Arno Abendschön
Mitglied
(1) 17. Januar 1986
Letzten Samstag war ich wieder einmal im Kino. Im Metropolis konnte ich einen englischen Opern- und Ballettfilm sehen, Hoffmanns Erzählungen, 1951 gedreht. Ich war vor allem von der Fremdheit beeindruckt, die diese Art künstlerischer Darstellung inzwischen durch den Ablauf der Zeit für uns erreicht hat. Der Stoff ist ja reines 19. Jahrhundert, aber auch die ganze Darstellungsart kam mir urgroßväterlich vor. Irritierend dann wieder die Farbe und das Produktionsjahr: 1951. Man sagt sich: Damals warst du ja schon auf der Welt, und dann macht man sich klar, dass man nicht mehr ganz jung ist und die eigene Geschichte schon ziemlich weit und tief zurückreicht. Es war übrigens mein erster Kontakt mit Offenbachs Oper. Die Geschichte um die Puppe Olympia hat mich am meisten beeindruckt. Wie hier im Film die Fiktion vervielfältigt wird, das ist wirklich staunenswert. Das Medium des Films ist ja selbst eine, indem bewegliche Bilder vorgetäuscht werden. Aber es ist diesmal auch kein Film im gewöhnlichen Sinn, sondern zugleich Oper und Ballett, vom französischen Original ins Englische übersetzt und dann ins Deutsche synchronisiert. Richtig verzwickt aber die Handlung und ihre verschiedenen Wirklichkeitsebenen: Hoffmann sieht während des Betrugs an ihm einen leibhaftigen Menschen, wo es sich nur um eine Puppe handelt. Die Puppe ist aber in Wirklichkeit (der Wirklichkeit der Filmproduktion) eben doch keine Puppe, sondern eine Schauspielerin und Tänzerin, die eine Puppe spielt. Sie spielt sie aber mit so viel Distanz, dass im Bewusstsein des Zuschauers schließlich etwas Mittleres zwischen Puppe und Mensch entsteht. Hat man sich an dieses Zwitterwesen eben gewöhnt, wird statt der Schauspielerin eine wirkliche Puppe in ihre Bestandteile zerrissen. Jetzt ist der höchste Grad von Fiktionalität erreicht: Der Schauspieler, der Hoffmann nicht ist, sondern nur spielt, steht vor den Bestandteilen der zerrissenen Puppe und gibt vor, dies seien die Überreste jenes Wesens, das ihn vorher entzückte oder entzückt haben soll, nämlich einer wirklichen Frau, von der er uns jetzt glauben machen will, es habe sich nur um eine Puppe gehandelt. Die Art, wie die Olympia-Episode hier verfilmt worden ist, kann einen ins Grübeln darüber bringen, wie viel Einverständnis der Zuschauer mitbringen muss, um sich täuschen zu lassen. Um die Illusion in seinem Kopf entstehen zu lassen, muss er in rasch wechselnden Situationen einen wechselnden Anteil seines Bewusstseins ausblenden. Diese Operation dürfte ein gewisses Training erfordern, um reibungslos zu funktionieren, nicht anders als Lesen etwa. Wo und wie wird er aber nun trainiert? Nur durch Kunstgenüsse oder nicht in viel stärkerem Maß durch das Leben selbst? Klappt der Mechanismus nicht vielleicht eben deshalb so gut, weil unser soziales Rollenverhalten ähnlich funktioniert? Erscheinen wir nicht häufig mit Anzeichen von Gesinnungen, die wir aufgrund unseres gesamten Wissens gar nicht haben können? Und stehen wir nicht wie der Hoffmann-Darsteller manchmal vor Trümmern oder Überresten von Dingen, Beziehungen oder Personen mit den Anzeichen von Gefühlen, die wir eigentlich gar nicht haben können?
Letzten Samstag war ich wieder einmal im Kino. Im Metropolis konnte ich einen englischen Opern- und Ballettfilm sehen, Hoffmanns Erzählungen, 1951 gedreht. Ich war vor allem von der Fremdheit beeindruckt, die diese Art künstlerischer Darstellung inzwischen durch den Ablauf der Zeit für uns erreicht hat. Der Stoff ist ja reines 19. Jahrhundert, aber auch die ganze Darstellungsart kam mir urgroßväterlich vor. Irritierend dann wieder die Farbe und das Produktionsjahr: 1951. Man sagt sich: Damals warst du ja schon auf der Welt, und dann macht man sich klar, dass man nicht mehr ganz jung ist und die eigene Geschichte schon ziemlich weit und tief zurückreicht. Es war übrigens mein erster Kontakt mit Offenbachs Oper. Die Geschichte um die Puppe Olympia hat mich am meisten beeindruckt. Wie hier im Film die Fiktion vervielfältigt wird, das ist wirklich staunenswert. Das Medium des Films ist ja selbst eine, indem bewegliche Bilder vorgetäuscht werden. Aber es ist diesmal auch kein Film im gewöhnlichen Sinn, sondern zugleich Oper und Ballett, vom französischen Original ins Englische übersetzt und dann ins Deutsche synchronisiert. Richtig verzwickt aber die Handlung und ihre verschiedenen Wirklichkeitsebenen: Hoffmann sieht während des Betrugs an ihm einen leibhaftigen Menschen, wo es sich nur um eine Puppe handelt. Die Puppe ist aber in Wirklichkeit (der Wirklichkeit der Filmproduktion) eben doch keine Puppe, sondern eine Schauspielerin und Tänzerin, die eine Puppe spielt. Sie spielt sie aber mit so viel Distanz, dass im Bewusstsein des Zuschauers schließlich etwas Mittleres zwischen Puppe und Mensch entsteht. Hat man sich an dieses Zwitterwesen eben gewöhnt, wird statt der Schauspielerin eine wirkliche Puppe in ihre Bestandteile zerrissen. Jetzt ist der höchste Grad von Fiktionalität erreicht: Der Schauspieler, der Hoffmann nicht ist, sondern nur spielt, steht vor den Bestandteilen der zerrissenen Puppe und gibt vor, dies seien die Überreste jenes Wesens, das ihn vorher entzückte oder entzückt haben soll, nämlich einer wirklichen Frau, von der er uns jetzt glauben machen will, es habe sich nur um eine Puppe gehandelt. Die Art, wie die Olympia-Episode hier verfilmt worden ist, kann einen ins Grübeln darüber bringen, wie viel Einverständnis der Zuschauer mitbringen muss, um sich täuschen zu lassen. Um die Illusion in seinem Kopf entstehen zu lassen, muss er in rasch wechselnden Situationen einen wechselnden Anteil seines Bewusstseins ausblenden. Diese Operation dürfte ein gewisses Training erfordern, um reibungslos zu funktionieren, nicht anders als Lesen etwa. Wo und wie wird er aber nun trainiert? Nur durch Kunstgenüsse oder nicht in viel stärkerem Maß durch das Leben selbst? Klappt der Mechanismus nicht vielleicht eben deshalb so gut, weil unser soziales Rollenverhalten ähnlich funktioniert? Erscheinen wir nicht häufig mit Anzeichen von Gesinnungen, die wir aufgrund unseres gesamten Wissens gar nicht haben können? Und stehen wir nicht wie der Hoffmann-Darsteller manchmal vor Trümmern oder Überresten von Dingen, Beziehungen oder Personen mit den Anzeichen von Gefühlen, die wir eigentlich gar nicht haben können?