltenberger - kurzer Blick in die Anmeldungsliste - im 7. Semester Germanistik, ist fertig mit Schreiben, die anderen auch, er beginnt vorsichtig: „Zum Thema Tiere, in vier Minuten aufs Papier hingeworfen." Und dann: "Ich habe Sie schon richtig verstanden, Herr Tanner? Wir sollten so schreiben, was uns einfällt. Und es soll Old School sein? Heftige Old School. Jetzt gleich unseren Text präsentieren, Herr Tanner?”

Hm, die Stimme hörte sich ein wenig zittrig an, ein wenig flach. "Ja, jetzt”, sagte Friedrich Tanner und fuhr sich über sein kurzes, graues Haar, das danach (war halt so) sicher wieder senkrecht vom Kopfe abstehen würde. Er hatte ihnen gesagt, das hier sollte schon sein, beim Vorlesen: Akustik, Blickkontakt. Einfach auf das Umfeld achten. Ein aufmunterndes Lächeln für Konrad Miltenberger. Der nahm Blickkontakt auf, zu ihm, zu den anderen. Tippte nun aber kurz an den Nasenbügel der metallgefassten Brille, schob sie dort hoch, rückte die Seitenbügel zurecht, schaute in die Runde: Augen hinter einer Windschutzscheibe bei Regen in der Nacht. Vornübergebeugt konzentriertes Fahren hinter den vorausleuchtenden Scheinwerfern her:

"Der Katzenfürst hat nichts zu tun,
maunzt gar sehr und kann nicht ruhn.
Horcht gar bang zum Gang hinaus,
endlich kommt Sie.- Ei, der Daus!
Schlank und biegsam, wunderbar,
braune Augen, schwarz das Haar."

„Ein bisschen Eugen Roth”, murmelte Friedrich Tanner. Dafür auch hatte man sechs Semester Germanistik in München studiert. Bibliothek, Seminar, Seminararbeit, Seminararbeit. Noch eine Seminararbeit. Dann Literaturinstitut in Leipzig. Austausch, Inspiration, Kritik. War besser, praktischer und kognitiver und weniger „splendid isolation“ in der Kammer. Sehr gut für das hier jetzt. Aber am besten war doch der Großvater gewesen: Fünf Bücherschränke im Wohnzimmer, drei im Flur, Eduard Engel Deutsche Stilkunst, Thomas Mann Zauberberg, Heinrich Seidel Leberecht Hühnchen. Camping auf dem Sofa. Konnte man tagelang. Manchmal in der Küche ein Butterbrot holen. Kirschen aus dem Garten. Dann hatten sie zusammen Neues entdeckt, W.A. Auden und Thomas Kling. Glück und Freude. Dann wieder der Griff zu den Alten („die Geister längst verrauchter Ahnen wachrufen“, „meine hürnene Brille, ihr Macher hat sie Drachenblut getaucht, wo ist sie denn?“ „Ach, Großvater“).

„Ja, Herr Miltenberger. Old School. Das ist Old School. Das war Old School.“
Pause. Dann blickte Tanner zu Thomas Anderson: "Herr Anderson?"

"Habe einen Haiku notiert:

Der Kranich schreitet
Im Sonnenschein sich plusternd,
hier auf dünnem Eis."

Konrad Miltenberger, der Katzenfürstendichter, zeigte keine Regung, die Hand lag auf seinem Blatt von vorhin. Georg Mallon drüben fummelte einen Zettel vom Tisch hoch. Hatte vor fünf Minuten neugierig Andersons Haikuschreibe seitwärts mitverfolgt, was der da an Wörtern in drei Zeilen verteilte. Wacher Student, dachte Tanner, kein Hans Castorp. So auf den ersten Blick eher ein Mix aus Waschbär, Snoopy, Schroeder und Leberecht Hühnchen.

"Es hat mich erblickt
Und macht ein saures Gesicht
Der alte Kranich."

Wow. Wow. Zwei schöne Kurztexte. Nehmen die Vorgabe „altes Schreiben“ auf, spielen damit. Jetzt besser nicht herumdozieren, lass die Leute sprechen. Also: „Zwischenstopp. Kurzer Austausch untereinander“, Friedrich Tanner lehnte sich zurück, „ die anderen Texte kommen später, plaudern sie los.“ Zuhören, was sie sagen.

Mallon: „Ho, dein Haiku war gut, der schreitende Kranich auf dünnem Eis.”
Anderson: „Deiner auch: der alte, saure Kranich.“
Mallon:„Aha?”
Anderson:„Wenn wir uns von Tieren irgendwie unterscheiden, dann durch unsere Fähigkeit, Haikus zu schreiben.”
Mallon (lachend): „Hoho.“
Anderson: „Und darüber zu lachen.”
Sieh da: Mallon tippt mit dem Zeigefinger viermal gegen die Brust von Anderson, betont jede einzelne Silbe, ein Massivrhythmus rabiat fern vom Akzent der Prosa: „Du-Stelz-vo-gel!”
Anderson: „In-kor-rekt. Ich gleiche nämlich dem Adler.”
Mallon (blickt zuerst Anderson an, dann zur Decke hinauf): „Aha. Droben kreist in höchsten Höhen der Herrscher der Vögel, des Sturmes gewaltiger Aar.”
Mallon (deutet auf den braunen Laminat-Boden): „Drunten aber im Sande buddelt die Milbe.”

Die beiden heben ihre Schreibstifte, kreuzen sie über den Tisch hin wie klirrende Klingen - Gawain von Orkney, Parzival, Lancelot, Prinz Malagant, Feirefiz - die zwei jungen Recken verneigen sich spielerisch voreinander.
Tanner dachte, das wird gut.
 

Willibald

Mitglied
Es schreitet der Kranich. Old School mit 17 Silben.

https://up.picr.de/34917934md.jpg

Seminarraum R 205, Wacherstraße. Fünf Tische, an jedem zwei Studenten, „Literarisches Schreiben“, Eingangsstunde. Vorne links der junge Mann, Konrad Miltenberger - kurzer Blick in die Anmeldungsliste - im 7. Semester Germanistik, ist fertig mit Schreiben, die anderen auch, er beginnt vorsichtig: „Zum Thema Tiere, in vier Minuten aufs Papier hingeworfen." Und dann: "Ich habe Sie schon richtig verstanden, Herr Tanner? Wir sollten so schreiben, was uns einfällt. Und es soll Old School sein? Heftige Old School. Jetzt gleich unseren Text präsentieren, Herr Tanner?”

Hm, die Stimme hörte sich ein wenig zittrig an, ein wenig flach. "Ja, jetzt”, sagte Friedrich Tanner und fuhr sich über sein kurzes, graues Haar, das danach (war halt so) sicher wieder senkrecht vom Kopfe abstehen würde. Er hatte ihnen gesagt, das hier sollte schon sein, beim Vorlesen: Akustik, Blickkontakt. Einfach auf das Umfeld achten. Ein aufmunterndes Lächeln für Konrad Miltenberger. Der nahm Blickkontakt auf, zu ihm, zu den anderen. Tippte nun aber kurz an den Nasenbügel der metallgefassten Brille, schob sie dort hoch, rückte die Seitenbügel zurecht, schaute in die Runde: Augen hinter einer Windschutzscheibe bei Regen in der Nacht. Vornübergebeugt konzentriertes Fahren hinter den vorausleuchtenden Scheinwerfern her:

"Der Katzenfürst hat nichts zu tun,
maunzt gar sehr und kann nicht ruhn.
Horcht gar bang zum Gang hinaus,
endlich kommt Sie.- Ei, der Daus!
Schlank und biegsam, wunderbar,
braune Augen, schwarz das Haar."

„Ein bisschen Eugen Roth”, murmelte Friedrich Tanner. Dafür auch hatte man sechs Semester Germanistik in München studiert. Bibliothek, Seminar, Seminararbeit, Seminararbeit. Noch eine Seminararbeit. Dann Literaturinstitut in Leipzig. Austausch, Inspiration, Kritik. War besser, praktischer und kognitiver und weniger „splendid isolation“ in der Kammer. Sehr gut für das hier jetzt. Aber am besten war doch der Großvater gewesen: Fünf Bücherschränke im Wohnzimmer, drei im Flur, Eduard Engel Deutsche Stilkunst, Thomas Mann Zauberberg, Heinrich Seidel Leberecht Hühnchen. Camping auf dem Sofa. Konnte man tagelang. Manchmal in der Küche ein Butterbrot holen. Kirschen aus dem Garten. Dann hatten sie zusammen Neues entdeckt, W.A. Auden und Thomas Kling. Glück und Freude. Dann wieder der Griff zu den Alten („die Geister längst verrauchter Ahnen wachrufen“, „meine hürnene Brille, ihr Macher hat sie Drachenblut getaucht und so das Modell Siegfried kreiert, wo ist sie denn?“ „Ach, Großvater“).

„Ja, Herr Miltenberger. Old School. Das ist Old School. Das war Old School.“
Pause. Dann blickte Tanner zu Thomas Anderson: "Herr Anderson?"

"Habe einen Haiku notiert:

Der Kranich schreitet
Im Sonnenschein sich plusternd,
hier auf dünnem Eis."

Konrad Miltenberger, der Katzenfürstendichter, zeigte keine Regung, die Hand lag auf seinem Blatt von vorhin. Georg Mallon drüben fummelte einen Zettel vom Tisch hoch. Hatte vor fünf Minuten neugierig Andersons Haikuschreibe seitwärts mitverfolgt, was der da an Wörtern in drei Zeilen verteilte. Wacher Student, dachte Tanner, kein Hans Castorp. So auf den ersten Blick eher ein Mix aus Waschbär, Snoopy, Schroeder und Leberecht Hühnchen.

"Es hat mich erblickt
Und macht ein saures Gesicht
Der alte Kranich."

Wow. Wow. Zwei schöne Kurztexte. Nehmen die Vorgabe „altes Schreiben“ auf, spielen damit. Jetzt besser nicht herumdozieren, lass die Leute sprechen. Also: „Zwischenstopp. Kurzer Austausch untereinander“, Friedrich Tanner lehnte sich zurück, „ die anderen Texte kommen später, plaudern sie los.“ Zuhören, was sie sagen.

Mallon: „Ho, dein Haiku war gut, der schreitende Kranich auf dünnem Eis.”
Anderson: „Deiner auch: der alte, saure Kranich.“
Mallon:„Aha?”
Anderson:„Wenn wir uns von Tieren irgendwie unterscheiden, dann durch unsere Fähigkeit, Haikus zu schreiben.”
Mallon (lachend): „Hoho.“
Anderson: „Und darüber zu lachen.”
Sieh da: Mallon tippt mit dem Zeigefinger viermal gegen die Brust von Anderson, betont jede einzelne Silbe, ein Massivrhythmus rabiat fern vom Akzent der Prosa: „Du-Stelz-vo-gel!”
Anderson: „In-kor-rekt. Ich gleiche nämlich dem Adler.”
Mallon (blickt zuerst Anderson an, dann zur Decke hinauf): „Aha. Droben kreist in höchsten Höhen der Herrscher der Vögel, des Sturmes gewaltiger Aar.”
Mallon (deutet auf den braunen Laminat-Boden): „Drunten aber im Sande buddelt die Milbe.”

Die beiden heben ihre Schreibstifte, kreuzen sie über den Tisch hin wie klirrende Klingen - Gawain von Orkney, Parzival, Lancelot, Prinz Malagant, Feirefiz - die zwei jungen Recken verneigen sich spielerisch voreinander.
Tanner dachte, das wird gut.
 

Willibald

Mitglied
Betreff: Metaphern, BigBang, Vereinfachendes Denken, Selektive Wahrnehmung, Schwerkraft, Vögeljagd

Nun, aligaga, Chief Abgrundtief. Abgrundtief ist dein Wissen um die Metapher gewiss. Und eine hohe Leistung des Geistes ist es, Metaphern zu kreieren und zu verstehen. Mehr noch:Das bei weitem Größte ist, ein Meister der Metapher zu sein; es ist das Einzige, was man von anderen nicht lernen kann; und es ist auch ein Zeichen des Genies, denn eine gute Metapher impliziert eine intuitive Wahrnehmung der Ähnlichkeit im Unähnlichen. Allerdings, das muß man aligaga ankritteln, im metaphorischen Bereich des Kreuzigens wird schon auch metaphorisch gestorben, meistens.

Was deine Ekloge auf den Big Bang und das Movens Momentum angeht, bitte ich nicht, wie es ali oft macht, ein Element zu fokussieren und die andern ohne Restglanz zu eskamottieren und mit Fußkick zur Hölle zu schicken. So ist es zum Beispiel fein für die Jäger, dass wir die Schwerkraft haben.Sonst würden die Vögel, wenn sie sterben, einfach da oben bleiben. Jäger wären völlig verwirrt. Und das gilt noch für viele andere Phänomene jener Zeit nach dem BigBang. Nicht zuletzt auch für das Modell der Entwicklung, was unser Goethe in der "Metamorphose der Pflanzen" so schön und treffend und einleuchtend geschildert hat.

greetse

ww
 
A

aligaga

Gast
Mehr noch [smilie]as bei weitem Größte ist, ein Meister der Metapher zu sein; es ist das Einzige, was man von anderen nicht lernen kann.
Auch das, hochgeschätzer Willibald, hält @ali für Irrgeglaubtes*. Wenn man wöllte, löße (K III) sich gar manches lernen, angebor'nes absolutes Sprachgefühl hin oder her.

Im übrigen glaubt @ali nicht, dass Beckmessernde*, die Tüpflischeißenden* und die Wortklaubenden*, schon gar nicht die im Guhgeln Hüpfenden* je der Kunscht etwas Vorschiebendes* geleistet hätten - es sei denn, sie standen ihr im Wege. Solcherlei Hindernussen wussten sich die von den Musen Geküssten stets auf atemberaubenden Umwegen zu entziehen. Sonst gäb's Kunscht ja gar nicht!

Doch Vorsicht: Nicht alles, was gescheit daherredet, ist gleich was Aphorismendes* - das meiste ist und bleibt Blödsinniges*. Und das mit den Metaphern, das funzt von allein gar nicht. Für die braucht's weniger die spitze Feder als vielmehr das wache Aug' und ein Hirn, das mehr ist als nur eine flache Scheibe. Wer metaphert, sieht und denkt sphärisch! Kosmisch! Und schon wird aus ein paar gammligen Tönchen* eine schöne oder schreckliche Melodie, die auch jene verstehn können, die nicht Musik studiert haben.

Nur ganz taubblind dürfen sie halt nicht sein.

Quietschvergnügt

aligaga

*Neues, Hannoversches Gendersprech
 

Willibald

Mitglied
Es schreitet der Kranich. Old School mit 17 Silben.

https://up.picr.de/34917934md.jpg

Seminarraum R 205, Wacherstraße. Fünf Tische, an jedem zwei Studenten: „Literarisches Schreiben“, Eingangsstunde. Vorne links der junge Mann, heißt Konrad Miltenberger - kurzer Blick in die Anmeldungsliste - im 7. Semester Germanistik, ist fertig mit Schreiben, die anderen auch, er beginnt vorsichtig: „Zum Thema Tiere, in vier Minuten aufs Papier hingeworfen, hab ich jetzt was." Und dann: "Ich habe Sie schon richtig verstanden, Herr Tanner, wir sollten so schreiben, was uns einfällt. Und es soll ein wenig gewählt und literarisch sein, Old School? Heftige Old School.? Jetzt gleich unseren Text präsentieren, Herr Tanner?”

Hm, die Stimme hörte sich für Tanner ein wenig zittrig an, ein wenig flach. "Ja, jetzt”, sagte Tanner und fuhr sich über sein kurzes, graues Haar, das danach (war halt so) sicher wieder senkrecht vom Kopfe abstehen würde. Er hatte ihnen gesagt, das hier sollte schon beachtet werden beim Vorlesen: Akustik, Blickkontakt. Einfach auf das Umfeld achten. Jetzt ein aufmunterndes Lächeln für Konrad Miltenberger. Der nahm Blickkontakt auf. Zu Tanner, zu den anderen. Tippte nun aber kurz an den Nasenbügel der metallgefassten Brille, schob sie dort hoch, rückte die Seitenbügel zurecht, schaute in die Runde: Augen hinter einer Windschutzscheibe bei Regen in der Nacht. Vornübergebeugt - konzentriertes Fahren hinter den vorausleuchtenden Scheinwerfern her - begann er:

"Der Katzenfürst hat nichts zu tun,
maunzt gar sehr und kann nicht ruhn.
Horcht gar bang zum Gang hinaus,
endlich kommt Sie.- Ei, der Daus!
Schlank und biegsam, wunderbar,
braune Augen, schwarz das Haar."

„Ein bisschen Eugen Roth”, murmelte Friedrich Tanner. Dafür auch hatte man sechs Semester Germanistik in München studiert. Bibliothek, Seminar, Seminararbeit, Seminararbeit. Noch eine Seminararbeit. Dann Literaturinstitut in Leipzig. Austausch, Inspiration, Kritik. War besser, praktischer und kognitiver und weniger „splendid isolation in der Kammer". Sehr gut für das hier jetzt. Aber am besten war doch die Sache mit demr Großvater gewesen: Fünf Bücherschränke im Wohnzimmer, drei im Flur, Eduard Engel Deutsche Stilkunst, Thomas Mann Zauberberg, Heinrich Seidel Leberecht Hühnchen. Camping auf dem Sofa. Konnte man tagelang durchhalten. Manchmal in der Küche ein Butterbrot holen. Kirschen aus dem Garten. Dann hatten sie zusammen Neues entdeckt, W.A. Auden und Thomas Kling. Glück und Freude. Dann wieder der Griff zu den Alten („die Geister längst verrauchter Ahnen wachrufen“, „meine hürnene Brille, ihr Macher hat sie in Drachenblut getaucht und so das Modell Siegfried kreiert, wo ist sie denn?“ „Ach, Großvater“). Tanner hatte kurz geschwiegen und nickte jetzt:

„Ja, Herr Miltenberger. Old School. Das ist Old School. Das war Old School.“
Pause. Dann blickte Tanner zu Thomas Anderson: "Herr Anderson?"

"Habe einen Haiku notiert. " Und dann langsam, die Silben polierend,, nach jeder Zeile innehaltend, kam ein Haiku:

"Der Kranich schreitet
Im Sonnenschein sich plusternd,
hier auf dünnem Eis."

Konrad Miltenberger, der Katzenfürstendichter, zeigte keine Regung, die Hand lag auf seinem Blatt von vorhin, die anderen hatten gespannt zugehört, jetzt schauten sie auf ihre Texte. Georg Mallon drüben fummelte einen Zettel vom Tisch hoch. Hatte vor fünf Minuten neugierig Andersons Haikuschreibe seitwärts mitverfolgt, was der da an Wörtern in drei Zeilen verteilte. Wacher Student, dachte Tanner, kein Hans Castorp. So auf den ersten Blick eher ein Mix aus Waschbär, Snoopy, Schroeder und Leberecht Hühnchen. "Bitte, Sie sind dran."

"Es hat mich erblickt
Und macht ein saures Gesicht
Der alte Kranich."

Wow. Wow. Zwei schöne Kurztexte. Nehmen die Vorgabe „altes Schreiben“ auf, spielen damit, haben wahrscheinlich ein Gefühl für die gewisse Komik des gravitätischen Schreitens. Jetzt besser nicht herumdozieren, lass die Leute sprechen. Also, Ansage an alle: „Zwischenstopp. Kurzer Austausch untereinander“, Friedrich Tanner lehnte sich zurück, „ die anderen Texte kommen später, plaudern sie los.“ Zuhören, was sie sagen.

Mallon: „Ho, dein Haiku war gut, der schreitende Kranich auf dünnem Eis.”
Anderson: „Deiner auch: der alte, saure Kranich.“
Mallon:„Aha?”
Anderson:„Wenn wir uns von Tieren irgendwie unterscheiden, dann durch unsere Fähigkeit, Haikus zu schreiben.”
Mallon (lachend): „Hoho.“
Anderson: „Und darüber zu lachen.”
Sieh da: Mallon tippt mit dem Zeigefinger viermal gegen die Brust von Anderson, betont jede einzelne Silbe, ein Massivrhythmus rabiat fern von lockerer Prosa: „Du-Stelz-vo-gel!”
Anderson: „In-kor-rekt. Ich gleiche nämlich dem Adler.”
Mallon (blickt zuerst Anderson an, dann zur Decke hinauf): „Aha. Droben kreist in höchsten Höhen der Herrscher der Vögel, des Sturmes gewaltiger Aar.”
Mallon (deutet auf den braunen Laminat-Boden): „Drunten aber im Sande buddelt die Milbe.”

Die beiden heben ihre Schreibstifte, kreuzen sie über den Tisch hin wie klirrende Klingen - Gawain von Orkney, Parzival, Lancelot, Prinz Malagant, Feirefiz - die zwei jungen Recken verneigen sich spielerisch voreinander.
Tanner dachte, das wird gut.
 

Willibald

Mitglied
Na, dann also trotzdem gegoogelt, der aligaga braucht´s ja nicht zu lesen, und Meister Goethe, lasst ihn sprechen:

Wende nun, o Geliebte, den Blick zum bunten Gewimmel,
Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt.
Jede Pflanze verkündet dir nun die ewgen Gesetze,
Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir.
Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern,
Überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug.
Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig,
Bildsam ändre der Mensch selbst die bestimmte Gestalt.

Ach, hat man jemals ein schöneres Spiel mit Begriff und Lexem "Bildung" gesehen?

grreetse
ww

And now - it seems - great novels (e.g. Kipper and friends) are always a little more intelligent than their authors. So look in thy heart and write.
 
A

aligaga

Gast
Mein liebster @Willibald,

@ali glaubt fest daran, dass richtig und falsch, guht und böhse, Glück und Unglück nichts wären als eine Frage des Standgepunktes*, also der Ansicht. Wo Bildung aufhört und die Missbildung beginnt, entscheiden in aller Regel die Hoheiten.

Da kann sie* mit ihrem* Latein dann oft sehr schnell am Ende sein und muss sich (gänzlich ungeguhgelt) als Marquesse* von Posa vor ihro* Hoheit in den Staub werfen und um Gedankenfreiheit betteln - vergeblich, wie die vom Geschiller* heut' immer noch gequälten SchölerInnen* pflichtgemäß ablesen müssen.

Auch das ist in den "Häusern am Fluss" schon drin. Und dazu die freundliche Hinweisung*, sie* sollt' bis ganz zum Ende* das thun, was ihr* gerade noch möglich ist.

Danach könnz sein, dass wir* sogar in einem schaurigen Biotop wie der Literaturwelt überleben.

Heit'ren Sinns

aligaga

*Hannoversches Amtsdoitsch
 

Willibald

Mitglied
O yes

It’s wonderful to be famous as aligaga as long as you remain unknown.

Ceterum censeo:

Karpfen können als Wasserschafe bezeichnet werden: pflanzenfressend, gesellig, mit einem zufriedenen Geist.
Ist das jetzt ne Metapher? Wurscht.

Was sagt Kipper?

Ich schau mir nachher das Spiel gegen Norwegen an.

greetse
ww
 
A

aligaga

Gast
@Ali hat sich das Spiel Doitschlands gegen die Norwegenden* nicht angeguckt; er mag das Gebrüll der Hallen nicht.

Dass Karpfen keine Pflanzenfressenden* sind, wissen die Wenigsten. Karpfen sind keine Wasserschafe, sondern Allesfressende*, die in erster Linie sich Würmendes*, Larven, Wasserkäfernde*, Schnecken und Müschelchen fressen, deren Schalen sie mit ihren Schlundzähnen zerknacken. Damit sie in ihren Zuchtbassins* genug davon finden, kalkt man diese und düngt sie mit Pferdemistigem* und Hühnerkacke.

Das meiste Wissen über das Wesen dieser Art verdanken wir einem Josef Šusta (1835 bis 1904), einem wack'ren Landmann aus dem Böhmischen. Dem böhsen @ali ist so, als hätte sein geliebter @Willibald einst ein G'schichterl geschrieben, in dem diese Person mitsamt diesen Fleischfressenden* vorkam.

Er glaubt, es war ein polnisches Märchen.

In den "Häusern am Fluss II" könnte man im Abteil "Das Seezeichen 2" Bekanntschaft mit einem Karpfenwesen* machen und lernen, dass es kein Schaf ist, sondern für etwas steht wie ein Schwein.

Sehr heiter

aligaga

*Hannoversches Amtssprech
 



 
Oben Unten