Szenen ...

Haremsdame

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Ein langjähriger Freund der Familie war gestorben. Maria versprach, mit Anna an der Beerdigung teilzunehmen.
„Um halb zwei fahren wir. Bist du bitte rechtzeitig fertig?“, forderte sie die Schwiegermutter auf, als sie ihr das Frühstück brachte.
Bereits um zehn Uhr stand Anna im Mantel vor Marias Tür: „Ich bin so weit, wir können fahren.“
„Jetzt ist es doch noch viel zu früh! Du kannst nochmal hinauf gehen und den Mantel ausziehen.“
Schimpfend ging Anna in ihre Wohnung zurück. Als Maria sie dann zur ausgemachten Zeit holen wollte, war sie nirgends zu finden. Auch der Hund war fort. Wütend machte sich die inzwischen ziemlich Überforderte auf die Suche. „Immer das Gleiche! Sie tut was sie will und hält sich an keine Verabredung.“
Immerhin kannte sie den Weg, den der Dackel mit seinem Frauchen gewöhnlich ging. Nicht nur einmal hatte Maria das Gefühl gehabt, dass er Annas Wegweiser war. Schon bald hatte sie die beiden eingefangen.
„Warum gehst du denn jetzt, wo wir losfahren wollen, mit dem Hund raus? Du hattest doch vorher genug Zeit dazu?“, konnte sich Maria nicht zurückhalten.
„Wo willst du denn hin?“, fragte Anna erstaunt zurück.
„Na, zur Beerdigung, wie ausgemacht?“
„Welche Beerdigung?“
 

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Manchmal lieh sich Anna Marias Fahrrad aus. Als es dann tagelang nicht mehr aufzufinden war, wurde Maria böse:
„Wo hast Du denn mein Fahrrad angebaut?“
„Ich? Ich habe es doch schon lange nicht mehr gehabt!“
Nach einem überflüssigen Wortwechsel ging Maria zur Polizei und fragte nach, ob es irgendwo gefunden wurde. Natürlich wusste sie nicht, wo es stehen geblieben sein konnte. Doch nach einer ungefähren Beschreibung zeigte ihr der zuständige Beamte ein entsprechendes Modell.
„Ja, das ist es! Wo haben sie es gefunden?“
„Es stand beim Pennymarkt. Da es niemandem zu gehören schien, haben wir es mitgenommen. Der Makrtleiter hatte uns angerufen. Manchmal werden Räder gestohlen und dann bleiben sie irgendwo stehen.“
 

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Marias Verzweiflung nahm zu. Sie hatte sich zwar immer vier Kinder gewünscht, aber nie daran gedacht, dass ihr viertes Kind älter als sie selbst sein würde. Für sie war die Schwiegermutter viel anstrengender als ihr Nachwuchs. Dem konnte sie wenigstens sagen, wo es lang ging. Die Kinder hörten noch auf sie und liefen meistens ohne größere Probleme durch den Alltag.
Marias labiles Seelenleben wurde durch Sepps Ansprüche und Annas zunehmende Unfähigkeit immer stärker gefährdet. Sie fühlte sich durch die Verantwortung, die ihr mit Annas Betreuung aufgeladen worden war, wie gefesselt. Es gelang ihr kaum noch, sich an die liebevolle und großzügige Schwiegermutter zu erinnern.
Die Überforderung machte sie aggressiv und gereizt. Das ging auch an den Kindern nicht spurlos vorüber. Inzwischen ließ sie ihren Frust an ihnen aus. Kurz darauf taten ihr die verbalen Ausfälle wieder leid. Sie focht mit sich einen hoffnungslosen Kampf. Ihr Versuch allen gerecht zu werden, wäre ohne die therapeutische Unterstützung der Ärztin noch schlechter ausgefallen.
Nachts suchten sie Alpträume heim, aus denen sie schweißgebadet aufwachte. Ihre Konzentrationsfähigkeit ließ nach und bereitete einem bisher ungekannten Interessensverlust den Boden.
Fünfzehn Monate nach Hans Ableben schickte die Ärztin Maria zur psychosomatischen Kur. Sie sollte außerhalb der häuslichen Atmosphäre Gelegenheit bekommen, sich auf ihren seelischen Reifungsprozess zu konzentrieren.
 

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Während der Kur hatte Maria die Gelegenheit, ihre aufgestaute Wut auf Mann und Schwiegermutter auszuleben. Um die Blockaden zu lösen, sollte sie den ganzen Frust herausschreien - was ihr sehr gut gelang. Sie genoss es, weinen zu dürfen und getröstet zu werden. Das Beste für sie war das Gefühl, trotz ihres negativen Verhaltens angenommen und geachtet zu werden.
Die Kinder wusste sie gut versorgt, denn die Krankenkasse hatte eine Familienpflegerin genehmigt. Allerdings musste sich Sepp verstärkt einbringen, da Schwester Erikas Arbeitszeiten begrenzt waren ...
Als Freizeitvater hatte er sich immer von seiner besten Seite gezeigt. Nun behauptete er sich - wenn auch manchmal zähneknirschend - auch im Familienalltag.
 

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Als Maria nach acht Wochen wieder nach Hause kam, freuten sich Benjamin und Viktoria von Herzen. Sie hatten extra eine Vorstellung in ihrem "Zirkus Träne" eingeübt. Der elfjährige Stefan dagegen zeigte kaum eine Reaktion. Und Sepp stellte zur Begrüßung klar: „Ich lasse mich von Dir nicht mehr ausnützen.“
„Ihr sollt nicht streiten!“, forderte Benjamin, um gleich darauf seinen Geschwistern mitzuteilen: „Jetzt habe ich es ihnen aber gesagt.“
Das Zusammenleben fiel dem Ehepaar schwer. Sie fanden keinen Weg zueinander. Es schien, als lebten sie beide auf verschiedenen Planeten.
Dafür profitierte Anna von Marias neu erworbener Gelassenheit.
Sie zeigte Freude, dass ich wieder da bin, schrieb Maria ins Tagebuch. Sie stellte mir sogar Blumen zur Begrüßung hin. Sie ist ein armes Hascherl – war auch ihr Leben lang unterdrückt.
 

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Über Weihnachten und Neujahr fuhr die ganze Familie in die Alpen. Alle waren begeisterte Skifahrer. Nur Anna fühlte sich auf dem Bergbauernhof nicht wohl. Sie fand sich in der fremden Umgebung nicht zurecht und wollte wieder nach Hause. Sepp kam ihrem Wunsch nach und brachte sie zurück.
Nun war sie mit dem Dackel allein zu Haus. Das irritierte sie noch mehr, was die Familie aber erst nach ihrer Heimkehr von den Nachbarn erfuhr.
 

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Obwohl Maria in ihrer psychosomatischen Kur gelernt hatte, sich nicht zu sehr um andere zu kümmern, fühlte sie sich für Anna verantwortlich. Sie kam ihr so hilflos und verloren vor. Erst kürzlich hatte sie tagsüber nach Sepp gesucht und nicht verstanden, dass er seine Tage in der Arbeit verbrachte. Ihr Mann war doch auch immer zu Hause gewesen!
„Das ist gar keine richtige Familie“, beklagte sie sich bei Maria. Ihr war es immer klar, dass ihr Sohn sich um sie kümmern würde. Der war aber ebenso überfordert wie seine Frau.
Um nicht ständig mit Annas Hilflosigkeit konfrontiert zu sein, suchte Maria nach Auswegen. Dabei entdeckte sie, dass in der nahen Kirchengemeinde jeden Mittwoch ein Kaffeenachmittag für Senioren veranstaltet wurde. Es gelang ihr, Anna dafür zu begeistern.
Zwar musste sie immer den Kalender und die Uhr im Auge haben, um Anna an die Termine zu erinnern, aber dann machte die sich selbständig auf den Weg. Unterwegs begegneten ihr Frauen mit dem gleichen Ziel. Sie nahmen Anna in ihre Mitte und führten sie zum Ziel. Solche Nachmittage bedeuteten für Maria Entspannung.
 

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Im Kirchbrief stand, dass die Kirchengemeinde auch Besuchsdienste vermittelt. Auf Nachfrage fand Maria eine Frau, die Anna für ein kleines Entgelt wöchentlich besuchte.
Manchmal war das Anna nicht ganz geheuer. Sie befürchtete, ausspioniert zu werden. Wenn sie etwas nicht mehr fand, beschuldigte sie „die fremde Frau“.
Zu gerne wäre Anna wieder mal in die nahe Großstadt gefahren. Deshalb bat Maria Frau Meier, diesen Weg mit Anna auf sich zu nehmen. Die kam der Bitte nach. Es muss ein chaotischer Nachmittag gewesen sein, denn anschließend weigerte sich die Begleiterin vehement, einen solchen Weg zu wiederholen.
 

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Anna hatte früher über ausgeprägte weibliche Rundungen verfügt. Ihre Lebenslust hatte zusätzlich zu ihrer Beliebtheit beigetragen. Auch jetzt fanden sie ältere Herren noch begehrtenswert.
Eines Tages erzählte sie, dass der kürzlich verwitwete Nachbar sie gebeten hätte, sie doch einmal zu besuchen. Maria mochte ihn nicht besonders, weil der ehemalige Zahnarzt einmal ihre Zahnstellung bekritelt hatte. Dass er an Anna Interesse zeigte, empfand sie jedoch als positiv.
„Da gehe ich nicht hin! Ich weiß schon, was der will“, empörte sich Anna. „Außerdem hat er doch eine Freundin.“
Dafür entdeckte Maria an einem Nachmittag Anna mit einem Herrn in der Hollywoodschaukel sitzend. Die beiden gaben ein schönes Bild ab. Als Maria den Gast begrüßte, erfuhr sie, dass sich die beiden im nahen Wäldchen beim Spazierengehen kennengelernt hatten.
„Meine Frau ist krank und kann mich nicht begleiten“, gestand der Fremde. „Ich finde es schön, mich mit so einer netten Frau zu unterhalten.“ Anna strahlte.
Leider ward er nie wieder gesehen...
 

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Annas Lieblingsjacke war verschwunden. Sie suchte und schimpfte, bis es Maria zu dumm wurde.
„Wann hast du sie denn das letzte Mal gehabt?“
„Gestern hatte ich sie noch!“
„Und wo warst Du da?“
„Na, hier zu Hause!“
„Dann muss sie ja auch da sein!“
Doch im Kleiderschrank war sie ebensowenig zu finden wie in anderen Verstecken. Maria fragte im Seniorencafe nach und suchte die Wege ab, die Anna im allgemeinen ging – ohne fündig zu werden.
Damit war das Thema jedoch nicht abgeschlossen. Anna brachte es täglich auf den Tisch und beschuldigte ihre Schwiegertochter:
„Gib doch zu, dass du sie verkauft hast, weil du Geld brauchst!"
 

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Bald darauf fand Sepp in Annas Sparbuch bei einer größeren Auszahlung den handschriftlichen Eintrag: „Hat Sepp genommen“.
Es stimmte, dass er das Geld – wie seinerzeit mit dem Vater vereinbart – für den Abriss des alten Hauses benutzt hatte. Dass ihn seine Mutter nun des Diebstahls bezichtigte, verletzte ihn sehr. Schließlich war sie mit ihm auf der Bank gewesen und hatte die Auszahlung selbst unterschrieben – ohne genötigt worden zu sein...
 

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Die Kirchgemeinde bot ihren Senioren Ausflüge an. Maria unterstützte Annas Wunsch, bei einem davon mitzufahren. Vorsichtshalber bat sie die Begleitung, auf Anna ein Auge zu werfen.
„Es war ganz problemlos“, erfuhr sie am Abend. „Sie fand zwar ihre Tasche nicht, aber wir haben ihr beim Bezahlen aushelfen können. Später lag dann die Tasche im Bus.“
Maria verstand die Welt nicht mehr. Anna brachte sie immer häufiger an den Rand eines Nervenzusammenbruchs und nun erfuhr sie von anderen, dass ihre Sorgen unbegründet seien. Wer war nun verwirrt? Anna oder sie selbst?
 

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Es war Sommer und warm. Was lag näher, als ein Besuch im Schwimmbad? Auch Anna kam mit. Schließlich war sie am Wasser aufgewachsen und liebte das Schwimmen. Die Kinder zogen sich im Freien um, die Erwachsenen verschwanden nach und nach in den Umkleidekabinen. Als Anna herauskam, war der Schreck groß: unter ihrem roten Badeanzug lugte die Unterwäsche hervor! Niemand hatte daran gedacht, dass sie sich nicht mehr alleine umziehen kann. Wahrscheinlich hatte sie ihre Unterwäsche Tag und Nacht an, warum sollte sie sie jetzt ausziehen?
Maria bat sie vorsichtig, mit ihr nocheinmal in die Umkleidekabine zu gehen. Es kostete viel Überredungskraft, Anna davon zu überzeugen, sich der überflüssigen Wäschestücke zu entledigen...
 

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Früher war Anna täglich in der Küche gestanden. Daran schien sie sich an einem ihrer guten Tage zu erinnern.
„Heute koche ich für euch. Du hilfst mir so oft. Da möchte ich dir mal Arbeit abnehmen.“
Maria war zwar skeptisch, wollte Anna jedoch die Freude nicht nehmen. Zur vereinbarten Zeit versammelte sich die ganze Familie um Omas Esstisch. Als die gekochte Bratwürste und halbgare Kartoffeln servierte, hatten die Kinder plötzlich keinen Hunger mehr. Sepp und Maria blieben tapfer und würgten das wenig Appetit anregende Mahl hinunter.
 

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Selten hatte sich das Ehepaar länger in Omas Reich aufgehalten. Meist wurde Anna in die Familienwohnung geholt, um sie der Einsamkeit zu entziehen. Beim gemeinsamen Essen an Omas Tisch reizten die Staubwolken zum Niesen. Es wurde Zeit, mal wieder richtig aufzuräumen und zu putzen. Das hatte auch ihr Sohn feststellen können. Sepp und Maria übernahmen die Arbeit des „Klar-Schiff-Machens“ zusammen, während Anna bei den Kindern blieb. Diesmal wurden Unmengen von überalterten Lebensmitteln und Medikamenten entsorgt und versucht, den mit Hundepisse durchtränkten Teppich zu säubern. Allmählich musste auch Sepp einsehen, dass seine Mutter nicht mehr diejenige war, die er gekannt hatte...
 

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Inzwischen war es schon klar, dass, wenn im Hause etwas abhanden gekommen war, Oma die Schuld daran trug. Nicht nur einmal war die Kellertür sperrangelweit aufgestanden, nachdem sie dort Getränke geholt hatte. Auch die leeren Flaschen, die im Regal anstatt in den Kisten landeten, gingen auf ihr Konto.
„Darf ich mir ein Wasser aus dem Keller holen?“, fragte sie Maria, die an einem kalten Tag alle Türen verschlossen hatte.
„Aber natürlich, da musst du doch nicht fragen.“
„Da ist aber abgeschlossen und ich kann nicht hinein.“
Genervt holte Maria den letzten auffindbaren Kellerschlüssel und sperrte auf. Prompt fiel Anna eine der Flaschen auf den Steinfussboden.Die Glassplitter verteilten sich gleichmäßig über die Fläche.
„Ich mach das gleich weg“, versprach Anna. Doch ehe sie dazu kam, hatte Maria das Malheur beseitigt. Sie hatte einfach nicht die Geduld, ihrer Schwiegermutter bei der Arbeit zuzusehen.
Anschließend wollte Maria den Keller wieder zusperren. Aber: der letzte Schlüssel war unauffindbar. Dreimal rannte Maria in Annas Wohnung und krempelte alles um. Vergebens durchforstete sie die Schlüsselboards. Die ganze Familie half beim Suchen und gab schließlich auf. Maria ging an ihren Schreibtisch, um sich den Frust von der Seele zu schreiben. Die Computertastatur stand etwas wackelig da. Warum? Weil der Schlüssel darunter lag...
Diesmal konnte Anna definitiv nichts dafür, denn technische Errungenschaften mied sie wie den Teufel. Peinlich berührt beichtete Maria ihrem Mann ihre eigene Verwirrtheit.
 

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Gut zwei Jahre nach Hans Tod fuhr Anna immer noch Auto. Zum Glück aber seltener, da Maria den Schlüssel in Verwahrung genommen hatte. Wenn Anna jedoch kam und ihn verlangte, brachte sie es nicht übers Herz, ihr die Fahrt zu verweigern. Sie hatte zwar kein gutes Gefühl dabei, aber auch nicht die Kraft zu größeren Auseinandersetzungen.
Es war November. Anna hatte es ganz wichtig, sie müsse „mit dem Auto wo hin fahren“.
„Wohin denn?“
„Das geht dich gar nichts an!“
„Aber es wird doch schon dunkel.“
„Das macht nichts!“
Maria hörte Sepps Stimme: „Lass sie doch! Du kannst sie nicht immer bevormunden.“
So machte sich Anna auf den Weg. Doch sie blieb nicht lange aus.
„Ich fahre nie wieder!“, erklärte sie ihren erstaunten Kindern.
„Was ist denn passiert?“, wollten die wissen. Doch die Antwort blieb aus.
Stattdessen überreichte Anna die Autoschlüssel an Maria:„Die kannst du haben. Das Auto auch.“
Die Frage, was Anna dazu veranlasst hatte, wurde nie geklärt. Maria mutmasste, dass sie vielleicht das Licht nicht gefunden hatte, als sie durch das nahe Wäldchen gefahren war. Zum Glück war die Befürchtung, dass Anna einen schlimmen Unfall verursacht, nicht Realität geworden. Ab diesem Tag fragte Anna nie wieder nach dem Schlüssel, wollte aber ab und zu wissen, ob das Auto noch fahre.
 

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Auch wenn nach außen alles gut aussah, war Maria im Inneren zerissen. Sie schrieb in ihr Tagebuch:

Vieles mit Sepp ist ungeklärt. Da ich den endgültigen Absprung wegen der Kinder noch nicht vollziehen kann – obwohl genau dieses Ende anstünde – muss ich eine Möglichkeit finden, hier weiter zu machen, ohne mich auffressen zu lassen.
Sepps Art finde ich unmöglich, verletzend. Zum Beispiel kochte er heute für sich und die Kinder. „Wenn du etwas willst, kannst du dir selbst was machen“, sagte er zu mir. Wenn ich koche, bekommt er auch immer etwas zu essen...
Abends sah ich mir im Fernsehen „Flitterabend“ an. In der 25. Sendung spielten Silberhochzeiter mit. Eine schöne Sendung mit Paaren, die sich gut verstanden. „Die wissen wenigstens noch, was Familie ist“, meinte Sepp. Als später die Frau des Jahres 1992, eine SOS-Kinderdorfmutter, die 18 Kinder großgezogen hat, mit einem wirklich gütigen Gesicht von der Glotze strahlte, kam nochmal so eine blöde Bemerkung, aus der zu hören war, wie unzufrieden er mit mir ist. Daraufhin explodierte ich: „Dann such dir doch eine, die deinen Ansprüchen genügt!“
Ob er überhaupt eine Frau finden würde, die ihm seine Mutter abnimmt und ihm ständig zu Diensten steht, seine Wünsche erfüllt? Bestimmt gäbe es Frauen, mit denen er glücklicher sein könnte. Es gibt auch Männer, mit denen ich glücklicher wäre...
Ich wünsche mir einen Partner, mit dem ich reden kann. Einen Partner, der mit seinen Gedanken meinen Kern trifft und der sich auch von meinen Gedanken treffen lässt. Jemanden, mit dem ein echter Austausch möglich ist. Ich träume davon, dass durch diesen Austausch Nähe entsteht. Nähe, die nicht vereinnahmt, sondern dem anderen Freiraum lässt. Eine Partnerschaft, in der Vertrauen vorhanden ist; eine Partnerschaft, die gegenseitige Förderung ermöglicht.
Sepp dagegen will mich immer festnageln. Wir laufen aneinander vorbei. Jahrelang habe ich für eine bessere Verständigung gekämpft, jahrelang zog er sich zurück. Seitdem ich gelernt habe, mich meinerseits zurückzuziehen, versteht er die Welt nicht mehr. Ich will nicht mehr ins alte Fahrwasser zurückkehren und ihm alles abnehmen. Zwar leidet unsere Gemeinsamkeit darunter, aber mein Standvermögen wird größer. Solange er Angst um seine Machtposition hat, kommen wir nicht zusammen.
Leider ist in seiner Familie Klärung von persönlichen Problemen nicht angesagt. Weder seine Mutter (die versucht, immer nur das „brave Kind“ zu spielen und mich, je intensiver sie bestrebt ist, mir alles recht zu machen, desto mehr aufregt) noch er sind in der Lage dazu. Leider bringt mich diese Erkenntnis noch nicht weiter. Wahrscheinlich bleibt mir eines Tages gar nichts anderes übrig, als meine Haut durch Davonlaufen zu retten.
Wenn Sepp weit weg ist, fühle ich mich frei. Ohne ihn lebt es sich leichter, trotz der vermehrten Arbeit. Dabei ist er kein schlechter Mensch, was mir das Davonlaufen erschwert. Er und ich, wir haben einmal zusammengepasst. Diese Zeit würde er gerne zurückholen. In seinen Augen waren wir zehn Jahren verheiratet, die letzten fünf waren zuviel. Er hat recht, vor etwa fünf Jahren entdeckte ich, dass das Leben mehr ist als Haushalt und Kinderkriegen. Seitdem ich nicht mehr die folgsame Ehefrau bin, die sich seinen Wünschen unterordnet, kommen wir nicht mehr klar. Er gesteht mir keinen eigenen Kopf zu. Er wünscht mich so kopflos wie seine Mutter. Aber so will ich nicht enden! Ich will meinen Kopf gebrauchen, die grauen Zellen anregen und in Bewegung halten. Ich hoffe natürlich, nicht krank zu werden, sondern auch in hohem Alter noch geistig fit zu bleiben.
 

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Maria wusste, dass ihre Arbeit an der Universität befristet war und ihr Vertrag nicht unbeschränkt verlängert werden konnte. Aus diesem Grund baute sie sich ein zweites Standbein auf, in dem sie ihr Hobby, das Schreiben, zum Beruf machte. Nach dem Besuch eines Volkshochschulkurses mit der Bezeichnung „Schreiben wie die Profis“ bewarb sie sich bei der örtlichen Tageszeitung erfolgreich als freie Mitarbeiterin. Das tägliche Studium der Zeitung war für sie eine Fortbildungsmaßnahme. Dabei entdeckte sie einen Artikel über eine nahe Gedächtnissprechstunde.
„Da muss ich mit Oma hingehen“, überlegte sie. Ein Termin war schnell ausgemacht und wurde sehnsüchtig erwartet. Maria erhoffte sich durch den Besuch Hilfe im Umgang mit der Schwiegermutter, die sie immer häufiger an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit trieb.
 

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März 2003.
Gedächtnissprechstunde. II. Etage, Zimmer 241.
Maria stand mit Anna vor der Tür und klopfte. Eine sehr freundliche Ärztin erwartete sie bereits.
„Welchen Tag haben wir heute?“, fragte sie Anna.
„Das weiß ich nicht.“
„Wissen sie denn, welche Jahreszeit wir haben?“
Anna sah sich unsicher um und antwortete aufs Geratewohl: „Sommer“. Die Ärztin notierte sich etwas und fragte weiter:
„Wie sind sie hierher gekommen?“
„Mit dem Lift.“
„Wo sind wir hier?“
„In München.“
Nun sollte sich Anna ein paar Begriffe merken und wiederholen. Das funktionierte einigermaßen. Die Aufgabe, von 100 jeweils sieben abzuziehen, gelang weniger gut. Und als die Ärztin Anna bat: „Nehmen sie dieses Blatt in die rechte Hand.“ „Falten sie es in der Mitte.“ „Legen sie es auf den Boden.“, ging alles schief. Anna begriff nicht, was die Ärztin von ihr wollte. Auch der Uhrentest, bei dem sie ein Ziffernblatt malen und darauf Uhrzeiten markieren sollte, überforderte sie.
Nach einer knappen Stunde erfuhr Maria: „Wir müssen ihre Schwiegermutter genauer untersuchen. Dazu nehmen wir sie ein bis zwei Wochen stationär auf.“
 



 
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