Ja, das ist schon was mit unserer Wahrnehmung. Aber ist es nicht spannend, wie man seinem Selbst über die Schulter blicken kann und mit späteren Erfahrung - und anhaltender Reflexion - nicht nur ein 'runderes' Bild der Welt, sondern auch von sich selbst bekommt?
Ich schreibe seit meinem 18. Lebensjahr Tagebuch, nicht als Chronik, sondern eher 'zum Verarbeiten'. Am meisten schrieb ich, als mich die Liebeswirren beutelten. Nicht zufällig begann ich mit 18, das war, als ich meinen ersten Freund hatte. Nach vielen Jahren, vielleicht mit dreißig?, las ich im ersten Tagebuch, um mal zu sehen, wer ich gewesen war. Ich war nicht wenig überrascht, als ich las, wie ich die damalige Trennung nach dreieinhalb Jahren kommentierte. Da war ich doch eher Opfer der Umstände, Geschehnisse von außen, alles mögliche führte dazu, nur nicht mein Handeln. Dabei weiß und wußte ich, dass ich die Umstände benutzt hatte, um diesen notwendigen Schritt zu gehen. Ich kam mir ganz schön durchtrieben vor - unehrlich. Das war ein heilsamer Schock. Zum einen die Einsicht, dass ich dazu fähig war, solche Verdrehungen vorzunehmen: Gesundes Misstrauen gegen sich selbst ist durchaus angebracht! Zum anderen der Vorsatz, nichts zu schreiben, was ich nicht auch weiß und meine. Wenn man bei diesen intimen Aufzeichnungen nicht ehrlich sein kann, wann dann?
Im Nachhinein sehe ich diese Erfahrung weniger kritisch, weil sie mir die Erkenntnis bescherte, dass man auch seine eigenen Motive hinterfragen muss, das war fürs Leben! Ich sehe auch die 18jährige weniger streng, vielleicht war es Selbstschutz, der Versuch, vor dem noch zuckenden Herzen die Realität hervorzuheben. Außerdem verstehe ich dadurch besser, dass wir immer unterwegs sind und lernen müssen, das Richtige zu tun (und zu sagen) und wir lernen es, wenn wir die Erkenntnis zulassen, dass wir Fehler gemacht haben. Wie fatal ist doch die vorherrschende Haltung, man müsse immer schon der Tollste sein, kommt quasi so auf die Welt ... aber ich schweife ab.
Einen schönen Sonntag Dir!
Liebe Grüße
Petra