28. April, Almadén de la Plata – El Real de la Jara, 15 km.
Die Sonntagsglocken läuten, Almadén schläft tief und seine Gassen sind ohne Leben. Klar, der Andalusier ist lebenslustig und gesellig, man hatte bis in die frühen Morgenstunden, getanzt und gelacht. Noch ist es kühl zwischen den Mauern, die klare Nacht hat frische und sauerstoffreiche Luft hinunter in die Ebene transportiert.
Gegen 9:00 Uhr, nach einem reichhaltigen Frühstück in Gesellschaft mit den australischen Bierbrauern, bin ich wieder allein mit meinen Gedanken und in Gottes Natur auf der Bahn. Heute werde ich viele Gatter öffnen und schließen müssen. Wechselnd, zwischen Herden von Schafen, Ziegen, Kühen und Schweinen, wandere ich auf und ab durch die hügelige Natur Andalusiens. Die Strecke ist nicht lang, mehr Spaziergang, als Wanderung. Es bleibt viel Zeit für ausgedehntes Rasten.
Der Camino krabbelt abwärts durch Fels und Gestrüpp in ein schmales Tal und mündet in einen Schotterweg. Am Rand entdecke ich von oben her eine hundertköpfige Schafherde. Kein Hirte ist weit und breit auf der Flur. Ein Hund, aber kein kleiner, überwacht die Herde. Der Herr, treibt seine Schäfchen den Wegrand entlang und organisiert die Schar. Ich zögere, Auge in Auge steht mir der Wächter gegenüber, ausweichen ist unmöglich. Hhmm! Beide Stöcke fest in den Händen, gehe ich weiter und rede, mehr den Angsthasen in mir beruhigend, als den Hüter besänftigend. Er jedoch würdigt den Zaudernden mitleidig. Der Hirte hat Wichtigeres zu tun, als einem hasenherzigen Pilger Beine zu machen. Der gewinnt hurtigen Schrittes, aber holla, sicheres Land; der Mutige, ein Don Quichote unter Palmen!
Die Begegnungen mit den lebenden Schinken sind weniger todesmutig. Die fetten, alten Säue halten, dösig in schattiger Suhle hingestreckt, ihre Siesta und das schwarze Jungvolk am Wegrand interessiert sich nur für Eicheln und andere Leckereien unter der Narbe. Es muss wachsen und gedeihen und nebenbei saftigen Schinken produzieren.
Es ist 15:00 Uhr und wieder einmal ist Siesta, auch in El Real de la Jara. An der Eingangstür des „Hostal Encina“, Pension Eiche, klebt ein Zettel, die Telefonnummer, darunter in Rot: „cinco minutos“, der Rest der Nachricht: geschenkt! Fünfzehn Minuten später steht Paco, stämmiger Glatzkopf, mit seinem klapprigen Pickup vor dem Haus und gibt mir die Schlüssel für ein Zimmer auf der Etage. Das Hostal bietet, neben dem Getränkeautomaten, keine aufregende Unterhaltung und draußen vor der Tür schmückt die sonntagsverwaiste Industrie ein abweisendes Gelände. An diesem Tag, denke ich, ist hier am Ende der Welt von El Jara, die ganz Tote Hose. Pacos hält mir das Mobiltelefon unter die Nase, hmm: Raucher! Der Google Übersetzer krächzt ein holprig deutsches Kauderwelsch in das Aroma, Marke Fortuna: „du gehen, Bar“ und „Beerdigung“, ja Himmel, wie passt das alles zusammen?! Bar ok, prima, aber was soll ich auf der Beerdigung eines Fremden, Gott habe ihn selig, in El Real de la Jara? Die Beifahrertür ist nur von innen zu öffnen. Ich pflanze mich, die Beine verknotend neben ihn und den Baumarkt Krempel zu meinen Füßen. Paco zündet den aufblubbernden Pickup, krachend spreizt sich der erste Gang. Aus dem Lautsprecher schmettert es: „Vayamos Compañeros“, derart beflügelt, holpern wir über Schlaglöcher aus der Industriebrache ins reich besonnte Dorf. In der „Bar Jara“ herrscht typisch spanischer Sonntagstrubel, Paco: „¡Hasta la proxima!“, bis später!
Auf dem Trottoir finde ich einen freien Plastikstuhl im dürren, abnehmenden Schatten in enger Nachbarschaft zum lauten Jungvolk in herber Körperlichkeit, eine Mischung Gloria Vanderbild und Achselschweiß. Der Wirt, mir in mitleidiger Freundschaft zugetan, bringt ein Schälchen mit fetten Häppchen in öliger Tunke und ein Mahou: „¡buen provecho!“ Die Dorfstraße vor dem Trottoir wächst zur Kirche hin und mündet vor dem Portal. Über dem Turmgesims, auf ihren Nestern üben ein paar Jungstörche Trampolinsprünge. Vor dem Eingang versammelt sich ein Trauerzug. Aaaah! Die Beerdigung!
¡QUE DIA! Was für ein Tag! Oben Klapperstorch und unten schwarzer Rabe.
Stunden später und ein weiters Bier, oder war es schon das Dritte (?) seliger, hocke ich zwischen Paco und dem Baumarkt Gerödel auf dem Bock und klappere zurück in die Industrie. Ein Paar Socken auswaschen, ein paar Nüsse knabbern, in so vollkommener Harmonie mit mir und dem abgerundeten Tag, kann ein Sonntag auf dem Camino ausklingen. Olé!
Draußen, hinter den verdrossenen Spinnfäden im Fenster, versinkt dottergelb die andalusische Sonne im westlichen Wiesengrund.
Ich schließe die Läden.