Sage und schreibe

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Danke für eure Reaktionen, Petra und John.
Erinnert ein bisschen an diese Doku-Reihe Lost Places ...
Nur dass man hier kaum nahe herankommt. Inzwischen weiß ich, dass alle drei Brücken über den Kanal gesperrt und verrammelt sind. Im Netz vermuten manche, mit der Baufälligkeit sei es nicht so weit her und die Sperrung diene eher dem Schutz des leerstehenden Gebäudes. Einige scheinen sich trotzdem hinübergehangelt und den jetzigen Zustand der Außenanlagen fotografisch dokumentiert zu haben.

Nur als Nachtrag: Der Park ist grundbuchlich vom Schloss getrennt, er gehört der Stadt Wittenberg.

Wie ich gelesen habe, hat die Verwahrlosung von Kroppstädt seine sehr eigene Geschichte, weil der heutige Eigner bis dato nichts gegen den Verfall unternommen hat.
Ja, und bei meinen Recherchen hier fand ich schließlich den Eigentümer noch interessanter als das Schloss. Allerdings kann ich die Substanz dieser Quellen (eigene Angaben, Zeitungsartikel, überwiegend englisch- oder spanischsprachig) gar nicht beurteilen. Es geht da um die halbe Welt mit Details aus Mexiko, Kanada, der Schweiz, Israel und Sierra Leone. Gerade die kanadischen Verwicklungen lesen sich wirklich haarsträubend. Mag sein, dass man in Kropstädt und in Wittenberg diese Geschichten auch gelesen hat und nicht sehr beruhigend findet. Es geht die Sage (?), so las ich, vor dem letzten Verkauf sei in Kropstädt plötzlich einer mit einem Koffer und einer unwiderstehlich großen Geldmenge drin aufgetaucht ...

Schönen Sonntag
Arno
 

John Wein

Mitglied
Allweil,
das scheint mir Stoff für eine neue Geschichte zu sein! “Kropstädt auf Kropstädt im Havelland”. Klingt irgendwie misteriös und mystisch. Du solltest dranbleiben!
LG
 
LVI. Enkeltrick versucht - Ein Beispiel

Ich sitze vormittags am Schreibtisch, das Telefon klingelt, ich melde mich mit meinem Namen. Am anderen Ende eine männliche Stimme, die seltsam verfremdet klingt, dabei eher jung als alt: Er habe einen Unfall gehabt, stößt er hervor, sehr kummervoll klingt es, verwirrt, wie in großer Bedrängnis. Könnte es Sascha sein? Ich halte es sogleich für möglich und bin mir doch unsicher.

Jetzt mache ich einen Fehler und frage: „Bist du es, Sascha?“ (Zufällig weiß ich, dass er diesen Vormittag bei großer Hitze draußen unterwegs sein wollte.) Die schmerzlich gepresste Stimme sagt: „Ja.“ Und ich bin schon so gut wie überzeugt, frage zurück: „Wo bist du?“ - „Im Amtsgericht.“ Ich will wissen, aus welchem Grund, da schaltet sich eine weibliche Stimme ein, sie sei die Oberstaatsanwältin. Sie will wissen, in welchem Verhältnis ich zu Sascha stehe.

Mein Zweifel ist wieder da. Diese Stimme – sie hörte sich für Sascha zu jung an, andererseits könnte sie exaltiert im Extremfall doch so klingen. Ich frage zurück, wie alt dieser Sascha sei. - Das dürfe sie am Telefon jetzt nicht preisgeben, sagt die Amtsperson. - „Und wie ist sein Nachname?“ - „Das müssen Sie doch selbst wissen.“ - Ich hake trotzdem nach: „Wie lautet Saschas Familienname?“ Nun wird rasch aufgelegt.

Um sicherzugehen, rufe ich Sascha an, erreiche ihn daheim. Er ist gerade von seinem Ausgang zurückgekommen und seiner Normalstimme nach in guter Verfassung.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

was für ein Lumpenstück! Dein Text macht aber nachvollziehbar, was einem als 'Opfer' durch den Kopf geht und warum es Fälle gibt, die für den Lumpen erfolgreich verlaufen. Gut, dass Du misstrauisch geblieben bist.
Aber ein kleiner Hinweis: Ich melde mich nie mit meinem Namen. Ich sage: Ja, bitte, wenn der Anrufer nicht namentlich angezeigt wird.

Liebe Grüße
Petra
 
Aber ein kleiner Hinweis: Ich melde mich nie mit meinem Namen. Ich sage: Ja, bitte, wenn der Anrufer nicht namentlich angezeigt wird.
Das ist gewiss klüger, Petra. Ich weiß nicht, warum es mir so schwer fällt, selbst auf Dauer dazu überzugehen.

Gefahr drohte hier nicht, der Schwindel musste ja auffliegen. Möglich, dass die männliche Stimme technisch so verändert war, dass möglichst viele Angerufene etwas Bekanntes aus ihr herauszuhören glauben. (Vielleicht auch nur automatisierte Brocken?) Gerade dieser Zweifel, ob es vielleicht nicht doch der nahe Angehörige sei, hat etwas Lähmendes. Man kann dann nicht einfach auflegen oder barsch auftreten. Mit dieser Verzauberung war es aber vorbei, als die "Oberstaatsanwältin" eingriff.

Diese Art von Betrug sollte sehr hart bestraft werden, da er das zwischenmenschliche Zusammengehörigkeitsgefühl missbraucht.

Liebe Grüße
Arno
 

petrasmiles

Mitglied
Die Gewohnheit, lieber Arno! Unser Hirn will einfach so weitermachen, wie es das über Jahrzehnte gemacht und gelernt hat.

Bei mir hat das nur deshalb funktioniert, weil wir sehr viele Werbeanrufe bekommen. Das Telefon klingelt nicht häufig, aber wenn sind mindestens die Hälfte solche 'Klinkenputzer'-Anrufe, die will man nicht auch noch mit der Bestätigung der Kontaktdaten belohnen. (Ist sehr wahrscheinlich unsere eigene Schuld, weil wir es versäumt haben anzugeben, dass unsere Nummer nicht 'im Telefonbuch) gelistet wird, und träge, wie der Mensch so ist, blieb es dabei.)

Ja, die Bestrafung. Ja, da hast Du ein Argument. Vor allem, wo es sehr wahrscheinlich schon eine 'organisierte' Kriminalität ist. Ja, das ist menschlich besonders verwerflich. Aber ich tue mich deshalb damit schwer, weil es Legionen von Saubermännern (und -frauen) gibt, die dem Gemeinwohl viel größeren Schaden zufügen. Wie es so schön heißt, die Kleinen werden gehängt - und die Großen stolpern die Karriereleiter hoch.

Hast Du den Fall angezeigt? (Z.B. die Telefonnummer angegeben?)

Liebe Grüße
Petra
 

John Wein

Mitglied
Es ist einfachlästig!

Lieber Arno und werte Petra,
Wer könnt hierzu nicht seine Geschichte verfassen!?
Mir ist es seinerzeit sogar an der Haustür passiert. Die nette Dame von der Telekom mit Ausweis, war wirklich nett, auch adrett, aber vor allen Dingen war sie einnehmend sprachgewandt und da ich in Zeitverzug und bereits Kunde dieser Firma war, hegte ich keinerlei Misstrauen. Schwupps, hatte ich einen Vertrag geändert und und einen neuen an der Backe. Andentags, im Laden der Telekom, konnte das "Geschäft" zum Glück und robuster Überzeugungskraft, wieder rückabwickeln. Und! ich war nicht der einzige Überlistete!

Es sind auch nicht immer die in Burkina Faso versprochenen Millionengewinne, die man per se und Mausklick regenerieren kann, sondern auch ganz subtile Geschäfte an der Haustür oder wie deinem Fall mit Täuschung, auf die man dummerweise reinfallen kann.
Bei anonymen Nummern sollte man sich immer nur mit "Hallo" melden. Vorsich bei "Ja" oder "ja bitte", sonst hast du ev. einen Kontrakt bestätigt.
Usere Zeiten sind leider nicht mehr Freund des Guten Glaubens, Mistrauen ist mehr den je ein gesundes Hausmittel. Es muss ja nicht gleich das Nudelholz sein!
In diesem Sinne und mitfühlendem Gedenken,
John
 
Lieber John, mir wird ganz angst und bang, wenn ich von so vielen Arten des Betrugsversuchs lese. Halten wir fest: keine Geschäfte an der Haus-/Wohnungstür oder am Telefon, auch keine mündlichen Zusagen dort. (Internet ist ein besonderes Feld, würde hier zu weit führen.) Ich habe diesen konkreten Fall genommen, um zu zeigen, was das Einfallstor ist: Überrumpelung gleich zu Beginn auf emotionaler Basis. Es war für mich das erste Mal und ich denke, in Zukunft würde ich von Anfang an noch misstrauischer sein.

Schönen Abend
Arno
 
LVII. Der verwirrte Leser oder Geistige Gymnastik

Eine Stelle in Zolas Roman „Nana“ bringt mich ins Schwitzen. Es ist nur ein Satz in der Übertragung von Walter Widmer (bei dtv erschienen 1976, 2. Auflage März 1977). In Kapitel 4 heißt es auf S. 107:

Der junge Mann, der Nana zum erstenmal zu Gesicht bekam, verbeugte sich und sagte ihr ein paar verbindliche Worte, er erwähnte seinen Bruder, verbarg seine Verwirrung hinter übertriebener Höflichkeit.

Der junge Mann heißt La Faloise. Ich kenne ihn schon aus dem ersten und dritten Kapitel. Zu Beginn des Romans hat er eine Theatervorstellung besucht, in der Nana die Hauptrolle hatte. Er hat sie überaus anziehend gefunden und ist jetzt bei einem Souper von ihr zu Gast. Wie kann es sein, dass er sie noch nicht „zu Gesicht bekam“? (Sie war auf der Bühne nicht maskiert.) Andererseits scheint es zwei Brüder La Faloise zu geben – könnte dieser hier seinen ersten Auftritt haben? Ich gehe die rund hundert Seiten davor noch einmal durch. Ergebnis: Es gibt nur einen La Faloise, ein Bruder wird nie erwähnt.

Plötzlich eine Idee: Ändere ich nur einen einzigen Buchstaben im Relativpronomen, mache aus dem „r“ ein „n“ , passt es wieder. Im Nebensatz ist dann Nana nicht mehr Objekt, sondern Subjekt. Tatsächlich hat sie ihn von der Bühne aus in der Masse der Zuschauer nicht als Individuum wahrgenommen und betrachtet ihn gerade ein erstes Mal.

Auch das Rätsel um den unbekannten Bruder ist lösbar. Unser La Faloise tritt in den beiden früheren Kapiteln an der Seite seines Cousins Fauchery auf, eines Journalisten, den Nana schon kennt. Nur auf ihn kann sich der junge Mann jetzt bei seiner Vorstellung beziehen. Also korrigiere ich den gesamten Satz:

Der junge Mann, den Nana zum erstenmal zu Gesicht bekam, verbeugte sich und sagte ihr ein paar verbindliche Worte, er erwähnte seinen Vetter, verbarg seine Verwirrung hinter übertriebener Höflichkeit.

Mit Druck- oder Setzfehlern ist immer zu rechnen. Grobe Übersetzungsfehler sollten nur selten vorkommen. Dem Leseverständnis gefährlich wird es, wenn beide, wie hier geschehen, in Kombination auftreten.
 
Nachtrag: Ich habe mir den Originalsatz von Zola besorgt. Er lautet: Le jeune homme, qui voyait Nana pour la première fois, s’inclinait et la complimentait, parlant de son cousin, cachant son trouble sous une exagération de politesse. Cousin ist also tatsächlich von Widmer unzutreffend übersetzt. Aber mit dem Nebensatz lag ich falsch, Nana ist in ihm doch Subjekt. Bleibt die Frage, wie "voyait" sinngemäß zu verstehen ist, denn ohne Zweifel sieht La Faloise die junge Frau im wörtlichen Sinne nicht zum ersten Mal. Eine Übertragung ins Englische wählte "met" für "voyait". Das überzeugt mich (im Sinn von erster direkter Begegnung). Man sagt ja auch im Deutschen unter längst Bekannten: Wir sehen (= treffen) uns dann am Montag. - Insgesamt wirft der zitierte Satz aus der Übertragung ins Deutsche kein gutes Licht auf diese.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

das ist ja geradezu detektivische Kleinarbeit, die Du da geleistet hast!
Bei Deinem Beispiel kann ich nicht mithalten, aber ich kenne diese Lust, einmal zu den Quellen zu gehen.

Liebe Grüße
Petra
 
Danke, für deine einfühlenden Worte, liebe Petra. Meine Motivation war zunächst einfach die: Habe ich zu rasch und oberflächlich gelesen - dazu verführt der Text - und infolgedessen Wesentliches nicht mitbekommen? Dieser Verdacht musste ausgeräumt werden (Selbstkontrolle). Später erfasste ich die Problematik von Übersetzung allgemein, vielleicht zum ersten Mal so deutlich.

Schöne Abendgrüße
Arno
 



 
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