Szenen ...

Haremsdame

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Danke, lieber Otto! Du machst mir Mut. Manchmal bin ich verunsichert, doch ein innerer Zwang lässt mich immer weiter schreiben - auch wenn ich noch nicht weiß, was ich damit anfangen soll...
 

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Zwischendurch gab es auch gute Tage: Ein befreundetes Ehepaar kam übers Wochenende zu Besuch. Da wurde dann bis spät in die Nacht diskutiert und am nächsten Tag ein Ausflug gemacht, während die Oma auf die Kinder aufpasste und Marias Küche „aufräumte“. Die ärgerte sich wieder über das Chaos in den Schränken und beleidigte Anna mit einer ungebremsten Gefühlsexplosion.
Fazit: Anna fühlte sich überflüssig, Maria hatte ein schlechtes Gewissen, Sepp war sauer. Da schlug die Freundin vor: „Setzt euch doch bei einem Glas Wein zusammen und redet über eure Vorstellungen vom Zusammenleben.“
„Das ist sinnlos, Mutter weiß doch nicht mehr, was wir besprechen“, intervenierte Sepp.
„Du glaubst immer, dass alles von alleine läuft“, erboste sich Maria. „Früher war sie Gast in unserem Haushalt, da war alles ganz anders.“
Und im Tagebuch hielt sie fest: Ich möchte mir die Oberherrschaft in meiner Küche nicht streitig machen lassen, obwohl ich die Küchenarbeit nicht besonders liebe. Oma ist eine Frau, die ich mir nie freiwillig zum Zusammenleben ausgesucht hätte. Auf eine gewisse Distanz gings ganz gut, aber ich weigere mich innerlich, sie als ein Familienmitglied aufzunehmen. Ich empfinde sie als Eindringling.
Ich möchte nicht so weit kommen, dass ich auf Omas Tod hoffe. Mir läge mehr daran, eine Möglichkeit des Zusammenlebens zu finden, bei der niemand leiden muss. In letzter Zeit fuhren Sepp und ich nicht mehr in die gleiche Richtung, statt dessen veranstalteten wir ein Tauziehen.
 

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Weihnachten wollte Sepps Arbeitskollege einen Dackel verschenken. Doch die Beschenkte weigerte sich, das Geschenk anzunehmen. Die Frage, was nun geschehen sollte, löste Sepp:
„Morgen kommt der Felix, um uns einen jungen Dackel zu zeigen. Der wäre doch das ideale Geschenk für meine Mutter. Dann wäre sie nicht mehr so allein.“
„Ich will aber keinen Hund haben“, konterte Maria.
„Du sollst ihn ja auch nicht haben.“
Natürlich war der Welpe mit seiner Stupsnase allerliebst. Anna war so glücklich, dass Maria nicht standhaft bleiben konnte. Struppi zog ein und Marias Befürchtungen bewahrheiteten sich. Nicht nur einmal wurde der Teppich in Annas Wohnung nass, weil die das Kläffen nicht richtig deuten konnte. Auch die Pfützen im Treppenhaus blieben Marias Angelegenheit.
 

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Einmal kam Sepp nach Hause und Maria saß lesend im Wohnzimmer, während die Kinder friedlich spielten.
„Statt hier faul rumzusitzen, könntest du dich genausogut um meine Mutter kümmern.“
„Warum kümmerst du dich denn nicht mehr um sie? Ich weiß beim besten Willen nicht, worüber ich mich mit ihr unterhalten soll.“
Sepp stutzte und sah Maria verständnislos an.
„Ja, glaubst du etwa, ich weiß das?“
 

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Warum sind Menschen nicht ehrlich zueinander? Warum ist Oma beleidigt, statt mir ihre Meinung zu sagen? Das ist kein Leben! Das ist ein Aushalten und Siechen. Das heißt für mich ständig gereizt, unzufrieden, unglücklich, gefesselt sein.
Dabei will ich mich endlich entfalten. Groß und weit werden. Aus meinem Glaskäfig habe ich mich schon selbst befreit, nun hat mir jemand einen Gitterkäfig übergestülpt, in dem ich zwar mehr Platz habe, besser Luft bekomme und auch aufrecht stehen kann – aber ich bin wieder gefangen. Bin ich eine Gefahr für die Menschheit? Ich glaube, dass ich ohne Käfig keine Zähne fletschen müsste und auch nicht bissig wäre!
Ich fühle mich überfordert, wenn ich Omas Mutter spielen soll. Ich habe drei Kinder und für die habe ich freiwillig die Verantwortung übernommen. Sie haben ihr Leben noch vor sich und ich wünsche ihnen von Herzen, dass sie eines Tages glückliche Erwachsene werden, die hoffentlich nie für uns die Verantwortung übernehmen müssen. Ich will alles dafür tun, damit meine Seele gesund und stark wird.
 

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Sepp beräumte in seiner Freizeit das alte Haus. In den Jahrzehnten, in denen es seine Eltern bewohnt hatten, hatte sich viel angesammelt.
Einiges wanderte auf den Sperrmüll, manches war noch brauchbar. Nähmaschinen wurden verkauft, Unmengen von Garn verschenkt, Krimskrams sortiert und für einen privaten Flohmarkt aufgebaut. Bücher landeten in Kisten und Reisedias in Sammelkästen.
Ab und zu versuchte Anna zu helfen. Doch das hatte wenig Sinn: sie trug die Dinge nur hin und her und brachte die gerade hergestellte Ordnung wieder durcheinander.
 

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Manchmal fuhr Anna mit dem Auto zum Friedhof. Auch in der Nachbarschaft hatte es Todesfälle gegeben. 1991 war es noch nicht üblich, dass ältere Frauen einen Führerschein hatten. So war die Nachbarin froh, bei Anna mitfahren zu können.
Eines Tages kam sie aufgeregt zu Sepp und Maria: „Sie dürfen ihre Mutter nicht mehr fahren lassen! Ich hatte solche Angst! Sie kreuzte ohne zu schauen die Hauptstraße. Ein Glück, dass kein Auto kam. Stellen sie sich vor, sie überfährt jemanden.“
Sepp war schockiert. Seiner Mutter das Auto wegnehmen? Wie sollte denn das gehen?
Sie einigten sich darauf, dass Maria sich öfter das Auto ausleihen sollte. Anschließend könne sie ja „vergessen“, den Schlüssel zurückzugeben.
Die Kamikazefahrten wurden seltener, vorbei waren sie aber noch lange nicht.
 

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„Ihr könnt Anna gerne mal ein paar Tage zu mir bringen“, schlug Annas jüngste Schwester vor. „Wir haben genug Platz und ihr könnt wieder einmal etwas als Familie unternehmen.“
Dankbar nahmen Maria und Sepp das Angebot an. Es tat so gut, ein paar Tage mit den Kindern in die Alpen zu fahren und sich keine Sorgen um Anna machen zu müssen. Die Kinder genossen das unbeschwerte Zusammensein mit den Eltern und dem Dackel. So viel wie in diesen Tagen hatte die Familie schon lange nicht mehr gemeinsam gelacht.
Als sie nach der Auszeit Anna abholten, erzählte Resi: „Anna hat sich sehr verändert. Sie bringt ja nichts mehr auf die Reihe. Sie wäscht sich nicht mehr richtig und zieht mehrere Korsetts übereinander an. So durcheinander kenne ich sie gar nicht.“
 

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Tagebucheintrag:
Das Problem Oma kann ich etwas von mir schieben. Ich lasse sie auflaufen, lasse sie eigene Erfahrungen machen, lasse mich von ihrer Hilflosigkeit nicht mehr unterdrücken.
Die Trennung von Sepp ist vorübergehend ad akta gelegt. Diesen Punkt kann ich später noch einmal aufgreifen. Jedenfalls brauche ich nicht mehr sterben, damit er mir Blumen aufs Grab legt.
Mein Boot war überladen und kurz vorm Untergehen. Zuerst wollte ich aussteigen, um den Inhalt zu retten. Irgendwie wusste ich aber, dass ich mich auch retten wollte. Ich musste Ballast abwerfen und nun hat mein Boot eine labile, mehr zur stabilen Seite tendierende Lage.
Dieses Bild tut so gut. Ich habe das Gefühl, dass ich mich auf der Stufe, an der ich mich gestern noch verzweifelt festhielt und die ich heute endlich erklommen habe, hinsetzen und umschauen kann. Ich nehme die neue Perspektive auf und an; ja, ich genieße sie.
 

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Maria machte sich Sorgen um Stefan. Wenn sie sein Zimmer säuberte, Wäsche holte oder hinaufbrachte, fand sie im Papierkorb Unmengen von Schokoladepapieren. Die Wangen ihres Sohnes rundeten sich zusehends. Die Oma darauf anzusprechen, brachte keine Änderung: „Ich kann doch sonst nichts für das Kind tun!“
 

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Viktoria liebte ihre Oma. Von ihr war sie zu den ersten selbständigen Schritten überredet worden. Bilder aus dieser Zeit zeigen die Einjährige, wie sie sich beim Laufen verzweifelt an einem winzigen Täschchen festhielt.
Inzwischen besuchte sie die zweite Klasse und wusste, wo die Oma ihre Süßigkeiten lagerte. Gerne ging sie hinauf, um mit Struppi zu spielen.
Eines Tages entrüstete sich Anna. Die Glasabdeckung über ihrem Gemüsefach im Kühlschrank war zerbrochen. „Viktoria hat sich hineingesetzt“, erklärte sie Maria. Die konnte es nicht glauben, da für so ein großes Kind gar kein Platz im Kühlschrank gewesen wäre. Außerdem war sie überzeugt, dass die Achtjährige keinen solchen Blödsinn mehr machte.
Nach den Hintergründen dieser Aussage befragt, wehrte sich Viktoria aufs heftigste.
Statt großes Aufsehen zu veranstalten, kaufte Maria beim Glaser eine neue Scheibe für den Kühlschrank.
 

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„Heute Nachmittag gehen wir in die Seniorenresidenz. Dort gibt es einen Vortrag, den wir uns anhören“, teilte Maria mit. Sie hatte in der Zeitung gelesen, dass über die Alzheimerdemenz gesprochen werden sollte. Das einzige, was sie bisher darüber wusste, war „das große Vergessen“. Nun wollte sie sich schlau machen und war überzeugt, dass diese Information auch Anna nicht schaden könnte.
Sie hörten viel über Wortfindungsstörungen, Koordinationsprobleme, zeitliche und örtliche Desorientierung, sowie das nicht mehr Erkennen von Angehörigen.
„Nein, das ist es nicht, worunter deine Mutter leidet“, berichtete sie abends Sepp. „Alzheimer muss eine ganz grausame Krankheit sein. Anna vergisst ja nur ab und zu etwas und ist auch öfter mal verwirrt. Aber sie kann normal sprechen, weiß, wo sie zu Hause ist und mit wem sie es zu tun hat.“
 

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„Guten Tag“, begrüßte eine ältere Nachbarin Maria, „haben Sie kurz Zeit?“
Maria, die gerade auf der Terrasse war, bat die Frau, die sie nur vom Sehen kannte, herein.
„Womit kann ich ihnen helfen?“
„Sie haben doch Kinder.“
„Ja.“
„Ihr Sohn hat mir kürzlich beim Aufstehen geholfen, als ich an der Gartentür hingefallen war. Das war sehr nett.“
„Wirklich? Das freut mich aber.“
„Ich hatte eine Einkaufstasche dabei. Die hob er auch auf. Und jetzt fehlt mir mein Geldbeutel.“
Maria war geschockt und Stefan wusste von nichts.
„Ach, die verwechselt doch alles“, erklärte ihr eine andere Nachbarin, bei der Anna ihre Sorgen ablud. „Die ist etwas meschugge...“
 

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Maria war es leid, sich am Mittagstisch hauptsächlich mit Anna zu beschäftigen.
„Wozu gibt es Essen auf Rädern?“, überlegte sie. Sie wollte wieder allein mit den Kindern am Tisch sitzen und ungestört über deren Vormittag sprechen. Außerdem hoffte sie, Anna dann nicht mehr wartend vor dem Haus anzutreffen, wenn sie von der Arbeit kam.
Sie bestellte für Anna also warmes Essen. Das wurde schon um elf Uhr geliefert. Viel Nährstoffe konnte es nicht haben, denn Anna nahm sichtbar ab. Dabei stellte Maria der Langschläferin jeden Morgen das Frühstück bereit. Das Abendessen nahmen alle gemeinsam am großen Familientisch ein.
Später stellte sich heraus, dass Anna ihr Mittagessen häufig an den Hund verfütterte.
 

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Wenn Anna etwas suchte, hatte sie meist den folgenden Spruch auf den Lippen:
„Heiliger Antonius, kreuzbraver Mo, nimm mi am Zipfel und führ mi da o.“
Leider half er ihr immer seltener, die verloren gegangenen Gegenstände wieder zu finden.
Aufgeregt stellte sie fest: „Mein Geld ist weg!“
„Hast du es irgendwo liegen lassen?“
„Ich habe schon überall nachgeschaut.“
„Wann hattest du es zum letzten mal in der Hand?“
Die unsinnige Diskussion endete mit einer großen Suchaktion. Maria öffnete jede Schranktür, fühlte die Wäsche ab, sah in der Eckbank nach. Sie fand mehrere Geldbeutel, in denen allerdings nur wenige Münzen ihr Dasein fristeten. Das gesuchte Stück blieb unauffindbar.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
'Heiliger Antonius, kreuzbraver Mo, nimm mi am Zipfel und führ mi da o'

Ich bitte um Übersetzung.
 

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„Mir ist so schlecht! Ich kann nicht aufstehen“, klagte Anna. „Wo ist Sepp?“
„In Frankreich beim Skifahren, wie jedes Jahr um diese Zeit.“
„Allein?“
„Nein, mit Freunden.“
„Er soll heimkommen. Ich glaube, ich muss sterben!“
„Bleib ganz ruhig sitzen, ich hole den Notarzt.“
Der nahm Anna mit Verdacht auf einen Herzanfall mit ins Krankenhaus. Maria konnte Sepp nicht erreichen und trug die Sorge um Anna allein.
Nach fünf Tagen – noch bevor Sepp aus seinem Skiurlaub zurückkehrte - konnte Anna das Krankenhaus wieder verlassen. Außer großer Nervosität hatte man nichts feststellten können. Nun war sie viel verwirrter als vorher. Maria schob das auf die Gesellschaft im Krankenzimmer: zwei Frauen, die noch viel hilfloser als Anna waren.
 

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Maria nutzte Annas Krankenhausaufenthalt dazu, die Dachgeschoßwohnung aufzuräumen und zu putzen. Solange die Schwiegermutter im Haus war, wollte sie sich möglichst nicht einmischen. Jetzt war die beste Gelegenheit, alles auf Vordermann zu bringen.
Im Putzkübel fand sie unter dem Scheuerlappen Annas Handtasche. Darin war der gesuchte Geldbeutel mit tausend Mark. Diese Summe verdeutlichte ihr, was die Schwiegermutter so aus der Bahn geworfen hatte. Auch das Sparbuch lag in der Tasche. Maria musste feststellen, dass Anna davon regelmäßig viel mehr Geld abgehoben hatte, als sie ausgeben konnte.
Sepp und Maria waren bei der gleichen Bank Kunden. Sie kannten die dortigen Angestellten gut und so gelang es Maria mit viel Überzeugungskraft dafür zu sorgen, dass Anna künftig nur noch kleine Beträge abheben konnte.
 



 
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