Tagebuch

3,60 Stern(e) 13 Bewertungen

rosste

Mitglied
hallo bernd,
du schreibst: "Vieles im Netz verschwindet,
Lehmtafeln sind haltbarer."
ja, auch die in das meer gerufenen worte sind haltbar, werden ans andere ufer getragen und hinterlassen irgendwo ihre spuren...
"Ich habe Angst davor, zu schreiben..." - auch das hat seine funktion und verschwindet wieder...
"Ich beachte stärker Verbote" - was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt.
"Ich helfe anderen Deutsch zu lernen." - dann bleibst du auch.

lg
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Leider ist meine Mutter sehr schwer erkrankt.
Es begann mit einem Schwächeanfall nach einer Reise. Sie fühlte sich nicht wohl und konnte vor Schwäche kaum laufen, auch tat ein Bein weh - und ihr Hausarzt wies sie gleich zur Diagnostik ins Krankenhaus Friedrichstadt ein. Bereits nach wenigen Stunden wurde sie wieder entlassen, es sei eine Venenentzündung und keine tiefe Venenthrombose und auch keine Lungenembolie, sie erhielt Blutverdünnungsmittel zum Spritzen, eigentlich sollte es für zehn Tage sein, es waren aber nur für 8 Tage Kapseln, ihr Hausarzt meinte, das reicht, denn es enthält die gleiche Menge Wirkstoff.
Sie wurde immer schwächer, am Pfingstmontag empfahl ich ihr, schon am Dienstag zur Untersuchung zu gehen, nicht erst am Donnerstag, an dem sie bestellt war. Aber sie ging nicht und bestellte auch den Arzt nicht nach Hause. In der ganzen Zeit kümmerte sich meine Schwester sehr um sie. Am Donnerstag kam dann der Arzt zum Hausbesuch. Er tastete ihren Bauch ab und sagte, der sei weich, das wäre ein gutes Zeichen. Der Hausarzt diagnostizierte eine nicht näher spezifizierte Virusinfektion. Sie erhielt auch eine Überweisung zum Nierenarzt.
Dazu musste sie dann auch Urin sammeln. Einer der beiden Ärzte empfahl ihr, viel zu trinken (ich weiß nicht mehr, welcher).
Sie hatte auch bereits Sprachstörungen, vor allem Wortfindungsstörungen und ließ den Kopf hängen und die Kinnspitze klappte nach unten. Sie saß mehr oder weniger in ihrem Sessel oder legte sich aufs Sofa. Sie war in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen und dämmerte vor sich hin. Sie sah auch nicht mehr fern, nur wenn meine Schwester Kreuzworträtsel löste und einen Suchbegriff nannte, antwortete sie plötzlich, mit geschlossenen Augen.
Sie musste eine Strichliste führen und sollte zwischen zwei und drei Litern am Tag trinken.
Dann ging es zum Labor und zu weiteren Untersuchungen, einschließlich Ultraschall.
Ihr Bauch wurde immer dicker.
Sie hatte einen Termin beim Hausarzt und meine Schwester fuhr sie hin. "Sie können ja schon wieder laufen. Ich freue mich, dass Sie fast wieder gesund sind." Und er entließ sie nach Hause.
Es war Ende Juni, kurz vor Quartalsende.
Ihr Bauch wurde immer dicker.
Zum Glück hatte sie noch einen Termin beim Nierenarzt am darauffolgenden Donnerstag, zu dem meine Schwester sie hingefahren hatte, (eigentlich wollte mein Bruder sie hinfahren, aber es gab eine Zeitverwechslung. Er wollte sie um Drei abholen, meine Mutter glaubte aber, sie sei um Drei bestellt, dummerweise haben wir nicht nachgeschaut, also fuhr meine Schwester sie hin und mein Bruder fuhr hinterher, blieb dort, und er holte sie dann ab.
Der Nierenarzt untersuchte sie genauer und meinte, sie hätte etwa zehn Liter Wasser im Bauch. Er wies sie zur weiteren Diagnostik in das Diakonissenkrankenhaus ein.
Die Diagnostik ist komplex, und sie hat von fast allem etwas abbekommen: Leberzirrhose, obwohl sie nie trank, Nieren, Milz, Herz, wahrscheinlich auch noch ein Karzinom. Es ist nicht einfach.

Sie hat sich nach der Virusinfektion etwas erholt gehabt und spricht wieder normal, ihr Bauch ist auch dünner geworden. (Sie war nie schlank, blieb aber während der Krankheit bei ca. 92 kg, was der Hausarzt als gutes Zeichen sah, mich aber doch wunderte, denn sie aß sehr wenig.)

Jetzt ist sie im Krankenhaus und gestern hatte sie noch eine Leberpunktion.

Der behandelnde Arzt hat mit meinen Geschwistern und mir gesprochen, es ist klar, dass sie nicht wieder ganz gesund wird, wir hoffen trotzdem, dass sie sich zumindest etwas erholt.

Insgesamt spricht sie wieder besser, aber sie ist sehr schwach.

Sie bekommt viel Besuch, wir wechseln uns aber ab, damit es nicht zu viel wird.

Sogar ihre Enkeltochter mit der Urenkelin war da.

Meine Schwester nimmt es sehr mit. Sie hat auch nur noch eine befristete Stelle bis September, und man sagt ihr nicht, ob sie übernommen wird, oder nicht. Ich habe nur noch eine Stlle bis Ende Dezember, da mir wegen schlechter AUftragslage im Betrieb gekündigt wurde. (Mehr kann ich hier nicht dazu schreiben.)

Also Arbeitsamt. Ich verstehe, wie schlecht sich meine Schwester dort fühlte. Ich selber fühlte mich sehr schlecht. Es ist wie bei "Blue Eyed".
Meine Betreuerin bat mich freundlich ins Zimmer und sagte: "Nehmen Sie bitte Platz!"
Ich wollte mich auf den Stuhl neben ihrem hinsetzen, da zeigte sie auf einen anderen Stuhl, der war durch einen langen kahlen Tisch von ihrem Platz getrennt, sodass man nichts mehr auf ihrem Monitor erkennen konnte. Offensichtlich ist das Absicht. Man wird als Feind betrachtet. Das geht schon am Eingang los, wo eine Gruppe Wachpersonal in Uniform steht, auf der einen Seite etwa 6, auf der anderen Seite drei oder vier Personen. Schilder: "Bitte wenden SIe sich nicht an das Wachpersonal. Die wissen sowieso nichts. Wenden Sie sich mit Fragen an das Personal der Arbeitsagentur."
Jedenfalls war ich nun in einem Abstand von über zwei Metern (geschätzt, vielleicht auch knapp 3 Meter). Ich fühlte mich, als sei ich im Film "Der große Diktator" - nur, dass ich kein Diktator bin, sondern mein Stuhl unten bleibt. Die Arbeitsagentur spielt mit mir dasd "Diktator-Spiel". Sie verteilen, ich kann annehmen oder ablehnen. Nur, dass es existenzbedrohend ist, wenn ich ablehne, anders als im Spiel.

"In Ihrem Alter wird es sehr sehr schwer!" (Das hatten bereits zwei andere Mitarbeiter der Arbeitsagentur mir erzählt. Also ist es Absicht.

"Sie müssen sich drei Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei uns melden, spätestens am ersten Tag der Arbeitslosigkeit."
"Das ist gut, ich habe mich ja heute bereits gemeldet."
Der Schalter in ihrem Kopf klickte:
"Sie müssen sich drei Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei uns melden, spätestens am ersten Tag der Arbeitslosigkeit."
"Den Termin habe ich ja bereits eingehalten, ich bin heute schon hier."
"Sie müssen sich drei Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei uns melden, spätestens am ersten Tag der Arbeitslosigkeit."
"Ich weiß nicht, was Sie meinen."
"Sie haben sich nicht arbeitslos, sondern arbeitssuchend gemeldet."
Jedenfalls suchte sie mir eine freie Stelle heraus, auf die ich mich bewerben kann.
Ich hatte all das wegen meiner Mutter im Moment noch kurz gehalten, weil sie wirklich schwer krank ist und ich mich mit um sie kümmerte.
Das ist aber etwas, was Schröders Arbeitsagentur nicht hören will.

Schröders Agenda ist letztlich ein großes Milgram-Experiment. http://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment Nur dass ich kein Schauspieler bin, sondern wirklich leide.

Morgen bin ich wieder bei meiner Mutter, heute treffe ich mich mit meiner Nichte.

---

Ein Kennzeichen der Diskriminierung ist, dass dauernd die Regeln geändert werden.
(Quelle "Blue Eyed" von Jane Elliot (siehe auch Wikipedia) http://de.wikipedia.org/wiki/Blauäugig_(1996) Milgram-Experiment, aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie


"Im weiteren Verlauf der Workshops erfahren besonders die Teilnehmer der diskriminierten Gruppe die Aussichtslosigkeit, aus diesem willkürlich aufgebauten Wertesystem auszubrechen."
Zitiert nach dem Wikipedia-Artikel.

---

Und alles auf einmal. Wie im Sprichwort: Ein Unglück kommt selten allein.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe mich mit dem Milgram-Experiment beschäftigt, genauer: ich habe es durchdacht.
Mir kam die Eingebung, dass die Hartz-Gesetze ein großes Milgram-Experiment mit der Bevölkerung sind.
Man testet, wie weit Menschen gehen, die Macht über andere haben.
Ich habe es "Schröder-Experiment" genannt. Andere haben daran weitergearbeitet: http://kamelopedia.mormo.org/index.php/Schröder-Experiment
 

jon

Mitglied
Teammitglied
… ich wollt, es wär eins. Ein Experiment, meine ich. (Wie: "Sie haben sich nicht arbeitslos, sondern arbeitssuchend gemeldet."?)

Das mit deiner Mutter tut mir leid. Ich wünsche euch, dass sie sich wieder so weit erholt, dass sie an den Krankheiten nicht wirklich leidet.
Und hoffentlich konnte dir die Schröder-Beauftragte doch noch ganz genau sagen, was nun in Sachen ALG/Jobsuche zu tun ist. Am besten mitschreiben.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Meiner Mutter scheint es besser zu gehen. Die Diagnostik ist nicht abgeschlossen, aber das CT war in Ordnung. Sie hat nichts mit den Lymphdrüsen.

Ich habe am Freitag im Arbeitsamt angerufen. Das Problem war folgendes: Ich habe gelesen, dass man dem Arbeitsamt mitteilen muss, wenn der Arbeitgeber einen eventuell wieder einstellen will. Mein Chef hat gesagt, dass er uns, wenn sich die Situation ändern sollte, wieder einstellen wird. Ich denke, es ist äußerst unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Also habe ich angerufen. Dabei stellte sich heraus, dass sich wahrscheinlich mein Betreuer schon wieder geändert hat.
Ich habe ein mentales Problem. Ich muss dringend verschiedene Sachen schreiben. Bewerbung, Zeugnis und Steuererklärung. Ich setze mich hin, starre auf den Bildschirm und alles ist wie weggeblasen. Es ist dringlicher, als der Eintrag in der Leselupe. Aber ich bin völlig blockiert. Es ist ein unerwarteter Effekt.
Ich starre und sinne und starre und sinne. Statt zu machen, was ich muss, bearbeite ich die Leselupe.
Ich warvor 15 Jahren schon im Arbeitsamt, damals halfen mir die Leute. Heute drücken sie mich nur runter. Alle drei Mitarbeiter sagten zu mir "In Ihrem Alter wird es sehr schwer." und dieser Gedanke kreist und kreist. Es ist Altersdiskriminierung. Es gibt ein Buch "Rausgeschmissen!", darin beschreibt die Autorin ein ähnliches Erlebnis: Sie hat zwei kleine Kinder und wurde im Mütterjahr hinausgeworfen. Der Arbeitsamtsmitarbeiter sagte ihr: "Mit kleinen Kindern wird es sehr schwer!" - Es steckt also System zur Demotivation dahinter. Die Arbeitsagentur braucht Arbeitslose, wie Blumen das Wasser. Einer der Mitarbeiter klagte, dass wegen der Konjunktur Entlassungen bevorstünden.
Ich selber bekomme von Konjunktur wenig mit. Es wird sehr schwer. Danke für die Änderungen, Gerhard Schröder.
Die Gesellschaft wird entsolidarisiert.
Ich habe blaue Augen.
Komisch: Gestern abend wurde "der Große Diktator" gespielt.

---

Danke Jon. Es ist lieb von Dir. Balsam für die Seele.
---
Morgen habe ich ein Treffen mit ein paar Lyrik-Freunden (von der in Agonie oder Winterschlaf befindlichen Gruppe "Binokel". Wir wollen unsere Werke austauschen und uns unterhalten.

---
Ich komme nicht darüber hinweg, dass ich von der Arbeitsagentur nach der Schröder-Reform wie ein Krimineller behandelt werde. Wachenhaufen am Eingang, maximale Distanz von Arbeitsamtsmitarbeitern zu den Aussätzigen. Diese Art Psychologie.
Und es stimme nicht, dass Fachleute gesucht werden. "Es wird sehr schwer!"
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
'Die Arbeitsagentur braucht Arbeitslose, wie Blumen das Wasser.'


Das sagt alles...und mehr. Ich war kürzlich in einer ähnlichen Situation, lieber Bernd. Zu jung zum sterben, zu alt für den Markt. Nur durch Freunde und Familie fand ich den Weg zurück ins Arbeitsleben.
Gerne würde ich dich trösten, aber da gibt es wenig Trost. Was ich dir raten kann: Mach dich auf die Füße, werde dein eigenes Amt. Verläßt du dich auf den Staat, biste verlassen. Mach dir deinen eigenen.
Schön, dass es deiner Mutter besser geht. Ich wünsche dir viel Glück und von Herzen alles Liebe.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mein Betrieb hat sich mir gegenüber ordentlich verhalten, immer, und mich auch unterstützt, als es mir gesundheitlich schlecht ging. Ein Bekannter riet mir gestern, zu klagen. Ich werde aber definitiv nicht klagen. Ich fühle mich auch immer noch mit dem Betrieb verbunden.

Ich mache auch einiges unabhängig vom Arbeitsamt.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich kann fast das Buch "Gefeuert" von Julia Berger daneben legen. Es gibt mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede.
Man empfielt mir, gegen meinen Betrieb zu klagen. ("Man" sind konkrete Personen, die ich aber nicht nennen will.) Das werde ich aber nicht tun. Die sagen mir, es sei dumm, wenn ich nicht klage. Ich solle Geld herausholen ... Soweit ist es mit mir nicht.

Ich kann schlecht schlafen und wache nachts vier oder fünfmal auf, das bedeutet aber: Ich kann noch schlafen.
Ich stelle dann den ARD-Info-Sender auf MDR-Info ein und lasse mich von den Nachrichten berieseln. Es ist wie beim Märchenonkel. Meist schlafe ich nach fünf oder zehn Minuten ein. Die Musiksender machen nachts erstaunlicherweise fast alle Aufwachkrach.

Seit ich Tabletten zur Blutverdünnung nehme, bin ich früh relativ munter. Vorher war ich immer müde. Oder ist es eine Alterserscheinung?

Ich muss die Bewerbung fertig machen, aber ich habe noch keine Beurteilung von meinem Betrieb (Zwischenzeugnis).

Ich werde es wohl erst mal so losschicken.

Heute habe ich einen Entwurf für das Zeugnis fertiggemacht und an meinen Leiter gesendet.

Ich werde mir mit diesem Zeugnis bestimmt schaden, aber das kann ich nicht vermeiden.

Gestern habe ich mich (zusammen mit meiner Frau) mit ein paar Literaturfreunden getroffen und wir haben aus unseren Werken vorgelesen.

Ich habe vorwiegend einige feste Formen vorgestellt, die ich in der Leselupe veröffentlicht habe.

Ich lese zur Zeit "Das Milgram-Experiment".
 

jon

Mitglied
Teammitglied
"Ich werde mir mit diesem Zeugnis bestimmt schaden, aber das kann ich nicht vermeiden."
Ehrlichkeit ist ehrenhaft. Aber man kann auch ehrlich sein und trotzdem ein besseres Bild erzeugen. Stell dich so "begehrenswert" dar, wie immer es dir möglich ist, denn du bekommst für den ersten Eindruck keine zweite Chance. "Fehler" erkundet der potentiell neue Chef früh genug beim Vorstellungsgespräch.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke, Jon, das Problem ist nicht die Ehrlichkeit, sondern die "Zeugnissprache", die hochgradig verschlüsselt ist.
Offensichtliches Beispiel für unterschiedliche Schlüssel:
"Er hat sich immer bemüht, hervorragende Leistungen zu vollbringen" (DDR, Untertreibung) vs. "Er hat immer zu unserer vollsten Zufriedenheit gearbeitet." (BRD, falsche Benutzung der Grammatik und des Stils - hier falsche Benutzung des Superlativs. Übertreibung ist nötig.)


Meiner Mutter geht es tatsächlich wieder besser, und Krebs wurde ausgeschlossen. Es bleibt Leberzirrhose und Thrombose.
Jedenfalls läuft sie wieder etwas, hat wieder etwas Appetit und löst wieder Kreuzworträtsel. Sie lächelt auch wieder.
Ich habe ihr immer, wenn ich zu Besuch war, ein Gedicht mitgebracht über unsere Kindheit und Jugend, insbesondere in Haselbach.
Sie hatte nur apathisch dagelegen, jetzt nimmt sie wieder am Leben teil.
Nächste Woche wird sie entlassen. Eventuell gibt es vorher einen Zeitraum Kurzzeitpflege oder Reha.
Vielleicht muss sie dafür eine Pflegestufe beantragen. Eigentlich will sie das nicht, aber ich denke, sie überschätzt sich im Moment, denn sie ist noch recht schwach.
Ich habe nächste Woche einen Termin zur Besprechung mit dem Sozialdienst.
Ich schlafe nachts sehr schlecht, hatte ich sehr selten. Heute lag ich von 1 bis 5 wach, bin aber aufgestanden und habe etwas gelesen.
Die drohende Arbeitslosigkeit lähmt, ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Sobald ich damit zu tun habe, kreisen die Gedanken, und sie verdrängen notwendige Gedanken.
Diese Woche habe ich den Entwurf für mein Zwischenzeugnis geschrieben.
Ich muss mich bewerben und habe Angst, das die Bewerbung unvollständig abzugeben. Ich komme mit dem Anschreiben nicht weiter. Sobald ich daran sitze, kommen wieder die dummen Gedanken. Ich habe einen Artikel über Gedankenverdrängung gelesen. Leider scheint die Verdrängung nicht zu funktionieren, es kommt verstärkt wieder, wie bei dem Gedanken an einen weißen Elefanten, an den man 10 Minuten lang nicht denken soll.
Es ist auch experimentell recht gut nachgewiesen.
Es ist der Gedanke, den das Arbeitsamt eingepflanzt hat: "Wie alt sind Sie? Es wird sehr schwer." Das haben mir dort unabhängig drei Mitarbeiter gesagt, und es lähmt.
Ich weiß, dass es Unsinn ist, aber ich bin kein rational denkender Mensch. Ich denke "um die Ecke" - und habe dabei oft Ergebnisse erzielt, die rational denkende Freunde nicht gefunden haben.

Zum Beispiel gab es bei einer Weiterbildung eine Aufgabe, bei der ein Schiff in Seenot geriet, und die Aufgabe bestand darin, die Seeleute auf die Rettungsboote zu verteilen. Es gab 15 Seeleute, aber nur 12 Plätze. Wir sollten drei heraussuchen, die zurückbleiben müssen. Ich wandelte die Aufgabe ab: Wie kann man alle retten?
Ob es in der Praxis gelungen wäre, weiß ich nicht. Aber die Rahmenbedingungen waren so, dass es hätte klappen können.
Ein Rettungsboot für 6 Leute hat so viel Reserven, dass es gegebenenfalls auch 8 aufnimmt, unter Umständen muss man einiges andere zurücklassen oder später holen oder auf andere Weise holen. Ich habe mich hier sozusagen geweigert, die Leute in den sicheren Tod zu schicken.
Die "richtige" Lösung im "rationalen" Sinn wäre gewesen, den Klempner, den Pfarrer und den alten an Bord zu lassen. Gott hätte dem Pfarrer geholfen, der Klempner hätte das Schiff vielleicht wieder in Ordnung gebracht und der Alte war krank und würde sowieso bald sterben. So geht das - würde Vonnegut wohl sagen.
Ich weiß nicht, wie ich beim Milgramexperiment gehandelt hätte. Leider. Aber wahrscheinlich hätte ich als Elektroniker nicht soweit mitgemacht. Ein Indiz ist das Boot.
Nur nützt mir das zur Zeit leider nichts.
Es wird sehr schwer.
Dafür werde ich mehr Zeit haben, mich um meine Mutter zu kümmern.
Eins weiß ich aus eigener Erfahrung: jede Ablehnung einer Bewerbung trifft mich wie ein Schlag, obwohl das irrational ist.
Und dabei haben wir Aufschwung. Ich dürfe nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Aber der Manager vom Arbeitsamt meinte zugleich, als ich erwiderte, dass es also wohl Lügen seien, er dürfe keine politischen Statements abgeben.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Gestern habe ich die erste Bewerbung abgeschickt. Sie ist nicht optimal, aber mehr war jetzt nicht drin.
Meine Mutter wird voraussichtlich am Freitag entlassen und kommt Anfang nächster Woche zur Reha.
Es geht ihr bedeutend besser.

Heute war ein Kollege hier, der ebenfalls Bewerbungen schreibt, er hat langjährige Berufserfahrungen. Er hat schon fast 20 Bewerbungen geschrieben - alles was zurückkam, waren Ablehnungen.
Obwohl er promoviert hat, nützt ihm das nichts, er ist nur wenig jünger als ich. Fachkräfte werden halt gesucht und wir sollen bis 67 arbeiten.

Jüngere Kollegen bis etwa 40 haben gar keine Probleme.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Meine Mutter wird am Freitag aus dem Krankenhaus entlassen und kommt erst mal nach Hause.
Nächste Woche kommt sie zur Reha. Die ist genehmigt.
Endlich mal was Positives.

Ich habe ihr jeden Tag, wenn ich zu Besuch war, ein Gedicht geschrieben. Ich habe festgestellt, dass man den Empfänger des Werkes beachten muss. Einfache Gedichte, die volkstümlich und leicht verständlich sind, statt vor Metaphern zu strotzen, lustig und leicht, aus den Erinnerungen und dem Erleben.

Jetzt wartet sie schon immer darauf.
Ich will ihr dann ein Buch daraus zusammenstellen, das geht ja heute recht gut und einfach als Fotobuch.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist kein Einzelfall. Es hat tatsächlich psychische Gründe.
Ich habe ein Buch gelesen, bei dem getestet wurde, wie der Einfluss möglicher Gewinne auf die Arbeitsleistung ist, wobei Spiele verwendet wurden.

Dabei waren mehrere einfache Spiele zu lösen, der erreichbare Gewinn betrug 1 Tagessatz, einen Wochensatz oder einen Halbjahreslohn.

Diejenigen, die einen Tagessatz gewinnen konnten, schnitten sehr gut ab, die mit einem Wochensatz ebenfalls, von denen, die einen Halbjahressatz gewinnen konnten, konnte keiner die Aufgaben lösen.
Das Buch heißt "The upside of Irrationality" (ungefähr: die Gute Seite der Irrationalität) und ist von Dan Arley.
Für mich ist eine gute "Performance" jetzt mit einer potentiellen Belohnung verbunden, die einem mehrfachen Jahressatz entspricht. Das lähmt.

Außerdem ist Sinnlosigkeit einer Aufgabe lähmend. (Das wird ganz ganz schwer).

Ich bin hier nicht allein.
---
Irrationales Verhalten ist besser, als rationales Verhalten (Rational im Sinne neoliberaler Ideen).

---
Eine gute Nachricht: Meine Mutter ist wieder zu Hause, wir haben sie abgeholt.
Sie hat noch wenig Kraft, kann aber wieder laufen, hat Appetit, wenn auch geringen Hunger, aber das Wesentlichste: Sie hat ihren Humor wieder.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Seit einigen Tagen schlafe ich schlecht, wache auch nachts mehrfach auf.
Heute bin ich gegen zwei aufgewacht, dann nochmal kurz geschlafen, um vier aufgeschreckt, halb fünf aufgestanden, um meine Frau nicht zu stören.
Im Bett hin und hergewälzt.
Nachgedacht, dass es völlig sinnlos ist, Gedanken nachzuhängen.
Der Gedanke: "Es wird sehr sehr schwer" hat sich wie ein Kehrreim festgesetzt und paralysiert.
Was spielt das Arbeitsamt hier für ein Spiel?
Es kann nicht sein, dass die Leute es nicht wissen, was sie anrichten.
Es ist kein Weg, sondern eine Mauer.
Und ich weiß es ja und weiß, dass es quatsch mist, aber ein Gefühlszentrum schaltet sich immer wieder dazwischen.
Ich versuche, die Gedanken zu verdrängen.
Ein Gutes hat es. Ich habe in den letzten 4 Wochen drei Kilogramm abgenommen, das entlastet die Gelenke.

Eine neue Stelle mit weißem Hautkrebs, diesmal am Kopf. (Der ist nicht sehr gefährlich, es muss herausgeschnitten werden, hat aber noch Zeit.)
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Heute haben wir Nudelsuppe mit einem Suppenhuhn gekocht - und das Beste: Es hat meiner Mutter geschmeckt.
Mein Bruder ist aus dem Urlaub zurück und er kümmert sich am Montag um die Arztsprechstunde wegen der restlichen Medizin.
Er hat noch Ferien, und ich habe noch Arbeitsaufgaben ...
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein weiteres Experiment aus dem Buch "The upside of Irrationality":

Die Aufgabe bestand darin, aus Legosteinen Figuren zu bauen.
Bei der ersten Gruppe wurden die fertigen Figuren unter den Tisch gestellt, in der Vergleichsgruppe wurden sie sofort wieder zerlegt.
Das Zerlegen war extrem demotivierend, das Zerlegen nach dem Ende der Aufgaben dagegen nicht.
Es gab weitere Aufgaben, der Sache näher auf den Grund zu gehen.
Wenn die Versuchspersonen sahen, dass ihre Ergebnisse zerstört werden, verloren sie die Motivation. Sie verloren sie aber ebenso, wenn die Sachen vom Versuchsleiter unbeachtet in eine Ecke gelegt wurden. Sie blieben dagegen hochmotiviert, wenn der Versuchsleiter die Sachen betrachtete und positive Kommentare abgab,

Der Autor polemisiert gegen die immer feinere Zerteilung der Arbeit, wie sie von Adam Smith befürwortet wurde. Diese führt dazu, dass man nur noch "funktioniert", aber keine Motivation mehr da ist, weil man nämlich das Ergebnis nicht mehr sieht bzw. empfindet.

Der Autor zerpflückt die weitverbreitete (scheinbare) Rationalität des Neoliberalismus (ohne aber diesen Begriff zu nennen).

Rational wäre: Je mehr man bekommt, desto besser erfüllt man eine Aufgabe. Das stimmt aber keinesfalls mit der Realität überein.

Ein Beispiel von mir: Ich schreibe in der Leselupe, ohne Lohn zu bekommen. Das ist äußerst irrational im Sinne des Neoliberalismus und der Märkte.

Dabei ist es durchaus egoistisch und rational, aber im Sinne meiner eigenen Emotionen.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Habe in Serges Tagebuch gelesen. Faszinierend.

Habe den Entwurf meines Zwischenzeugnisses erhalten. Faszinierend.

Habe Christianes selbstgemachten Apfelsaft getrunken. Faszinierend.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein komischer Fehler:

und und ...

Beginne ich beim Schreiben zu stottern?

---
Meine Tochter ist zu Besuch.

Sie hat bei den jungen Katzen, die meine Schwester betreut, Flöhe festgestellt, und wir haben sie einen Tag später bekämpft. Meine Schwester sieht das aber persönlich. Sie versteht nicht, dass das nötig ist, oder sie will sich nicht helfen lassen. Einzelheiten möchte ich hier nicht schreiben.
Nur eins vielleicht, sie ist depressiv. (Ich nehme diesen Abschnitt des Tagebuches nicht in den "öffentlichen" Teil.)

---
Meine Mutter kommt morgen zur Kur. Sie hat jetzt abgenommen.
Insgesamt ist ihr Zustand aber viel besser, als zu erwarten war.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mein Bruder hat bei meiner Mutter gestern die Küche aufgeräumt.
Meine Schwester hat sich mächtig darüber geärgert. Sie nimmt keinerlei Rücksicht auf unsere Mutter. Statt sich zu freuen, sagte sie "Ich kann gar nichts!" und war eingeschnappt. Das Problem ist, sie ist extrem depressiv und das von der selbstzerstörerischen Art. Dabei ist sie äußerst hilfsbereit, geht aber bei der kleinsten Kleinigkeit in die Luft. Sie ist auch in Behandlung. Nur hilft das in aktuellen Fällen nicht. Sie isoliert sich mit ihren Reaktionen.
Viel mehr will ich hier nicht schreiben und stelle es auch in den internen Bereich. Ich habe Angst um sie und für meine Mutter ist es auch nicht hilfreich, dauernd Selbstmorddrohungen zu hören. Meine Schwester nimmt eben keinerlei Rücksicht.

Meine Mutter hat eine Katze, die war zwar sterilisiert, hat aber trotzdem vier Junge gekriegt. Es war klar, dass die nicht bleiben können. Zwei waren schon vermittelt, zwei bringt mein Bruder heute ins Tierheim. (Meine Mutter geht heute drei Wochen zur Reha-Kur)
Meine Schwester hat sich um die Katzen gekümmert.
Leider haben sie in den letzten Wochen, als meine Mutter im Krankenhaus war, Katzenflöhe eingefangen.
Meine Tochter war zu Besuch und hat es gleich gemerkt, denn sie hat selber eine Katze. Die Flöhe müssen bekämpft werden, sie können Krankheiten verbreiten. Meine Tochter sagte: DIe haben ja Flöhe, guck mal, wie die springen! Wir müssen was tun!"
Meine Schwester hörte es und rastete sofort aus. Jetzt ist meine Tochter auch eine "Katzenhasserin". Leider können wir hier aus hygienischen Gründen keine Rücksicht auf meine Schwester nehmen.
Sie mag jetzt niemanden mehr, weder meine Frau, noch meine Tochter noch mich, nicht mal sich selbst.
Ich habe einiges über Deppression gelesen, und es ist äußerst schwierig.
Sie verrennt sich immer mehr. Und ich kann ihr nicht helfen. Wir hatten schonmal einen Notarzt gerufen, sie kam dann auch in eine Klinik, dann in eine Kur - und eine Woche bevor die Kur zu Ende war, wurde sie in den Betrieb bestellt und gekündigt. (Sie bekam allerdings eine Arbeit angeboten, die sie nicht machen konnte, wegen Karpaltunnelsyndrom, sie musste Teller in einer Großküche im Akkord befüllen, immer die gleiche Bewegung, dort waren schon andere "Strafversetzte" - sie hat sie trotzdem angenommen und war nach 14 Tagen so stark an der Hand geschädigt, dass sie ein ganzes Jahr krank war.)
Ihre wie ein Mantra wiederholten Worte: "Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr!"
 



 
Oben Unten