Unter dem Kastanienbaum (Aus Schreibwerkstatt)

Neufassung und neuer Titel

Unter der alten Linde
von Willi Corsten

In der Mitte des Dorfes stand seit vielen, vielen Jahren eine prächtige Linde. Die Kinder turnten oft und gerne in ihren Ästen herum und legten im Herbst die herzförmigen Blätter zum Trocknen in ein dickes Buch. Sie halfen auch beim sammeln der Blüten, die der Baum in reicher Fülle schenkte, und trugen sie als heilsames Mittel gegen Fieber und Erkältungen nach Hause.
Rings um den mächtigen Stamm hatte der Schreiner eine Bank gezimmert. Dort ruhten sich die Alten des Dorfes aus, zündeten ihr Pfeifchen an und lauschten dem Wind, der in den weitausladenden Zweigen des Baumes spielte und Geschichten aus vergangenen Zeiten erzählte. An lauen Sommerabenden schlenderten die jungen Leute herbei und drehten sich vergnügt im Tanz. Manche Freundschaft wurde unter dem Baum geschlossen und ewige Treue geschworen.
Eines Tages kam ein griesgrämiger Gnom daher, blinzelte aus kleinen Schweinsaugen missmutig zu dem Baum empor und schimpfte: „Du verdunkelst mir die Sonne, stehst mir im Weg und hast mehr Erfolg als ich. Gestern erst wurde wieder einmal über dich in der Laubinger Heimatzeitung berichtet. Nun will man dir in der Dorfchronik sogar einen Ehrenplatz einräumen.“
Der Zwerg stampfte wie ein ungezogenes Kind mit dem Fuß auf und schimpfte: „Potz paus. Ei der Daus! Ich werde allen Leuten verbieten, weiterhin gut über dich zu reden oder zu schreiben.“
In den Zweigen des Baumes hörte ein Rabe den Gnom schimpfen und wunderte sich, warum der törichte Mann gegen dieses Sinnbild der Gerechtigkeit und des unbeschwerten Miteinander wetterte. Tiefes Mitleid regte sich in seinem kleinen Vogelherzen und er dachte bei sich: Vielleicht kann man dem armen Tropf ja helfen. Er wippte mit dem Schwanz und kleckerte dann treffsicher etwas auf das erhitzte Haupt des Störenfriedes. Vergebliche Liebesmüh, denn gegen verstockte Dummheit kämpften selbst die Götter ohne Erfolg. Gut gemeintes Düngen hilft da auch nicht weiter, aber einen Versuch war es ja wert.
Der Zwerg fuhr mit seinem Taschentuch über das schüttere, rötlich glänzende Haar, putzte erbost den Klecks weg und tanzte wie ein närrisches Äffchen im Kreis herum. Als er endlich begriffen hatte, was da geschehen war, nahm er einen Kieselstein in die Hand und schleuderte ihn hoch zu dem schwarzgefiederten Gesellen. Mit stumpfsinnigem Blick verfolgte er den Flug des Steines und merkte viel zu spät, dass der Stein sein Ziel verfehlte, wie ein Bumerang retour kam und ihm geradewegs in den offen stehenden Mund purzelte. Die Zähne des Wurzelzwerges kullerten ins Gras, sein Poltern verstummte, und der himmlische Friede kehrte zurück an den verträumten Ort.
Diesen Vorfall hatte der Förster beobachtet und so fand der Gnom wenige Tage danach endlich auch einmal seinen Namen gedruckt. Im Vogelschutzblättchen hatte man ihm drei Zeilen reserviert. Unter ‚Kurioses‘ stand dort geschrieben: ‘Missgünstiger Wurzelzwerg erlebte sein blaues Wunder.‘
 
R

Rote Socke

Gast
Na prima!

Nun hat auch diese Geschichte ihren verdienten Weg ins "fertige" Forum gefunden. Aber viel gab es ja nicht zu basteln am Text. Er hatte mir in der Werkstatt bereits gut gefallen.
Aber mir scheint Du hattest nochmal ein wenig Hand angelegt. Kann das sein?
Mir gefällt sie Willi und so soll jeder seinen eigenen Sinn daraus erkennen können.

LG
Volkmar
 
Danke für Dein Interesse, lieber Volkmar.
Du hast ja auch fleißig geholfen in der Schreibwerkstatt.
Ja, ich habe noch einiges geändert, um den "märchenhaften" Charakter deutlicher herauszustellen.
Sagst Du mir bitte, ob speziell dieser Aspekt gelungen ist.

Mit besten Grüßen
Willi
 
R

Rote Socke

Gast
Der Märchencharakter kommt m.E. nach sehr gut rüber und ist Dir gut gelungen. Deswegen sagte ich ja, nun hat jeder die Möglichkeit seinen eigenen Nutzen aus der Geschichte zu ziehen.

LG
Volkmar
 
Kastanienbaum

Hallo Willi,


Du weißt, daß ich die Geschichte gut finde, jedoch gefiel mir die vorherige Version besser. Was mich hieran stört ist folgendes:
unter die triefende Nase - in seinen erstaunt,offenstehenden Mund flog ...
2. enfältiger Wurzelzwerg fas am eigenen Zorn erstickt, ist mir zu beleigend und zu negativ. Solche Beleidigung würde auch der Vogelschutzverband nicht in seiner Zeitung verbreiten. Alte Version war besser.
unter absurdes Verhalten -- keine Rubrik
Vorschlag unter "Kurioses" oder "Lokales" oder "Der Witz von Seite 3"
Laß mich mal wissen was Du von meinen Vorschlägen hälst.

Liebe Grüße
Uschi
 
Liebe Uschi,
du hast mich überzeugt.
Nach nochmaligem Lesen habe ich deine Vorschläge übernommen. Ist wirklich besser so.
Es bedankt sich lieb
Willi
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
sehr

schön. fällt zuerst gar nicht auf, daß es ein märchen ist. dein humor ist wieder goldig. ganz lieb grüßt
 
Schönen Dank für dein Interesse, liebe oldicke.
Sicher, es ist ein Märchen, aber mit einem ernsten Hintergrund.
Lieb grüßt dich
Willi
 
R

Rote Socke

Gast
Na ja Willi,

jedenfalls hast Du den Text nun stets parat und kannst ihn bei entsprechenden Situationen vorweisen. Das ist doch ganz gut.

LG
Volkmar
 

Marc Mx

Mitglied
Von Willi oder von Oscar?*g*

Hallo Willi,

mir gefällt diese Geschichte auch gut. Allerdings erinnert sie mich ein bißchen zu sehr an die Geschichte von Oscar Wilde "Der selbstsüchtige Riese".
Kennst Du das Märchen?

Gruß
MarcPlanet.de
 
Hallo Marc,
nein, das Märchen kenne ich nicht, aber Liebe und Leid, Leben und Tod, Freude und Neid sind ja Themen, über die schon tausendfach geschrieben wurde. Wollte man diese Sachen ausklammern, müsste man den Stift zur Seite legen.
Kommt ja auf die Motivation an, aus der heraus man schreibt. Jeder hat halt was anderes zu sagen.
Es grüßt dich lieb
Willi
 
E

ElsaLaska

Gast
Lieber Willi,

es gibt mich auch noch und ich habe Dich auch nicht vergessen. Nix zu mäkeln habe ich an dieser wunderbaren Geschichte. Wirklich nix? Du hast recht, Elsa findet immer was, dafür ist sie bekannt:)
So wie Du den Kastanienbaum beschreibst, sollte es doch besser ein Lindenbaum sein. Jawoll. Die traditionelle Dorflinde ist es doch, unter der sich früher das Leben abspielte, die Alten sassen, getanzt wurde, geselliges Beisammensein usw... Die Kastanien sind sowieso, wie ich glaube, relativ neu zu uns gekommen. In der guten alten Zeit war es immer die Linde. Ohne jetzt von Dir zu verlangen, dass Du das änderst:), aber es fiel mir einfach gleich auf, als Unstimmigkeit beim Lesen.
Tschuldigung und liebe Grüsse
Elsa
 
Liebe Elsa,
bin ich froh, dich wieder in der LL zu finden. Wir haben doch so gut zusammengearbeitet und manchem Text den letzten Schliff gegeben. Ich erinnere nur an die Traumhüterin aus der Provence.
Du hast recht, eine Dorflinde wäre geeigneter gewesen, aber ich brauchte einen Baum, der etwas zu „verschenken“ hatte (Blätter und Kastanien). Ich maile dir mal, warum.
Ein schönes Wochenende
wünscht Willi
 
E

ElsaLaska

Gast
Lieber Willi,

obwohl ich Dir eben in der Antwort schrieb, mir sei immer noch nicht klar, warum die Kastanie denn sein muss, wird es mir immer klarer.
Nun, die Linde hat ja auch prima Blätter und die "Früchte" der Linde, die Lindenblüten, sind ein grosses Heilmittel gegen Fieber und Halsentzündung (z. B. wegen lauten Schreiens). Ausserdem ist die Linde der Baum der Gerechtigkeit, früher wurde unter ihm Recht gesprochen, wohl um im süssen Schatten der Linde das Urteil zu versüssen:). Lind ists unter der Linde, sie beruhigt und weiss Aufregung zu vertreiben, fördert das fröhliche, unbeschwerte Miteinander.

Ich will Dich ja nicht überreden, nur meinen Standpunkt vertreten:) Und nun auch gerade, mit dem Hintergrundwissen, das Du per Mail mitgeteilt hast:)

Lass mich wissen, wofür Du Dich entscheidest. Sprachlich habe ich auch beim nochmaligen Lesen nichts mehr gefunden.......

LG und viel Glück mit der Baumgeschichte:)
Elsa
 
Liebe Elsa,
danke für den Tipp bezüglich der Linde.
Deine Argumente überzeugen. Wenn ich am Wochenende Zeit finde, versuche ich einmal diese Variante. Du hörst von mir.
Ein schönes Wochenende
und liebe Grüße
Willi
 
Liebe Elsa, Volkmar und ALLE anderen Freunde
dieses Threads,
ich habe den Text total überarbeitet und ihm, auf Elsas Vorschlag hin, auch einen anderen Titel gegeben, bzw. aus der Kastanie eine Linde gemacht.
Bitte arbeitet noch einmal gründlich im Text, denn diese Geschichte ist mir sehr wichtig. Sie soll unbedingt druckreif werden.
Mit den besten Grüßen
Willi
 
R

Rote Socke

Gast
Lieber Willi,

zunächst will ich Dir sagen, dass die Geschichte jetzt noch lebendiger geworden ist. Mir gefällt die Überarbeitung.

Nur eine kleine Kritik will ich zum Überdenken anregen: Mir scheint, in der Kürze der Geschichte, tauchen zu viele Details auf. Um die Geschichte nicht Detailüberladen wirken zu lassen, würde ich vielleicht zwei bis drei Begriffe abändern.

1. Krähenwinckeler Heimatzeitung (winckeler ist sehr komplex)

2. Kapuzineräffchen (genügt nicht einfach Äffchen?)

3. Hutzelzwerges (einfach Zwerg schreiben, oder?)

Kannst ja mal überlegen.

LG
Volkmar
 
Lieber Volkmar,
vielen Dank für die Vorschläge. Ich habe sie mir ausgedruckt, warte aber vor der Änderung mal auf weitere Tipps. (so bleibt zum besseren Vergleich vorerst das Original erhalten)
Beste Grüße
Willi
 



 
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