Astlöcher, Holzschiefer und Feensplitter

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Mit Depression ist das so eine Sache....

die Welt um dich verliert ihren Glanz, ihre Poesie. Nichts berührt dich, nichts klingt, nichts tanzt.
Du hast körperliche Symptome wie zum Beispiel steife Gelenke, verhärtete Muskeln, Sehschwierigkeiten. Konzentrationsprobleme.
Auch Lesen wird zur Herausforderung.
Und es fühlt sich an, als würde es immer schlimmer werden. Bis zu dem Punkt, wo dann eben gar nichts mehr geht. Davor hast du tierische Angst.
Und wenn Schreiben für dich Ausdruck von Lebendigkeit bedeutet, dann ist dieses gefühlte Entschwinden der Worte und Gefühle das Schlimmste von allem.

Also verhandelst du (und versuchst trotzig, dir ein Gedicht abzuringen) - mit wem auch immer...




Nimm, bitte, mir die Sprache nicht!
Auch nicht die Worte, deren Dicht-
an-Dicht sich mir im Fühlen flicht!

Und mach mir nicht die Finger steif,
durch die, wenn ich nach Worten greif',
ein Teilchen meiner Seele fließt,

sich zeigend auf Papier ergießt
(erst dort sich manchmal mir erschließt).
Auch bitte ich: lass' mir das Lied,

das mir in Herzensfurchen blüht.
Wär' nicht lebendig, blieb' es stumm.
Wie totes Holz; verkrüppelt, krumm.

Im Schreiben find ich mich. Und drum:
mach mir auch nicht die Augen trüb.
Muss ich doch lesen, was ich schrieb!

Doch wär' das Einzige, was blieb',
von meinem Mühen bloß ein Vers -
dann wär' es gut so. Ja, das wär's.
 
Liebe fee

das ist ja mehr als ein Gedicht ,- ein Gebet. . großartig in seiner Verletzlichkeit und seiner dichterischen Webung

Ich bete mit:

mach mir auch nicht die Augen trüb.
Werde noch finden müssen, den ders schrieb!

Mes compliments

Dionysos
 

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du bist nicht jeden tag
dein gleiches selbst
selbst an tagen wo du
meinst ganz du selbst
zu sein bist du
vielleicht bloß auf
dich selbst
zurückgeworfen
denkst selbst der
der sich selbst stets
treu zu bleiben vermag
muss irgendwann selbst
erkennen dass er nur
gleicht
 

petrasmiles

Mitglied
Darauf habe ich auch einen Aphorismus von Marie von Ebner-Eschenbach:
"Selbst was wir am meisten sind, sind wir nicht immer."

Deine Zeilen sind sehr kritisch - und vielleicht ist dieses Gefühl von Identität ein 'Vertrag' mit sich selbst und diejenigen mit einem 'fetten Ego' (wozu ich auch mich zähle) haben sich zugesichert, dass alles, was man denken, fühlen und machen kann, man selbst ist.
Ich zweifle nie an mir: Selbst in den armseligsten und erbärmlichsten Momenten weiß ich: Das bin ich. Das auszuhalten ist eine Lebensaufgabe - aber immer noch besser als Zweifel.

Liebe Grüße
Petra
 

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Ich zweifle nie an mir: Selbst in den armseligsten und erbärmlichsten Momenten weiß ich: Das bin ich. Das auszuhalten ist eine Lebensaufgabe - aber immer noch besser als Zweifel.
Da stimme ich dir zu, liebe Petra. Der Zweifel steckt nicht umsonst im "Verzweifeln" drin. Sich mit sich selbst zu arrangieren, sich quasi selbst näherzukommen, ist wohl DIE Lebensaufgabe überhaupt. ;)

Aber manchmal holt so ein Schicksal auch das Beste aus uns hervor.
Du bist meine Superheldin
Das ist lieb von dir! Aus heutiger Sicht weiß ich auch, dass gerade dieses "Handicap" einige meiner "Superfähigkeiten" hervorgebracht hat. :)

Hab ein schönes Wochenende, meine Liebe!
 

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ampelphase


manchmal da gelingt das
da webst du dich
in den tag flichtst dir
neue erzählstränge ins
windzerzauste haar lachst
weil es viel zu wenig
zu lachen gibt wo kämen wir
da hin wenn alle hupten
im stoßverkehr den ernst
der lage zelebrierten
jeder für sich allein
in seiner airbagzelle
kurz vor der teilung manche
singen unerhörtes wollen
sich ganz laut hören
und du siehst ihre lippen
wie sie im rot der ampel
gesichter zum blühen bringen
ein vollhonk tritt aufs standgas
hat nichts kapiert du hast grün
tauchst summend zwischen das weiß
des zebrastreifens
 

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wo kommt bloß all der staub her
du wachst auf peng da liegt er wieder
als wär die nacht mit ihrem feinsten
schmirgelpapier über die flächen gegangen
hätte mit heimlichem grinsen
was zu sehr spiegelt matt gewischt
mamas foto zum beispiel auf dem
das lächeln fehlt seit ich denken kann
manchmal ließe ich dort gern den staub
liegen doch dann hab ich angst
zu vergessen
 

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jetzt fragst du dich sicher schon
zum sechsten mal welche art frau
du sein möchtest musst dich wieder
neu erfinden ein segen sagen die
die es wissen müssen du musst
das beste aus dem machen was du
hast war mutters rat damals ich sollte
nicht zu sichtbar sein als frau denn
männer wollten nur das eine doch
stets unsichtbar zu sein war und ist
was diese frage so sinnlos macht
 

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hab ein notizbuch
für große ideen bloß
sind es immer die kleinen
die sand ins getriebe streuen
mit einem kleinen knirschen
fängt es an ruckelt ein wenig
dann dieses kratzende geräusch
wie stumpfe kreide an der tafel
fährt dir die wirbelsäule entlang
stellt dir die nackenhaare auf
weil du weißt: es war doch
eigentlich alles
gut so
 

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die mauerbienen tummeln sich
wie jedes frühjahr auf meiner
stadtloggia im sechsten stock
noch sind hier felder am rand
der betonwüste noch finden sie
ihren weg ich seh ihren nach
wuchs schlüpfen wünsch ihnen
ein wiedersehn im insektenhotel
die betonwaben dahinter sind
bis in den neunten stock ge
wachsen zu klein um darin zu
leben hausen kann man es viel
leicht noch nennen keine mauer
biene würde darin zu brüten
versuchen überteuert die zelle
da hilft auch all der luxus nicht
wenn du dem nachbarn auf den kopf
spucken kannst sein haupthaar
zählen in sommernächten sein
schnarchen hören du selbst die
sonnenblenden stets geschlossen
halten musst um für dich zu sein
keine mauerbiene würde so dumm
sein sich dort niederzulassen
 

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da sollst du dir was kreatives
aus dem kopf kitzeln und draußen
geht schon der nächste regenguss
übers trübe land bloß an deinem
tisch ist der pinsel immer noch
trocken und auch die wange nicht
feucht vom kuss der muse ach soll
sie doch von mir aus wegbleiben
im garten tippelt das rotkehlchen
vorbei trägt sein pochendes herz
auf der brust schöner kann rot
gar nicht sein
 

revilo

Mitglied
Beißhemmung



Ich bin nicht mehr die junge Zornig-Wilde.
Nimmt man's genau, dann war ich das noch nie.
Die Male, als ich Zornesworte spie,
verbannten sie mich vom Familienbilde.

Als führte Bitterböses ich im Schilde,
kam's so, dass man den Lapsus nie verzieh.
Man hielt ihn hoch, mir vor und er gedieh.
Vergebens hoffte ich auf Mutters Milde.

Noch heute macht Mich-Wehren mir Beschwerden:
die Stimme dazu fehlt und auch der Mut.
Ein Knebel - unsichtbar - beengt die Kehle.

Ganz tief hinunter in die Schwärze meiner Seele
schluck ich - auch wenn ich's besser weiß - die Wut.
So groß die Angst, ich könnt' verstoßen werden!
in der generation meiner eltern wurde nicht geredet, vieles totgeschwiegen........ich habe aber trotzdem aufbegehrt und wurde nicht verstoßen........LG
 

revilo

Mitglied
jetzt fragst du dich sicher schon
zum sechsten mal welche art frau
du sein möchtest musst dich wieder
neu erfinden ein segen sagen die
die es wissen müssen du musst
das beste aus dem machen was du
hast war mutters rat damals ich sollte
nicht zu sichtbar sein als frau denn
männer wollten nur das eine doch
stets unsichtbar zu sein war und ist
was diese frage so sinnlos macht

nicht zu sichtbar sein, ehrlich?.........
 

revilo

Mitglied
Mit Depression ist das so eine Sache....

die Welt um dich verliert ihren Glanz, ihre Poesie. Nichts berührt dich, nichts klingt, nichts tanzt.
Du hast körperliche Symptome wie zum Beispiel steife Gelenke, verhärtete Muskeln, Sehschwierigkeiten. Konzentrationsprobleme.
Auch Lesen wird zur Herausforderung.
Und es fühlt sich an, als würde es immer schlimmer werden. Bis zu dem Punkt, wo dann eben gar nichts mehr geht. Davor hast du tierische Angst.
Und wenn Schreiben für dich Ausdruck von Lebendigkeit bedeutet, dann ist dieses gefühlte Entschwinden der Worte und Gefühle das Schlimmste von allem.

Also verhandelst du (und versuchst trotzig, dir ein Gedicht abzuringen) - mit wem auch immer...




Nimm, bitte, mir die Sprache nicht!
Auch nicht die Worte, deren Dicht-
an-Dicht sich mir im Fühlen flicht!

Und mach mir nicht die Finger steif,
durch die, wenn ich nach Worten greif',
ein Teilchen meiner Seele fließt,

sich zeigend auf Papier ergießt
(erst dort sich manchmal mir erschließt).
Auch bitte ich: lass' mir das Lied,

das mir in Herzensfurchen blüht.
Wär' nicht lebendig, blieb' es stumm.
Wie totes Holz; verkrüppelt, krumm.

Im Schreiben find ich mich. Und drum:
mach mir auch nicht die Augen trüb.
Muss ich doch lesen, was ich schrieb!

Doch wär' das Einzige, was blieb',
von meinem Mühen bloß ein Vers -
dann wär' es gut so. Ja, das wär's.

du wirst nie die fähigkeit zu schreiben verlieren.......
 

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du wirst nie die fähigkeit zu schreiben verlieren.......
Danke dir von Herzen, Oliver!
Ich hoffe es.

.ich habe aber trotzdem aufbegehrt und wurde nicht verstoßen
Ich hatte mit meiner Mutter ein von Grund auf schwieriges Verhältnis (oder eigentlich sie mit mir)....da spielen viele Faktoren mit hinein, die ich großteils erst jetzt im Erwachsenenalter "aufdröseln" und dingfest machen konnte...und etliches bleibt Vermutung, da ja alles totgeschwiegen wurde. Man kann nicht verstoßen, wen man nie akzeptiert hat. Darauf läuft es letztlich hinaus.
Aber "lieb" und pflegeleicht zu sein, darauf wurden meine Schwester und ich schon hingetrimmt. Mächen-Erziehung und "weibliche Werte" der damaligen Zeit und Generation eben...alles leider noch nicht so lange her wie man das gerne wahrhaben möchte.

nicht zu sichtbar sein, ehrlich?.........
Ja. Für mich ein echtes Problem. Lerne du dich mal in deiner Pubertät als (werdende) Frau zu akzeptieren, wenn dir deine Ma bei jeder Gelegenheit mitteilt, du hättest von allem zu viel und das sähe nicht schön aus und müsse möglichst "verhüllt" oder "in Zaum gehalten" werden. Ich glaube, hätte es BHs gegeben, die den Busen nach innen stülpen, dann hätte sie mir solche verpasst. :cool:
Und das "Unsichtbar-Sein", das sie mir damals beibringen wollte (glaub mir, ich habe damals so ziemlich alles getan, um nicht unsichtbar zu sein...blaue Haare, Igelfrisur, Kleidungsstil,...), erfahre ich jetzt - als Frau Mitte 50 - unangenehm auf andere Weise. Da drückt der Türsteher beim Modegeschäft der noch etwas jüngeren Frau vor dir eben noch mit einem Lächeln zuvorkommend einen Einkaufskorb in die Hand, du kommst gleich dahinter und bist Luft. Nur eins von vielen Beispielen.

Aber es hat auch Vorteile. Frau muss nur auch selbst dort ankommen in dieser neuen Phase und sich neu einrichten (bzw. neu erfinden, bis alles wieder passt für einen selbst. Das geht aber wohl erst nach dem hormonellen Psychoterror der Wechseljahre...)

Danke dir fürs Reinlesen und die lieben Worte!
C.
 



 
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